The Sky is the Limit: Frankfurts Wolkenkratzer

Kolosseum, Eiffelturm, Big Ben, Stephansdom, Manneken Pis,… -  Die Wahrzeichen der europäischen Metropolen sind so unterschiedlich wie die Städte selbst und deren Bewohner. Im deutschen Finanzzentrum Frankfurt mussten die Bürger erst von der Sinnhaftigkeit ihrer späteren Wahrzeichen überzeugt werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hoffte man vergebens auf den ehrenwerten Titel der Bundeshauptstadt und des Regierungssitzes (Bonn bekam den Zuschlag), stattdessen wurde Frankfurt zum Sitz der Deutschen Bundesbank und in Folge zu einer City der Banken und Versicherungen. Diese benötigten Büro- und Geschäftsflächen, und so wurde zusehends immer mehr in die Höhe gebaut. Das erste Hochhaus, das den Kaiserdom überragte, war der 1961 fertiggestellte Henninger-Turm mit einer Höhe von 119,5 Metern, 2013 wurde dieser übrigens abgerissen.

 

In den 70ern entstand zwischen der Hauptwache und dem Bahnhofsviertel das sogenannte Bankenviertel. Zahlreiche ältere Häuser wurden abgerissen, die Proteste mündeten in den „Frankfurter Häuserkämpfen“, denen sich vor allem linke Revolutionsbewegungen (mit prominenten Teilnehmern wie dem späteren Außenminister Joschka Fischer und dem früheren EU-Parlamentsabgeordneten Daniel Cohn-Bendit) anschlossen. Der Bau-Boom konnte allerdings dadurch nicht aufgehalten werden, er erlebte im Gegenteil durch die Wiedervereinigung und die Gründung der Europäischen Zentralbank (ebenfalls in Frankfurt) einen weiteren Höhepunkt.

 

Heute gibt es aktuell in Deutschland 19 Wolkenkratzer (mit über 150 Metern Höhe), 18 davon stehen in Frankfurt – einzige Ausnahme der Post Tower in Bonn. Der höchste Wolkenkratzer ist der Commerzbank Tower in der Großen Gallusstraße (im Bankenviertel). Das vom Stararchitekten Norman Foster konzipierte Gebäude mit insgesamt 56 Stockwerken schießt 259 Meter in die Höhe, inklusive Antenne sogar 300 Meter, und ist damit das zweithöchste Gebäude der EU (nach dem Warschauer Varso Tower). 

 

Im Gegensatz zu New York sind die Wolkenkratzer Frankfurts nicht öffentlich zugänglich. Die einzige Ausnahme: Der Main Tower in der Neuen Mainzer Straße, Platz 5 in den Skyline-Charts mit einer Höhe von 200 Metern (bzw. 240 Metern inkl. Antenne). Gegen eine Eintrittsgebühr von 9 Euro kann jeder Interessierte (ohne Höhenangst) – nach Durchschreiten einer Sicherheitsschleuse – 200 Meter per Hochgeschwindigkeitslift nach oben düsen. Auf einer Aussichtsplattform wartet ein perfekter Panorama-Blick auf die Stadt Frankfurt und ihre faszinierende Skyline. Wer gerne Fotos von unten schießt, für den empfiehlt sich ein Spaziergang direkt am südlichen Main-Ufer (nahe dem Hauptbahnhof) oder auf den nahegelegenen Brückenüberquerungen (wie dem Eisernen Steg oder dem Holbeinsteg).

 

Die Hochhaus-Mania nimmt trotz vermeintlicher Sättigung kein Ende. 2024 wurde mehrheitlich in der Frankfurter Stadtverordnetenversammung ein neuer Hochhausentwicklungsplan beschlossen. Es sollen zehn neue Wolkenkratzer bis zu 200 Meter Höhe gebaut und vier bestehende Hochhäuser auf bis zu 210 Meter aufgestockt werden. Im Zentrum der Überlegungen steht dabei eine gemischte Nutzung aus Büro- und Wohnungsflächen. Eine Hochhauspromenade mit integrierter Kulturmeile bzw. Gastronomie, Bildungsstätten und Kindergärten in den unteren Geschossen soll entlang der Wallanlage errichtet werden. 

 

Die Kritik der Linken ist allerdings nicht von der Hand zu weisen. „Frankfurt braucht keine weiteren Prestige-Betonriesen mit leerstehenden Büroflächen und Wohnungen, die zu Mondpreisen verhökert werden oder als reine Anlageobjekte leerstehen, sondern bezahlbaren Wohnraum und Schulen“, so deren planungspolitischer Sprecher Eyup Yilmaz. Zu unterschätzen ist auch nicht der gesellschaftliche Sprengstoff, der durch die immer größer werdende Diskrepanz zwischen Reich und Arm entsteht. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft zwischen dem mondänen, elitären Bankenviertel und dem mit Drogen, Kriminalität, Obdachlosigkeit und sozialem Abstieg versehenen Bahnhofsviertel…

mehr lesen

Was ist los in unseren Schulen? – Thalia-Buchpräsentation von Schuldirektor Christian Klar

Personalmangel, Überbelastung, Burn Out, schwierige Arbeitsbedingungen aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse und steigender Gewalt und Aggression in den Schulen. Wiens Pflichtschullehrer gingen im Oktober wieder einmal auf die Straßen, und das sicher nicht zum letzten Mal. „Was ist los in unseren Schulen?“ – Das fragt sich seit einigen Jahren auch der Floridsdorfer Mittelschuldirektor (und ÖVP-Politiker) Christian Klar, der über dieses Thema ein spannendes Buch mit zahlreichen Beispielen aus seiner beruflichen Praxis geschrieben hat. Die Buchpräsentation fand im Thalia-Wien Mitte unter der Moderation seines Freundes (und Schauspielers) Albert Fortell statt…

 

„Die Schule ist ein Spiegelbild der späteren Gesellschaft“, das ist eines der prägenden Zitate des Lehrers und Autors Christian Klar. Die von ihm geschilderten Fälle stellen dabei ein dringliches Alarmzeichen dar, die Zustände an unseren Schulen rigoros zu ändern. Da geht es um einen Afghanen, der mit 13 noch in der 1. Klasse Mittelschule sitzt und seine Mitschüler unterdrückt. Nach einer Suspendierung wird er im Rahmen eines Sonderprojekts auf ein Segelschiff mit vier anderen verhaltensauffälligen Jugendlichen und psychologischen Einzelbetreuern verfrachtet. Dass er einmal arbeiten wird, damit rechnet keiner. Ein Tschetschene bekommt nach einigen Schlägereien wieder lerntechnischen Aufwind. Plötzlich aber fehlt er in der Schule, auf Facebook wird er von Bekannten entdeckt, er kämpft jetzt für den IS in Syrien. 

 

Islamisierung

 

Die stark steigende Islamisierung in den Wiener Schulen sieht Christian Klar als Hauptproblem. Sie wird auch durch die Statistiken über die religiösen Bekenntnisse evident, wenn man die Zahlen von 2016 und 2023 vergleicht. Im Jahr 2016 waren in den Volksschulen noch die Katholiken mit 31 % vor den Muslimen (mit 28 %) führend. Diese Zahlen haben sich im Schuljahr 2023/24 radikal verändert: 35 Prozent haben in den Volksschulen jetzt bereits ein islamisches Religionsbekenntnis, nur mehr 21 Prozent sind katholisch, 26 Prozent sind ohne Bekenntnis. In den Wiener Mittelschulen sind die Zahlen laut Klar noch extremer: Dort haben die Muslime mit 47,6 % gegenüber den Katholiken (14,5 %) eine klare Mehrheit. 

 

Verändert hat sich auch die persönliche Einstellung der muslimischen Jugendlichen zum Islam. Mädchen sind, beeinflusst durch Influencerinnen aus den sozialen Medien oder „Klassenleader“, stolz darauf, ein Kopftuch zu tragen. Die Lehrer fühlen sich teils machtlos gegen diverse Forderungen der Schüler (z.B. nach einem Gebetsraum) und werden durch das Bildungsministerium oder die Bildungsdirektionen weder inhaltlich noch psychisch gestärkt.

 

Kriminalität

 

Problematisch ist auch die steigende Kriminalität an den Schulen. Laut einer Statistik des Innenministeriums hat sich die Anzahl der Straftaten von 2021 auf 2023 von 962 auf 1932 vergrößert. Bei den strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben erhöhte sich die Zahl von 289 auf 722, über 1000 Straftaten sind Vermögensdelikte. Christian Klar berichtet in seiner Buchpräsentation von einem Zwischenfall in seiner Schule, bei der ein Mädchen plötzlich aus der Klasse gestürmt ist und in einer anderen Klasse ein Mädchen niedergeschlagen hat. Grund: Ein Facebook-Posting mit dem Text „Susi fickt mit Achmed“. Heute gilt in dessen Mittelschule während des Unterrichts ein Handyverbot, um derartige Auseinandersetzungen zu verhindern. 

 

Kein Deutsch in den Communities

 

Über 1/3 der Erstklässler in Wien gelten als außerordentliche Schüler, die wegen mangelnder Deutschkenntnisse dem regulären Unterricht nicht folgen können. 2/3 davon sind Kinder, die in Österreich geboren wurden bzw. bereits einen Kindergarten besucht haben. Für Christian Klar keine Überraschung. In einem Buchauszug unter dem Titel „Ich habe keine Nummer, bin der einzige Österreicher“ beschreibt er eine Anekdote über eine Fußball-Klassenmannschaft, deren Mitglieder aus verschiedenen Nationalitäten bestehen. Kommunikation untereinander haben sie allerdings nicht, nach dem Unterricht geht´s zurück in die einzelnen Communities, in denen daheim kein einziges Wort Deutsch gesprochen wird. Österreichische Nachrichten werden überhaupt nicht konsumiert, stattdessen lasse man sich durch Tik Tok berieseln oder schalte den arabischen Sender Al Jazeera ein.

 

Die Missstände in den österreichischen Schulen beschränken sich laut den Recherchen von Klar nicht nur auf Wien, sondern auf alle Ballungsräume mit erhöhtem Migrantenanteil (wie Linz, Wels, St. Pölten oder Graz). Man müsse daher progressiv gegensteuern und sich um den Opfer- statt den Täterschutz kümmern. Jedes Kind habe das Recht auf eine „positive Schule“, und es sei indiskutabel, dass einzelne Schüler das soziale Klima in der Klasse zerstören. 

 

Klar fordert neben einem Verbotsgesetz für den Islam und einem Grundkurs in islamischer Lehre für einschlägige Berufsgruppen (wie Lehrer, Politiker, Polizisten oder Journalisten) klare Richtlinien in der Schule. Wir leben in einem demokratischen, liberalen Land, die Grundsätze habe jeder zu akzeptieren, der sich in Österreich aufhält. Voraussetzung dafür ist eine selbstbewusste Kommunikation, egal, ob es sich um die Rolle der Frau, das Essen oder um Konflikte mit Andersgläubigen handelt. Ansonsten entgleitet uns nicht nur das Schulsystem, sondern das gesamte gesellschaftliche Leben. 

 

Denn die Schüler von heute sind die Gesellschaft von morgen, so Klar, der klar ausspricht, was sich viele denken. Ein spannendes Buch mit einem dringenden Appell an die Politik, Religions- und Schulprobleme nicht mehr länger hinter vorgehaltener Hand zu diskutieren.

mehr lesen

Albertina Klosterneuburg – Schröders letzter Coup!

1,2 Millionen Besucher zählte die Wiener Albertina im Jahr 2023, ein neuer Rekord. Das hochkarätige Museum im Palais Erzherzog Albrecht, einer ehemaligen Residenz der Habsburger, erlebte unter dem Ende 2024 scheidenden Direktor Klaus Albrecht Schröder einen beispiellosen Erfolgslauf. Die 1776 gegründete Sammlung, deren Namen sich auf den Initiator Albert Casimir Herzog von Sachsen-Teschen (einem Schwiegersohn Maria Theresias) bezieht, hatte bis Ende der 90er als druckgrafische Spezialausstellung rund 15000 Besucher jährlich, bis Schröder 1999 das Konzept änderte. Neben der Renovierung der historischen Prunkräume wurden 5 zusätzliche Ausstellungshallen installiert, die Albertina normierte die „Unteilbarkeit des Künstlerischen“ und präsentierte sich als ganzheitliches Kunstmuseum mit Grafiken, Skulpturen, Architektur, Fotos und natürlich Gemälden.

 

Maßgeblichen Anteil am Erfolg der Albertina hatten – neben Blockbuster-Ausstellungen über Van Gogh (400.000 Besucher), Munch & Co. auch die übernommenen Sammlungen. 2007 erhielt das Museum mit dem von Hans Hollein kreierten 64 Meter langen Flugdach („Soravia Wing“) die Sammlung Batliner als unbefristete Dauerleihgabe. Diese war nicht nur Grundlage für Sonderausstellungen von Picasso, Magritte bis Matisse, sondern auch für die Dauerausstellung „Monet bis Picasso“. Seit 2017 ist die Albertina im Besitz der Sammlung Essl, die 2018 in eine Schenkung transformiert wurde. Über eine Million Kunstwerke liegen in der Hand der Albertina, davon rund 65.000 Werke nach 1945. Sie zählt damit – neben Kapazundern wie der Londoner Tate Modern, dem Pariser Centre Pompidou oder dem New Yorker Museum of Modern Art – zu den größten zeitgenössischen Museen weltweit. 

 

2020 erfolgte eine weitere Expansion. Schröder eröffnete im Künstlerhaus am Karlsplatz die Albertina Modern, die die Nettoausstellungsfläche von 5500 m2 auf 8000 m2 vergrößerte. Der letzte große Coup gelang im April 2024. Im ehemaligen Essl-Museum in Klosterneuburg, nur wenige Kilometer von Wien entfernt, öffnete die Albertina Klosterneuburg mit einer zusätzlichen Ausstellungsfläche von 3000 m2 ihre Pforten. Für Fans der Albertina stehen jetzt also insgesamt 11.000 m2 Ausstellungsfläche zur Verfügung. 

 

Der besondere Vorteil der Location in Klosterneuburg: Die Kunstwerke werden dort gleichzeitig gelagert und können direkt aus dem Depot im Erdgeschoß in die Ausstellungsräume transportiert werden. Aufgrund der weiträumigen Hallen können hier – im Gegensatz zu den beiden anderen Museen – auch Großformate präsentiert werden. Die Titel der ersten drei Ausstellungen: „Pop Art – The Bright Side of Life“, „Von Hundertwasser zu Kiefer“ und „Die lädierte Welt“. Ergänzt werden die Ausstellungsformate durch das neue Konzept „Im Blickpunkt“, durch das einzelne Künstler (wie Valie Export, Ben Willikens und Roy Lichtenstein) oder einzelne künstlerische Techniken (wie das Tondo in der Kunst der Gegenwart) abgeschlossen dargestellt werden.

 

Pop Art

 

Im Pop Art-Areal trifft man auf Werke der US-Ikonen Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Chuck Close oder Roy Lichtenstein, der kürzlich in der Wiener Albertina mehr als 300.000 Besucher begeisterte. Vertreten sind allerdings auch Werke österreichischer Pop Art-Künstler, deren Sujets im allgemeinen selbstironischer und humorvoller angelegt wurden. Darunter Kiki Kogelnik mit ihrer „Cooking Lesson“ (als Kritik an der traditionellen Rolle der Frau), Christian Ludwig Attersee mit seinem „Hundebüstenhalter“ oder Peter Pongratz mit seinem „Schutzengel“, dessen Vorlage aus einer Bildtafel des  Religionsunterrichts stammt. 

 

Die lädierte Welt

 

„Das Leben ist eine Wunde, und sie heilt so schwer“ – Ein Satz der österreichischen Schriftstellerin Marianne Fritz, der als Pate für die „lädierte Welt“ steht. Die düsteren Themen: Krankheit, Krieg, Zerstörung, Tod. In einem separaten Raum steht die imposante, überlebensgroße Skulptur „Die Päpste“ des rumänischen in Wien lebenden Künstlers Virgilius Moldovan. Altersgeplagt und gezeichnet vom Leben werden die bereits verstorbenen Ex-Päpste Ratzinger und Wojtyla ineinander verhakt dargestellt. In dem monumentalen 4 mal 13 m großen Gemälde „Gates of Justice“ zeigt Sasha Okun todkranke Menschen, denen der Arzt in der Mitte nicht mehr helfen kann. Marc Quinns kopulierende „Skeletons“ bringen dagegen zum Schmunzeln, haben aber eigentlich dieselbe Message. Sie zeigen die menschlichen Skelette, die als einziger körperlicher Bestandteil den Tod überwinden.  27 Monitore, angeordnet als Pyramide, bilden die 80er-Video-Installation „Tränen aus Stahl“ der belgischen Künstlerin Marie-Jo-Lafontaine. Zu sehen darin: Muskulöse Männer im schweißtriefenden Power-Training, als Metapher für Lust und Leid zugleich.

 

Valie Export

 

Im dritten Ausstellungsraum warten deutsche Künstler mit ihren Meisterwerken auf die Besucher: Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Gerhard Richter (der laut „Kunstkompass“ weltweit wichtigste Künstler) und Jörg Immendorff, der insbesondere die Teilung Deutschlands thematisiert. Zu sehen sind außerdem Exponate des Wiener Aktionismus (von Arnulf Rainer bis Otto Mühl und Günter Brus). Back to the Sixties geht es mit Valie Export, deren legendärer mit Peter Weibel inszenierter Video-Film „Tapp und Tastkino“ (1968) den Voyeurismus der Männer offenlegt. Ebenfalls im Repertoire sind die Installation „I beat it“ und die Fotografien „Smart Export“ und „Aktionshose: Genitalpanik“, die auch 2023 Teil der Sonderausstellung in der Wiener Albertina waren.

 

Fazit: Ein Besuch in den drei Albertina-Locations lohnt sich auf jeden Fall. Albertina und Albertina Modern sind täglich geöffnet, die Albertina Klosterneuburg Donnerstag bis Sonntag (bis 5. Jänner). Die Wiedereröffnung erfolgt im April 2025, und das bereits unter dem neuen Generaldirektor (und ehemaligen Chef der Berliner Nationalgalerie), Ralph Gleis. Der nach der erfolgreichen Ära Schröder in keine einfachen Fußstapfen tritt… 

mehr lesen

Vorwärts in die Vergangenheit: Spotlight mit Udo Huber in Krems

Österreich feiert dieses Jahr „100 Jahre Radio“: Am 1. Oktober 1924 begann der Sendebetrieb der RAVAG, der Radio-Verkehrs-AG. Gesendet wurde damals aus der Wiener Johannesgasse 4, dort, wo sich heute die Musik und Kunst Privatuniversität (MUK) befindet, und zwar 3,5 Stunden täglich mit bis zu 100.000 Hörern in den ersten Monaten. 100 Jahre später hören mehr als sechs Millionen Menschen in Österreich täglich Radio, egal ob die noch immer tonangebenden ORF-Radios (mit rund 4,5 Millionen Hörern täglich), die zahlreichen Privatsender oder diverse Internet-Radios. 

 

Anfänge

 

Einer, der bereits 50 Jahre die österreichische Radiolandschaft prägt, ist der Wiener Udo Huber. Der damalige Theaterwissenschafts-Student startete im Mai 1974 seine Karriere in der Ö1-Kulturredaktion. Die ersten Spuren: Ein Beitrag über den Volkstheater-Direktor Gustav Manker im Mittagsjournal. Nach diversen Einsätzen beim Club Ö3 und beim Treffpunkt Ö3 bekam er am 1. November 1981 die große Chance als Nachfolger Hans Leitingers für die Hörerhitparade „Hit wähl mit“. 

 

Mr. Hitparade

 

Die Nummer „656731“ (bei der Hörer ihren Lieblingshit bekanntgeben konnten) wurde nicht nur zur Trademark für die Ö3-Charts, sondern auch für Udo Huber selbst, der ab 1983 zusätzlich die Fernsehhitparade „Die Großen 10“ übernahm. Gekleidet meist im heute legendären Overall präsentierte der Fan britischer Pop-, Rock- und New Wave-Musik die Top 10 der Charts in Form von Musikvideos, garniert mit nationalen und internationalen Live-Gästen. Die Quote war sensationell: Einmal im Monat versammelten sich sonntags um 17.45 Uhr – in einer Zeit ohne PC, soziale Medien, YouTube und Privatkanälen – mehr als eine Million Zuschauer vor dem Fernseher. Bis 1993 war Huber im TV als „Mr. Hitparade“ im Einsatz, im Radio sogar bis 1997, neben Casey Kasem („American Top 40“) vermutlich der längstdienende Chartmoderator weltweit.

 

Retro-Kult

 

New Romantics, Neue Deutsche Welle, Italo Disco, High Energy, Grunge, Hip Hop, Eurodance, Techno: Zahlreiche Musiktrends (die teils gingen, teils blieben, teils miteinander verschmolzen) grassierten in den 80ern und 90ern. Eine Zeit, mit der nicht nur musikalische Erinnerungen verbunden sind, sondern auch die erste große Liebe, rauschige Abstürze, tolle Party-Nächte, exzessive Urlaubstrips oder modische Entgleisungen. Und so schossen in den 2000er-Jahren zahlreiche Retro-Parties wie Pilze aus dem Boden, in Krems unter der Trademark „Spotlight“ zum ersten Mal 2005 im Kremser Stadtsaal. Mit an Bord der damals bei Privatsendern eingesetzte Udo Huber. 

 

Spotlight Nr. 59

 

„Diese Party gehört zu meinem Leben seit vielen Jahren, eigentlich Jahrzehnten. Willkommen zu Österreichs ältester und einzigartigster Retroparty“: So begrüßte der Kult-Moderator die Gäste und Veranstalter Martin Neger zur 59. „Spotlight“-Ausgabe im Autohaus Birngruber. „Das Motto ist nicht „Zurück in die Zukunft“, sondern „Vorwärts in die Vergangenheit“. Der erste Track: „Video killed the Radio Star“ der Buggles oder eigentlich „Video DIDN´t kill the Radio Star“ (Udo im Originalton) unter Bezugnahme auf das 100jährige Radio-Jubiläum. Gleich als zweiten Song präsentierte Udo Huber seine erste Nr.1 als junger „Hit wähl mit“-Moderator, Soft Cell´s „Tainted Love“ mit Sänger Marc Almond, der erst dieses Jahr das Wiener Volkstheater mit einer Greatest Hits-Show beehrte. 

 

Der Dancefloor war jetzt offiziell eröffnet und schnell prallvoll. On the Turntables wie immer DJ Chosn und VJ Christian, auf zwei Bildschirmen flimmerten die besten Musikvideos der 70er, 80er und 90er, von Visages avantgardistischem New Wave-Track „Fade to Crey“, Aha´s genialem Comic-Reality-Clip „Take on me“ bis hin zu Nenas 99 Luftballons und Joan Jett´s „I love Rock´n Roll“. Hinter dem Mikro Zeremonienmeister Udo Huber mit lockeren Sprüchen zum bunten Sound-Mix aus NDW-Classics („Major Tom“, „Codo“, „Blaue Augen“ mit den cool-bezaubernden Humpe-Sisters), kitschigem Eurotrash ("Coco Jamboo“, „Barbie Girl“), Rock-Classics („Summer of 69“, „Narcotic“, „Time Warp“), Disco-Anthems („Dancing Queen“, „Funky Town“, „I will survive“, „Kiss“) und Tanzkurs-Dirty Dancing-Klassiker wie „The Time of my Life“.

 

Sports

 

Udo Huber selbst können diese turbulenten Nächte kaum etwas anhaben, denn der 1953 geborene Musik-Freak („Das Radio feiert 100 Jahre. Ich auch bald! Aber das ist eine andere Geschichte.“) ist top-fit. Trotz einer Knieoperation im Mai gewann der Wahlburgenländer kürzlich zwei Medaillen beim Austrian Masters im Schwimmen in Villach. Und zwar Silber über 400 m Kraul und Gold über 200 m Schmetterling (!). Nicht nur die Kremser dürfen sich also auf weitere Retro-Nights freuen. Und natürlich auf seine wöchentliche Freitags-Nachmittags-Sendung auf Radio Burgenland (13-18 Uhr)…

mehr lesen

Kinderschutzkonzept und Risikoanalysen – Die neue Schulordnung 2024

Buben und Mädchen saßen in getrennten Sitzreihen. Die Schulaufseher entschieden über den Übertritt in ein Gymnasium. Der Unterricht begann im Winter um 8 Uhr morgens und dauerte bis 11 Uhr, im Sommer von 7 bis 10 Uhr, nachmittags ganzjährig von 14 bis 16 Uhr. Während der Erntezeit wurde der Unterricht für 3 Wochen ausgesetzt. In den Sommermonaten bestand für 9 bis 13jährige gar keine Schulpflicht, damit sie bei landwirtschaftlichen Arbeiten mithelfen konnten. Einige Auszüge aus der ersten „allgemeinen Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt- und Trivialschulen“ des Jahres 1974 unter Maria Theresia. 2024 wurde vom Wissenschaftsminister per Verordnung eine neue Schulordnung mit Gültigkeit ab 1. September 2024 beschlossen. Und auch diese ist – wie ihr historisches Vorbild – von umstrittenen Bestimmungen nicht gefeit.

 

Kinderschutzkonzept

 

Komplett neu sind die Regelungen über den Kinderschutz. Jede Schule hat im Laufe des aktuellen Schuljahres 2024/25 ein Kinderschutzkonzept zu erstellen. Dieses soll u.a. enthalten Maßnahmen zum Schutz der Schüler vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt, eine Risikoanalyse, Verhaltensregeln zur Vermeidung von potentiellen Gefahrensituationen, Gewalt, Mobbing, Diskriminierung oder Ausgrenzung und Regelungen über den Umgang mit möglichen Fällen von Gewalt. Das Kinderschutzkonzept KANN (nicht MUSS – eine Kritik des Netzwerks Kinderrechte) im Schulforum oder Schulgemeinschaftsausschuss (denen Schulleitung, Lehrer, Eltern- und Schülervertreter angehören) behandelt werden.

 

Risikoanalyse

 

Die Risikoanalyse basiert auf der Situation im örtlichen Umfeld der jeweiligen Schule, der Ausstattung des Schulweges, der Zugänglichkeit des Schulgeländes, Gefahren durch die Nutzung digitaler Kommunikation und den Erfahrungen der jeweiligen Schule. 

 

Kinderschutzteam

 

Zusätzlich ist ein Kinderschutzteam aus mindestens zwei von der Schulleitung verschiedenen Personen zu bestellen, die diese Funktion drei Jahre lang (mit einmaliger Möglichkeit der Wiederbestellung) ausüben sollen. Zweifel bestehen seitens des aus 53 Organisationen bestehenden Netzwerks Kinderrechte hinsichtlich der Verfügbarkeit von Ressourcen im bereits jetzt überlasteten Schulsystem und der Bestellungsmodalitäten für das Kinderschutzteam. Kritisiert werden vor allem die Nichtanführung von Qualifikationen für diese wichtigen Funktionen und die rigide Bestellungsdauer. 

 

Aufenthaltsrecht in der Schule

 

§ 2 der neuen Schulordnung regelt in einer ziemlich restriktiven Form, welche Personen berechtigt sind, sich in der Schule aufzuhalten. Darunter fallen naturgemäß Schüler, Lehrer und zusätzliches Personal bzw. Behörden in Erfüllung ihrer Aufgaben und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (wie das Rote Kreuz). Eltern dürfen sich nur dann in der Schule aufhalten, wenn sie ein rechtliches Interesse haben (z.B. bei Sprechstunden oder beim Tag der Offenen Tür). Ein Punkt, den die Elternvertretungsorganisationen heftig kritisieren. Sie fordern, dass die Eltern auch dann ein Aufenthaltsrecht haben sollen, wenn sie ihr Kind abholen oder im Rahmen des Elternvereins tätig sind. 

 

Öffnungszeiten

 

Proteste seitens der Elternverbände der Pflichtschulen und mittleren und höheren Schulen gibt es auch bezüglich der Öffnungszeiten der Schulen. Laut Schulordnung müsse die Schule erst 15 Minuten vor Beginn des Unterrichts geöffnet werden, man lasse die Schüler sozusagen im Regen oder im Schneegestöber stehen. Die Schulleitung hat bezüglich einer Regeländerung die alleinige Entscheidungsgewalt. Dies gilt auch für die Zeit zwischen dem Vormittags- und Nachmittagsunterricht und für die Zeit nach Beendigung des Unterrichts oder einer Schulveranstaltung. Die Elternvereine fordern daher eine Adaptierung der Öffnungszeiten je nach Bedarf und eine verpflichtende Behandlung im Schulforum bzw. im Schulgemeinschaftsausschuss.

 

Alkohol und Tabak

 

Der Konsum von Alkohol ist während des Unterrichtstages und bei Schulveranstaltungen untersagt. Das Rauchverbot auf dem Schulgelände wurde in der neuen Schulordnung auf „gleichzuhaltende Erzeugnisse“ (wie Nikotinbeutel oder tabakfreie Snus) erweitert. Die Formulierung, dass Schüler am Unterricht oder an den Schulveranstaltungen „in einer den jeweiligen Erfordernissen entsprechenden Kleidung“ teilnehmen sollen, lässt viele Interpretationen offen.

 

Erziehungsmittel

 

„Früher war’s für’n Lehrer leichter. Das Rohrstaberl hat regiert. War ein Schüler frech. Dann (au!) er hat niemand mehr sekkiert. Heute hat's der Lehrer schwer. Strafen darf er nimmermehr“ – Stefan Weber, anarchistisches Aushängeschild von Drahdiwaberl und ehemaliger AHS-Lehrer in seinem Song „Plöschberger“. Tja, die einstigen Strafen nennt man heute „Erziehungsmittel“ und inkludieren die Aufforderung, die Zurechtweisung, die Erteilung von Aufträgen zur nachträglichen Erfüllung versäumter Pflichten, ein Gespräch mit dem Schüler oder der Schülerin (eventuell unter Beiziehung der Erziehungsberechtigten) und eine Verwarnung. Das Klassenbuch von einst existiert auch heute noch und dient wie früher zur Protokollierung des Fernbleibens und des verspäteten Eintreffens. Ärztliche Bestätigungen müssen binnen fünf Unterrichtstagen ab Verlangen vorgelegt werden, ansonsten liegt ein „Fernbleiben ohne Rechtfertigung“ vor.

 

Betretungsverbote für schulfremde Personen

 

Sanktionen können auch gegen schulfremde Personen ausgesprochen werden. Vor allem bei Eltern oder nahen Verwandten des Kindes könnten sich hier rechtliche Konflikte ergeben. Laut den Erläuterungen stellt zwar ein kurzfristiges Betreten der Schule keinen Aufenthalt dar. Musterbeispiel: Eine Mutter, die ihrem Kind das Federpennal oder eine Jacke nachbringt. Graubereiche können sich hier leicht ergeben, denn bei fehlender Aufenthaltsberechtigung kann die betreffende Person durch die Schulleitung bzw. durch Ordnungskräfte von der Schule verwiesen werden. Die Schulleitung kann laut § 15/2 der neuen Schulordnung obendrein Personen OHNE Angabe von Gründen das Betreten der Schule für bis zu einem Monat (bzw. im Wiederholungsfall bis zu einem Semester) untersagen. Ob diese Regelung einer Beurteilung durch den VfGH standhält, erscheint mehr als fragwürdig.

„Wider die Verrohung“: Buchpräsentation von Ingrid Brodnig in der Wiener Faktory!

„Wer am lautesten und aggresivsten auftritt, bekommt am meisten Reichweite“: So steht es am Klappentext des neuen Buchs von Ingrid Brodnig, „Wider die Verrohung“, das sie kürzlich in der Faktory-Buchhandlung in Wien präsentierte. 

 

Sic est, und zwar vor allem in den sozialen Medien. Die Wahrscheinlichkeit für „moralische Empörung“ steigt im Internet, das haben Untersuchungen im Vergleich zu TV, Radio und Print-Produkten nachgewiesen. Die Digital-Expertin, Autorin (u.a. „Hass im Netz“, „Lügen im Netz“ und „Übermacht im Netz“) und Standard-Kolumnistin erläutert in ihrem neuesten Werk verschiedenste Strategien gegen Eskalationen in der persönlichen und virtuellen Diskussion, untermauert durch internationale Experimente und Tests renommierter wissenschaftlicher Institute.

 

False Polarization

 

Eines der Standard-Vokabel: „False Polarization“. Laut einer TikTok-Untersuchung in den USA posten 25 Prozent der Erwachsenen 98 (!) Prozent der Videos. Was mit anderen Worten bedeutet: Eine Minderheit publiziert in den sozialen Medien mit Vehemenz ihre Meinungen und Botschaften und sorgt dadurch für eine verzerrte Wahrnehmung der Polarisierung, die so in der Realität gar nicht existiert.

 

Rage Bait

 

Ein weiterer Begriff, der immer wieder auftaucht, ist „Rage Bait“: Wut als aktivierende Emotion, die sowohl die Politiker als auch die Journalisten nützen, um die Reichweite ihrer Äußerungen zu vergrößern. Banale Ereignisse werden – inklusive Faktenverzerrung – dazu verwendet, um Menschen im Internet aufzustacheln. In Österreich wurde behauptet, dass die Stadt Wien Kindergartensymbole an der Garderobe verbieten wolle, in Deutschland, dass die Gesellschaft für Ernährung den Konsum von Fleisch einschränken wolle. In beiden Fällen handelte es sich bloß um Empfehlungen, die von den Medien („Nur noch eine Currywurst pro Monat für jeden!“, so die „Bild“) und den Politikern (Markus Söder) falsch dargestellt wurden. Die Klicks waren den Postern sicher, die Richtigstellung dagegen erreicht den Großteil der User nicht. Ein Problem des fehlenden Korrektivs, das Brodnig sehr bedauert. Ebenso wie die Diskussion über Garderobesymbole statt die wahren Probleme der Kindergärten (Personalmangel, Arbeitsbedingungen, Gruppengrößen,…) in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu hieven.

 

Strategien gegen rassistische Postings

 

Der Schweizer Wissenschaftler Dominik Hangartner untersuchte mit seinem Team, welche Techniken gegen rassistische Tweets am besten funktionieren. Humor und die Erinnerung an Konsequenzen (weil Freunde oder Familienmitglieder es sehen könnten) zogen eine geringe Resonanz nach sich. Wirksamer dagegen war die Betonung von Empathie. Die Verfasser wurden darauf angesprochen, dass ihre Postings die Adressaten (beispielsweise Ausländer oder Flüchtlinge) verletzen könnten. Immerhin 8 Prozent der Personen löschten die Tweets nach diesem Appell. Brodnig erwähnt in diesem Zusammenhang den Begriff des „Kama Muta“ („von Liebe bewegt“ – aus dem indischen Sankrit). Nicht nur Wut oder Zorn, sondern auch liebevolle und gemeinschaftsfördernde Botschaften können die Aufmerksamkeit der Menschen aktivieren. Eine Methodik, die die US-Präsidentschaftskandidatin und Trump-Herausforderin Kamala Harris in ihrem Repertoire hat.

 

Achtsam wütend

 

Wut ist für die Autorin von vornherein nichts Negatives, sie kann auch helfen, Missstände zu beseitigen. Man sollte allerdings – wie sie in ihrem Buch beschreibt – „achtsam wütend“ sein und dabei einige Kriterien beachten. Man sollte, bevor man seine Wut in zornige Postings transformiert, prüfen, ob der betreffende Vorfall überhaupt wahr ist, und dann sollte man sich persönlich die Frage stellen, ob es sich überhaupt lohnt, eine Debatte darüber zu führen und es sich nicht um einen lächerlichen Nebenschauplatz handelt (siehe: Symbolbilder in der Kindergartengarderobe). Die Kommunikationswissenschaftler Whitney Phillips und Diane Grimes empfehlen in diesem Konnex, den eigenen Körper zu scannen und anhand diverser physischer Reaktionen (wie dem Zusammenpressen der Zähne oder der Verspannung) die Intensität der eigenen Emotionen zu eruieren. 

 

Strafrecht

 

Abseits von sanften Strategien und Tricks bleibt manchmal keine andere Möglichkeit als das Strafrecht in Anspruch zu nehmen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, einschlägige Delikte wie gefährliche Drohung, üble Nachrede, Cybermobbing oder Verhetzung gelten virtuell in gleicher Weise wie im realen öffentlichen Raum. Brodnig hat dazu eine interessante Studie aus der Schweiz parat. Die Soziologin Lea Stahel und der Statistiker Sebastian Weingartner haben 70 Personen kontaktiert, die wegen Online-Kommentare polizeilich angezeigt wurden. 4 davon stimmten einer Befragung zu und gaben zu, dass sie sich seit der Anzeige beim Posten von heiklen Äußerungen zurückhalten. Nicht die inhaltliche Einsicht war allerdings der Grund, sondern die Vermeidung negativer Konsequenzen in der Zukunft.

 

„Man sollte beim Verfassen von Beiträgen immer daran denken, dass hinter dem Adressaten der Postings ein Mensch mit all seinen Gefühlen und Werten steckt“, so die Autorin abschließend bei der Buchpräsentation. Ein weiterer Baustein, um das labile gesellschaftliche Klima zu verbessern.

Forum Romanum: Im Geisterreich der römischen Antike!

Kolosseum

 

„Panem et circenses“ („Brot und Spiele“): Das war das Motto der römischen Kaiser der Antike, um das Volk von politischen Problemen oder wirtschaftlichen Miseren abzulenken. Nirgends gelang das besser als im größten je erbauten Amphitheater der Welt, dem Kolosseum. Der Monumentalbau wurde im Auftrag Vespasians zwischen 72 und 80 n. Chr. errichtet, und zwar auf einem trockengelegten See, der zuvor zum Palast Neros gehörte. Eröffnet wurde das 188 Meter lange, 156 Meter breite und 48 Meter hohe Kolosseum mit hunderttägigen Spielen. Rund 50.000 Besucher, platzmäßig angeordnet nach deren sozialer Stellung, ergötzten sich dabei an blutigen Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und Schiffsschlachten. Heute ist das Kolosseum nicht nur Tourismusattraktion Nr. 1 in der römischen Hauptstadt, sondern auch ein Denkmal gegen die Todesstrafe. Wird ein Todesurteil aufgehoben oder schafft ein Staat die Todesstrafe ab, dann wird das Kolosseum 48 Stunden lang in bunten Farben erleuchtet.

 

Forum Romanum

 

Unmittelbar neben dem Kolosseum befindet sich das Forum Romanum, die wichtigste archäologische Fundstätte Roms. Einst befand sich an dieser Stätte ein Sumpf, der ca. im 6. Jahrhundert v. Chr. in Zusammenhang mit dem Bau der Cloaca Maxima trockengelegt wurde. Das zwischen den Hügeln Palatin, Kapitol und Esquilin gelegene Areal wurde später vor allem in der Kaiserzeit zum politischen, religiösen und gesellschaftlichen Zentrum der Stadt. Die im Gymnasium manchmal schwer übersetzbaren bzw. interpretierbaren Verse renommierter Philosophen und Dichter wie Horaz, Vergil, Tacitus oder Ovid erheben sich zu einer neuen Blüte, wenn man durch diese historischen Stätten schreitet und man anhand der Ruinen und der Beschreibungen des ursprünglichen Zustandes versucht, das römische Leben der Antike zu rekonstruieren.

 

Basiliken

 

Zu den imposantesten Bauten zählten die Basiliken, die als Versammlungsort für Senatszusammenkünfte und Gerichtsverhandlungen bzw. als Markthalle dienten. Auf dem Forum Romanum befanden sich die Basilica Aemilia, die Basilica Iulia (benannt nach Iulius Cäsar) und die besonders gut erhaltene Maxentius-Basilika, deren Kreuzgewölbe-Decke allerdings bei einem Erdbeben 1349 einstürzte.

 

Tempel

 

Direkt unter dem Kapitol befinden sich die Säulenreste des Saturn-Tempels. Dieser wurde nicht nur Saturnus, dem Gott des Ackerbaus, gewidmet, sondern auch genutzt für öffentlche Bekanntmachungen und als Aufbewahrungsort des römischen Staatsschatzes. Der besterhaltenste Tempel in der Anlage ist der Tempel des Antoninus Pius und der Faustina im nördlichen Teil des Forum Romanum. Nach dem Tod der beiden wurde dieser in eine Kirche umgewidmet. Rund um den Tempel sind alte Gräber verstreut, die auf den Ursprung des Forum Romanum als Grabstätte hinweisen.

 

Vom Tempel der Vesta ist original nur mehr das Podium (nebst später restaurierten Säulen) erhalten. Vesta war in der römischen Antike die Hüterin des heiligen Feuers und die Göttin des Herds und des Heims. Den Tempel durften nur der Pontifex Maximus und die Vestalinnen betreten. Die sechs jungfräulichen Priesterinnen wohnten gleich neben dem Tempel im prunkvoll ausgestatteten Haus der Vestalinnen.

 

Der Umbilicus Urbis, ein kleiner Tempel, war der „Nabel“ des Forum Romanum. Ab hier wurden nicht nur die Meilen der römischen Straßen gezählt, sondern er galt auch als Grenze zwischen Ober- und Unterwelt. Im „Mundus“ wurden bereits seit dem 2. Jhdt. v. Chr. Opfer an die Götter der Unterwelt dargebracht.

 

Rostra

 

Die zumeist rhetorisch brillanten Reden bei gesetzgebenden Volksversammlungen wurden auf der Rostra (dt. Schnabel) abgehalten, von der noch Mauerfragmente erhalten sind.  Der Name stammt von den Schiffsschnäbeln erbeuteter Schiffe, die an der Rednertribüne befestigt wurden. Der Senat tagte in der später restaurierten Curia Iulia.

 

Kaiserforen

 

Aufgrund von Platzmangels wurde das Forum Romanum im Laufe der Zeit Richtung Norden und Osten erweitert. Es entstanden die Kaiserforen, die nach ihren Auftraggebern (Cäsar, Augustus, Vespasian, Nerva und Trajan) benannt wurden. Die archäologische Bedeutung der Kaiserforen wurde allerdings durch Mussolini zerstört, der inmitten dieses Areals zwischen 1924 und 1932 die Prachtstraße Via die Fori Imperiali erbauen ließ.

 

Palatin

 

Per Stufen gelangen die Besucher des Forum Romanum auf den Palatin, auf dem die ältesten menschlichen Spuren Roms gefunden wurden. Er gilt auch in der Legende der Brüder Romulus und Remus als Gründungsstandort und war später der noble Wohnort der Kaiser, Aristokraten, Volkstribunen und Redner Roms (wie Cicero oder Catull). Heute ist der mit Parks und Gärten angereicherte Palatin die perfekte Aussichtsplattform auf das Forum Romanum und das Kapitol.

 

Kapitol

 

Das Kapitol war in der Antike der „Götterberg“ von Rom, auf dem sich die Tempel für Jupiter, Juno und Minerva befanden. Seit 1200 residiert auf dem später im 16. Jahrhundert von Michelangelo geplanten Kapitolsplatz die Stadtverwaltung. Aktueller Bürgermeister im schicken Rathaus ist der Sozialdemokrat Roberto Gualtieri (Partito Democratico), der 2021 die bisherige Amtsinhaberin Victoria Raggi von der 5-Sterne-Bewegung abgelöst hat. Die Probleme der Stadt allerdings sind prolongiert, der Müll, der öffentliche Verkehr und die langsame Verwaltung. Und selbst die Götter lassen sich nicht mehr blicken.

mehr lesen

Crowdy, ma bella: Roma´s Hot Spots

Sie gilt als eine der berühmtesten Szenen in der Filmgeschichte: Anita Ekberg als blondes Filmstarlet Sylvia, das stolzierend im römischen Trevi-Brunnen den Boulevardjournalisten Marcello Rubini (gespielt von Marcello Mastroianni) verführen will. Zum sehnsuchtsvollen Kuss unter den Wasserfontänen kommt es allerdings in letzter Sekunde – warum auch immer – nicht. „La Dolce Vita“ heißt der dazugehörige Film, eines der Meisterwerke des Star-Regisseurs Federico Fellini, der dabei in einem fast dreistündigen Epos die römische High Life-Schickeria der 60er porträtiert. 

 

Overtourism

 

Das süße Leben ist auch eines der Gründe, warum rund 35 Millionen Besucher alljährlich in die wunderschöne Hauptstadt Italiens strömen. Ob sie das dort erleben, ist eine andere Sache. Denn der Overtourism hat – ohne kriegerische Gegenwehr (wie zu Zeiten Cäsars und Augustus) – die Stadt Rom erobert, der trotz wirtschaftlicher Prosperität (meist für andere) den Einheimischen zu schaffen macht. Laut dem Verband „Roma Ricera Roma“ erreichen täglich etwa 700 Reisebusse Rom, Rund 200 Sightseeing-Busse fahren durch die römische Innenstadt, 300 Shuttle-Busse bringen die Touristen zu den Flughäfen. 

 

Instagram-Mania

 

Im Zentrum wohnen immer weniger Römer, traditionelle Verkaufsläden und Handwerksbetriebe werden aufgegeben und stattdessen durch Bed & Breakfast-Quartiere, Ferienwohnungen und seelenlose Mini Markets abgelöst. Vor den Touristen-Hot Spots tummeln sich organisierte Reise-„Fußtruppen“ im Gleichschritt, Segways und E-Scooter. Die meisten Besucher sind ausgestattet mit Smartphones und Handy-Sticks (die dort auch massenhaft von nervenden Verkäufern angeboten werden). Selfies und Instagram-Shots für die daheimgebliebene, vermeintliche Freundesschar sind ja schon längst mehr als das Tüpfelchen auf dem I, wenn nicht das wichtigste Element jedes Reisetrips. 

 

Wobei natürlich eines zu beachten ist. Die höchst attraktiven Sehenswürdigkeiten Roms im historischen Zentrum sind allesamt einen Besuch wert, und Postings in den sozialen Medien verstärken (zumeist) nicht nur die Kreativität und die digitale Kommunikationsfähigkeit des einzelnen, sondern sind auch eine unbezahlte Werbung für die urbanen Metropolen. Alleine die Dosis macht es. 

 

Trevi-Brunnen

 

Der Fontana di Trevi, erbaut in den Jahren 1732-1762 nach Plänen des Architekten Nicola Salvi, zeigt in der Mitte den Meeresgott Oceanus, umringt von zahlreichen Fabelwesen und allegorischen Figuren. Er ist 26 Meter hoch und 49 Meter breit und stilistisch dem Barock zuzuordnen. Der Wasserverbrauch des Trevibrunnens beträgt 80 Millionen Liter pro Tag, das Wasser stammt vom ältesten Äquadukt Roms, der Acqua Virgine. Weiterhin populär ist der Volksbrauch, eine Münze mit der rechten Hand über die linke Schulter in den Brunnen zu werfen. Dies soll Glück bringen, könnte ab 2025 allerdings auch kostenpflichtig werden. Aufgrund des großen Andrangs vor dem Becken diskutiert die Stadtverwaltung über eine Eintrittsgebühr von 2 Euro für Touristen.

 

Pantheon

 

Bereits seit Juli 2023 müssen Besucher des Pantheons einen Eintritt von 5 Euro bezahlen, um das unter Kaiser Hadrian 128 n. Chr. fertiggestellte Bauwerk zu betreten. Der Menschenandrang blieb dessen ungeachtet weiterhin hoch. Das im Jahr 609 zur christlichen Kirche umgeweihte Pantheon besteht aus einer Säulenvorhalle und einem kreisrunden Zentralbau mit Loch in der ehemals größten Kuppel der Welt. Es gilt als eines der Prachtbauten römischer Architektur.

 

Spanische Treppe

 

Ein weiterer Hot Spot der römischen Altstadt ist die Spanische Treppe, die eigentlich „Scalinata di Trinita die Monti“ heißt. Der deutsche Name stammt von der darunterliegenden Piazza di Spagna, der römische von der am Hügel thronenden Kirche Santa Trinita dei Monti, die einst vom bebauten Zentrum durch einen stark bewachsenen Abhang getrennt war. So beschloss die Stadt 1723 auf Drängen des damaligen Papstes, eine Treppe mit insgesamt 136 Stufen zu errichten. Einst ließen sich die Einheimischen und Touristen auf der Spanischen Treppe nieder, um zu chillen, zu flirten oder eine Flasche Wein zu trinken. Seit 2019 ist dies aufgrund eines Erlasses des Stadtrats verboten. Wer sich auf historische Monumente setzt, muss seitdem 450 Euro Strafe bezahlen. Die 2016 um 1,5 Millionen Euro renovierte Spanische Treppe hat deswegen von ihrer Popularität nichts verloren. Sie zählt zu den beliebtesten Instagram-Motiven Roms und ist gleichzeitig Startpunkt für eine garantiert nicht billige Shopping-Tour Richtung Via Condotti oder einen Abstecher in ehemalige Künstlerlokale (wie dem Caffe Greco).

 

Piazza del Popolo

 

Wer die Spanische Treppe erfolgreich erklommen hat, kann abseits der Touristenmassen eine Wanderung durch die grüne Oase Roms, die Villa Borghese (inkl. Kunstgalerien), unternehmen oder über den Pincio-Hügel Richtung Piazza del Popolo spazieren. Die Aussichtsplattform bietet eine perfekte Aussicht auf die Silhouette Roms (inkl. Petersdom) und auf den weiträumigen „Volksplatz“ mit den „Zwillingskirchen“ Santa Maria in Montesanto und Santa Maria dei Miracoli und seinem über 3300 Jahre alten von Augustus importierten Obelisken. Ein weiterer wunderschöner Platz Roms ist die Piazza Navona, deren Eyecatcher, die drei Brunnen, derzeit leider hinter Bauzäunen versteckt sind. So wie viele andere Monumente, Plätze und Straßen Roms auch.

 

Heiliges Jahr 2025

 

2025 ist das alle 25 Jahre konstituierte Heilige Jahr der katholischen Kirche unter dem Motto „Pilger der Hoffnung“. Aus diesem Anlass investiert die Stadt Rom eine Summe von 4 Milliarden Euro in die Infrastruktur, damit die zu erwartende Besucher-Rekordanzahl auf den ersten Blick von der „Ewigen Stadt“ schwärmt. Die Fremdenverkehrs-Experten sollten sich aber gleichzeitig Gedanken machen, wie sie die Touristenströme splitten und das ursprüngliche Lebensgefühl der Stadt aufrechterhalten können. Sonst existiert das römische Dolce Vita bald nur mehr in den Filmcasinos der Stadt…

mehr lesen

MAXXI: Modern Art im antiken Rom!

Kapitolinische Museen, Vatikanische Museen, Villa Giulia, Galleria Borghese, das Museo Nazionale Romano,… - Rom ist eine Stadt, die für Kunstliebhaber keine Wünsche offen lässt. Was allerdings lange fehlte, war ein eigenes Museum für zeitgenössische Kunst. Erst 1998 wurde seitens des italienischen Kulturministeriums ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben, für den sich 273 (!) Teilnehmer bewarben. Als Siegerin wurde die 2016 verstorbene irakisch-britische Architektin Zaha Hadid auserkoren, die für die Stadt Rom ein futuristisches Meisterwerk konzipierte. Bis zur Fertigstellung dauerte es noch zehn Jahre (und sechs Regierungen), bis 2010 das Projekt auf einem ehemaligen Kasernenareal im Stadtteil Flaminio (nördlich des historischen Zentrums) eröffnet wurde.

 

Der trendige Name des 150 Millionen Euro teuren Museums: MAXXI (= Museo nazionale delle arti del XXI secolo). Hadid, die 2004 als erste Frau den Pritzker-Architektur-Preis gewonnen hat und in Wien übrigens das Learning and Library Center der neuen Wirtschaftsuniversität geschaffen hat, integrierte das Museum mittels extravaganter L-Form unmittelbar in das römische Viertel. Der Innenraum enthält weiträumige Galerien, Schrägen, Rampen und Kurven, die einzelnen Stockwerke sind durch freischwebende schwarze Treppen miteinander verbunden. Das gesamte Gebäude hat eine Fläche von 29.000 m2, die Ausstellungsfläche beträgt 10.000 m2. Untergebracht ist im Maxxi nicht nur ein Kunst-, sondern auch ein Architekturmuseum, dazu ein Hörsaal, ein Forschungszentrum mit Bibliothek, eine Buchhandlung, eine Cafeteria und ein Restaurant mit Bar.

 

Die Ausstellungen wechseln alle paar Monate. Derzeit präsentierte die galleria 1 im Untergeschoß unter dem Titel „Passegiate Romane“ einen ungewöhnlichen Streifzug durch die Geschichte Roms. Dazu zählen nicht nur Artefakte aus der Galleria Borghese, der La Gallerie Nazionale und den Kapitolinischen Museen (wie antike Vasen, alte Tempel- und Mauerkonstruktionen oder ein Kolosseum-Bild des italienischen Malers Canaletto), sondern auch Straßenlaternen, Abfallcontainer, Mülleimer, Comic-Bilder und schrille Street Art. Das Konzept wurde erstellt vom italienischen Szenenbildner und Oscar-Gewinner Dante Ferretti.

 

In den oberen Stockwerken taucht man ein in die immersive Welt von 19 weiblichen Künstlerinnen. „Ambiente 1956-2010 – Environments by Women Artists II“ nennt sich die in Zusammenarbeit mit dem Münchener Haus der Kunst beeindruckende Ausstellung, bei der die Besucher barfuss die spannenden Kunstwerke erforschen können. Ein Riesenspaß auch für Kinder. Von der litauischen Künstlerin Aleksandra Kasuba stammt beispielsweise die regenbogenfarbene „Spectral Passage“ (1975), die man so oft durchwandern kann wie man will. Das Motto: „Every experience is unique. Some transform us. This is an invitation to engage.“ 

 

Lea Lublin lädt mit ihrer Installation „Penetracion/Expulsion“ zu einem Marsch durch eine 18 Meter lange, transparente Hülle, die auf die menschliche Fortpflanzung verweist. Die Südtirolerin Esther Stocker ist mit einer fast hypnotischen Schwarz-Weiß-Raum-Installation vertreten. Chillige Atmosphäre zu den Klängen von Chris Isaaks „Wicked Game“ bietet eine Video-Installation der Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist („Sip my Ocean“), bei der man sich gemütlich auf Polstern niederlassen kann. Faszinierend träumerisch ist auch der „Bird Tree“ der deutschen Klangkünstlerin Christina Kubisch, bei der der kopfhörertragende Besucher mittels Bewegungen den Singgeräuschen von Vögeln lauschen kann.

 

Es lohnt sich also bei einem Rom-Trip nicht nur die traditionellen, meist komplett überrannten Museen im historischen Zentrum zu besuchen, sondern auch auf der Piazzale Flaminio (nördlich der wunderschönen Piazza del Popolo) in die Tram 2 zu steigen und bei der Station Apollodoro gleich links Richtung Maxxi zu flanieren. Mit einem doppelten Kunstgenuss: Denn das Hadid-Museum ist selbst ein Kunstwerk…

mehr lesen

Let´s go to the Beach: Roms Stadtstrand Lido di Ostia

Rom im Sommer: Stundenlange Sightseeing-Tours im historischen Zentrum und in den verwinkelten Gassen der Innenstadt, und das bei Temperaturen jenseits der 30 Grad. Die zahlreichen Trinkbrunnen in der italienischen Hauptstadt bieten zwar Abkühlung, aber am schönsten wäre doch ein Sprung ins Wasser so frei nach dem Motto „Let´s go the Beach“. Barcelona, Lissabon oder Marseille, drei europäische Metropolen direkt mit einem Strand vor der Nase. Und in Rom? Wo lassen sich die jungen und alten Römer und Römerinnen die Sonne auf die nackte Haut scheinen (sofern sie nicht externe Summer Hot Spots wie Rimini, Ligurien, Amalfi, Sardinien oder Sizilien aufsuchen)? Am Lido di Ostia. 

 

Nur 30 km vom Kolosseum entfernt ist der römische Stadtstrand, und dieser ist leichter und schneller erreichbar als man denkt. Einfach in die Metrolinie B steigen und bis zur Station Piramide – zwei Stationen nach dem Colosseo – fahren. Dort ragt nicht nur die in die Festungsmauer eingegliederte Piramide Cestia (eigentlich das Grabmal des Prätors und Volkstribuns Gaius Cestius Epulo aus 12 v. Chr.) in die Höhe, sondern befindet sich mit der Station Porta San Paolo auch der Startpunkt der sogenannten Metromare. Eine Bahn-Verbindung zwischen Rom und Ostia besteht bereits seit genau 100 Jahren, die aktuelle Flotte wurde erst 2022 erneuert und bringt die Strand-Fans binnen 30 Minuten ans Meer. 

 

Der Lido di Ostia liegt am Tyrrhenischen Meer, im Norden befindet sich die Tibermündung mit der antiken, ehemaligen Hafenstadt Ostia Antica, durch die einst Waren von Afrika nach Rom transportiert wurden. Die heutige Küstenform entstand durch Verlandung aufgrund von Tiberanschwemmungen. Benito Mussolini ließ 1927 die Via del Mare, die erste Autobahn Italiens, zwischen Rom und Ostia erbauen, in den 30ern wurden hier rauschende Parties gefeiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Ostia zu einem beliebten Fremdenverkehrsort, bis eine plötzliche Wasserverschmutzung für einen Wirtschaftsabschwung sorgte. Diese Probleme sind heute gelöst, Ostia ist wieder en vogue bei Touristen und Einheimischen. Ostia selbst ist übrigens keine autonome Stadt mehr, sondern zählt zum 10. Bezirk Roms (Municipia Roma X). Dies hat insofern den Vorteil, dass man mit einer Tages-, Wochen- oder Monatskarte der römischen Verkehrsbetriebe ohne Zusatzkosten zum Strand fahren kann.

 

Die Strände selbst sind teils kostenpflichtig, teils frei zugänglich. Der bei den Römern beliebteste „spiaggia libera“ ist der Strand „Il Curvone“, nur 10 Minuten Fußmarsch von der Haltestelle Stella Polare entfernt. Eine Strandbar sorgt für coole Drinks und Snacks, die feucht-fröhliche Beach-Party kann beginnen. Inklusive Erholung von den Massentouristen und Reisegruppen im Zentrum Roms, die sich nach Ostia kaum verirren.

mehr lesen

"Wish you were gay": Multimedia-Künstlerin Anne Imhof im Kunsthaus Bregenz

Anne Imhof zählt seit ihrem Gewinn des Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig 2017 zu den renommiertesten Künstlerinnen der Welt. Die 1978 in Gießen geborene Ex-Techno Club-Türsteherin, Hausbesetzerin und Absolventin der Städelschule in Frankfurt am Main kreierte unter der Trademark „Faust“ eine progressive fünfstündige Performance mit zahlreichen Darstellern und Hunden, die sich auf einem erhöhten Glasboden bewegten. Es folgten Performances in der Londoner Tate Gallery („Sex“, 2019), im Pariser Palais de Tokyo („Natures Mortes“, 2021) und im Amsterdam Stedelijk Museum („Youth“, 2022). Beim Kremser Donaufestival war Imhof während der Corona-Pandemie mit einer Video-Performance der wellenpeitschenden Eliza vertreten. Für das Kunsthaus Bregenz war es daher ein großer Coup dass Imhof ihre neueste, 7 Jahre lang vorbereitete Ausstellung im Zumthor-Gebäude direkt am Bodensee konzipierte. 

 

Im Mittelpunkt von „Wish you were gay“ stehen dabei nicht Performances externer Darsteller, sondern die eigene Lebensgeschichte Imhofs (und die anderer queerer Personen), eingebettet in eine düstere, dystopische Atmosphäre, die sich auf alle vier Stockwerke des Kunsthauses erstreckt. Imhof, die mit 21 Mutter wurde und ihre Tochter Zoe allein aufgezogen hat, sei „als jungenhaftes Mädchen, das in einer kleinen Stadt aufwuchs und Mädchen liebte, extrem einsam gewesen“. „Ich hatte damals keine Worte und keine Orte, um meine Wut, meine Wünsche, mein Anderssein zum Ausdruck zu bringen“, so Imhof in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Diese Mittel biete ihr jetzt die Kunst. 

 

Im Erdgeschoß sieht man Imhof per Screen boxend in Richtung Kamera, zu den Klängen aus „West Side Story“. Eine von sechs Videoarbeiten Imhofs aus den Jahren 2001-2003, die die queere Künstlerin erstmals im Kunsthaus Bregenz präsentiert und die, erstellt per Camcorder mit ihren Freund*innen, Liebhaber*innen und Mitarbeiter*innen, ihre Übergangsphase sowohl im Leben als auch im Werk widerspiegelt. Im Video „Work“ sitzt Imhof gemeinsam mit einer ehemaligen Bandkollegin in der Badewanne eines besetzten Hauses, in „Turnpike“ wird Imhof von ihrer damaligen Partnerin und späteren Fotografin Nadine Fraczkowski im öffentlichen Raum gefilmt.

 

Im ersten Stock trifft man – wie auch in den oberen Floors – auf Barricades und Absperrungen im Stile von Live-Konzerten, Glaswänden mit Graffitis und auf schwer einordenbare Ready-Mades (wie eine Bank mit Sport-Trikots). Der First Floor erscheint komplett in rotem Licht, auf den Wänden thronen atompilz-artige Wolken-Gemälde Imhofs, die zuerst digital erzeugt und dann per Hand „hyperrealistisch“ rekonstruiert wurden. In der Mitte des Raums steht eine monolithische, abgeschlossene Glasstruktur mit einer Matratze am Boden, ein Verweis auf ihre Installation „Nature Mortes“, bei der die Performancer im Gegensatz dazu freien Zugang hatten. 

 

Im zweiten, ebenfalls rot gleißenden Stock ließ Imhof Stahlstäbe unter einer herabgesetzten Decke errichten, die der Besucher frei betreten kann und die ihn zu skulpturalen Bronzereliefs mit androgynen Figuren führen. Ein Konnex zur queeren Lebenssituation der Künstlerin ist nicht von der Hand zu weisen. Auf dem Podest steht ein schickes Motorrad, das den Titel „My own private Idaho“ trägt. Ein LGBTIQ-Kult-Film der 90er mit dem an einem Drogencocktail früh verstorbenen River Phoenix. Im Hintergrund erscheint das Gemälde „Wish you were Gay III“, das schemenhaft eine Person zeigt, die sich eine Pistole an die Schläfe hält. Das Selbstmord-Motiv, das immer wieder in Werken Imhofs auftaucht und das vermutlich darauf hinweisen soll, dass vor allem queere Menschen im Rahmen ihrer Lebens- und Sinnkrisen oft suizidale Tendenzen aufweisen. Der oberste dritte Floor ist im Gegensatz zu den anderen Stockwerken hell erleuchtet, enthält allerdings ebenfalls Barrikaden, Korridore, bildhafte Selbstmord-Motive und weitere Videoarbeiten aus der queeren Coming of Age-Phase Imhofs. Der Hintergrund-Sound entstammt einem Klangteppich aus alten Sound-Sessions Imhofs und hypermoderner künstlicher Intelligenz.

 

„Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir alle etwas mehr queer wären“, so Imhof. Ein frommer Wunsch, der trotz zahlreicher aktivistischer Proponenten, Regenbogenparaden und Pride Weeks noch in weiter Ferne liegt.  Bereits zweimal wurden die sechs auf der Bregenzer Seestraße ausgestellten „Wish you were Gay“-Billboards vorsätzlich beschädigt. Für die mit der US-Sängerin, Malerin und Performerin Eliza Douglas liierten Künstlerin ein klarer Auftrag, weiterhin mit vereinten Kräften für eine Welt ohne Homophobie und Diskriminierung zu kämpfen. 

mehr lesen

15 Jahre Wiener Popfest: Zwischen Live-Exzess und Algorithmen-Wahn

Die Musikindustrie steht seit der Dominanz der sozialen Medien vor einem radikalen Umbruch. Nicht mehr der künstlerische Anspruch steht im Mittelpunkt, sondern die Anzahl der Likes auf Instagram oder die Klicks auf Spotify, um für ein Festival gebucht zu werden, einen Label-Vertrag zu bekommen oder im Radio zu laufen. Eine horrible Situation vor allem für Newcomer, die sich gegen eine massenhafte Konkurrenz durchsetzen müssen. Ein spannendes Thema, das unter dem Titel „Under the Influence“ im Rahmen des Wiener Popfests im Wien Museum diskutiert wurde. Journalist und Popfest-Mitbegründer Robert Rotifer lud dazu die beiden Sängerinnen Veronika König (aka Farce), Sophie Löw (von Culk) und die Label-Betreiberin Annemarie Reisinger-Treiber aufs Podium. Der Algorithmus „fordere“ alle 6-8 Wochen einen neuen Release, das habe einen negativen Einfluss auf die Freude und die Kreativität, so die Culk-Frontfrau, die sich zumindest dem Social Media-Posting-Druck klar widersetzt. Man müsse die aktuelle Entwicklung akzeptieren, allerdings gibt es auch in Österreich weiterhin die Möglichkeit, „old school“ den Durchbruch zu schaffen, per Live-Gigs, klassischer Medien und durch Alternative-Sender wie FM4, so die Label-Chefin Reisinger-Treiber.

 

Eine Chance für Artists und Bands, den Bekanntheitsgrad zu erhöhen, bietet auch das seit 2010 stattfindende Wiener Popfest auf dem Karlsplatz. Entstanden ist dieses nach einer erfolgreichen Konzertreihe auf einer „Seebühne“ vor der Karlskirche im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft (!) 2008. Zwei Jahre später begannen die von der Stadt Wien unterstützten Planungen für ein vorerst einmaliges Event mit österreichischer Popmusik, 40.000 Leute kamen zur Premiere, damals noch im Mai. Die Festivalleiter von damals, Christoph Möderndorfer und Gabriela Hegedüs, die auch das Literaturfestival O-Töne im Museumsquartier veranstalten, sind auch heute noch in Action. Robert Rotifer selbst war in den ersten drei Jahren Kurator und verfasste dazu anlässlich des 10-Jahr-Jubiläums die Popfest-Bibel „Deka Pop“. Seit 2013 wechseln alljährlich die prominenten Kuratoren, dieses Jahr stellten die FM4-Musikredakteurin Lisa Schneider und Markus Binder von Attwenger das Programm zusammen. Eine spannende Mixtur aus bekannten Acts, Newcomern und Underground-Acts, die am letzten Juli-Wochenende die Seebühne, das Wien Museum, den TU Kuppelsaal, den TU Prechtlsaal und (am Sonntag) die Karlskirche bespielten.

 

Die in Brighton lebende österreichische Sängerin Viji, die bereits unter den Fittichen des britischen Indie-Produzenten Don Carey ihr Debüt-Album „So Vanilla“ veröffentlichte, begeisterte mit schnörkellosem Grunge-Rock um 17 Uhr nachmittags unter gleißender Sonne. Ein heißer Tip für die Zukunft ist auch die Wiener Post Punk-Formation Laundromat Chicks mit ihrem Mastermind Tobias Hammermüller. Aus der Hyper Pop-Ecke stammt Filly, die im Stile von Charli XCX nicht nur die Turntables rotieren ließ, sondern auch selbst zum Mikro („cowgirl in a cowboy world“) griff, volle Tanzfläche vor der Seebühne inklusive. Sophie Löw diskutierte nicht nur über Musik, sondern präsentierte mit ihrer Band Culk kongenial am Übergang von Tag zu Nacht ihr vom britischen Guardian hochgepriesenes Album „Generation Maximum“. Sharktank rund um Bilderbuch-Produzent Marco Kleebauer, Sängerin Katrin Paucz und Rapper Mile zelebrierten danach eine groovige Mixtur aus Indie, Hip Hop und Dance. 

 

Der Samstag Abend auf der Seebühne war den arrivierten Szene-Soundzauberern vorbehalten. Ja Panik, bereits 2011 beim Popfest vertreten, zeigten black dressed mit der damals noch nicht inkludierten Gitarristin Laura Landergott, was state of the art ist: Starke Bühnenpräsenz, authentischer Widerstand gegen aktuelle politische Strömungen und prägnante Zeitgeist-Texte. Der Titel ihres aktuellen Albums „Don´t play with the Rich Kids“ sagt alles, als Final Track kongenial „Apocalypse or Revolution“. Den Schlusspunkt auf der Seebühne setzte dann Wolfgang Möstl, der gemeinsam mit zahlreichen Friends (wie eben Ja Panik, Culk, Voodoo Jürgens, Farce oder Buntspecht) seine besten Produktionen (u.a. aus „Mile me Deaf“-Zeiten) in neuem Gewand performte. 

 

Das 15. Popfest ist zu Ende, das nächste ist bereits in Vorbereitung, mit neuen Kuratoren und einem neuen Line-Up auf der traditionellen Kult-Location Karlsplatz. Für die teilgenommenen Artists und Künstler war das Popfest neben einer Zusammenschweißung der immer größer werdenden Pop- und Indieszene Österreichs eine ideale Möglichkeit, neue Fans zu gewinnen, die ihre musikalischen Kreationen (als Downloads oder noch besser als Vinyl) kaufen und zu ihren künftigen kostenpflichtigen Gigs in die diversen Clubs, Hallen und Festivals strömen. Abseits der monströsen Umklammerung der Social Media und der Algorithmen…

mehr lesen

Urlaubsregion Nockberge: Alpenspaß, Seenparadies und Chill-Out

„Es klammert und franzt“: Das steht auf zahlreichen öffentlichen Plätzen in Bad Kleinkirchheim, in dem die Karriere von Franz Klammer begann. Nur 25 Kilometer entfernt als Bergbauernbub in Mooswald aufgewachsen, gewann Klammer als 18jähriger seine erste Europacup-Abfahrt in Bad Kleinkirchheim. 1976 wurde er durch seinen Olympiasieg in Innsbruck zum Idol einer ganzen Nation. Heute zählt Klammer, der neben Olympia-Gold zwei WM-Gold, eine WM-Silbermedaille und 25 Abfahrtssiege zu verzeichnen hat, zu DEM Aushängeschild des Kärntner Fremdenverkehrsortes, den man nicht nur zufällig treffen, sondern auch privat unter der Trademark „Ski vor 9“ buchen kann. Bad Kleinkirchheim selbst ist Anziehungspunkt für den nationalen und internationalen Winter- und Sommertourismus und punktet neben seinen Skipisten auch mit seinen zwei Thermen, der Therme St. Kathrein (mit Familienbad, Kurtherme, Außenanlagen, Kinder-Hüpfburg, Liegeplätzen, Sauna und Gesundheitswelt) und dem Thermal Römerbad. 

 

Urlaub am Bauernhof

 

Geographisch ist Bad Kleinkirchheim die südliche Grenze des 180 km2 großen UNESCO-Biosphärenparks Nockberge, der sich zwischen dem Liesertal im Westen, Innerkrems im Norden und der Gemeinde Reichenau im Osten erstreckt. Die Nockberge sind die westlichste und höchste Gebirgsgruppe der Gurktaler Alpen. Eine Urlaubsbuchung in diesem Areal ist besonders empfehlenswert, weil zahlreiche Kärntner Sehenswürdigkeiten, Wanderwege und Almen nur wenige Kilometer davon entfernt sind. Viele Landwirte bieten hier als Nebenerwerbsbetrieb einen Urlaub am Bauernhof an, der nicht nur Kindern, sondern der ganzen Familie eine Freude macht: Aufstehen beim Sonnenaufgang auf einer Seehöhe von rund 1100 m, Tautreten am Morgen, Kontakt zu den Stalltieren (egal ob Kühe, Ziegen, Hasen oder Hühner), freies Herumtollen in den Gärten, Joggen in der Umgebung zwischen den einzelnen Ortschaften und stetiger, entspannter Kontakt zur grünen Natur abseits von Autokolonnen, Hektik und Großstadtlärm.

 

Heidi-Alm

 

Ein Hit für Kinder ist der Ausflug auf die 1800 Meter hoch gelegene Heidi-Alm, die ihrem Namen alle Ehre macht. Dort gibt es nicht nur Ski-Strecken und romantische Wanderrouten, sondern einen durch einen kleinen Zirbenwald führenden Heidi-Erlebnispfad, der unterteilt in einzelne Stationen mit mehr als 100 Figuren die in den 70ern entstandene Zeichentrickserie rund um Heidi, Peter und Klara nachstellt. Sogar die einsame Hütte ihres geliebten Großvaters, dem „Alm-Öhi“, wurde rekonstruiert, echte Ziegen und Schafe laden daneben zum Füttern, Streichen und Liebkosen an. Nur einige Meter höher liegt der Falkertsee, ein wunderschöner Hochgebirgssee, der allerdings wegen seiner kühlen Temperaturen nicht zum Baden geeignet ist. 

 

Badeseen

 

Badeseen allerdings sind im Umkreis zur Genüge vorhanden, der Millstätter See mit seinem historischen Hauptort Millstatt (dessen Name sich angeblich von 1000 heidnischen Statuen herleitet, die ein zum Christentum konvertierter Herzog im See versenkt hat), der Faaker See, der Ossiacher See und natürlich der nur rund 40 km entfernte Wörthersee mit der Landeshauptstadt Klagenfurt und den hippen Szene-Locations Velden und Pörtschach. Abseits vom Bade-, Cocktail- und Tanzvergnügen locken dort auch der Miniaturenpark Minimundus und der 851 Meter hohe Pyramidenkogel mit Holzaussichtsturm und der höchsten überdachten Rutsche Europas. Nur einen Katzensprung entfernt zwischen Ossiacher See und Villach liegt die Burg Landskron, die mit ihrer Greifvogelwarte und dem Affenberg Platz 1 in der ORF-Sendung „9 Plätze, 9 Schätze“ belegte. 

 

Reptilienzoo Nockalm

 

Kuriositäten dürfen im lässigen Kärnten nicht fehlen. So kann man auf der Turracher Höhe per Nocky Flitzer 1,6 km talwärts brausen. Die Alpen-Achterbahn ist sowohl im Winter als auch im Sommer geöffnet. In der kleinen Ortschaft Patergassen lockt seit 1995 der Reptilienzoo Nockalm die neugierigen und mutigen Besucher. Giftige Mambas, Kobras, Klapperschlangen, Vogelspinnen und sogar ein Krokodilspärchen werden dort vom Schweizer Architekten Peter Zürcher gezüchtet und in mehr als 100 Terrarien ausgestellt. 

 

Almfest

 

Die Kärntner sind seit jeher ein lustiges Völkchen und feiern die Feste, wie sie fallen. Tradition und Brauchtum sind damit unmittelbar verwoben. Und so zelebriert man bereits seit 52 Jahren das Almfest in der 1477 m hoch gelegenen Ortschaft St. Lorenzen. Neben Speis, Trank und Volksmusik geben sich dort auch die besten Ringer des Landes ein Stelldichein. Brot und Spiele, die manchmal sogar einen Rettungseinsatz in den hohen Bergen nach sich ziehen. Alles, was uns nicht umbringt, macht uns nur stärker.

 

„Mach, was du liebst!“, so lautet der passende Slogan der Kärnten-Werbung in diesem Jahr. Mit einer Urlaubsbuchung direkt im Epizentrum des südlichsten Bundeslandes kann dabei nichts schiefgehen. 

mehr lesen

Szene Feldkirch: 30 Jahre Poolbar Festival im Alten Hallenbad

30 Jahre Jubiläum feiert dieses Jahr das Poolbar-Festival in der westlichsten Stadt Österreichs, in Feldkirch. Begonnen hat alles 1994 unter der Trademark „Feldkircher Kreativ-Wochen“. Der heutige Geschäftsführer Herwig Bauer hat damals Künstler gebeten, Kurse zum Thema Malerei, Film, Grafik, Fotografie oder Theater anzubieten. „Wenn die Kurse vorbei waren, blieben die Macher zum Feiern da“, so Bauer. 

 

Als Veranstaltungsort wurde das Alte Hallenbad auserkoren, ein ehemaliges Hallenbad der Stella Matutina, einem 1979 geschlossenen Elitegymnasium der Jesuiten. Tagsüber finden die Events, verstreut auf rund 6 Wochen (2024 zwischen 4. Juli und 11. August) auf der Reichenfeldwiese statt. Das Design des Poolbar Festivals wird jährlich von 35 internationalen Studierenden in den Laboren des Poolbar Generators in Hohenems konzipiert. In einer intensiven Projektwoche werden dabei Ideen in den Bereichen Architektur, Grafik, Raumgestaltung, Digital, Literatur und Kunst recherchiert und im Sommer in die Tat umgesetzt. 

 

Das diesjährige Motto: „Hin und Weg“. Zentrales Element des Festivalgeländes sind dabei Vorhänge, die nicht nur den Eingangsbereich, sondern auch die einzelnen Pavillons prägen. „Dank der geschickt platzierten Raffungen in den umhüllenden Vorhängen werden Einblicke in die dahinter liegenden indivuduellen Erlebnisräume gewährt, während in den Zwischenräumen das pulsierende Festivalleben seinen Lauf nimmt“, so Clara Rummer von der Projektgruppe Architektur.

 

Jazzfrühstück, Kino unter Sternen, Kabarett, Literatur, Poolquiz und natürlich Konzerte und Club Nights zählen zu den Programm-Highlights des Poolbar-Festivals. Hochkarätige Stars spielten schon in Feldkirch, von Marilyn Manson, Travis, Santigold, Tove Lo, Kosheen, White Lies bis hin zu Bilderbuch und Wanda. Und viele Newcomer oder Künstler, die kurz vor dem internationalen Durchbruch stehen. 

 

„Vom Creek an den Pool“ - Im Rahmen ihrer Europa-Tour beehrte im Juli 2024 die aus Alabama stammende US-Sängerin Katie Crutchfield mit ihrer Band Waxahatchee (benannt nach einem Bach) das Poolbar-Festival. Indie, Folk und Alternative in einer gemütlichen Atmosphäre mit Blick auf grüne Hügel. Im Alten Hallenbad geigte dann die gerademal 20jährige US-Rock-Sängerin Gayle auf, die bereits im Vorprogramm von Taylor Swift und Pink zu sehen war und mit ihrer Debüt-Single „abcdefu“ Platz 1 in Österreich, Deutschland und England und Platz 3 in den USA belegte. Kürzlich im Wiener Volkstheater als Überraschungsact des Noch-Direktors Kay Voges zu sehen, statteten die US-Indie-Rocker von Calexico auch dem Poolbar-Festival einen Besuch ab. „Tucson-Desert Rock“ nennt sich ihre Musik-Richtung, die Elemente der mexikanischen Volksmusik (wie Mariachi oder Tex Mex), Country Rock und Latin Jazz beinhält. Auf ihrer Setlist standen nicht nur Tracks aus ihrem neuen Album „El Mirador“, sondern auch Reminiszenzen an ihr 20 Jahre altes Album „Feast of Wire“ und das „Love will tear us apart“-Cover von Joy Division. Was gibt es Schöneres als unter der heißen, am Horizont verschwindenden Sonne zu lateinamerikanischen Beats zu tanzen?

 

Weitere musikalische Highlights 2024: Die britische Kult-Band Faithless (ohne den verstorbenen Maxi Jazz), die mexikanischen Newcomer The Warning (die nur drei Tage zuvor beim Madrider Mad Cool aufspielten), Cari Cari, Ja Panik, „Dance Monkey“ Tones and I aus Australien oder der kanadische Rapper BBNOS. Das Poolbar-Festival seit 30 Jahren immer eine Reise wert, egal ob aus Österreich, den direkt angrenzenden Ländern Deutschland, Schweiz und Liechtenstein oder dem Rest der Welt…

mehr lesen

Lido Sounds: Urbanes Festival-Fever an der Linzer Donaulände

Wenn die Temperaturen wärmer und die Abende länger werden, dann streben die Menschen nach draußen, zum Trinken, Tanzen, Flirten. Und dann beginnt die Zeit der Festivals, die weltweit – trotz steigender Eintrittspreise - Millionen von Musik- und Partyfans in ihren Bann ziehen. Auch in Österreich.

 

„In Linz beginnt´s“ – das war einst Anfang der 70er ein marketingtechnischer Slogan der heute drittgrößten Stadt Österreichs, der einen Kulturaufbruch initiieren sollte. Heute ist Linz Vorreiter, wie man mitten in einer Stadt ein urbanes, musikalisch anspruchsvolles Festival organieren kann, während in der 2-Millionen-Metropole Wien die Clubs geschlossen sind, Open-Air-Veranstaltungen durch Anrainerbeschwerden unterbunden werden und größere Events (wie das „rote“ Donauinselfest oder das Popfestival) friktionslos nur unter dem Zepter der Stadt Wien ablaufen dürfen.

 

Das Lido Sounds fand dieses Jahr zum zweiten Mal statt und lockte an vier Festivaltagen mehr als 70.000 Besucher an die Donau. Viele aus dem festivallosen Wien per Sonderzug, denn viele Hotels waren bereits Monate zuvor ausgebucht. Am Schulschlusstag stand bei brütender Hitze bereits am späten Nachmittag Beth Ditto mit ihrer Band Gossip auf der Bühne, und das einen Tag vor ihrem Auftritt beim Glastonbury Festival. Der irische Sänger Hozier präsentierte mit einer zehnköpfigen Combo seine Indie-Rock-Songs (u.a. den US-Nr. 1-Hit „Too sweet“) und sorgte vor seinem Hit „Take me to Church“ mit einer minutenlangen Rede über Menschenrechte zum Nachdenken. Beim Deichkind-Gig auf der zweiten Bühne erreichte das Areal bald seine Kapazitätsgrenzen. 

 

Sein 20. Stage-Jubiläum feierte der in Linz geborene Markus Füreder aka Parov Stelar, mit einigen neuen Tracks (gesungen von Elena Karafizi und Anduze), seinen schon legendären Electro-Swing-Hits (wie „All Night“, „Jimmy´s Gang“ und „Cat Groove“) und eindrucksvollen Visuals. Schrilles Programm erwartete die After Hour-Besucher im Brucknerhaus: Dort geigte nicht nur Parov Stelars Tour-DJ El Siciliano mit Techno- und House-Beats auf, sondern verzauberte 90´s-Eurodance-Star Jasmin Wagner aka Blümchen die Party People mit ihrem neuen Hit „Ravergirl“ und alten Gassenhauern wie „Herz an Herz“ oder „Boomerang“, Tänzer- und Einhorn-Show inklusive. Auch Spaß muss sein. Das Line-Up der anderen Tage nur auszugsweise: Kings of Leon, Kooks, Nina Chuba, Kraftklub, Editors, Sam Smith,…

 

„Wir lieben Musik, aber hier brauchen wir eine grüne Wiese“, eine aktivistische Reaktion von Anrainern auf ihren Balkonen. Sic est. Parties müssen nicht auf Betonflächen stattfinden, die ansonsten als Autoparkplätze dienen. Ein Appell an die Linzer Stadtregierung für eine Bodenentsiegelung. Ansonsten sollte Wien rot anlaufen…

mehr lesen

Mad Cool: Festival-Inferno unter der heißen Sonne Madrids

Summertime ist Festival Time für alle, die im kollektiven Rausch mit tausenden anderen Musikfans das Leben feiern wollen. Eines der Highlights: Das seit 2016 in der spanischen Hauptstadt Madrid stattfindende Mad Cool Festival. Oder auch „European Coachella“, wie es die Briten gerne nennen. Tatsächlich hat das spanische Festival einen gewaltigen Vorteil gegenüber den UK-Festivals (a la Glastonbury): Regen nahezu ausgeschlossen, stattdessen Temperaturen um die 35 Grad aufwärts, die allerdings nicht nur durch den späteren Beginn (ab ca. 18 Uhr), sondern auch durch viel Trinkwasser (und Bier?) kompensiert werden.

 

2024 fand das Mad Cool Festival vom 10.-13. Juli zum zweitenmal hintereinander im südlichen Madrider Distrikt Villaverde statt. Der Espacio Mad Cool ist per Metro-Linie und nach einem ca. halbstündigen, schweißtriefenden Fußmarsch leicht erreichbar. Für die spanische Hauptstadt Madrid ist Mad Cool ein wichtiger Wirtschafts- und Tourismusfaktor: 46 Millionen Euro wurden laut Analyse einer Beratungsfirma durch das Mad Cool Festival 2023 lukriert. 38 % der Besucher kamen direkt aus Madrid, 26 % aus dem restlichen Spanien und 36 Prozent aus dem Ausland.

 

Insgesamt 6 Stages warteten 2024 auf die täglich rund 60.000 Musikfans, darunter die zwei, abwechselnd bespielten Main Stages und die überdachte „Loop“-Stage für die House- und Technocommunity. Getränkebars sind über das gesamte Gelände verstreut, ein eigenes Street Food-Areal lockt mit exquisiten Spezialitäten, bezahlt wird cashless per Wristband. Wer sich mit seiner Clique oder neuen Bekanntschaften unterhalten will oder einfach nur müde ist vom Sound-Overkill, kann sich auf dem gemütlichen Rasen niederlassen, Platz ist zwischen den einzelnen Stages genug.

 

Insgesamt 89 Bands und Artists standen auf dem diesjährigen Line-Up, eine bunte Mischung aus aktuellen Superstars, Kult-Bands der Vergangenheit, Newcomern kurz vor dem internationalen Durchbruch und spanischen Indie-Acts. 

mehr lesen

Strafprozessrecht: Endlich Erhöhung des Verteidigungskosten-Ersatzes bei Freisprüchen

„Vom Regen in die Traufe“ – So konnte man bis dato die Situation beschreiben, wenn Angeklagte bzw. Beschuldigte zwar freigesprochen wurden, aber durch die hohen Verteidigungskosten in finanzielle Probleme gerieten. Der Tierschützer Martin Balluch, der ehemalige Grün-Politiker Christoph Chorherr oder Ex-Vizekanzler Heinz Christian Strache stehen hier nur als Pate für zahlreiche Nicht-Promis, die durch Gerichtsprozesse in den Privatkonkurs schlitterten. Die Rechtslage hat sich nun für Freigesprochene durch eine von allen Parteien unterstützte Novelle der Strafprozessordnung endlich verbessert.

 

Rückwirkend ab 1. Jänner 2024 gewährt der Bund auf Antrag jetzt nicht nur einen Kostenbeitrag zum Hauptverfahren 

(§ 393a), sondern auch zum Ermittlungsverfahren (§ 196a StPO). Außerdem wurden – bei einer Verdreißigfachung (!) des Budgets - die Pauschalbeträge immens erhöht. Der Höchstbetrag bei Schöffen- und Geschworenengerichtsverfahren beträgt nun 30.000 Euro (vorher: 5.000 bzw. 10.000 Euro), bei Einzelrichterverfahren am Landesgericht 13.000 Euro (statt 3000 Euro) und bei Hauptverfahren vor dem Bezirksgericht 5.000 Euro (vorher: 1.000 Euro). Beim bloßen Ermittlungsverfahren beträgt der Höchstbetrag 6.000 Euro.

 

Zusätzlich wurde sowohl bei der Kostenerstattung im Ermittlungs- als auch im Hauptverfahren ein Mehrstufensystem eingeführt. Im Hauptverfahren kann beispielsweise der Kostenbeitrag bei längerer Dauer der Hauptverhandlung (ab ca. 10 Verhandlungstagen) um die Hälfte überschritten werden. Bei einem extremen Umfang des Verfahrens kann der Kostenbeitrag auf das Doppelte erhöht werden. Kriterien sind hier u.a. die Dauer der Hauptverhandlung und der Umfang des Akteninhalts. Zu berücksichtigen sind hier alle Phasen des Strafverfahrens, also vom Ermittlungs-, Haupt- bis zum Rechtsmittelverfahren.

 

In den Erläuterungen wird ausführlich dargelegt, dass laut VfGH kein verfassungsrechtlicher Anspruch des Angeklagten auf Ersatz der Verteidigungskosten bestehe bzw. der Gesetzgeber hier einen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum hat. Ersetzt werden außerdem nicht alle Verteidigungskosten, sondern nur ein durch einen Einzelrichter festgelegter Betrag (der die tatsächlichen Kosten unterschreitet). In bestimmten Fällen ist – wie bisher – ein Ersatzanspruch ausgeschlossen, zum Beispiel dann, wenn der Angeklagte den Verdacht selbst vorsätzlich herbeigeführt hat oder die Tat im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen hat.  

Terror & Tropical: Madrids Hauptbahnhof Atocha

Es gibt nicht viele Bahnhöfe, die mit einer derartigen Geschichte aufwarten können wie der Bahnhof Atocha im südwestlichen Zentrum Madrids. Nach der kompletten Zerstörung der vorherigen Bahnstation durch einen Großbrand wurde die Bahnhofshalle zwischen 1888 und 1892 erbaut, im Jugendstil und mit einer großen Dachkonstruktion aus Gusseisen und Glas. Der Bahnhof war damals nur als Kopfbahnhof angelegt. 1992 wurde durch den Architekten Jose Rafael Moneo eine neue Bahnsteighalle kreiert, die auch für die Abfertigung der Hochgeschwindigkeitszüge verwendet werden soll. Der Bahnhof Atocha, in dem auch zahlreiche Regionalzüge, die S-Bahnlinien und die Metro Linie 1 halten, wurde dadurch endgültig zum Verkehrsknotenpunkt der spanischen Hauptstadt. 

 

Die alte, wunderschöne Bahnhofshalle wurde allerdings nicht abgerissen, sondern mit einem 4000 m2 großen tropischen Palmengarten versehen. Dieser besteht aus rund 70 Palmen und mehr als hundert verschiedenen anderen Pflanzenarten. Eine grüne Oase inmitten eines der am meisten besuchten Orte Madrids, in der die Fahrgäste gechillt auf die Abfahrt ihrer Züge warten oder sich in den direkt nebenan gelegenen Bars und Restaurants niederlassen können. Anfangs enthielt der Palmengarten auch einen kleinen Teich, der allerdings von vielen Besuchern rechtswidrig verwendet wurde. Im Laufe der Zeit wurden dort immer mehr exotische Tiere (wie Wasserschildkröten) ausgesetzt, im Mai 2018 veranlassten daher Tierschutzorganisationen, dass die mehr als 300 (!) Schildkröten und Fische in eine künstliche Lagune verbracht werden.

 

Seine düstersten Stunden erlebte der Bahnhof Atocha am 11. März 2004. Bei einem islamistischen Terroranschlag auf vier Züge wurden 193 Menschen getötet und 2051 verletzt. Die Täter zündeten insgesamt 10 Bomben, die teils im Bahnhof selbst, teils in S-Bahn-Stationen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs detonierten. Glück im Unglück, dass drei später programmierte Bomben nicht aktiviert werden konnten. Die Täter wurden am 3. April 2004 im Rahmen einer Razzia in einem Vorort von Madrid gestellt, der mutmaßliche Rädelsführer sprengte sich selbst in die Luft, wobei auch sechs seiner Komplizen und ein Polizist getötet wurden.

 

Drei Jahre später enthüllte die Madrider Stadtverwaltung ein Denkmal für die Opfer des Terroranschlags in Form eines 11 Meter hohen Zylinders aus Glasbausteinen. Dieses nicht unumstrittene Mahnmal wurde 2023 wegen Erweiterungsarbeiten für die Linie 11 wieder abgebaut, die einzelnen Glasbausteine mit einem Gewicht von 8,5 Kilogramm wurden kostenlos an die Bürger verteilt, Weiterverkäufe im Internet konnten nicht verhindert werden. Als Ersatzmahnmal präsentierte die Stadt im März 2024 einen 2000 Quadratmeter großen Raum, auf dessen Wänden die Namen der Verstorbenen und Sprüche wie „Nein zur Gewalt“, „Wir waren alle in diesem Zug“ oder „Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg“ angebracht wurden. 

 

Wer beim Bahnhof Atocha aussteigt, der befindet sich übrigens in unmittelbarer Nähe des Paseo del Prado und der „Kunstmeile“ Madrids. Das Prado Museum, das Museo Reina Sofia und das Caixa Kunstforum warten hier auf alle kunstinteressierten Einheimischen und Touristen…

mehr lesen

Puerta del Sol: Zentraler Platz und Silvester-Kult Madrids…

„The same procedure as every year“, allerdings auf Madrider Art. Wenn in der spanischen Hauptstadt zu Silvester die zwölf Glockenschläge an der Casa Correos läuten, dann wird pro Glockenschlag eine Weintraube gegessen. Dieser Brauch auf der Puerta del Sol, der seit 1962 auch landesweit im Fernsehen übertragen wird, soll Glück für die nächsten zwölf Monate bringen. 

 

Der zentrale Platz Madrids hat seinen Namen (Puerta del Sol = „Tor der Sonne“) von einem ehemaligen Stadttor aus dem 16. Jahrhundert, das allerdings bereits 1577 wieder beseitigt wurde. Heute ist der Platz umgeben von zahlreichen renommierten Wirtschaftsbetrieben (wie dem Kaufhaus El Corte Ingles, Zara,…), Metro-Verkehrsknotenpunkt und – trotz enormer Sonneneinstrahlung im Sommer – ein Treffpunkt für Einheimische und Touristen. Auf der Puerta del Sol befindet sich der Null-Kilometerstein für die wichtigsten Hauptnationalstraßen Spaniens. Er ist gleichzeitig Ausgangspunkt für die Calle Mayor (in Richtung des ebenso renommierten Plaza Mayor), die teure Einkaufsmeile Calle Preciados und die Calle Alcala, die zum Cibeles-Brunnen (wo die Kicker von Real Madrid ihre Triumphe feiern) und zum Retiro-Park führt.

 

Das bekannteste Bauwerk ist die bereits erwähnte 1768 errichtete Casa de Correos, ein Postamt, das rund ein Jahrhundert später mit einem Glockenturm geschmückt wurde. Heute ist diese Sitz der Comunidad de Madrid, einer von insgesamt 17 spanischen Regionalregierungen. Präsidentin ist seit 2019 die konservative PP-Politikerin Isabel Diaz Ayuso, die sich während der Corona-Pandemie durch vergleichsweise lockere Regelungen bei Unternehmern und den lebenslustigen Madridern beliebt gemacht hat. 

 

Auf der Puerta del Sol befindet sich auch die bekannte Skulptur „Der Bär und der Erdbeerbaum“ des Künstlers Antonio Navarro Santa Fe, die gleichzeitig das Stadtwappen darstellt. Laut mehrheitlicher Interpretation soll sich diese auf eine Vereinbarung zwischen Adel (Bär) und Kirche (Baum) über diverse Nutzungsrechte aus dem 12. Jahrhundert beziehen.

 

Trotz einiger kritischer Aussagen der Präsidentin Ayuso zur Klimakrise und zur Umweltverschmutzung werden auf der Puerta del Sol grüne Prinzipien hochgehalten. Der Platz ist – ebenso wie Teile der Calle Mayor, der Calle Alcala und anderer benachbarter Straßen – Fußgängerzone. Allesamt Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstrategie Madrid 360, die das Leben im öffentlichen Freiraum für die gewohnt an die frische (bzw. heiße) Luft strömenden Spanier deutlich verbessern…

mehr lesen

Retiro-Park: Grüne Oase im Herzen Madrids

Madrid gehört im Sommer zweifelsohne zu den spanischen Hitze-Hot Spots, Temperaturen von rund 40 Grad sind keine Seltenheit. Wo sich zurückziehen, wenn es kein Meer gibt wie in Barcelona oder Valencia und man gerade keine Lust auf eine Siesta in den eigenen Wänden hat? Hier bieten sich als Alternativen die grünen Parks an wie der Casa de Campo im Westen Madrids oder der Retiro-Park (Parque del Retiro) auf der östlichen Seite, der seit dem Juli 2021 gemeinsam mit der Prachtstraße Paseo del Prado, dem Stadtviertel Jeronimos und dem Königlichen Botanischen Garten zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

 

Der Park hatte seinen Ursprung im 15. Jahrhundert, als Teil der Schlossanlagen Philipps II.. Bereits im 17. Jahrhundert wurde ein künstlicher See, der sogenannte Estanque del Retiro, angelegt, der heute von Touristen und Einheimischen für eine lässige Bootstour genützt wird. Im Hintergrund des Sees befindet sich ein riesiges Monument für König Alfons XII., das aus einer halbkreisförmigen Säulenhalle (mit 76 griechischen Säulen), einem Reiterstandbild und zahlreichen allegorischen Figuren besteht. Das Areal dient heute nicht nur als Treffpunkt für flirtwillige Jugendliche und Instagram-Freaks, sondern auch als Entspannung vom heißen Großstadtdschungel. Schattenspender gibt es seit dem Jahr 1979 zur Genüge, da wurden im Rahmen einer zweitägigen Bürgeraktion 17.500 Parkbäume gepflanzt, die heute zu einem kleinen Nickerchen, einem Picknick, erotischen Küsschen oder zu einer leichten Buchlektüre einladen.

 

Zwei Paläste gleich in der Nähe des Estanque sind dafür verantwortlich, dass auch die Kultur ins Epizentrum rückt, der unmittelbar an einem Teich gelegene, 1887 entstandene Kristallpalast (Palacio de Cristal, derzeit in Renovierung) und der Palacio de Velazquez aus dem Jahr 1883. Beide werden vom renommierten Museum Reina Sofia (das u.a. die „Guernica“ Picassos beherbergt) als Ausstellungsräume verwendet.

 

Ein besonderes Highlight des Retiro-Parks ist der 1877 durch den Madrider Bildhauer Ricardo Bellver geschaffene „Fuente del Angel Caido“ („Brunnen des gefallenen Engels“), der auch gerne als „Teufelsbrunnen“ bezeichnet wird. Dieser zeigt den ehemals schönsten Engel im Himmel, Lucifer (aka Luzbel), der aus dem Paradies vertrieben wird, indem sich eine Schlange um seinen Hals räkelt. Die Höhe, auf der sich die Skulptur befindet, beträgt genau 666 m über dem Meeresspiegel. Und das in einer der lebenslustigsten Städte der Welt, vielleicht gerade deshalb… 

mehr lesen

„Rage“: Erste Solo-Ausstellung der Pussy Riot-Aktivistin Nadya im OK Linz…

„Virgin Mary, Mother of God, banish Putin, banish Putin!“ – So schallte es am 21. Februar 2012 durch die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Die Protagonistinnen: Pussy Riot, drei mit Sturmhauben verhüllte Aktivistinnen gegen das Putin-Regime. „Punk Prayer“ hatte für das Kollektiv schwerwiegende Folgen: Eine Verurteilung zu zwei Jahren Lagerhaft wegen grober Verletzung der öffentlichen Ordnung (Rowdytum), weit entfernt von den Familien und den Kindern.

 

Eine der drei, Nadya Tolokonnikova, präsentierte kürzlich im OK (= Offenes Kulturhaus) Linz ihre erste Einzelausstellung. Bezeichnender Titel des düsteren Parcours: „Rage“. Dieser beginnt an sich schon auf dem Platz vor dem Museum. In der dortigen Kapelle hat Nadya ihre „Pussy Riot Sex Dolls“ platziert, Symbole weiblichen Widerstands. Den realen Pussy Riot-Heldinnen wird, anonymisiert unter ihren charakteristischen Balaclavas, in der Rage Chapel die Ehre erwiesen. Inklusive Protestparolen wie „You can´t stop the future with bullets, poisons or prisons“, „Enlightening of the Darkness“. oder „Fear no more“. Höhepunkt ist das im Jahr 2023 entstandene dreiminütige Video „Putin´s Ashes“, in dem Nadya gemeinsam mit zwölf anderen Frauen aus der Ukraine, Weißrussland und Russland ein Porträt Putins in der Wüste verbrannte und die entstandene Asche in kleine Fläschschen füllte.

 

Im Stil von Ai Weiwei ließ Tolokonnikova einen Stock höher ihre eigene, karge Gefängniszelle rekonstruieren. Hungerstreik, Kollektivstrafen, verpflichtende Nähdienste zum Monatslohn von 25 Rubel (= 60 Cent), Drohungen durch Mitgefangene und die Verlegung nach Sibirien ohne sofortiger Informierung der Familie. Das sind nur einige der Widrigkeiten im russischen Strafvollzug, mit denen die Gefangene konfrontiert wurde. Dokumentiert wird die „Langzeit-Performance“ (wie Nadya die „Inhaftierung“ gerne nennt) durch Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Fotos. 

 

Gegenüber der Zelle werden Videos der Pussy Riot-Aktionen in Dauerschleife gezeigt, die die Unverhältnismäßigkeit des russischen Justizsystems darlegen sollen. In einem separaten Raum gedenkt Nadya mit Foto, Kerzen und Blumen dem am 16. Februar 2024 verstorbenen Putin-Gegner Alexei Nawalny. Der Schriftzug „Murderers“ lässt wohl keine Zweifel offen, wen die Künstlerin für den Tod Nawalnys im sibirischen Straflager verantwortlich macht. 

 

Das schärfste Kunstwerk Tolokonnikovas wurde im Treppenhaus des OK installiert, ein überdimensionales „Damokles Sword“, das direkt über den Besuchern der Ausstellung hängt. Ein Synonym für die Situation der putin-kritischen Künstler und Aktivisten, die stets mit der Verfolgung durch die Justiz rechnen müssen. Tolokonnikova selbst steht seit 2023 auf der „Liste der meistgesuchten Krimnellen Russlands“, ihren Wohnsitz gibt sie aus Sicherheitsgründen nicht bekannt, und das ist gut so…

 

RAGE, Nadya Tolokonnikova / Pussy Riot.

21.6.-20.10. 2024, OK Linz

mehr lesen

Funtime für Jung und Alt: Photomania im Wiener 3D PicArt-Museum…

„Shoot your Shot“, das ist das Motto des 2019 eröffneten 3D Pic Art-Museums in der Bösendorferstraße 2-4 nahe dem Wiener Karlsplatz. Auf zwei Stockwerken können sich die Besucher, egal ob Jung oder Alt, vor insgesamt 40 verschiedenen Fotomotiven selbst inszenieren und sich von ihren Freunden und Freundinnen ablichten lassen. Dabei handelt es sich nicht um meist biedere Alltagsszenarien, sondern um witzige Hintergrundkreationen, die die Besucher in phantasievolle Welten katapultieren. „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt“ lautet dementsprechend ein im zweistöckigen Show-Labyrinth platziertes Zitat von Albert Einstein. Auf geht es also zu zähnefletschenden Krokodilen, coolen Wavesurfern, gefährlichen Gipfelmärschen oder tollkühnen Stunts auf dem Wiener Riesenrad. 

 

Das Konzept des 3 D PicArt-Museums stammt aus Asien und wurde vom Eigentümer Clemens Ellmauthaler im Rahmen einer Reise zufällig entdeckt. Im Gegensatz zur Asien-Version werden die Motive in Wien nicht gemalt, sondern foliert und geklebt. Dadurch können die Motive jederzeit ausgetauscht werden. Für den selbständigen Rundgang benötigt man – nach einer kleinen Einführung – nur ein Smartphone. Photo Points und Vorlagefotos zeigen den Besuchern, wo und wie die besten Schnappschüsse erstellt werden können.

 

Ein besonderer Hit sind die Kindergeburtstagsparties im PicArt-Museum, bei denen Animateurinnen die Kinder durch das Museum führen, in einem eigenen Party-Raum die Geschenkeverleihung (inkl. Sprühkerzen, Muffins & Getränken) moderieren und eine spannende Challenge veranstalten. 2 Stunden Funtime pur. 

 

Zielgruppe für spezielle Packages sind aber auch Polterabende für Frauengruppen. Durch Sekt in Stimmung gebracht, darf die Braut, die sich traut, Engerl und Teuferl spielen, verdreckte Männerurinale aufsuchen oder unverschämt die Hosen eines muskulösen Bademeisters lüften. Ob es nach der Eheschließung so lustig weitergeht, das steht auf einem anderen Stern.

 

3D PicArt Museum

https://www.3dpicart-museum.at

Bösendorferstraße 2-4, 1010 Wien

mehr lesen

Der Menschenfeind in der Wiener Schickeria: Kusej-Inszenierung am Burgtheater!

„Ich entdeckte, dass die Party, die am Abend des 4. Juni 1666 auf der Bühne des Theaters vom Palais-Royal begann, immer noch andauert“, so der 2022 verstorbene deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der 1979 eine Überarbeitung der bissigen Komödie „Der Menschenfeind“ von Moliere herausgab. Im Mittelpunkt: Die Schicki-Micki-Gesellschaft der Bonner Republik. 

 

Was wäre daher besser geeignet als die Handlung ins mondäne Wien zu verlegen, in die post-türkise „Feschisten“-Ära? Als Regisseur Burgtheater-Chef Martin Kusej, dessen Vertrag nicht verlängert wurde und der im nächsten Spieljahr 2024/25 vom Schweizer Stefan Bachmann abgelöst wird. 

 

Im Mittelpunkt des im November 2023 uraufgeführten Stückes steht der aus einer adeligen Familie stammende Alceste (Itay Tiran im weißen Anzug mit schwarzem Shirt), der die Pseudo-Moral und Heuchelei der Gesellschaft verachtet. Sein bester Freund Philinte (gespielt vom Film- und Theaterschauspieler Christian Luser) sieht dies pragmatisch: „Der Mensch ist eben schlecht, und schwach, und roh. Das lässt mich kalt. Die Welt ist wie ein Zoo. Die Affen prügeln sich, und der Schakal verzehrt sein Aas. So ist es nun einmal.“ Noch oberflächlicher agiert die Wiener Party-Gesellschaft, die herrlich schnöselig und arrogant persifliert wird durch die jungen Burgtheater-Ensemblemitglieder Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang und Lili Winderlich. Falco hätte seine Freude daran, so frei nach dem Motto: „Wir haben die Medizin, der Dekadenz haben wir an Preis verliehn“. Gespottet und gescherzt wird über Basti, Benko, einen Wörthersee-Bootsunfall oder über Koks in einem Szene-Restaurant. In der Rolle des Dichters Oronte, der von Alceste wegen seiner geringen Kunstfertigkeit verspottet und deshalb von ihm verklagt wird, agiert Markus Meyer, der seit Jahren mit seinem One-Man-Stück „Dorian Gray“ das Wiener Akademietheater füllt. 

 

Inmitten dieser Szene bewegt sich die Witwe Celimene (zu Beginn des Stückes wird ein Sarg abtransportiert) -, die mit all diesen Protagonisten ihre Spielchen treibt. „Spiele gibt´s zu spielen viele“… - Und gerade in diese Dame, gespielt von Mavie Hörbiger im schwarzen Glitzerkleid – ist die Hauptfigur Alceste verschossen. Kusej präsentiert diese illustre Gesellschaft auf einer verspiegelten Bühne, auf der im Hintergrund immer wieder eine Gruppe von Komparsen auftaucht, die zu Techno-Beats, Walzer, Schlager und Volksmusik abtanzen. Ein Tanz auf dem Vulkan. Vor allem die männlichen Darsteller landen zumeist in einem vorgelagerten Wassergraben. Denn die Register zieht die Femme Fatale Celimene, die in schlussendlich offengelegten Briefen alle ihre Verehrer verspottet hat.

 

Trotzdem will Alceste weiterhin, dass sie seine Liebesschwüre erhört und sich mit ihm in die „Einsamkeit zu zweit“ zurückzieht. „Ich sehe mich schon in einer Höhle kauen, Kartoffeln schälen und total verbauern: Nur du und ich, allein mit Mutter Erde und einer riesenhaften Hammelherde! Verzeih, wenn ich das etwas anders seh“. Irgendwie kann man Celimene bei solcher Unterwürfigkeit dies nicht verdenken…

mehr lesen

Party & Demonstration: 340.000 bei der 28. Regenbogenparade in Wien…

Im Juni 1969 wehrten sich Schwule, Lesben und Transgender zum ersten Mal gegen Diskriminierung und Polizeiwillkür, der Ort: das Stonewall Inn, ein Lokal in der New Yorker Christopher Street. Es war die Geburtsstunde der LGBTIQ-Bewegung, die sich allmählich auf der ganzen Welt verbreitete. In Österreich findet seit 1996 die Regenbogenparade statt, der Name stammt von der ersten Drag Queen Wiens, dem heutigen Galeristen Mario Soldo. 28 Jahre sind seitdem vergangen, und die Mischung aus politischer Demonstration und Love Parade-Party zieht noch immer die Massen an. 340.000 feierten am 8. Juni bei sommerlich-schwülen Temperaturen das Leben, die Liebe und die eigene Identität. „Eigentlich wissen es eh alle, Liebe ist the Place to be“, die Aufschrift auf dem FM4-Truck brachte es auf den Punkt. Einer von insgesamt 92 Fahrzeugen und Gruppen, die zwischen 12 und 18 Uhr wie üblich – gegen die Fahrtrichtung – um die Ringstraße zogen, angeführt von den Guys on Bikes“ mit flatternden Regenbogenfahnen.

 

Teilnehmer

 

Unter den Teilnehmern befanden sich naturgemäß die Protagonisten der queeren Szene Wiens, die Veranstalter der HOSI Wien, die Türkis Rosa Lila Vila, die Buchhandlung Löwenherz, der SM-Verein Libertine (traditionell mit Pferdekutsche), die Aids Hilfe Wien oder die LMC Vienna Leather & Motorbike Community. Aus der Clubszene war u.a. der Volksgarten (mit seiner „Männer im Garten“-Party), der Techno-Club Exil (mit langer Raver-Schar) und die Mangobar Wien vertreten. Viele Firmen, Vereine und NGO´s (wie Absolut – „Proud to mix“, Almdudler, Willhaben, die ÖBB, die Post, ÖAMTC, die Austrian Airlines, Amnesty International,…) unterstützten mit bunt geschmückten Trucks, pinken Messages, Party People auf den LKW´s und heißen DJ-Beats die größte Demonstration Österreichs, Werbe- und Imagefaktor sind zweifelsohne auch nicht zu unterschätzen. 

 

Rechtslage

 

Rund 10 % der Bevölkerung (ca. 900.000 Menschen) fühlen sich der LGBTIQ-Community zugehörig. Die Umsetzung politischer Forderungen gestaltet sich allerdings seit jeher als schwierig, da die rechtskonservative Mehrheit aus ÖVP und FPÖ Reformen ablehnt und Novellierungen (wie die „Ehe für alle“ im April 2019) zumeist nur durch Urteile des Verfassungsgerichtshofes zustandekommen. Dokumentiert wird dies in der aktuell von Justizministerin Alma Zadic herausgegebenen Studie „Befreiter Regenbogen“ über die Rechtslage der Homosexuellen in der Nachkriegszeit. So wurde das Totalverbot von Homosexualität erst im Jahre 1971 aufgehoben, noch bis 2002 wurden über 19jährige Männer verfolgt, wenn sie gleichgeschlechtliche Handlungen mit 14 bis 18jährigen eingingen. Der VfGH klassifizierte dieses gesetzliche Schutzalter für schwule Jugendliche als eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes.

 

Fehlender Diskriminierungsschutz

 

Trotz zahlreicher Verbesserungen kann man von einer Gleichstellung der LGBTIQ-Community noch lange nicht sprechen. Besonders rückschrittlich ist Österreich beim Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung. Dieser gilt – ausgenommen auf Landesebene (!) – nur in der Arbeitswelt, nicht beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen des täglichen Lebens. Eine lesbische Kellnerin kann zwar gegen homofeindliche Arbeitgeber vorgehen, aber lesbische Besucherinnen haben keine rechtliche Handhabe, wenn sie aus einem Lokal verwiesen werden oder ein Hotelzimmer nicht bekommen, so die Gleichbehandlungsanwaltschaft. Besonders dramatisch sind Fallkonstellationen, in denen Vermieter schwulen oder lesbischen Pärchen aufgrund deren sexueller Orientierung die Anmietung einer Wohnung verweigern.

 

Im Forderungskatalog der Community stehen weiters das Verbot von Konversionstherapien und das Ende medizinisch unnötiger Operationen an intergeschlechtlichen Kindern. Laut Justizministern Zadic gebe es dazu bereits Entwürfe, diese werden aber vom Koalitionspartner ÖVP abgelehnt. Themengebiete, die auch bei der Pride-Abschlusskundgebung im Pride Village auf dem Rathausplatz von den Aktivisten der Hosi Wien und den politischen Vertretern der gesellschaftlich links-progressiven Fraktionen (SPÖ, Grüne, Neos) aufs Tapet gebracht wurden. 

 

Party in der Pride Village

 

Die Party durfte allerdings nicht zu kurz kommen. Auf der Showbühne begeisterten u.a. Songcontest-Siegerin Conchita Wurst, die personell veränderte schwedische Hit-Combo Alcazar mit der Original-Sängerin Tess und ihrem Superhit „Crying at the discotheque“, die deutsche Eurodance-Band Groove Coverage und Österreichs ESC-Raverin Kaleen. Wie man mit dem von Rechtsextremen unterwanderten Italo-Hit „L´Amour Toujours“ richtig umgeht, zeigten die DJ´s Katie Kace & NicA: Nicht boykottieren, sondern inszenieren als eine gemeinsame Hymne der Liebe und der Lebensfreude.

 

You gotta say yes to another exzess: Für viele Teilnehmer war der Abschluss der Vienna Pride ein ideales Ventil, um die Sorgen der Welt zu vergessen, ihre Sexualität auszuleben und im Rausch der Nacht abzustürzen. Viele After-Parties lockten die Party People in die Wiener Clubs, egal ob Volksgarten, Pratersauna oder Grelle Forelle. 

 

„Ging man gestern durch Wien, konnte man denken, wenn alle Leute wählen gehen, die da bei der Pride Parade schunkeln, sieht die Welt anders aus. Offensichtlich haben sie heute ausgeschlafen“, so der Falter-Herausgeber Armin Thurnher als erste Reaktion auf die EU-Wahl-Ergebnisse vom Sonntag. Tja, „I can´t get no sleep“ (Insomnia) von Faithless beim nächsten Mal als Weck-Jingle speichern…

mehr lesen

5 Jahre Landesgalerie: „Die Tänzerin von Krems“ feiert Geburtstag!

„Die Tänzerin von Krems“ wird der monumentale Kubus des Architekten-Brüderpaares Bernhard und Stefan Marte gerne genannt, in dem die Landesgalerie Niederösterreich seit 2019 untergebracht ist. Als Vorbild diente übrigens die „figura serpentinata“, ein Gestaltungsmotiv aus der Spätrenaissance, das spiralförmig dargestellte Figuren von jedem Standpunkt aus unterschiedlich erscheinen lässt. 21,5 Meter hoch ist der aus Stahlbeton bestehende Kubus, der mit 7200 Schindeln aus einer Zink-Titan-Legierung bedeckt ist. Die Grundrissfläche im Erdgeschoß beträgt 33 x 33 Meter, jene im Obergeschoß 30 x 30 Meter. 

 

Trotz seiner extravaganten Konstruktion und seiner Lage unmittelbar vor dem mittelalterlichen Städtchen Stein hielten sich die Proteste der Bevölkerung und der Welterbeschützer in Grenzen. Der Spatenstich erfolgte am 5. Juni 2016, im Dezember 2018 wurde das Museum fertiggestellt, kurze Unterbrechungen ergaben sich durch historische Funde bei den Aushubarbeiten (wie einer Tonvase, einem Holzpaddel und Holzpfeilen einer Uferbefestigung). 

 

Am 25. Mai 2019 wurde die Landesgalerie Niederösterreich als Bestandteil der Kunstmeile Krems eröffnet. In dem fünfgeschossigen Museum (mit 3000 m2 Ausstellungsfläche und einer Aussichtsplattform auf die Donau und das Stift Göttweig) wurden seitdem zahlreiche spannende Ausstellungen präsentiert. Gruppenausstellungen wie „Auf zu Neuem – 3 Jahrzehnte von Schiele bis Schlegel“, „Rendezvous mit der Sammlung – Kunst von 1960 bis heute“ oder „Kunstschätze vom Barock bis zur Gegenwart“ basieren auf den umfangreichen Landessammlungen Niederösterreichs, die rund 100.000 Kunstwerke enthalten. Während der Corona-Zeit lockten insbesondere die Ausstellung „Spuren und Masken der Flucht“ und die Sammlung Ernst Ploil mit Werken von Schiele, Rainer und Kokoschka zahlreiche Besucher nach Krems.

 

Ein besonderes Augenmerk wird gelegt auf weibliche Künstlerinnen, die zumeist erst im späteren Alter ihre künstlerische Anerkennung erhielten wie Renate Bertlmann, Lieselott Beschorner oder Isolde Maria Joham. Letztere starb im Alter von 90 Jahren, am letzten Tag ihrer Ausstellung „Eine Visionärin neu entdeckt“. Im Erdgeschoß sorgen zumeist aufwendige Installationen für künstlerische Diversität. Hervorstechend dabei „Across der River“ der seit der Biennale 2015 weltweit bekannten Künstlerin Chiharu Shiota, die rund 700 km Wolle mit realen Booten und Landkarten verwoben hat. 

 

Mit einem abwechslungsreichen Programm feierte die Landesgalerie am 25. Mai 2024 ihren 5. Geburtstag. Als besonderes Highlight seilten sich die Akrobaten Cataracts & Silk Fluegge mit Saxophon Live Sound und Techno Beats von der Nordfassade des Kubus ab. Dazu zahlreiche Kinder- und Kreativstationen, Open Piano, Silent Disco, Backstage-Führungen oder einfach die Gelegenheit, bei freiem Eintritt die aktuellen Ausstellungen der Landesgalerie zu besuchen.

 

Im 1. Stock präsentiert die Landesgalerie bis 19. 4. 2026 Landschafts- und Alltagsbilder aus mehr als fünf Jahrzehnten, unterteilt in sechs niederösterreichische Orte und Regionen. Krems selbst ist u.a. mit Bildern Franz Stöbers vom Kloster Und und der Donaulände vertreten, imposant das acht Meter lange Gemälde „Panorama des Donautals mit der Ruine Dürnstein“ von Anton Hlavecek aus dem Jahre 1906. Der 2. Stock ist der österreichischen Fotografin Elfriede Mejchar (1924-2020) gewidmet, die dieses Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte. Ihre Werke reichen von sachlichen Architekturaufnahmen bis hin zu experimentellen Kunstwerken (wie ihrer progressiven Serie „Nobody is perfect“). Im Obergeschoß faszinieren die auf Algorithmen basierenden Bild- und Klanglandschaften des Klosterneuburger Künstlers Monocolor. 

 

Live zu Gast war die irische Künstlerin Claire Morgan, die mit ihrer begehbaren Installation „Hold me tighly lest I fall“ im Erdgeschoß alle Generationen begeisterte. Morgan verwendete für ihre erste Ausstellung in Österreich bunte Plastikschnipsel, Distelsamen und transparente Nylonfäden. Innerhalb dieses Konstrukts platzierte sie zehn Vögel und eine menschliche Skulptur. Ein subtiles Statement der Künstlerin gegen die Umweltzerstörung und für eine nachhaltigere Beziehung zur Natur. Ein zeitgemäßeres Sujet kann sich die Landesgalerie bei ihrer Jubiläumsfeier nicht wünschen.

mehr lesen

"Wiener Schickeria"-Open Air: Bibiza in der ausverkauften Wiener Arena

Als 15jähriger hat der 1999 in Wien geborene Franz Bibiza von einem Auftritt in der Wiener Arena geträumt, nur wenige Jahre später geht sein Traum in Erfüllung, und das noch dazu vor einer ausverkauften Menge und mit einem Album, das, überspitzt, exaltiert und dekadent so wie einst Falcos 80er-Alben – den Zeitgeist Wiens widerspiegelt. „Wiener Schickeria“, das ist die Trademark seines 20-Track-reichen Konzeptalbums, eine rasante Fahrt im Überschalltempo auf dem Opernring, durch die Clubs, in den Stadtpark zum Ausnüchtern bis hin zum melancholischen Breakdown im „Regen“.

 

Die erste Tour Bibizas führte durch Deutschland, die Schweiz und natürlich Österreich, als krönender Abschluss das Open-Air in der Wiener Arena. Sold Out, im Vorprogramm die Münchner Band Mola mit ihrer charismatischen Sängerin Isabella Streifeneder, die mit Indie-Songs wie „Weil mein Herz ein Lügner ist“ und „Das Leben ist schön“ für die lässige Einstimmung auf Bibiza sorgt. Mola zählen zum erweiterten musikalischen Kollektiv des Wiener Sängers, 2022 veröffentlichte er mit der Band den Track „viertelnachvier“. Ehrensache, dass Sängerin Isabella bei seiner Show die Bühne stürmte und gemeinsam mit ihm den Song präsentierte.

 

Der in Wien-Mariahilf stationierte Bibiza startete 2017 eigentlich als Rapper und trat mit DJ´s in verschiedenen Clubs auf. 2022 lernte er die Produzenten Filous & Johannes Madl kennen, die Idee für die „Wiener Schickeria“ war geboren. Die DJ´s wurden durch eine leidenschaftliche Band ersetzt, Special Friend Enzo Gaier an der Gitarre, Bassist Markus Windisch, Keyboarder Xaver Nahler und Drummer Moritz Meixner. Die schrägen, tabulosen Texte über die Wiener Szene, unterlegt durch eine Mixtur aus Synthi-Pop, Rap, Electro, Funk und 80er-Beats a la Falco, Bilderbuch oder Minisex eroberten durch das Internet die immer stärker anschwellende Fangemeinde. Im Mai 2023 wurde das in der Hietzinger Villa Lala aufgenommene Debüt-Album veröffentlicht und stürmte in die Top Ten, nur ein knappes Jahr später erhielt Bibiza zwei Amadeus Awards in den Kategorien „Best Sound“ und „Songwriter des Jahres“ für „Eine Ode an Wien“.

 

„Wien, Wien, Wien, bitte bleib so wie du bist. Ich weiß niemand hier versteht dich so wie du dich grade gibst. Doch ich liebe Dich und hasse Dich zugleich. Ich weiß Du bist zu gut für uns. Doch glaub mir Wien ich bleib (bei Dir)“, das sind Textzeilen, die vor allem von der begeistert hüpfenden Crowd in den vordersten Reihen lautstark mitgesungen werden. Absolute Textsicherheit auch beim FM4-Nr. 1-Hit 2023, „Wo sie in ihrem Leben stünde, wär sie nicht auf der Akademie der bildenden Künste“, dem „Stadtpark Insomnia“ („Ich wollt eigentlich nachts nachhaus, aber wach im Stadtpark auf. Irgendwas hat mich abgepasst. Vom nachhause gehen abgebracht“), dem Opernring-Blues und dem von Falcos „Siebzehn Jahr“ inspirierten „Schick mit Scheck“. 

 

Apropos Falco: Die Drogensongs dürften natürlich auch bei Bibiza nicht fehlen, und das auf einer blau visualisierten Bühne. „Rauschgift, bis mein Blick wieder blau ist. Ich spür nix, aber hab ein gutes Outfit. Ich bin dicht und tanz, solang es laut is. Ich seh das Licht, wenn die Sonne wieder raussticht“, eine heimliche Hymne der schicken Party People in den Wiener Clubs und Techno-Schuppen? Auf jeden Fall einer der großen Hits Bibizas, dessen „lines“ man allerdings nicht wortwörtlich nehmen muss. Auf die Bühne holt der Zeremonienmeister neben Mola-Sängerin Isabella den von der Tour bekannten Taxler Andi – Peter Schillings „Major Tom“ ist angesagt – und Rapper Skero, Voigas „Kabinenparty“ passt haargenau ins Konzept der wilden Show. Leisere Töne (wie bei „Regen“, „Höhenstraße“ oder der Akustik-Version des „Opernring Blues“) dürfen auf der Setlist nicht fehlen, begleitet von Handy-Lichtern und leuchtenden Feuerzeugen im Dunkel der Nacht. 

 

Wie es musikalisch und themenmäßig – eine neue Tour 2025 ist bereits angekündigt - mit der Karriere von Bibiza weitergeht, ist noch offen. Einige neue Songs waren bereits im letzten Tourprogramm wie zum Beispiel das viel umjubelte „Tanzen“. Dort heißt es: „Sie will einfach tanzen, also lass sie tanzen. Der Club ist voller Geier und notgeiler Schimpansen“. Diese Message ist auf jeden Fall ernst zu nehmen…

mehr lesen

„Dog Days bite back“: Ausstellung von Umweltaktivist Oliver Ressler im Belvedere 21

„Dog Days bite back“: So lautet der scharfzüngige Titel der Ausstellung des Künstlers und Umweltaktivisten Oliver Ressler im Belvedere 21. Der Foto-Teaser zeigt einen aggressiven, zähnefletschenden Hund vor einer brennenden Landschaft. Eine Metapher, die sogar durch ein Zitat gestützt ist. „The Dog days of summer are not just barking, they are biting“, so der UNO-Generalsekretär Antonio Guterres im Vorjahr anlässlich des heißesten Sommers der Messgeschichte.

 

Die Foto-Montage ist eine von 18 Fotografien auf einer Wand, die mit kurzen Botschaften und intensiver Bildtechnik den Ernst der Lage widerspiegeln. „Arctic permafrost ist less permanent than its name suggests“, „More than half of the world´s original forests have already disappeared“, „Every round trip on flights from New York to London costs the Arctic three more square meters of ice“ oder „The last time there was as much carbon dioxide in the atmosphere as there is today humans didn´t exist“ sind bei weltweiten Umwelt-Demos oder als Memes in den sozialen Netzwerken state of Art. Die Anti-Lobautunnel-Motive waren unter der Trademark „Die Wüste lebt“ bereits Gegenstand einer Ausstellung im Museumsquartier. 

 

Der 1970 in Knittelfeld geborene und in Wien lebende Ressler, der neben zahlreichen Einzelausstellungen an über 400 Gruppenausstellungen (u.a. an der Documenta 14 in Kassel, im Reina Sofia Madrid oder im Centre Pompidou Paris) teilnahm, verwendet als künstlerische Ausdrucksformen nicht nur Fotos und Collagen, sondern auch Installationen und die Filmtechnik. Einige seiner bis dato 42 Filme sind auch im Belvedere 21 zu sehen. 

 

„Anubumin“ (= „Nacht“ auf Nauruisch) aus dem Jahre 2017 zeigt – in Zusammenarbeit mit der australischen Filmemacherin Zanny Begg – die Geschichte der pazifischen Insel Nauru, die nach einem Raubbau an den Bodenschätzen zuerst zur Steueroase und dann zum australischen Auffanglager für Flüchtlinge mutierte. 4 Whistleblower, getarnt als Ärzte und Pflegerinnen, berichten in dem Film über die katastrophalen Zustände auf der Insel. Die Vierkanal-Videoinstallation „Occupy, Resist, Produce“ (2014-2018) wiederum wirft einen Blick auf engagierte Arbeitskämpfe in besetzten Fabriken Mailand, Roms, Thessalonikis und Gemenos während der Wirtschaftskrise 2007. 

 

„Climate Feedback Loops“, zuletzt auch beim Donaufestival 2023 in der Kunsthalle Krems zu sehen, zeigt die immer stärker werdende Eisschmelze in der Arktis rund um die Insel Svalbard zwischen der Nordküste Norwegens und dem Nordpol, die zu einem Auftauen der Permafrostböden und zum Entweichen des Treibhausgases Methan in die Atmosphäre führt. Klimarückkopplungseffekte, die nur durch Dekarbonisierung und eine radikale Änderung der Klimapolitik verhindert werden können.

 

Im Video „Carbon and Captivity“ thematisiert Ressler die umstrittene neue Technologie „Carbon Capture and Storage“ (CSS), bei der CO2 im Boden oder im Meeresgrund dauerhaft gelagert werden soll. Eine kostenintensive Methode, die mit Gefahren (beispielsweise durch Erdbeben) verbunden ist und von Ölkonzernen gefördert wird. Mitten im Ausstellungsraum hängt dazu kongenial die „Oil Spill Flag“, die Nationalflagge Norwegens, versehen mit einem schwarzen Ölfleck. Sie zeigt symbolhaft die Ambivalenz der aktuellen Tendenzen der Bekämpfung der Klimakrise: Norwegen gilt zwar als Protagonist der Dekarbonisierung der Wirtschaft, finanziert diese aber laut Ressler durch Erdölförderung.

 

In der Fotoarbeit „The Economy is wounded, let it die“, benannt nach einem Spruch aus den Pariser Studentendemonstrationen, zeigt Ressler zwei überladene Containerschiffe in Seenot. Eine scharfe Kritik Resslers an den Schiffs-Transportexzessen aus dem globalen Süden, die durch die Schwerölverbrennung ökologische Katastrophen auslösen.

 

Die Klimaaktivisten werden in Resslers Ausstellung repräsentiert durch die „New Model Army“, vier verkleideten Schaufensterpuppen mit zündenden Slogans. „Coal Kills“ zeigt in Form eines wandfüllenden Digitaldrucks eine Blockade des zweitgrößten Kohlehafen Europas, Amsterdam, durch die Gruppierung Code Rood. Direkt daneben platziert ist ein bei Demonstrationen oft eingesetzter Tripod, versehen mit Bohrköpfen aus der Erdölindustrie.

 

Oliver Ressler zeigt in seiner Exhibition einen Überblick über seine bisherigen Werke, chronologisch beginnend mit seinem Gemälde „Green House“ aus dem Jahre 1994. Die ökologische Zukunft schimmert allerdings in all seinen Nuancen herein, ob jetzt bei den Fotografien (mit seinen düsteren Fakten und Prophezeiungen) oder bei seiner Werkserie „Reclaming Abundance“, bei der der Aktivist Infrastrukturanlagen (wie den Flughafen Graz, die Skiflugschanze Kulm oder das Gas- und Dampfkraftwerk Mellach) visuell ins CO2-neutrale Zeitalter in das Jahr 2050 versetzt. Dass es bereits fünf Minuten nach 12 ist, wird nach dem Besuch dieser Ausstellung kaum jemand verneinen. Zusätzliche Infos bieten die Website und der YouTube-Kanal von Oliver Ressler. Check it out…

mehr lesen

Lässige Hamburger Grandezza: Die Sterne live im WUK

Vor mehr als 30 Jahren gründete Sänger und Gitarrist Frank Spilker in Hamburg eine Band mit wechselnder Besetzung. Unter dem Namen „Die Sterne“, „damit das kein anderer mehr tun kann.“ Die Hansestadt zog Anfang der 90er kreative Musiker aller Art an, die (von den Szene-Protagonisten eigentlich abgelehnte) Trademark „Hamburger Schule“ war geboren“. Die Sterne veröffentlichten seitdem 12 Studio-Alben, zahlreiche Singles, EP´s und Kompilationen und beehrten mit ihren legendären Tour-Shows nicht nur den deutschsprachigen Raum, sondern als „Botschafter deutscher Popkultur“ auch Nordamerika. Der Sound: Eine Mixtur aus Indie-Pop, Funk, Soul und (später) Elektro, die Texte hipster-zeitgeistig, hintergründig und inspirierend.

 

2024 veröffentlichten Die Sterne im März ein Greatest Hits-Album, „Grandezza“, das die besten Singles der Hamburger Formation enthält und auch von ehemaligen Bandmitgliedern unterstützt wird. Auf Tour ist Frank Spilker seit 2020 mit einer neuen Besetzung, Keyboarderin und Sängerin Dyan Valdes, Bassist Philip Tielsch und Schlagzeuger Jan Philipp Janzen. Ein Auftritt in Wien, dieses Mal im neu sanierten WUK, darf natürlich nicht fehlen, der Publikumsandrang war naturgemäß groß. Die Setlist Nostalgiefaktor und Identifikationspotential für alle Generationen, von den Hits der Frühzeit (wie „Universal Tellerwäscher“, „Trrrmmer“ oder „Fickt das System“), Hamburger Kneipen-Hymnen wie „Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“, Extended Raritäten („Wichtig“) oder neueren Songs a la „Der Sommer in die Stadt wird fahren“ und „Hallo Euphoria“.

 

Die größte Live-Resonanz erhalten auch in Wien die Indie-Hits der Viva-Generation Mitte der 90er, als „Die Sterne“ sowohl auf den kommerziellen als auch alternativen Musik- und Video-Kanälen auf und ab liefen: „Von allen Gedanken schätze ich doch am meisten die Interessanten“ oder der Gassenhauer „Was hat dich bloß so ruiniert?“, 2016 Titelsong für die Wiener Bobo-Komödie „Was hat uns bloß so ruiniert“ von Marie Kreutzer?“, so frei nach dem Motto „Bist du nicht immer noch Gott-weiß-wie privilegiert? 

 

Als letzte Zugabe beim WUK-Gig: „Du musst gar nix“ (2020), ein Appell an die persönliche Freiheit und Unabhängigkeit und eine klare Abrechnung gegen die Anpassung an den (scheinbaren) Lifestyle und gegen die private und berufliche Überforderung. „Du musst dich nicht optimieren. Du musst nicht doppelt so viel machen wie die anderen“, „Du musst nicht verknallt sein und du musst nicht hassen“, „Du musst nicht raus gеhen, nur weil die Sonnе scheint. Du musst auch nicht zu Hause bleiben, nur weil es regnet. Du musst nicht anrufen. Du musst nicht chatten. Du musst gar nix“. Eines vielleicht doch, das nächste Sterne-Konzert in deiner Umgebung besuchen. Es lohnt sich…

mehr lesen

StVO-Novelle: Einfachere Einführung von Tempo 30 in Städten und Gemeinden!

2022 ereigneten sich rund 65 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Toten oder Verletzten im Ortsgebiet. 109 Personen verunglückten dabei tödlich, laut Verkehrsministerin Gewessler „werde im Schnitt alle 20 Minuten ein Mensch, der im Ortsgebiet unterwegs ist, im Verkehr verletzt“.  Als Hauptursachen gelten neben „Unachtsamkeit“ und „Vorrangverletzung“ die „nichtangepasste Geschwindigkeit“. Durch die kürzlich im Parlament beschlossene 35. StVO-Novelle existiert nun ab 1. Juli 2024 eine einfachere gesetzliche Grundlage für Städte und Gemeinden, durch Temporeduzierungen die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern.

 

Gemäß dem neuen § 43/4 a StVO kann „die Behörde in Ortsgebieten in Bereichen mit besonderem Schutzbedürfnis die erlaubte Höchstgeschwindigkeit (von generell 50 km/h) verringern, sofern die Maßnahme zur Erhöhung der Verkehrssicherheit insbesondere von Fußgängern oder Radfahrern geeignet ist.“ Als Bereiche werden – demonstrativ aufgezählt – Schulen, Kindergärten, Freizeiteinrichtungen, Krankenhäuser und Senioreneinrichtungen genannt. Ein „besonderes Schutzbedürfnis“ ist gemäß den Erläuterungen vor allem dann gegeben, wenn diese vorrangig von Kindern, Jugendlichen, alten Menschen oder Menschen mit Behinderungen frequentiert werden. Darunter fallen Spielplätze oder sportliche Einrichtungen für diese Personengruppen, nicht allerdings Vereinslokale für „nichtprivilegierte“ Erwachsene.

 

Liegen die oben genannten Voraussetzungen vor, dann kann die zuständige Behörde eine Temporeduzierung auf 30 km/h vornehmen. Bis dato waren dazu teure Gutachten notwendig, die die Geschwindigkeitsbeschränkungen legitimieren mussten. Zusätzlich hat die Gemeinde aufgrund der StVO-Novelle die Möglichkeit, selbst Radarkontrollen durchzuführen (sofern das Land eine Übertragungsverordnung erlässt). Bedarf nach erweiterten Verkehrskontrollen besteht auf jeden Fall. Laut einer Messung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit im Jahr 2022 fuhren 72 Prozent (!) der freifahrenden PKW in einer Tempo 30-Zone mehr als die erlaubten 30 km/h.

 

Der Verkehrsclub VCÖ (Mobilität mit Zukunft) betrachtet die Tempo 30-Einführung im Ortsgebiet als klare Verbesserung der Lebensqualität und der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Das Risiko tödlicher Verletzungen für Gehende sinke bei Kfz-Unfällen bis zu 75 Prozent. Die Temporeduktion hat auch zur Folge, dass der Radverkehr steigt (zuletzt nachgewiesen in Bilbao und Lille). Außerdem sinkt neben der Luftschadstoffbelastung auch die Lärmbelastung für die Einwohner: Der Dauerschallpegel soll sich um durchschnittlich drei Dezibel reduzieren, was das menschliche Ohr wie eine Halbierung der Verkehrsmenge wahrnimmt.

 

Warum angesichts dieser positiven Auswirkungen weiterhin gesetzliche Voraussetzungen für die Temporeduktion normiert sind, ist eigentlich nicht ganz nachvollziehbar. Der VCÖ fordert in seinem Maßnahmenkatalog dementsprechend, dass Städte und Gemeinden OHNE Einschränkungen und Hindernisse Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit umsetzen können und im Ortszentrum, in Wohngebieten und vor Schulen verpflichtend Tempo 30 eingeführt wird. Die von ÖVP, Grüne und Neos beschlossene StVO-Novelle ist insofern zwar ein Schritt in die richtige Richtung, geht allerdings noch nicht weit genug…

Donaufestival 2024: „Community of Aliens“ auf Landeanflug in Krems!

Traditionell treffen an den letzten zwei Aprilwochenenden zwei Parallelwelten in der bevölkerungsmäßig gar nicht so kleinen 25.000 Einwohner-Stadt Krems aufeinander. Auf der einen Seite das heimische Brauchtum und die Fortgehriten der Kremser Einwohner im Sinne von Maibaumaufstellen, Trachtentänzchen in der Fußgängerzone, Blaskapellen oder biergeschwängerte Regionalligafußballabende im legendären Sepp Doll-Stadion, auf der anderen Seite die exzessiv-düsteren Paradiesvögel, Ikonen und Nachtschattengewächse des Kremser Donaufestivals in den ansonsten kaum genützten alten Österreichhallen.

 

„Community of Aliens“ lautet das diesjährige Motto des von Thomas Edlinger kuratierten tageweise ausverkauften Festivals, das Szene-Insider, Hipster und Alternative-Freaks aus ganz Europa mit Performances, Cyborg-Installationen, Anti-Apartheid-„Whiteface“-Art (Candice Breitz in der Kunsthalle Krems) und Konzerten nach Krems lockt. Edlinger stellt in seiner theoretischen Abhandlung den altruistischen Wunsch, „das Fremd-Sein im eigenen Land, im eigenen Kopf, im eigenen Körper mit dem Fremd-Sein der anderen in Verbindung zu treten zu lassen“. Ob dieser real in Erfüllung getreten ist, bleibt abzuwarten. Der Anteil „Kremser Aliens“ an der Donaufestival-Community dürfte wie üblich überschaubar gewesen sein.

 

Das musikalische Spektrum wurde beim diesjährigen Donaufestival wieder breit abgesteckt. In der Minoritenkirche begeisterte die in Berlin lebende italienisch-niederländische Experimental Sound-Produzentin Aimee Portioli (aka Grand River) mit einem akustischen Ambient-Mix aus Klavier, Orgel, Gitarre, Cello und Samples und faszinierenden Visuals. Kongenial definiert durch ihr künstlerisches Motto: „Erst war ich eine Person, und dann wurde ich zu einem Fluss“. Maria Chavez, Mariam Rezaei und Victoria Shen dagegen verlegten sich im Stadtsaal auf ihre Profession „Turntablism“ und erzeugten mit auf künstlichen Fingernägeln platzierten Nadeln knisternd-kreischende Vinyl-Geräusche. Düsteren, authentischen Hip Hop gegen Rassismus und gesellschaftliche Missstände lieferte das kalifornische Trio Clipping. Dessen Frontman Daveed Diggs gewann übrigens 2016 einen Grammy für seine Doppelrolle im Broadway-Musical „Hamilton“. 

 

Queeren Touch präsentiert die chilenische Formation Föllakzoid mit ihrer Front-Gitarristin Domingae, die immer wieder auf der Bühne mit einem Weingläschen herumtänzelt und mit den Besuchern flirtet. Der Sound: Ein Uplifting-Mix aus Trance, Psychedelic und Krautrock. „Als Künstlerin, Homosexuelle und Athestin war es für mich gefährlich, in Tunesien zu leben“, so die jetzt in Paris lebende Produzentin Deena Abdelwahed, die bereits zum zweiten Mal nach 2021 das Kremser Donaufestival mit ihrem Arabic Ethno House und orientalischen Visuals beehrt. 2023 hat sie ihr neues Album „Jbal Rrsas“ veröffentlicht, sie vermischt dabei die rhythmischen und melodischen Muster der arabischen Musik mit den westlichen Samples und Werkzeugen. Rap, Electro und Afro House: Das sind die zentralen Genres der nigeranischen Rapperin Aunty Rayzor, die weit nach Mitternacht mit ihren scharfen Rhymes und treibenden Beats die Festival-Fans Richtung Dancefloor hypnotisiert. 

 

Die kommerziellen Headliner der diesjährigen Ausgabe des Donaufestivals waren zweifelsohne die schottischen Alternative Rocker „The Jesus and Mary Chain“, die mit ihrem Debüt-Album „Psychocandy“ (1985) und Songs wie „My Candy Talking“, „April Skies“ und dem in „Lost Translation“ glorifizierten „Just like Honey“ nicht nur die UK-Top 40 stürmten, sondern auch einen gewissen Kult-Status in der darken Szene genossen. Kein Wunder, dass der Tag 1 des Donaufestivals bereits Wochen vor dem Auftritt die Etikette „sold out“ trug.  

 

Die Brüder Jim und William Reid waren nicht nur für ihre wilden Live-Konzerte bekannt, sondern auch für ihre ausschweifenden Drogen- und Alkoholexzesse. Ein Streit auf der Bühne im September 1998 beendete für fast zehn Jahre die Zusammenarbeit, bis 2007 eine Reunion der Band bei diversen Festivals stattfand. 2024 veröffentlichten sie ihr achtes Album „Glasgow Eyes“, das sie im Rahmen einer Europa-Tour auch beim Kremser Donaufestival vorstellten. 

 

Mit dabei Synthi-Tracks wie der Opener „Jamrod“ (aka Jesus and & Mary Chain Overdose), das Chemical Brothers-inspirierte „Venal Joy“ und das heute nur mehr als softe Provokation wirkende „Chemicals“ mit der Text-Line „I fill myself with chemicals to hide the dark shit I don´t show“. Eighties- und Nineties-Nostalgiker durften sich auf einen Streifzug durch die Hits ihrer Blütezeit freuen. Stark der Final Song „Reverence“ mit einem langen Rave-Intro und den damals skandalträchtigen Lyrics „I wanna die just like Jesus Christ“. Aus dem Jahre 1992, als das Kremser Donaufestival in seiner jetzigen Form noch in weiter Ferne lag…

mehr lesen

Anzahl der jungen Drogentoten steigt: Experten fordern Ausbau der ambulanten Angebote!

Der aktuelle österreichische Drogenbericht verheißt nichts Gutes. Auch wenn die meisten Indikatoren in Richtung stabile Lage weisen, steigt die Anzahl der drogenbezogenen Todesfälle weiter. Während im Jahr 2018 154 Menschen an einer tödlichen Überdosis starben, wurden im Rahmen einer stetig nach oben zeigenden Kurve 2022 bereits 248 Drogentote verzeichnet. Brisant: Auch der Anteil der jüngeren Verstorbenen (unter 25) ist im Steigen begriffen: Von 18 % im Jahr 2018 auf aktuell 27 %.

 

Diese traurigen Tendenzen vor allem im Zusammenhang mit minderjährigen Drogentoten ziehen die Forderungen von Eltern und politischen Parteien nach sich, die aktuelle Gesetzeslage zu verschärfen. Eltern haben derzeit keine rechtliche Möglichkeit, den drogensüchtigen Sohn oder die substanzenabhängige Tochter ohne deren Zustimmung in eine Drogentherapie zu stecken. Klare Grenzen werden durch das Verfassungsrecht vorgegeben. Laut dem „Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit“ ist ein Freiheitsentzug allein aufgrund einer Suchterkrankung nicht zulässig. Dementsprechend enthält das 1991 beschlossene (einfache) Unterbringungsgesetz keinerlei derartige Maßnahmen. Eine Zwangsanhaltung Drogensüchtiger (egal welchen Alters) in einer psychiatrischen Anstalt ist nur dann möglich, wenn entweder eine Eigengefährdung (wie bei Suizidgefahr) oder eine Fremdgefährdung vorliegt und eine andere ärztliche Behandlung (außerhalb einer psychiatrischen Abteilung) nicht gewährleistet werden kann.

 

„Zwang und Rechtsbeschränkung sind nicht der geeignete Weg, um einem Süchtigen zu helfen. Erfahrungsgemäß sind Betreuung und Behandlung nur dann erfolgversprechend, wenn der Süchtige FREIWILLIG an der Therapie und der Rehabilation mitwirkt“, so stand es bereits in den Erläuterungen zum Sachwalterrecht im Jahr 1981. „Soweit der Minderjährige entscheidungsfähig ist, darf er nur mit seiner Einwilligung behandelt werden“, so heißt es im Unterbringungsgesetz. Diese Entscheidungsfähigkeit wird im Zweifel bereits bei mündigen Minderjährigen, also bei ab 14jährigen, vermutet. 

 

Drogensüchtige Kinder können also nicht gegen ihren Willen zu einer Entzugstherapie gezwungen werden. Eine juristische Ausgangslage, die viele verzweifelte Eltern frustriert, allerdings mit der Wissenschaft im Einklang steht. Laut Experten sei zwar eine körperliche Entgiftung gegen den Willen der Betroffenen möglich, der Erfolg der restlichen Therapie ist aber von der Motivation und der Freiwilligkeit des Süchtigen abhängig. Ein erneuter Drogenkonsum nach der körperlichen Entgiftung berge zusätzlich die erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Überdosierung, da der Körper diese Mengen dann nicht gewöhnt ist.

 

Der Neurologe Stefan Rudasch empfiehlt Eltern bei Therapieverweigerung, Rat bei Fachärzten und Psychiatern einzuholen und eine Selbsthilfegruppe für Angehörige psychisch Erkrankter zu besuchen. Außerdem sollten die Eltern sich über die verschiedenen Drogenarten informieren und mit dem Kind trotz aller Konflikte ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Dann sind die Chancen höher, dass das Kind einer Therapiebehandlung zustimmt. Eine Therapie selbst ist allerdings noch keine Garantie, dass der Entzug erfolgreich ist. Langzeitprogramme in den USA und Deutschland haben gezeigt, dass gerade einmal 20 bis 40 Prozent der Abhängigen clean bleiben.

 

Armut, Arbeitslosigkeit, psychische Erkrankungen aufgrung der unsicheren Weltlage, Isolation, Zukunftsängste,… - Es besteht begründete Gefahr, dass in den nächsten Jahren vermehrt junge Menschen in die Drogenfalle kippen. Der Verein VertretungsNetz, der sich für den Schutz von Grundrechten für Menschen mit psychischer Erkrankung einsetzt, fordert in seinem Maßnahmenkatalog einen Ausbau von ambulanten Angeboten, mobiles Hometreatment, mehr Kassentherapieplätze und Tageskliniken bzw. stationäre Therapieangebote in Spezialkliniken. Desto früher der persönliche Kontakt zu einem Suchtkranken hergestellt werden kann, desto höher die Chancen, dem lebensgefährlichen Drogenabsturz zu entgehen.

Roy Lichtenstein: Retrospektive zum 100. Geburtstag in der Wiener Albertina

Im New Yorker Auktionshaus Christie´s erreichen seine Werke zwei- bis dreistellige Millionenbeträge: Roy Lichtenstein, 1923 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in New York geboren und seines Zeichens Gründungsvater der Pop Art. 

 

Die Wiener Albertina widmet dem 1997 verstorbenen Künstler eine Retrospektive zum 100. Geburtstag. Von 8. März bis 14. Juli 2024 sind in der Basteihalle rund 90 Werke Lichtensteins zu sehen, die seine gesamte Karriere ab seinem Durchbruch in den 60ern abdecken. Bei der Eröffnung war auch seine Frau Dorothy, Präsidentin der Roy Lichtenstein Foundation, anwesend, die 2023 der Albertina 95 Objekte (im besonderen Pinselstrich-Skulpturen, Skulpturenmodelle, Vorzeichnungen, Teppiche und Keramiken) als Schenkung übergab.

 

„Pop Art basiert auf jener kommerziellen Illustration, von der wir verdorben wurden“, so Lichtenstein. Und das sind laut seiner Diktion die Werbegrafik und die Comics (damals in den Sixties im Gegensatz zu heute „Fließband-Schund“). Mit einer Comic-Adaption schaffte der gelernte Lehrer mit knapp 37 den Sprung in den künstlerischen Zenit. „Look Mickey“, als Vorlage ein Kaugummibild (!) und gemalt auf Inspiration seines Sohnes, erzürnte Puristen, Plagiatsjäger und manche Medien („Is he the Worst Artist in the U.S.?“, Life 1964), die Besucher seiner ersten Einzelausstellung in der New Yorker „Leo Castelli Gallery“ waren aber begeistert. 

 

Lichtenstein verwendete in dieser künstlerischen Phase gerne Vorlagen und Texte aus kitschigen Liebes-Comics: Frauen, die sich weinend nach einem Mann verzehren, Mädchen in der Badewanne, küssende Liebespärchen (im berühmten Sujet „We rose up slowly“). Umgesetzt werden diese im Stile der mechanischen Drucktechnik, mit grellen Farben, scharfen Abgrenzungen und den sogeannnten „Ben-Day-Dots“. Diese gelten als Markenzeichen Lichtensteins, die er zuerst mit Lochschablonen und später mit perforierten Metallplatten (inkl. der Unterstützung von Assistenten) auf die Leinwände bannte. Im Gegensatz zu Andy Warhol (in dessen legendärer Factory sich Künstler, Superstars und Freaks die Klinke in die Hand gaben) arbeitete Lichtenstein in einem schlichten Atelier an mehreren Leinwänden gleichzeitig.

 

„Was kann man schon malen, das nicht von vornherein lächerlich ist?“ Der Fantasie Lichtensteins waren insofern keine Grenzen gesetzt: Zu den Comics und Werbesujets gesellten sich bald Landschaften, Strände mit Sonnenuntergängen, Alltagsgegenstände (wie Spraydosen, Kristallschalen oder Gläser), Blumen, antike Säulen, Atomic Landscapes oder Waffen im Abzug („Fastest Gun“). Sein für das Stockholmer Moderna Museet angefertigte Motiv „Finger Pointing“ bezog sich auf ein Symbol einer US-Kampagne, die Männer zum Wehrdienst rekrutieren sollte. Bei Protestkundgebungen gegen den Krieg resultierte es zum Gegenteil. Die Kritik am herrschenden System der Politik, des Kapitalismus und des Konsumwahns liegt vielen Werken Lichtensteins subtil inne, der Künstler selbst sprach in einer Arte-Doku vom „wahrscheinlichen Hang der Gesellschaft zu gelenkten Massenentscheidungen, der dem Herstellungsprozess der Comics vergleichbar ist“. 

 

Lichtenstein gilt als Vorläufer der Appropriation Art, wenn er sie auch nicht so ernst nahm wie die späteren Vertreter dieser Kunstrichtung. Er adaptierte beispielsweise Werke von Picasso, Monet oder Dali. In den 70ern paraphrasierte er den surrealistischen Stil von Künstlern wie Magritte oder Miro. In der Albertina zu sehen in Form des großformatigen Kunstwerks „Studie zu Figuren in einer Landschaft“. Lichtenstein fertigte im Rahmen seiner Karriere auch zahlreiche Skulpturen an, die Motive reichen von Frauenköpfen, Spiegeln, Gläsern, Kaffeetassen bis hin zu Pinselstrichen. „Die Pinselstrichskulpturen sind der Versuch, etwas, das eine Augenblickserscheinung ist, eine feste Form zu geben, etwas Vergänglichem Substanz zu geben“, so das Pop Art-Mastermind.

 

Zum Spätwerk Lichtensteins in den 90ern zählten die Darstellung von Interieurs – eine Replik auf die standardisierte amerikanische Wohnkultur – und ein Revival der Frauenmotive der 60er. Herausragendes Beispiel: Die „Strandszene mit Seestern“ aus dem Jahre 1995, eine monumentale Verknüpfung eines Picasso-Werkes („Badende mit Ball“) mit einem Liebescomicroman der 60er Jahre.

 

Die Karriere des 1997 an einer Lungenentzündung verstorbenen Roy Lichtenstein wurde durch zahlreiche Höhepunkte gekrönt: Ausstellungen in den renommiertesten Museen der Welt (von Guggenheim Museum, Museum of Modern Art New York bis zu Stedelijk Museum Amsterdam, Museum Ludwig Köln und Tate Modern London), Biennale Venedig 1966, Aufnahme in die American Academy of Arts and Sciences (1979) und Kyoto Preis (1995). Und welch ein Künstler sonst wurde mit dem herausstechenden Privileg ausgestattet, dass selbst kunstferne Personen dessen Trademark sofort in seinen Werken erkennen? Egal, ob in Galerien, Museen, Büros, Privatwohnungen oder im öffentlichen Raum („Barcelona Head“).

mehr lesen

„Die sieben Sünden des Ausländers“: Toxische Pommes im ausverkauften Wiener Stadtsaal

„Ich fühle mich im Internet extrem sicher und wohl. Dort kann ich alle blockieren, die mich nicht lustig finden oder meine Meinung nicht teilen“. Mit solchen Sagern startet Toxische Pommes ihre 60minütige Bühnen-Show „Ketchup, Mayo und Ajvar“ (Anm.: eine Spezialität der Balkanküche) im ausverkauften Wiener Stadtsaal. Der Großteil des Publikums ist weiblich und ausgesprochen jung. Kein Wunder, man kennt Irina (den Nachnamen verrät sie nicht) aka Toxische Pommes aus den unendlichen Weiten des Internets, aus Instagram und Tik Tok. Alleine auf Instagram, wo sie seit 2020 15 Sekunden lange Satirevideos präsentiert, hat sie aktuell mehr als 188.000 Follower. 

 

Woher ihr Pseudonym basiert? Auf der Auflösung einer toxischen Beziehung und ihrer Vorliebe für Pommes Frites. Ihre Wurzeln stammen aus Ex-Jugoslawien, während des Balkankrieges ist sie als Zweijährige mit ihren Eltern nach Österreich geflüchtet. Die migrantische Lebensgeschichte der hauptberuflichen Juristin ist gleichzeitig Grundlage für ihr Programm, untergliedert in die „Sieben Sünden des Ausländers“.

 

Vorgetragen werden diese formal schlicht, sitzend vor einem Tisch mit Mikro und schriftlichen Unterlagen wie bei einer Lesung und ohne Videoeinspielungen. Die auch keineswegs fehlen, der frech-realitätsbezogene Wortwitz der Jung-Kabarettistin lässt keine Wünsche offen. Toxische Pommes philosophiert über ihre Kindheit in Wiener Neustadt, in Niederösterreich, „das von einem Mann diktiert wurde, der länger an der Macht war als Vladimir Putin“, über menschenleere Straßen, zurückgezogene Menschen und blaue Hüpfbürgen der FPÖ. Eine Zeit, die von Unwissenheit und Naivität geprägt war, die bald überging in Scham und Neid auf „alles, was ich nicht war“, auf die Sprache, den Nachnamen mit –er, das Schulessen oder die Einfamilienhäuser diverser Klassenkameradinnen. 

 

Aussagen wie „Du siehst nicht aus wie ein Ausländer“ oder „Du bist ein schönes Ausländerkind“ (so übrigens der Titel ihres ersten gerade erschienenen Buches“)  treffen da ins Mark der jungen Migrantin. Dass es vermeintlich verschiedene Kategorien von Ausländern gebe, das habe bereits Jörg Haider thematisiert. Die FPÖ unter Strache habe hier neue Dimensionen eruiert, sie „liebt Ausländer, die gegen Ausländer hetzen“. Vor allem bei den Serben wollte Strache immer andocken, Toxische Pommes selbst wurde in Kroatien geboren, es bestehen allerdings familiäre Verbindungen auch nach Montenegro und Serbien. Eine nationale Identität zu finden wäre hier sogar im Herkunftsland schwierig, die Satirikerin bezeichnet sich daher gerne als „Ex-Jugo“. 

 

Interessant sind ihre (absichtlich klischeehaften) Beobachtungen zu den Unterschieden zwischen Österreichern und den Balkanvölkern. Die österreichischen Familien seien viel leiser (außer beim Urlaub in Kroatien) und sagen nicht, was sie wirklich denken. „Kein Nein, sondern Danke oder Vielleicht später“, was wiederum die Migranten in Erklärungsnotstand bringt. Ungeschoren bleibt aber auch nicht das Heimatvolk, u.a. an der Art der Beschimpfungen. „Am Balkan fickt man alles, tot oder lebendig“.

 

Revue passieren lässt Toxische Pommes auch ihre Studienzeit am Wiener Juridicum. „Jus studieren alle Leidenschaftslosen, die sich ihre Zukunft nicht verbauen wollen“, so die fertige Juristin, die im gleichen Atemzug ein soziologisches Exzerpt über die Studententypen auf ihrer Universität enthüllt, über Burschenschaften, Neureiche mit Seitenscheitel, einer „Aussprache wie Raf Camora“ und „roten Socken“ (um ihre rebellischen Seiten zu zeigen), Ex-Adelige und Jus-Bobos mit Second Hand-Look und Schuhe aus veganem Leder.

 

Zahlreicher Szenen-Applaus im ausverkauften Wiener Stadtsaal während der 60minütigen Show, gleichzeitig Platz 1 in den Buch-Charts. Toxische Pommes gilt als neue kulturelle Zukunfts-Hoffnung in Österreich. Mit dem Privileg, dass sie sich sogar das Genre selbst aussuchen kann…

mehr lesen

Kampf gegen Angstschnitte: Neue Baumhaftung ab 1. Mai 2024!

Der Umweltschutz als Grund für eine Novellierung des Schadenersatzrechts im ABGB, das kommt nicht jeden Tag vor. Der Nationalrat hat in seiner März-Session einstimmig (!) eine Änderung des Haftungsrechts bei Bäumen beschlossen. Herangezogen wurde bei Schäden durch das Umstürzen eines Baumes bis dato die Bauwerkehaftung des § 1319 ABGB, die mit einer Beweislastumkehr des Halters verbunden war. Dies hatte zur Folge, dass viele Baumeigentümer Angst vor einem Schadenseintritt hatten und daher bereits bei geringsten Risiken Bäume im öffentlichen Raum fällten bzw. zerschnitten. Am 1. Mai 2024 tritt nun der § 1319 b ABGB in Kraft, der diese analoge Anwendung beseitigt und Haftungserleichterungen nach sich zieht.

 

Der neue Paragraph wird dann angewendet, wenn „durch das Umstürzen eines Baumes oder durch das Herabfallen von Ästen ein Mensch getötet oder an seinem Körper oder seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird“. Andere Schadensfälle (wie z.B. der Sturz eines Arbeiters vom Baum oder der Anprall eines stürzenden Schifahrers gegen einen Baum) werden unter diese Bestimmung nicht subsumiert. 

 

Der Halter des Baumes (also der Eigentümer oder der Pächter des Grundstücks) haftet in den genannten Fällen für den Ersatz des Schadens, wenn er diesen durch Vernachlässigen der erforderlichen Sorgfalt bei der Prüfung und Sicherung des Baumes verursacht hat. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage gelten die allgemeinen Regelungen über die Beweislast, d.h. der Geschädigte muss nachweisen, dass der Baumhalter die erforderliche Sorgfalt vernachlässigt hat.

 

Die entsprechenden Sorgfaltspflichten des Baumhalters werden im Absatz 2 konkretisiert. So sind diese insbesondere vom Standort, der damit verbundenen Gefahr, der Größe, dem Wuchs und dem Zustand des Baumes sowie von der Zumutbarkeit von Prüfungs- und Sicherungsmaßnahmen abhängig. Die Sorgfaltspflichten bei Bäumen neben Kinderspielplätzen oder auf stark frequentierten Verkehrswegen sind naturgemäßer höher als bei Bäumen im Hinterhof oder außerhalb des Siedlungsraumes. 

 

Die ABGB-Novelle gilt nicht für Bäume in Wäldern. Dort gilt weiterhin § 176 Forstgesetz. Seit der Öffnung der Wälder für alle im Jahr 1975 haften Waldeigentümer und sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen nur mehr für Forststraßen und öffentliche Wege. Wird ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, so haften die betreffenden Personen nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit. 

 

„Durch die Haftungserleichterung können sogenannte Angstschnitte, die oft in den Ballungsräumen vorgekommen seien, der Vergangenheit angehören“, so die Justizministerin Zadic in der Nationalratssitzung. Auch die Erläuterungen zum neuen Paragraphen betonen ausführlich den ökologischen Wert und die Gemeinwohlwirkung von Bäumen, von der Temperaturabsenkung (durch Verdunstung und Beschattung), der Reduzierung des Treibgaseffekts bis hin zu luftverbessernden Wirkungen und dem Schutz des Bodens vor Erosion.

 

Scharfe Kritik erhebt die Obfrau des Verbraucherschutzvereins, Daniela Holzinger-Vogtenhuber, gegen die einstimmig beschlossene Novellierung der Baumhaftung. Aufgrund der Beweislastumkehr werde es kaum mehr Schadenersatzansprüche geben. Man argumentiere mit dem Schutz von Bäumen, die Spur des Geldes führe aber zur Versicherungswirtschaft, die sich viel Geld aus dem Titel der Haftpflicht erspare. Die Zeit wird weisen, ob sie Recht hat.

mehr lesen

Disco Glitterball: Sophie Ellis-Bextor live im Wiener WUK!

„Sometimes it takes only one song to bring back a thousand memories“. Zu einem dieser Songs zählt zweifelsohne „Groove Jet“ (If this ain´t love) vom italienischen DJ Spiller, garniert mit den bezaubernden Vocals der britischen Sängerin Sophie Ellis-Bextor. Back to 2000 auf der balearischen Clubbing-Insel Ibiza, heiße Afternoon-Beats vor dem (heute nicht mehr existenten) Bora Bora-Open Air-Club, die alle paar Minuten über dem Strand heranbrausenden Düsenjets mit neuen Party People aus aller Welt, eine brodelnde „Everything starts with an E“-Atmosphäre an allen Ecken der Insel, lange durchtanzte Nächte in den angesagtesten Clubs der Welt von Amnesia, Space, Privilege bis Pacha. Wer sich erinnern kann, war nicht dabei. An den musikalischen Soundtrack dieser Endless Parties kann man sich aber 24 Jahre später noch immer erinnern. Die Freude ist dann natürlich umso größer, wenn einer dieser schillernden Stars von einst auf einen Konzert-Gig – dem ersten überhaupt (abgesehen von einem Rosenball-Auftritt 2015 und diversen, schrillen Life Ball-Visits) - nach Wien kommt und zumindest scheinbar die Zeit an uns allen spurlos vorübergegangen ist.

 

„The Kitchen Disco Tour“ nennt sich die Europa-Tour der in London geborenen Sophie Ellis-Bextor, die im April ihren 45. Geburtstag feiert. Der Name basiert auf deren Kitchen Show 2020 während des Corona-Lockdowns, die per Instagram übertragen wurde.  Einer der damals ohne Publikum aufgenommenen Hits: „Crying at the Discotheque“, ein Cover der schwedischen LGBTQ-Heroes Alcazar. Ebenso eine Flashback-Disco-Hymne, die an viele exzessive Party-Nächte erinnert und ein idealer Opener der Bextor-Show im neu sanierten WUK in der Währinger Straße. Die Stimmung ist von Beginn an am Siedepunkt, das Publikum, bunt durchgemischt wie auf der Regenbogenparade, freut sich euphorisch auf den Disco-Reigen, den Sophie Ellis-Bextor im kurzen Glitzer-Outfit mit 100 % Pure Energy erfüllt. Die positiven Vibes von Hits wie „Take me home“, „Music gets the best of me“, „Get over you“ oder dem brandneuen mit dem schottischen Electronic Artist Wuh Oh produzierten Track „Hypnotized“ sind die beste Nightlife-Medizin gegen Alltagsfrust, Schwermut und Weltschmerz.

 

Sophie Ellis-Bextor bot bei ihrer knapp 90 Minuten langen Show aber nicht nur einen Querschnitt über ihre mehr als zwanzigjährige wechselnd erfolgreiche Pop-House-Folk-Karriere, sondern hatte gemäß dem Motto „Disco Tour“ auch einige Dancefloor-Covers im Repertoire: Neben „Crying at the Discotheque“ Madonnas 80er-Klassiker „Like a Prayer“, „Gimme Gimme Gimme a Man after Midnight“ der schwedischen Hitgiganten Abba und Modjos Ibiza-Anthem „Lady (hear me tonight)“ aus dem Jahr 2000. Und das – wie einst auf der La Isla Blanca – im groovigen (und beziehungstechnischen) Übergang zu ihrem Superhit „If this ain´t Love (why does it feel so good)“. Nicht fehlen dürfen Armin van Buurens Trance-Perle „Not giving up on love“ und der von den Freemasons produzierte House-Track „Heartbreak make me a Dancer“, die Bextor Ende der Nullerjahre sowohl in die Charts als auch in die Clubs hievten.

 

Das kommerzielle Comeback hat die fünffache Mutter – Vater ist der „The Feeling“-Gitarrist Richard Jones – und die sich für eine Pro-EU-Partei (Change UK) und untergebrachte Kinder einsetzende Sängerin dem Kinofilm „Saltburn“ zu verdanken. Dort läuft in einer Nackttanz-Szene am Schluss des Films ihr bisher erfolgreichster Hit „Murder on the Dancefloor“, der daraufhin viral ging und wie bei der Erstveröffentlichung 2001 wieder die Charts stürmte. In den USA platzierte sich Ellis-Bextor sogar zum ersten Mal in den Single Hot 100. Kein Wunder, dass der housige Disco-Track am Ende der Show das ausverkaufte WUK endgültig zum Kochen brachte.

 

Als Zugabe präsentierte Ellis-Bextor noch einen weiteren Club-Hit ihrer Karriere, „Bittersweet“, und als Überraschung – ohne Band und ohne Mikro – im WUK-Backbereich einen Song aus ihrer Pre-Solo-Ära: „A Pessimist is never disappointed“. Sophie Ellis-Bextor war Ende der 90er Sängerin der Indie-Band „theaudience“, die neben einigen Top 40-Singles auch ein lässiges Album releaste. Die charismatische Frontfrau galt damals als eine der „most sexy people in rock“, der erwartete kommerzielle Erfolg stellte sich aber nicht ein. Im Gegensatz zum großen Comeback-Jahr 2024. Ein neuer Plattenvertrag bei Universal wurde bereits unterschrieben. Man darf gespannt sein, mit welchem Sound und in welcher (größeren) Konzert-Location wir Sophie Ellis-Bextor demnächst hören und sehen werden.

mehr lesen

"The Beauty of Diversity": Bunter Stil-Mix in der Albertina Modern!

Diversity (dt. Verschiedenheit, Unterschied), ein Begriff, der seit einigen Jahren in allen Bereichen unseres Lebens herumgeistert und aus unserem Alltag, im Berufsleben und im gegenseitigen Umgang nicht wegzudenken ist. In der Kulturszene existieren zweifelsohne zahlreiche Proponenten eines fortschrittlichen Kunstverständnisses, in der von eurozentrischem und westlichem Denken traditionell geprägten musealen Praxis sieht dies leider nicht immer so aus.

 

Die Albertina Modern widmet sich in ihrer neuen Sonderausstellung „The Beauty of Diversity“ sowohl renommierten Künstlern, die schon immer gegen den Strom geschwommen sind, als auch neuen, kreativen Talenten kurz vor dem Sprung Richtung Weltkarriere und Kunstschaffenden abseits des Mainstreams. Im Mittelpunkt stehen dabei Frauen, LGBTQIA-Künstler, People of Color, Autodidakten und künstlerische Außenseiter, die – mit insgesamt 110 Kunstwerken, verteilt auf 13 themenbezogene Räume – einen spannenden, bunten Stil-Mix versprechen.

 

Ein besonderes Augenmerk richtet die Kuratorin Angela Stief auf Künstler aus Australien, Afrika, Asien und Südamerika. Vertreten in der Albertina Modern sind insbesondere afrikanische Künstler, die bereits in der Ausstellung „The New African Portraiture“ der Kunsthalle Krems ihr großes Talent gezeigt haben, so der an der Akademie für bildende Künste bei Daniel Richter studierende Alexandre Diop mit seinen komplexen Assemblagen, der US-Amerikaner Basil Kincaid oder der ghanaische Maler Amoako Boafo. Dessen Credo: „The primary Idea of my practice is representation, documenting, celebrating and showing new ways to approach blackness“. 

 

Eines deren Vorbilder darf natürlich in der Ausstellung nicht fehlen: Jean-Michel Basquiat, zeit seines kurzen Lebens ein strikter Kämpfer gegen Rassismus und Diskriminierung, mit seinem minimalistischen „Venus“-Bild aus dem Jahr 1983. Das Teaser-Plakat dagegen ist einer Frau vorbehalten, der 1991 in Tansania geborenen Sungi Mlengeya, die mit ihren dunklen Figuren vor weißem Hintergrund klare Akzente setzt. Betroffen macht die auf den Wandtafeln beschriebene Lebensgeschichte der Pakistanin Aicha Khorchid, die den Selbstmord ihrer Mutter und den sexuellen Missbrauch durch ihren Ziehvater in drastischen Bildern dokumentierte. 

 

Die Aboriginal Art wird u.a. vertreten durch Nyunmiti Burton, die mit ihrer abstrakten Serie „Seven Sisters“ sich auf eine indigene, mythische Geschichte über sieben von Männern verfolgten Schwestern bezieht und damit eine klare feministische Position einnimmt. Dies gilt auch für die in Iran geborene und in Wien lebende Soli Kiani, die mit ihren Malereien und Seilkonstruktionen die mangelnden Frauenrechte in ihrer Heimat anprangert. Kiani ist in Wien keine Unbekannte mehr, sie kann bereits eine Solo-Ausstellung („Ossian-Rebellion“) im Kunstforum für sich verbuchen.

 

Große Namen zeitgenössischer Kunst dürfen natürlich in der Ausstellung nicht fehlen: Maria Lassnig mit ihrem New Yorker Hauptwerk „Woman Power“ (inklusive einer nackten Riesin, die inmitten der Wolkenkratzer tänzelt), Valie Export (mit ihrer „Aktionshose Genitalpanik“), „Rollenspielerin“ Cindy Sherman, Marc Quinn, Jonathan Meese (mit skurril-horriblen Skulpturen), Cecily Brown, die Schweizer Künstlerin Miriam Cahn mit ihrer großformatigen „Atombomben“-Serie oder „Lemurenkopf“-Schöpfer Franz West.

 

Für erfrischenden Espirit sorgen aber auch die unbekannteren Namen: Verena Bretschneider mit ihren witzigen Face-Assemblagen aus Blumen, Federn, Haarteilen und Plastikgabeln (die man zwecks guter Laune am liebsten nach Hause mitnehmen würde), Claudia Märzendorfer mit ihren wollgestrickten LKW-Bestandteilen (als Beitrag zur Klimakrise) oder die gesellschaftskritischen Puppenkabinette der steirischen Autodidaktin Stefanie Erjautz. Letztere kongenial plaziert zwischen den „Mona Lisa“-Plastilin-Variationen der österreichischen Künstler-„Boygroup“ Gelatin und den brabbelnden Projektions-Gesichtern des US-Installationskünstlers Tony Oursler.

 

„The Beauty of Diversity“ ist von 16. Februar bis 18. August 2024 in der Albertina Modern zu sehen, und vermutlich bald im Triple-Kombi-Ticket mit der Wiener Albertina und der am 9. April neu eröffnenden Albertina Klosterneuburg.

mehr lesen

16 Fußballfelder täglich: Stopp dem exzessiven Bodenverbrauch in Österreich!

„Die unendliche Geschichte“, als Buchlektüre und Kinoverfilmung immer ein Vergnügen, in der Politik und im Umweltschutz dagegen Unverständnis, Beklemmung und Wut zugleich. Eines jener Themen, das seit Jahrzehnten von wechselnden Regierungen sträflich vernachlässigt wird, ist der Bodenverbrauch in Österreich. Und das, obwohl bereits in der Nachhaltigkeitsstrategie 2002 (!) von der damaligen Bundesregierung festgelegt wurde, dass bis 2010 (!) maximal 2,5 Hektar pro Tag zu verbrauchen sind. 

 

„Der Weltraum, unendliche Weiten, wir schreiben das Jahr 2024“, und die aktuellen Zahlen sollten eigentlich jeden umweltbewussten Österreicher auf die Straße treiben. So werden derzeit täglich (!) in Österreich 11,5 Hektar Fläche verbaut, das entspricht einer Größe von 16 Fußballfeldern. Der jährliche Zuwachs an Flächenverbrauch betrug 2022 43,7 km2, davon 23,9 versiegelt (und somit komplett wasserundurchlässig). Die Folgen des hohen Bodenverbrauchs sind ebenso bekannt wie wissenschaftlich anerkannt: Die Kühlfunktion des Bodens geht verloren, Überschwemmungen und Trockenheit steigen, zubetonierte Flächen sorgen vor allem in den Städten für neue Hitzerekorde, die Artenvielfalt der Tiere und Pflanzen sinkt, und immer mehr Gebiete werden der Lebensmittelversorgung entzogen. Trotz dieser Negativeffekte dreht sich die gefährliche Spirale weiterhin in die falsche Richtung.

 

Shopping Center

 

Einer der Faktoren für den hohen Bodenverbrauch sind die zahlreichen Shoppingcenter und Gewerbeparks an den Stadträndern, die gleichzeitig dafür verantwortlich sind, dass die Ortskerne sowohl wirtschaftlich als auch sozial aussterben und vor allem die Einwohner kleinerer Ortschaften ohne periodische Öffi-Verbindungen auf das Auto angewiesen sind. Österreich hat die höchste Anzahl an Supermärkten pro 100.000 Einwohner in der EU, die Versorgungsdichte liegt laut Wirtschaftskammer bei 60 Geschäften pro 100.000 Einwohner, in Deutschland beträgt diese vergleichsweise 40, in Italien und Frankreich nur 28.

 

Österreich weist weiters mit rund 14 Metern Straße pro Kopf eines der dichtesten Straßennetze Europas auf. Alle Straßen zusammen ergeben 127.500 Kilometer, das sind mehr als drei Erdumrundungen am Äquator.

 

In den letzten 40 Jahren gingen laut Greenpeace durch Verbauung landwirtschaftliche Flächen in der Größe des Burgenlandes verloren. Und das, obwohl aktuell 40.000 Hektar Gebäudeflächen leerstehen. Dieser Wert entspricht – man kann es kaum fassen - der Gesamtfläche der Bundeshauptstadt Wien.

 

Diese hier genannten Fakten wurden schon in zahlreichen Publikationen veröffentlicht, in Medien, egal ob analog oder digital, verbreitet, im Rahmen von Volksbegehren und Demonstrationen postuliert. Trotzdem reagiert die Politik nicht angemessen, vermutlich ferngesteuert durch Wirtschaftskonzerne (die sich auf der grünen Wiese das große Geld erhoffen), Auto-Lobbyisten und potentielle Einfamilien-Häuslbauer. Das Schielen auf Wählerstimmen alleine kann es nicht sein, denn laut einer Umfrage des Market-Instituts kritisieren 82 Prozent der Österreicher die grassierende Bodenverbauung für Shoppingcenter, Straßen, Industrie und Immobilien. 

 

Petition

 

Die progressiven Kräfte werden daher auch nicht müde, Initiativen gegen die Bodenvernichtung in Österreich zu starten. In einer Petition mit dem Titel „Stoppt die Bodenversiegelung“ fordert Greenpeace eine Reduktion des Bodenverbrauchs auf 2,5 Hektar pro Tag bis spätestens 2030 und einen Verbauungsstop natürlicher Boden ab 2040. Viele weitere Maßnahmen liegen auf der Hand und müssten von den zuständigen Polit-Gremien nur umgesetzt werden. 

 

Maßnahmen

 

Zumindest zur Einführung einer Leerstandsabgabe steht derzeit eine Gesetzesnovelle der türkis-grünen Bundesregierung in Begutachtung, verbunden werden sollte diese mit einer österreichweiten Leerstands-Datenbank und einer gesetzlichen Festlegung, dass Baulandwidmungen nur dann genehmigt werden dürfen, wenn in einer Gemeinde keine angemessenen Innenentwicklungspotentiale (im Sinne von Baulücken, Brachflächen oder Ausbaumöglichkeiten) vorliegen. Die Kommunalsteuer sollte verpflichtend zwischen den umliegenden Gemeinden geteilt bzw. an ökologische Kriterien gekoppelt werden. „Gegenwärtig werden ja bauwütige Gemeinden mit ihren Gewerbeparks über die Kommunal- und Grundsteuer belohnt“, so die Steuerexpertin Margit Schratzenstaller. Gleichzeitig sollten Förderprogramme für kleine Lebensmittelgeschäfte in den Ortszentren gestartet werden, damit die Einwohner weiterhin in ihrem Wohnbereich einkaufen können und das soziale und kommunikative Leben in den Dörfern nicht ausstirbt.

 

Die Lage ist ernst, es ist bereits seit einigen Jahrzehnten fünf Minuten nach 12. Das „Perpetuum Mobile“ der Bodenvernichtung muss endlich gestoppt werden. Eine Win-Win-Alternative für das Klima, den Umweltschutz, die Lebensmittelversorgung, die Tier- und Pflanzenwelt, den grünen Tourismus und das gesellschaftliche Leben in den liebenswürdigen und noch lebenswerten Gemeinden und Dörfern Österreichs.

London Female Power: The Last Dinner Party live in der Grellen Forelle!

„Bestimmte Phänomene der Popkultur wiederholen sich alle zwei Jahrzehnte“, das ist das Credo des britischen Musikjournalisten Simon Reynolds. In diesem Sinne erwartet uns daher in den 20ern eine zumindest auf der Indie-Rock-Schiene äußerst lässige „Rückkehr der Nullerjahre“, man denke da an so Bands wie Killers, Bloc Party, Franz Ferdinand oder die Arctic Monkeys. Eingeläutet wird die Renaissance der Noughties allen Anscheins aber durch ein weibliches Rock-Quintett, The Last Dinner Party aus London. Eine Band, die nicht durch Social Media-Klicks oder Tik Tok-Videos bekannt wurde, sondern durch Live-Gigs in den angesagtesten Clubs und Bars der britischen Musikmetropole.

 

Kennengelernt haben sich die Sängerin und Text-Autorin Abigail Morris, Gitarristin Lizzie Mayland und die blondhaarige Bassistin Georgia Davies 2020 im Londoner Musikclub The Windmill, später stießen noch Gitarristin Emily Roberts und die aus Albanien stammende Keyboarderin Aurora Nishevci dazu. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde monatelang im Proberaum geübt, der erste Auftritt als „The Last Dinner Party“ fand erst im November 2021 im „The George“ in London statt. Inspiriert für den originellen Bandnamen wurden die fünf Musikerinnen „by the idea of a huge debauched dinner party where people came together to celebrate with a hedonistic banquet“. Pompös und schrill ist auch das Outfit der Girls, das an Vivienne Westwoods Vintage Punk-Kreationen erinnert. 

 

Die Szene war von den fünf Mädels sofort begeistert. Noch bevor einzelne Songs veröffentlicht wurden, standen The Last Dinner Party als Vorband der Rolling Stones (!) im Hyde Park im July 2022 auf der Bühne, ebenso als Support von Benee, Hozier und Florence & The Machine, die offensichtlich – wie Pop-Avantgardist David Bowie – als eines der Vorbilder der Band gelten. Die zahlreichen Live-Auftritte machten sich bezahlt, und so stürmte bereits die erste kesse Single I will fuck you like „Nothing Matters“ die UK-Top 20. Achtung Männer, die Mädels haben die Hosen an. Produziert werden TLDP übrigens von James Ford, seines Zeichens Produzent der Arctic Monkeys und Florence & The Machine, und damit schließt sich der Kreis. 

 

Am 2. Februar wurde das Debüt-Album von The Last Dinner Party, „Prelude to Ecstasy“, veröffentlicht, der „art-rock-bombast“ (so der Rolling Stone) schoss sofort auf Platz 1 der UK-Charts. Im selben Monat tourte das Quintett durch Europa, und zwar in kleinen Clubs (wie dem Berliner Gretchen, dem Amsterdamer Melkweg oder dem Brüsseler Le Botanique), die in kürzester Zeit alle ausverkauft waren. Auch Österreich hatte die Ehre, beim Karriere-Start der Ladies live dabei zu sein. Als Location wurde der Club Grelle Forelle am Donaukanal auserkoren, ansonsten Location exzessiver Techno-Parties bis weit nach Morgengrauen. 

 

Die Euphorie war bereits beim Debüt-Auftritt der Londoner Band in Wien ungebrochen. Und so drängten schon beim britisch-israelischen Support-Act Lana Lubany die vorwiegend jungen Frauen ganz nach vorne zur Bühne, um ihre neuen Idole hautnah zu erleben, einige bereits im Look-a-Like-Vintage Look mit weißen Rüschenkleidern. Und auch wenn die Bandmitglieder nicht gecastet wurden, eine gewisse optische Typen-Diversität – ähnlich der Spice Girls – ist kaum zu verhehlen. 

 

Hauptsängerin Abigail Morris wirbelt ekstatisch über die Bühne und bringt von der ersten Sekunde an Stimmung in den ausverkauften, prall gefüllten Wiener Club. „Burn alive“, der Opening Track über brennende Liebe, ist dazu der richtige Firestarter, dann kommt schon die neue Single „Caesar on a TV Screen“, ein fast 5 Minuten langes Opus über den Wunsch nach Anerkennung und geliebt zu werden. Themen, die unpathetisch und authentisch ins Herz der Teens und Twens treffen. Beim Track „Gjuha“ tritt Keyboarderin Aurora hinters Mikrofon und sinniert als Exil-Albanerin über die Abgeschottetheit von ihren eigenen Traditionen. „I wish I knew you. When touch was innocent. I wish I knew you. Before it felt like a sin“, das sind die eingängigen Zeilen ihres danach folgenden Indie-Bangers „Sinner“. Coverversionen (wie das auf BBC präsentierte „Dogs days are over“) stehen bei der ersten Headliner-Tour nicht auf der Setlist, nach den Single-Hits „My Lady of Mercy“ und „Nothing matters“ ist die rund 50 Minuten lange Show zu Ende. 

 

Schweißüberströmter Applaus für die neuen Indie Rock-Heroes und gleichzeitig die hundertprozentige Überzeugung, dass man diese Band wohl nie wieder in einer so intimen Atmosphäre erleben werde. Festivals, riesige Konzerthallen und große TV-Shows warten auf die Londoner Newcomerinnen. Nur fünf Tage nach dem Auftritt in der Grellen Forelle erhielten The Last Dinner Party, bereits gekürt zum Sieger beim BBC-Sound of 2024-Poll, von der US-Avantgarde-Musikerin St. Vincent den Brit Award in der Kategorie „Rising Star“.  The Future´s so bright, they gotta wear shades…

mehr lesen

Zwischen Brandenburger Tor und Checkpoint Charlie: Die letzten Reste der Berliner Mauer!

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, das waren die Worte des SED-Chefs Walter Ulbricht im Juni 1961. Alleine in diesem Monat flüchteten rund 20.000 Menschen in die Aufnahmelager Westberlins, die DDR stand vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Die Abschottungspläne waren eigentlich offensichtlich, trotzdem geschah die sogenannte „Aktion Rose“ unter der Leitung Erich Honeckers überraschend, der westliche Geheimdienst versagte kläglich. Und so wurden am 13. August 1961 bis zum Morgengrauen bereits 68 von 81 Grenzabschnitten mit Stacheldraht geschlossen.

 

Brandenburger Tor

 

So auch vor dem Brandenburger Tor, dem in den Jahren 1798-1793 erbauten frühklassizistischen Triumphtor zwischen Pariser Platz und Großem Tiergarten. Wasserwerfer und Schützenpanzer fuhren auf, DDR-Bürger durften ab sofort nicht mehr frei nach Westberlin ausreisen. In den nächsten Wochen wurde eine Mauer mit 155 km Länge errichtet, das Areal rund um das attraktive Brandenburger Tor wurde zu einer gespenstischen Hochsicherheitszone und zu einem Symbol des Kalten Krieges, das – westseitig – auch immer wieder von hochkarätigen Politikern (wie John F. Kennedy oder Ronald Reagan am 12. Juni 1987 mit seiner Aufforderung „Tear down this wall, Mr. Gorbatschow“) besucht wurde. Insofern keine Überraschung, dass dieser Mauer-Bereich (in unmittelbarer Nähe des Reichstages) auch zu den ersten zählte, der am 9. November 1989 „geöffnet“ wurde.

mehr lesen

Österreich-Debüt: Brit Award-Gewinnerin Holly Humberstone live in Wien

„And where the hell did our childhood go? It freaks me out how fast we grow. The more I see, the less I know. And this feels like the Truman Show.“ So lyrisch und authentisch zugleich klingen die Texte der 24jährigen britischen Sängerin Holly Humberstone, die in einer Kleinstadt aufgewachsen und dann in die Metropole London gezogen ist. Mit 19 stand sie bereits beim legendären Glastonbury auf der Bühne, 2022 gewann sie nach der Veröffentlichung zweier EP´s den Brit Award Rising Star Award. Im Oktober 2023 erschien ihr Debüt-Album „Paint the Bedroom black“, das sie im Rahmen ihrer Europa-Tour auch in der Wiener SimmCity präsentierte.

 

Die Show startete dementsprechend mit dem – trotz des leicht düsteren Titels – poppigen Opener des neuen Albums, das einen tiefen Einblick in die persönliche Gefühlssphäre der sensiblen Künstlerin bietet und dadurch sofort eine Verbindung zu den mehrheitlich weiblichen Fans im Publikum herstellt. Humberstones Coming-of-Age-Stories sind so bunt und so nebelverhangen wie das Leben: Liebe, Liebeskummer, Trennung, Isolation, Selbstzweifel, Trauer. So beschreibt Humberstone in ihrem 21er-Song „The Walls are way too thin“ ihre beengten Wohnverhältnisse. Bei ihrem bekanntesten Hit „London is lonely“ setzt sich die Newcomerin hinters Keyboard und sinniert über ihre anfängliche Einsamkeit in London, alleine unter lauter Fremden. Im neuen Song „Into your Room“ singt Humberstone über ihre einsamen Nächte im Hotel und ihre Gedanken an ihre Familie und ihre Freunde. 

 

Nichtsdestotrotz hat sich für die Britin der Wunschtraum einer musikalischen Karriere erfüllt, und der Grundtenor ihrer Show ist - trotz manch depressiver Texte – immer ein positiver. Immer wieder schnallt sich Humberstone selbst die Gitarre um und feuert ihre Fans an, ihre dreiköpfige Band (inkl. Drummerin) liefert die Sound-Kulisse für ihre rund 80minütige Indie-Pop-Show. US-Alternative-Künstler Medium Build, der als Support Act auch mit philosophischen Ergüssen und Falco-Kenntnissen überzeugte, stürmt bei „Cocoon“ als Duett-Partner auf die Bühne. Beim Hyperpop-angehauchten Track „Flatlining“ strömen blitzende Sonnenstrahlen in den darken Bedroom Humberstones. 

 

Als Zugabe reflektiert Humberstone noch einmal die omnipräsente Trennungsthematik. Einerseits im melancholischen Song „Friendly Fire“ (bei der Humberstone selbst den aktiven Part darstellt), andererseits im flotten Final-Track „Scarlett“, der ihrer besten Freundin gewidmet ist. Von ihrem Freund verlassen soll sie nach einer Trauerphase („Cause I cried all the Summer away“) wieder durch das Leben tanzen. So wie die Fans, die das Wien-Debüt Humberstones frenetisch feierten.

 

„Work in progress“ (inkl. der brandneuen Single „Dive“) heißt die im März erscheinende neue EP der hochambitionierten Sängerin. Könnte ihr Lebensmotto sein, denn man darf von Holly Humberstone in der Zukunft noch viel erwarten…

mehr lesen

Baustelle Elementarpädagogik: Zeit für eine offensive Kindergarten-Reform!

"Das Leben anzuregen - und es dann frei entwickeln zu lassen - hierin liegt die erste Aufgabe des Erziehers“, ein Zitat der italienischen Reformpädagogin Maria Montessori. Eine wesentliche Rolle spielt in der frühen Kindheit – neben den Eltern – die Elementarpädagogik. Warum in Österreich gerade diese wichtige Institution sowohl finanziell als auch gesellschaftlich zu wenig gewürdigt wird, ist einfach nur unverständlich. Seit Jahrzehnten versuchen zahlreiche Initiativen, eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Von der Politik wurde zuletzt eine „Kindergartenmilliarde“, erstreckt auf mehrere Jahre, beschlossen. Nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

 

Caritas, NeBÖ (Netzwerk elementare Bildung Österreich), Educare, Diakonie Österreich, die Kinderfreunde Wien und einige weitere Vereine und Organisationen präsentierten im Jänner eine Petition mit zehn zentralen Forderungen, die zugleich die Mängel im Kindergartenwesen gnadenlos aufdecken. Vergleicht man beispielsweise die europäischen Budgets für die Elementarpädagogik, dann fällt auf, dass Österreich mit seinen 0,7 Prozent des BIP weitabgeschlagen ist. Federführend sind vor allem die skandinavischen Länder, die rund 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die frühkindliche Bildung ausgeben. Im Vorzeigeland Dänemark hat jedes Kind ab dem Alter von 26 Wochen sogar einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis zum Schulalter.

 

Barcelona-Ziel

 

Österreich dagegen hinkt dem sogenannten „EU-Barcelona-Ziel“ aus dem Jahr 2002 (!) hinten nach. Dort wurde vereinbart, dass bis 2010 ein Drittel der Kleinkinder (unter 3) Kinderbetreuungseinrichtungen besuchen sollten. In Österreich beträgt dieser Wert im Jahr 2023 (!) 29,9 Prozent. Für 2030 wurde ein neuer Zielwert von 31,9 Prozent festgelegt. Die höchsten Werte erreicht hier Wien (42 %) vor dem Burgenland und Vorarlberg. Bei den älteren Kindern beträgt die Quote 

94,7 Prozent. Verpflichtend ist zwar das letzte Kindergartenjahr, aber es existiert kein Recht der Eltern auf freie Auswahl des Kindergartens (was die Initiatoren der Petition gleich im Punkt 1 kritisieren). 

 

Zuständigkeit

 

In Österreich ist die Zuständigkeit für die Elementarpädagogik zersplittert. Das Kindergartenwesen ist Landessache, was bedeutet, dass in jedem Bundesland unterschiedliche Regelungen bezüglich Ausbildung, Kosten, Betreuungsschlüssel, Gehalt,… gelten. Die Proponenten der Petition fordern daher, dass die Elementarpädagogik Bundessache wird und in die Kompetenz des Bildungsministeriums fällt. Ziel ist ein einheitliches Bundesrahmengesetz mit Mindeststandards in elementaren Bildungseinrichtungen und Horten und die Sicherstellung einer langfristigen Finanzierung.

 

Gratiskindergarten

 

Die Kindergärten, Kindergruppen und Horte müssen für alle Kinder in Österreich kostenlos und ganztags angeboten werden. Das ist derzeit überhaupt nicht der Fall. Während in Wien, Burgenland und – seit Herbst 2023 – in Kärnten ein ganztägiger Gratis-Kindergarten (mit Ausnahme der Verpflegung) offeriert wird, besteht in den anderen Bundesländern Kostenpflicht mit unterschiedlich hohen Beträgen. In Niederösterreich wurde erst 2022 die Gebührenpflicht für den Vormittag aufgehoben, die Nachmittagsbetreuung ist  – ebenso wie in Oberösterreich -  weiterhin zu bezahlen. In der Steiermark sind sowohl Vormittag als auch Nachmittag kostenpflichtig, es bestehen allerdings einkommensabhängige Befreiungen und Staffelungen.

 

Öffnungszeiten

 

Ähnlich uneinheitlich sind die Öffnungszeiten. Laut aktuellen Zahlen besuchen nur rund 50 Prozent der Kinder über 3 Jahren und 60 Prozent der Kleinkinder sogenannte „VIF-konforme Einrichtungen“, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf garantieren. Darunter versteht man Kindergärten, die wöchentlich mindestens 45 Stunden, täglich 9,5 Stunden und jährlich 47 Wochen geöffnet sind. Vor allem im ländlichen Bereich werden diese Werte kaum erreicht und machen – ohne familiäre oder externe Hilfe – eine Vollzeitberufstätigkeit beider Elternteile schwer möglich.

 

Betreuungsschlüssel

 

Die Kinderbetreuung sollte auf wissenschaftlichen Standards beruhen. Laut Experten sollte der Betreuungsschlüssel zwischen 1:3 (bei Kindern unter 3) und 1:7 (bei Kindern über 3) liegen. In Österreich sind diese Werte derzeit unerreichbar, es existieren teilweise Gruppen bis zu 25 Kindern. Das sind Größenverhältnisse, die es den Elementarpädagoginnen schwierig machen, sich den individuellen Bedürfnissen der Kinder zu widmen und ihre theoretisch erworbenen Kenntnisse praktisch umzusetzen. Eine Studie der Universität Klagenfurt geht davon aus, dass mit verbesserter Strukturqualität bis zum Jahr 2030 rund 20.200 qualifizierte Fachkräfte fehlen.

 

Verbesserung der Arbeitsbedingungen

 

Gefordert werden neben einem bundesweiten, fairen Gehaltsschema für alle Berufsgruppen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Organisation. So steigen laut Susanna Haas, einem Vorstandsmitglied von EduCare, „Elementarpädagogen oftmals aus, weil die Arbeitsbedingungen nicht passen und das Berufsfeld nicht dem entspricht, was sie in der Ausbildung vermittelt bekommen haben“. Mindestens 25 Prozent der Arbeitszeit sollen daher einer Vorbereitungszeit dienen, die u.a. für die Planung in der Gruppe, Elterngespräche, Standortentwicklung und interne Evaluierungen genützt werden soll. Wie in Schulen sollen Führungskräfte in Kindergärten und Horten für ihre Arbeit freigestellt werden. Zusätzlich ist Unterstützungspersonal für die Verwaltung, hauswirtschaftliche und handwerkliche Arbeit vonnöten.

 

Ausbildungsoffensive

 

Österreich ist nur eines von zwei europäischen Ländern, in denen die Ausbildung von Kindergartenpädagogen nicht an Hochschulen und Universitäten stattfindet, sondern auf der Sekundarstufe. Bei den aktuellen Ausbildungsangeboten zeigt sich ein deutliches Ost-West-Süd-Gefälle. Während in Wien den Berufsaspiranten zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten offenstehen (von der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik bis hin zu Kollegs für Erwachsene und Fachhochschulen), gibt es in den restlichen Bundesländern viel weniger Offerte. Folge daraus ist auch eine Abwerbung der Fachkräfte aus der Bundeshauptstadt.

 

Die Proponenten der Petition fordern weiters ein Anhörungsrecht von Fachleuten vor der Beschlussfassung einschlägiger Gesetze und Verordnungen bzw. ein unabhängiges Institut zur Entwicklung und Evaluierung von Qualitätsstandards für Kindergärten und Horte.

 

Die Petition kann noch bis Mitte März unterstützt werden. Eine wichtige Akzentsetzung für die nächste Bundesregierung, die diese wissenschaftlich anerkannten, notwendigen Forderungen in die Tat umsetzen sollte. Denn elemantare Bildung ist tatsächlich viel MEHR wert…

 

https://www.openpetition.eu/at/petition/online/elementare-bildung-ist-mehr-wert-kindergartenbraucht

Neue politische Parteien: Zumindest die Gründung ist ein Kinderspiel!

Laut einer Linzer Market-Umfrage fordern 41 Prozent, dass es eine grundlegende Änderung des politischen Systems geben sollte. Bei Kanzlerumfragen unter den Spitzenkandidaten der politischen Parteien belegt seit Monaten „NIEMAND“ unangefochten Platz 1. Laut dem aktuellen Demokratie-Monitor fühlen sich 56 Prozent der jungen Menschen zwischen 16 und 26 im Parlament nicht repräsentiert. Nicht die einzigen Alarmzeichen in der politischen Landschaft Österreichs. Was sind die Alternativen? Den Kopf in den Sand stecken und den Anteil der Nichtwähler radikal erhöhen (und damit auf sein Wahlrecht verzichten), jener Partei das Votum geben, die mit lautstarken Protesten gegen das Establishment und einfachen, niemals realisierbaren „Lösungen“ einen Wutbürger-Tsunami entfachen will (auf keinen Fall) oder vielleicht sich selbst einer neuen politischen Bewegung anschließen, die - unabhängig von einem trägen Funktionärsapparat und selbstgefälligen Lobbyisten - innovative Visionen und Werte vertritt? Zumindest der erste Schritt ins kalte Wasser, die Gründung einer politischen Partei, ist einfacher als man landläufig denkt.

 

Die einschlägigen Vorschriften dazu finden sich im zuletzt wieder novellierten Parteiengesetz 2012. „Die Existenz und die Vielfalt politischer Parteien sind wesentliche Bestandteile der demokratischen Ordnung der Republik Österreich“, so die Verfassungsbestimmung im § 1. Insofern ist die Gründung einer politischen Partei frei, „sofern bundesverfassungsgesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Darunter fällt zum Beispiel das Verbot der Gründung nationalsozialistischer Organisationen. 

 

Für die Gründung einer politischen Partei ist gemäß § 1/4 eine Satzung zu beschließen und beim Innenministerium zu hinterlegen. Mit der Hinterlegung der Satzung erlangt die Partei die Rechtspersönlichkeit. Die Mindestinhalte für die Satzung: Angaben über die Organe der Partei und deren Vertretungsbefugnis, die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Gliederung der Partei und ein Verfahren zur freiwilligen Auflösung der Partei. 

 

Als Organe der Partei sind obligatorisch vorgesehen: ein Leitungsorgan (das seit 2024 nach demokratischen Grundsätzen legitimiert sein muss), eine Mitgliederversammlung (oder eine repräsentative Delegiertenversammlung) und ein Aufsichtsorgan. Welche politischen Inhalte die Partei vertreten will, muss in den Satzungen nicht genannt werden. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die politischen Parteien zusätzlich ein schriftliches Programm vorlegen müssen.

 

Neu eingeführt wurde ein Parteienregister, das die Namen der Parteien, die vertretungsbefugten Personen und die jeweils aktuelle Fassung der Satzung zu enthalten hat. Mit Stand Jänner 2024 gibt es laut Parlaments-Website 1312 registrierte politische Parteien in Österreich. Darunter befinden sich nicht nur die im Nationalrat oder den Landtagen aktuell vertrenenen Parteien (wie SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne oder Neos), sondern auch ehemalige Wahlparteien (wie das BZÖ, das Team Strache oder Links) und regionale Wahlparteien (wie das Team Kärnten oder die Liste Dinkhauser). Prominent vertreten ist auch die Bierpartei von Dominik Wlazny, der nach dem zweimaligen Antritt in Wien (bei der Nationalratswahl 2019 und der Gemeinderatswahl 2020) nun bundespolitische Ambitionen hegt. Rund 90 Prozent der politischen Parteien treten kaum in Erscheinung und tragen teils skurrile Namensbezeichnungen. Siehe die Partei für sexuelle Ausschweifungen (P.S.A.), das Hausfrauenkartell oder die Autonom revolutionär subversiv chaotische Hacklerpartei (A.R.S.C.H.-Partei).

 

Um bei einer politischen Wahl anzutreten, muss man allerdings nicht den Status einer politischen Partei nachweisen. Hier reicht es aus, als sogenannte „wahlwerbende Partei“ zu kandidieren. Bestes Beispiel im Jahr 2013: Die Neos, die bei ihrem erstmaligen Antritt als Wahlplattform (gemeinsam mit dem Liberalen Forum und den Julis) angetreten sind. Bei einer Nationalratswahl sind dementsprechend für jedes Bundesland Landeswahlvorschläge zwischen dem Stichtag und dem 58. Tag vor dem Wahltag einzubringen, wobei sich die Kandidatur auch auf einzelne Bundesländer beschränken kann. Voraussetzung für eine Kandidatur sind eine bestimmte Anzahl von Unterstützungserklärungen pro Bundesland, bundesweit insgesamt 2600. Oder wahlweise die Unterstützung von drei Mitgliedern des Nationalrates (was bei neuen Bürgerbewegungen eher nicht anzunehmen ist). Bei einem bundesweiten Antritt ist zusätzlich ein Bundeswahlvorschlag zu erstellen, der zur Teilnahme am 3. Ermittlungsverfahren berechtigt.

 

Wer tatsächlich in den Nationalrat einziehen will, muss seit einer NRWO-Novelle des Jahres 1992 eine Sperrklausel von 4 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen überwinden. Alternative: Ein Grundmandat in einem Regionalwahlkreis, das allerdings bisher noch nie erreicht wurde. Eine schwierige Angelegenheit vor allem für neue politische Bewegungen. 

 

Die 4-Prozent-Hürde gilt als rechtlich umstritten, sie verletzt eigentlich das Prinzip der Gleichheit jeder Wahlstimme. Und der eigentliche Zweck ihrer Regelung, eine Verhinderung der Zersplitterung des Parlaments in viele Kleinparteien, ist nicht ganz nachvollziehbar. Denn eigentlich kann eine Meinungsvielfalt im höchsten Plenum des Staates nur positiv sein. Derzeit bestimmen zumeist die Klubobmänner und Klubobfrauen der „arrivierten“ Parteien, wann die Mandatare ihrer Fraktionen die Hände zu heben haben bzw. wann nicht. Klubzwang in Reinkultur. Wer sein an sich „freies Mandat“ entgegen der Parteilinie ausübt, kann sich nur eines sicher sein. Dass er bei der nächsten Nationalratswahl nicht mehr auf dem Wahlvorschlag aufscheint…

Alltags-Satire: Hosea Ratschiller mit neuem Programm im Kremser Kesselhaus

„Ich heiße Hosea, sonst niemand“: Auf der Bühne im Kremser Kesselhaus nicht ein „exzentrischer Paradiesvogel, der mit seiner Schildkröte verlobt ist“, sondern der österreichische Kabarettist, Schauspieler und Moderator Hosea Ratschiller. Im September 2023 war Premiere seiner neuen Show „Hosea“ im Kabarett Niedermair, jetzt tourt der in Wien lebende Künstler quer durch Österreich und startet auch im Kesselhaus mit Pointen rund um seinen seltenen Vornamen, der von einem Propheten aus dem Alten Testament stammt. „Sie säen Wind, aber sie werden Sturm ernten, das passt für jedes Kind“. 

 

Das Kärntner Multitalent ist in der Kulturszene schon lange kein Unbekannter mehr: Poetry Slam-Meister, FM4-Ombudsmann, Moderator der (leider 2023 eingestellten) Sendung „Pratersterne“ im Fluc, Schauspieler, Buchautor und dreifacher Träger des österreichischen Kabarettpreises. Sein neues Programm „Hosea“ ist nach eigenen Angaben sein „bisher persönlichstes“ und wirft mit Passagen aus seinem Alltagsleben einen witzigen, charmanten, aber manchmal auch zweifelhaften Blick auf die österreichische Seele.

 

Ratschiller ist verheiratet und Vater dreier Kinder, kurz „Papi“, das ist für ihn ein besonderer Orden. „Für ein bürgerliches Leben fehlt mir nur die Erbschaft“, stattdessen ist er stolz auf seine Kinder, mit denen er gerne im Zug fährt und dabei immer wieder mit der Verbröselung der Zugabteile konfrontiert wird. Und mit den kessen Sprüchen seiner Tochter. So wie der hier: „Was ist der Unterschied zwischen einer Pizza und einem Kabarettisten? Die Pizza kann eine Familie ernähren.“

 

Die nunmehr 12jährige Tochter ist der ideale Anknüpfungspunkt zur Darstellung des raschen Zeitenwandels. Für den Papi ist das Internet ein „Adventkalender mit viel zu vielen Fenstern“, für die Tochter nur ein Achselzucken, die wartet lieber auf das Abendessen. Das Jugendwort „cringe“ ist für Hosea die „rhetorische Demarkationslinie zwischen Alt und Jung“. Fußball ist schon lange nicht mehr nur Bubensport, Schaffnerin hätte früher niemand gesagt, und in der Welt der Tochter sind Lesbenehen state of the Art. Während die Oldies noch immer Hermann Maiers Goldmedaillen-Fahrt 3 Tage nach seinem „Jahrhundertsturz“ bewundern, rüstet sich die Jugend für den Klimaaktivismus. Eine deutliche Kritik am Homo Sapiens: „Der Mensch existiere bereits seit 300.000 Jahren, die Wissenschaft allerdings erst seit 250“. 

 

Geschliffene Repliken auf die österreichische Politik dürfen nicht fehlen „Wer Schiss hat vor der Gasrechnung, kann aufhören, sich vor der Vermögenssteuer zu fürchten“ oder „Leistbares Wohnungen gilt in Österreich mittlerweise als linksextrem. Unsere Miete steht dagegen weit rechts der Mitte, sie ist bereits ein Fall für den Verfassungsschutz“. Zum Lachen und gleichzeitig zum Weinen, wenn man die neuesten Wahlumfragen studiert. Auch über dem satirischen Ich Ratschillers kreisen schon die „völkischen Aasgeier“: „Schon pleite, müde und zornig genug? Komm zu uns!“ 

 

Die Business-Klasse in den Zügen vergleicht Hosea mit den Schulen. Angebot und Ausstattung sind fast dasselbe, aber  „die Reichen wollen unter sich bleiben“. Wenn das Baby in der 1. Klasse schreit, dann „stört man dort nur ein dutzend Gestopfte, die arbeitende Bevölkerung in der 2. Klasse dagegen wird geschont.“ Und natürlich werden auch die Boulevardmedien nicht geschont von Ratschillers Verbalakrobatik. „Früher gab es in den Zeitungen Überschriften MIT Text, und man bekam von den Schlagzeilen keinen Herzkasperl.“ Als besonderes Unikum sieht der Kabarettist die Sonntags-Krone in den Zeitungsständern. Dort solle man Geld einwerfen, obwohl diese ohnehin schon mit Steuergeld gefördert ist.

 

Handysucht, die ehemaligen ÖBB-Raucherabteile, Weltreisen der Generation 60plus, künstliche Intelligenz, Demokratie-Petitionen oder private Faschingsparties („Meine Tochter verkleidete sich als Vampirin mit zurückgeschleckten Haaren. Sie sah aus wie ein Altkanzler beim Gerichtstermin“) – Viele weitere Themen streifte Hosea noch im Rahmen seiner zweistündigen Show. Über das Programm habe er 1 Jahr lang nachgedacht. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ausverkaufte Vorstellungen, minutenlanger Applaus und kreatives Training fürs Gehirnschmalz der Besucher. 

„Celebration“-World Tour: Madonna live in der Club-Metropole Berlin!

"Not a concert, not a party, not just a show, it´s a Celebration“: Mit diesen vielversprechenden Worten kündigt Bob the Drag the Queen, der „Moderator“ des Abends, die Madonna-Show in der nahezu ausverkauften Berliner Mercedes Benz-Arena an. So frei nach dem Motto „Time goes by so slowly“ um 22.20 Uhr, die Verspätung gehört schon zur Tradition der Madonna-Tour, in den USA wurde dagegen sogar eine Zivilklage eingereicht. But nevermind! Die Fans sitzen ja nicht in einer Wüste ohne Drinks & Snacks, und in einer Stadt, die niemals schläft und in der Clubs tagelang geöffnet haben, gibt es sowieso keine Zeithorizonte. „Welche Drogen nehmt ihr, MDNA oder MDMA?“, eine amüsante Frage Madonnas an das Publikum zu Beginn, die Antwort blieb offen.

 

Die Shows in Nordamerika wurden aufgrund einer bakteriellen Infektion Madonnas Ende Juni verschoben, die Celebration World-Tour startete daher in London am 14. Oktober 2023 und endet – nach 78 geplanten Gigs - am 26. April 2024 in Mexico City. Die prognostizierten Einnahmen: Mehr als 225 Millionen Dollar weltweit. Madonna hat seit ihrem ersten Release im Jahre 1983 mehr als 400 Millionen Tonträger verkauft und ist damit die erfolgreichste Sängerin der Welt, kurz „The Queen of Pop“. Im Mittelpunkt der Show steht eine Retrospektive auf ihre mehr als 40jährige Karriere, auf eine durchaus unkonventionelle Art und Weise. „A greatest hit doesn´t have to be a song. It can be a wardrobe, it can be a video or a statement“, so der Musical Director Stuart Price. Madonna singt zwar großteils live, einzelne Passagen kommen allerdings vom Band, viele Songs sind gekürzt oder eingebettet in groovige, beatlastige DJ-Sets, eine Live-Band passt da nicht ins Konzept. 

 

Ein mehr als zweistündiger Mega-Mix, dessen Ursprünge in eine Zeit reichen, als Madonna ihre sensationelle Karriere begann, in den frühen 80ern. Die Ära der Hip Hop Culture, der extravaganten Paradiesvögel in den New Yorker Clubs und der scratchenden Underground-DJ´s, in der Madonna Louise Ciccone Teil einer aufstrebenden Künstler-Community wurde. Einer ihrer besten Freunde damals: Avantgarde-Graffiti-Künstler Jean Michel Basquiat, der 1988 an einer Heroindosis starb. 

 

LGBTIQ

 

Madonnas Reverenz an die wilden Eighties: Eine Rock-Version ihres Dance-Hits „Burning Up“ (mit besonderer Widmung an den Kult-Punk-Club CBGB) und die Disco-Klassiker „Into the Groove“ und „Holiday“ unter einer riesigen Disco-Kugel. Auf dem 230 Meter langen Catwalk rund um Madonna 24 bunt kostümierte, hedonistische und sexy-laszive Waver, New Romantics, Gays, Lesbians, Drag Queens und Transgenders als Reminiszenzen an das schräge New Yorker Nightlife. Damals noch Underground, heute State of the Art. Auch ein Verdienst von Madonna, die sich seit jeher für die Rechte der LGBTIQ-Community einsetzte. „Strike a Pose, Vogue“, der Anfang der 90er durch das brillante David-Fincher-Video gepushte Hit der pinken Szene, folgt etwas später im Act IV der Madonna-Show. Und sogar die Frauenrechtlerin und Sozialaktivistin Evita Peron wird zur Equal-Rights-Botschafterin in der Berliner Arena. Regenbogenflaggen, nackte Rücken mit der Aufschrift „No Fear“ und Plakate mit der Aufschrift „Transgender Rights are human Rights“ schmücken Madonnas Soundtrack-Ballade „Don´t cry for me argentina“.

 

Scandals

 

Madonna, Vorbild für zahlreiche Künstlerinnen (egal, ob sie jetzt Lady Gaga, Gwen Stefani oder Ava Max heißen), sorgte im Rahmen ihrer Karriere auch für zahlreiche „Skandale“. Von Nacktfotos aus ihrer Jugend, Verwendung religiöser Symbole in „Like a Prayer“ (die zu einem Stopp der Pepsi-Werbekampagne führten), Hypersexualisierung in Videos wie „Erotica“ oder „Justify my Love“ oder Masturbationen bei der Blond Ambition-Tour (die den Vatikan zu einem Boykottaufruf der Show in Italien provozierten). Geschadet haben ihr diese kaum, heute würde sich darüber keiner mehr aufregen. Und so sind die sich in einem Karussell drehenden schwarz vermummten Männer in Lendenschurz mit Kreuzen heute nur mehr harmlose Staffage für den 89er-Superhit „Like a Prayer“. Der Dancefloor-Hammer „Hung Up“ mit dem lässigen Abba-Sample von „Gimme Gimme Gimme a Man after Midnight“ lässt mit sexy Oben-Ohne-Tänzerinnen kein Auge trocken. Bei „Erotica“ steigt Madonna in den Boxring, bei „Bedtime Stories“ schwebt sie - auf einem riesigen Cube liegend – über den Köpfen der staunenden Fans. 

 

Aids-Tribute

 

Riesige LED-Screens sorgen während der gesamten Show für eine visuelle Retrospektive von Madonnas „lust for life“. Und sind gleichzeitig Plattform für ein Tribute der 65jährigen Sängerin an die vielen Menschen, die seit den 80ern an Aids verstorben sind. Zu den Live-Klängen der Ballade „Live to tell“ werden dabei Porträts von Keith Haring, Freddie Mercury, Sylvester, Robert Mapplethorpe bis hin zum Star-Fotografen Herb Ritts eingeblendet. Die „Hymne der Überlebenden“ folgt später in der Set-List, und zwar in Form des Gloria Gaynor-Covers „I will survive“, das Madonna unplugged mit Gitarre präsentiert und ihren Kindern widmet.

 

Encore

 

Zu den weiteren Highlights der Celebration-Tour zählen „Bad Girl“ (bei dem Madonna von ihrer Tochter Mercy James am Klavier begleitet wurde), „La isla bonita“ (ihr erster Nr. 1 in Deutschland) und das von William Orbit produzierte Techno-Trip-Hop-Brett „Ray of Light“. Wer beim Encore allerdings auf die „Missing Hits“ wartete, der wurde maßlos enttäuscht. „Music“, „4 Minutes“, „Frozen“, „Papa don´t preach“, „Material Girl“, „Deeper and deeper“, „Express yourself“… - Sie alle schafften es trotz kommerziellen Erfolgs, kreativen Anspruchs und garantierter Fan-Begeisterung nicht auf die 35-Track-starke Setlist. Stattdessen wurde ein Mash-Up von Like a Virgin und Michael Jacksons Billie Jean mit Schattenfiguren eingeblendet. So frei nach dem (mit der Rap- und Hip Hop-Queen Nicki Minaj aufgenommenen) Final-Track: „Bitch I´m Madonna“, das ist mein Konzept, meine Choreographie, meine Show. 

 

But no tristesse: Madonnas sexy „Like a Virgin“-Kanal-Trip durch Venedig kann man sich auch auf YouTube anschauen. Und das nach der für Berlin frühen Madonna-Sperrstunde von halb 1 in der Nacht…

mehr lesen

Starke Zunahme von psychischen Erkrankungen: Behandlung muss kostenfrei werden!

Corona-Pandemie, Inflationskrise, berufliche und private Ängste, Reizüberflutung durch die sozialen Medien,…  -  Die Belastungen für die Menschen haben in den letzten Jahren immens zugenommen. Dies zeigt sich (leider) am besten beim Anstieg der psychischen Probleme. Rund 900.000 Menschen haben laut Sozialversicherung im letzten Jahr das Gesundheitssystem wegen psychischer Erkrankungen in Anspruch genommen, ein Zuwachs von 12 Prozent innerhalb von drei Jahren. Um vieles größer ist die Dunkelziffer an unbehandelten, psychisch Kranken in Österreich.

 

Laut einer Gallup-Umfrage aus dem Jahr 2022 bezeichneten sich 20 Prozent als psychisch krank. Am stärksten betroffen sind dabei Frauen mit Mehrfachbelastungen, Kinder und Jugendliche bzw. Singles. 40 Prozent der Betroffenen lehnen professionelle Hilfe gänzlich ab, in der Altersgruppe bis 35 Jahren sogar 47 Prozent. Hauptgründe sind – neben der persönlichen Meinung, keine Hilfe zu brauchen – die hohen Kosten einer Therapie und die geringen Kassenzuschüsse. Nur 30 Prozent der Befragten sind mit der Behandlung psychisch Kranker in Österreich zufrieden. Einige Reformen wurden jetzt zwar auf Schiene gebracht. Ob diese allerdings zu einer raschen Verbesserung der Lage führen, ist mehr als fraglich.

 

Die klinisch-psychologische Behandlung wurde kürzlich mit der Psychotherapie gleichgestellt. Seit 2024 ist sie gesetzlich als Kassenleistung verankert. Das heißt aber weiterhin nicht, dass damit eine Gesamtversorgung gesichert ist. Der Bund finanziert die Behandlungen im ersten Jahr mit 50 Millionen Euro, im zweiten Jahr mit 25 Millionen Euro. Danach soll eine Evaluierung stattfinden. Details über Kostenbeteiligungen der Patienten oder Kontingentierungen sind bis dato nicht bekannt bzw. werden erst verhandelt.

 

In der Psychotherapie hat die Regierung jetzt wichtige Akzente für die Zukunft gesetzt. Ab 2026 werden die Psychotherapeuten an öffentlichen Unis ausgebildet. Ein immenser finanzieller Vorteil. Denn derzeit absolvieren die Aspiranten ihr zweijähriges Propädeutikum an teuren Privatunis (mit Kosten zwischen 25.000 und 50.000 Euro). Voraussetzung für das künftige Masterstudium ist wie bisher ein fachlich einschlägiges Studium wie Psychologie oder Medizin, danach erfolgen eine Fachausbildung und die staatliche Appropationsprüfung. 

 

Das ändert allerdings (vorerst) nichts daran, dass die Kosten einer psychotherapeutischen Behandlung für viele unleistbar sind. Es gibt derzeit nur wenige vollfinanzierte Psychotherapieplätze bei Kassenvertragspartnern, und dort sind die Wartezeiten extrem lang. Eine Psychotherapie-Sitzung kostet beispielsweise in Wien zwischen 60 und 160 Euro, der gewährte Kostenzuschuss für Patienten (!) gerade einmal 33,70 Euro bei der ÖGK.

 

Es stellt schon eine starke Überwindung dar, wegen psychischer Probleme zu einem Arzt zu gehen. Wenn dazu noch massive Kosten auf den psychisch Kranken zukommen, dann werden wie bisher viele den Weg zum Psychologen oder Psychotherapeuten scheuen. Die Forderung nach einer vollständigen Psychotherapie auf Krankenschein ist daher auch ein klares Zeichen gegen eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Der Zugang zu einer kostenfreien Behandlung von Depressionen, Burn-Outs oder Angststörungen muss jedem Betroffenen offenstehen, und zwar egal, wie viel Geld auf seinem Bankkonto liegt.

„Rock´n Roll Christmas“: Wanda in der Wiener Stadthalle

 „Ihr habt offensichtlich keine Familien und auch keine Angst vor Corona, sonst wärt ihr wohl alle nicht hier“, so begrüßte Michael Marco Fitzthum aka Marco Michael Wanda die über 11.000 Fans in der Wiener Stadthalle. „Weihnachten mit Wanda“, das war das Motto des Events, 2 Tage vor der „Stillen Nacht“, die so gar nicht still ablief – eher das Gegenteil – aber doch subtil einige weihnachtliche Züge aufwies. Vor der Stadthalle stand ein Caritas-Lastwagen, bei dem die Wanda-Fans Mäntel, Jacken, Hosen oder Hauben für Obdachlose hinterlegen konnten. Tolle Aktion. 

 

Weihnachten als Fest der Liebe, welches Synonym passt da besser als das lässig-italienische „Amore“. „Wenn jemand fragt, wofür du stehst, sag für Amore“. Sic est. Im Foyer direkt neben den „Amore“-Merchandising-Artikeln residierte der berühmt-berüchtigte „Amore“-Wagen der Band, ein besseres Instagram-Motiv gibt es nicht. VOR dem Konzert der seit 2012 existierenden Wiener Band, die wie keine andere das trashige Wiener Lebensgefühl der verruchten Bars, Kneipen, Alkohol-Abstürze und nächtlichen Liebes-Abenteuer widerspiegelt. Auch wenn Tante Ceccarelli in Bologna und nicht in Wien „Amore gemacht hat“.

 

Supportet werden Wanda von der Wiener Band „The Leftovers“, die kürzlich in der ausverkauften Wiener Arena ihr zweites Album präsentierten. Lauter Indie-Post-Punk-Rock im Stile ihres Hits „Hunde bellen durch die Nacht“ mit einem kurzen Intermezzo über toxische Beziehungen. Weihnachtssongs wird es an diesem Abend keine geben, stattdessen „Another Rock´n Roll Christmas“ mit viel Bier, Schweiß und Massengedränge auf den prall gefüllten Stehplätzen. 

 

Und Wanda lassen von Beginn an nichts anbrennen, starten sofort mit ihren Superhits „Bologna“ und „Bussi Baby“. Im Rausch der Gefühle wirken Wandas lyrische Verspieltheiten besonders intensiv – „Halt den Gedanken fest. Auch wenn er falsch ist, du hast recht. Halt dich an deiner Liebe fest. Auch wenn sie falsch ist, bleibt sie echt“ aus dem großartigen 2022er-Song „Wir sind verloren“, Interpretationen kann man sich überlegen, wenn man wieder nüchtern ist. Es folgt ein Wanda-Hit-Mix der letzten 10 Jahre, „Jurassic Park“, die erste Single „Auseinandergehen ist schwer“, „Luzia“, „Gib mir alles“ (mit Marcos X-Mas-Haube als einziger Referenz an das traditionelle Weihnachten), „Weiter, weiter“ und das flotte „Ciao Baby“. 

 

Fast eine Antithese zum schrecklichen Wanda-Jahr 2023, in dem die Band zwar vor ausverkauften Hallen und Festivals spielte, aber mit persönlichen Schicksalsschlägen konfrontiert wurde. Es starb nicht nur der Vater von Sänger Marco, sondern im September 2022 auch Keyboarder und Gründungsmitglied Christian Hummer nach langer schwerer Krankheit. „Das Ende der Kindheit“, „Das Leben ist ein Geschenk. Und das lern ich jetzt“, „Die Antwort auf den Tod ist das Leben“, Zitate aus einem Spiegel-Interview mit Marco Michael Wanda im November 2023. „Bei niemand anders“ (werd' ich sein, wenn das alles zugrunde geht) heißt der berührende neue Song, der die gedrückte Stimmung der jetzt noch mehr zusammengeschweißten Stamm-Formation – Marco Michael Wanda, Gitarrist Manuel Christoph Poppe und Reinhold „Ray“ Weber – reflektiert. Die Ballade präsentiert Sänger Marco erstmals live klavierspielend in der Wiener Stadthalle, nach einer Schweigeminute für alle Menschen, die im letzten Jahr verstorben sind.

 

Danach sind wieder Verdrängung, Party-Exzesse und Schlachtgesänge angesagt, der Gassenhauer „Meine beiden Schwestern“, „Ich will Schnaps“ und die Falco-angehauchte Hymne „Rocking in Vienna“ (bei der nur der im Video brillierende Schauspieler Gerald Votava fehlte). Was bis dahin keiner wusste (aber insgeheim hoffte): Wanda haben für den Weihnachtsgig noch Überraschungsgäste eingeflogen. 

 

Im Wohnzimmer Marcos steht die Vinyl-Scheibe „Gibt´s ein Leben vor dem Tod“. Da existiert doch keine bessere Gelegenheit, als den Interpreten dieses Werks auf die Bühne zu bitten. Austro-Pop-Legende Boris Bukowski, nach schwerer Krankheit wieder genesen, präsentiert gemeinsam mit Wanda den Klassiker „Du bist wie Kokain, baust mich auf und machst mich hin“. Als nächste auf der Stage: Christina Stürmer, die zuletzt im Volkstheater ihre Unplugged Versions vorstellte, mit einer rockigen Version ihres ersten Hits „Ich lebe“. Und den CO2-Emissionen zum Trotz entert danach noch die Chemnitzer Rock-Band Kraftklub die Bühne, deren letzter Auftritt in der Stadthalle monatelang ausverkauft war. Auszucken der Fans bei ihren Live-Hits „Fahr mit mir“ und „Songs für Liam“. 

 

Den Schlusspunkt setzen dann wieder Wanda „solo“ mit „Columbo“ (ihrem chartmäßig größten Hit“), „1,2,3,4“ und einer Reprise von „Bologna“. Na ja, Schlusspunkt ist so nicht ganz richtig. „Ende nie“ wird das neue im Juni 2024 erscheinende Album heißen. Und „Weihnachten mit Wanda“ findet genau in 365 Tagen wieder statt. Happy Christmas!!! 

mehr lesen

Jugend-Demokratie-Monitor: 56 Prozent fühlen sich im Parlament nicht repräsentiert!

Die Young Generation hat sich nicht gerade den günstigsten Zeitpunkt ausgesucht, um unbeschwert, lebenslustig und zielbewusst erwachsen zu werden. Krisen en masse von den Nachwehen der Corona-Pandemie bis hin zu Krieg mitten in Europa und zu einer Rekordinflation, die viele Familien in finanzielle Nöte stürzt. Die aktuelle politische Klasse dient weder als intellektueller noch als moralischer Rückhalt. Freunderlwirtschaft, Korruption, Abgehobenheit und Inkompetenz sowohl hinsichtlich der Bewältigung der Krisen als auch der Auswahl relevanter Themen dominieren die politische Szene. Und das ist keineswegs Schwarzmalerei, wenn man die aktuelle SORA-Umfrage „Junge Menschen & Demokratie in Österreich 2023“ betrachtet. Die Ergebnisse sind in ihrer Brisanz und Eindeutigkeit eine Abrechnung mit der gegenwärtigen politischen Kultur.

 

Politische Selbstwirksamkeit

 

Befragt wurden 343 junge Menschen zwischen 16 und 26 Jahren mit Wohnsitz in Österreich, und zwar im Zeitraum vom 30. August bis zum 12. Oktober 2023, einerseits per Telefon-, andererseits per Online-Interview. Die zunehmenden finanziellen Probleme und der damit eingehende Zukunftspessismus zeigen sich auch in der Umfrage. So gehen 33 Prozent davon aus, dass sich in den nächsten 12 Monaten die Lebensumstände verschlechtern werden, bei prekär lebenden Jugendlichen sind es sogar 49 Prozent. In direktem Konnex damit steht das Interesse an der Politik. Bereits die letzten Wahlen haben gezeigt, das immer mehr ökonomisch schwächere Bürger in das Nichtwähler-Lager abgleiten. Die aktuelle SORA-Umfrage verstärkt diesen Trend: Nur mehr 44 Prozent der Jugendlichen glauben 2023, dass sie etwas bewirken können, wenn sie sich politisch beteiligen. 2021 betrug dieser Wert noch 53 Prozent. Bei Jugendlichen mit geringem Haushaltseinkommen sind es nur mehr 36 Prozent.

 

Repräsentation im Parlament

 

Das Parlament, das diese Umfrage in Auftrag gegeben hat, wird ebenfalls mit wenig berauschenden Werten konfrontiert. So fühlen sich 56 Prozent der jungen Menschen im Parlament wenig oder gar nicht repräsentiert, bei Jugendlichen mit finanziellen Sorgen sind dies sogar 67 %. Vor der Corona-Pandemie waren die Werte deutlich besser (2019: 27 Prozent), seitdem hat keine Erholung mehr stattgefunden. 

 

Vertrauens-Index

 

Beim Vertrauens-Index führen unter den jungen Menschen die Polizei (66 %), das Justizsystem (58 %) und die Behörden (50 Prozent). Auch hier schneiden die politisch besetzten Gremien schlecht ab. Dem Parlament vertrauen nur 41 Prozent der Befragten (2020: 55 %), der Bundesregierung gar nur 39 Prozent (2020: 51 %). Ein Viertel der jungen Menschen (24 %) fühlt sich durch gar keine politische Partei vertreten. 

 

Soziale Medien Informationsquelle Nr. 1

 

Erhoben wurde in der SORA-Analyse auch, wie sich die jungen Menschen über Politik informieren. Hier sind die sozialen Medien bereits die am häufigsten genutzte Informationsquelle. 58 % informieren sich zumindest einmal pro Woche in den Social Media, ein Anstieg von 24 Prozent gegenüber 2018 (34 %). Facebook, vor einigen Jahren noch klare Nr. 1, liegt 2023 nur mehr abgeschlagen auf Platz 4. Das am häufigsten genutzte Medium bei den Jugendlichen ist die Foto- und Videoplattform Instagram (64 %), dahinter Tik Tok (32 %) und die Messengerdienste (inkl. WhatsApp) mit 26 Prozent.

 

Bei den klassischen Medien liegen die Zeitungen, egal ob print oder online, mit 50 % voran. 42 Prozent der jungen Menschen informieren sich per YouTube über politische Themen, 40 % über das Radio und 38 % über das Fernsehen. Die traditionellen Medien werden prozentuell häufiger von Menschen mit mehr finanziellen Ressourcen und höherer formaler Bildung konsumiert. 

 

Politische und zivilgesellschaftliche Partizipation

 

Die politische Partizipation der jungen Menschen wird großteils in Form von Wahlen vorgenommen. Immerhin 70 Prozent haben in den vergangenen fünf Jahren ihre Stimme bei einer Wahl abgegeben. Desto geringer das Einkommen und die Bildung, desto geringer die Wahlbeteiligung. Eine Analyse, die sich mit der Gesamtbevölkerung deckt und den negativen Effekt hat, dass gerade die Sorgen und Nöte des unteren Einkommensdrittels von den Parteien strategisch ignoriert werden.

 

61 Prozent haben sich in der Schule, in der Arbeit und in der Nachbarschaft für ein Thema eingesetzt, 35 Prozent bei Vereinen und Bürgerinitiativen mitgearbeitet. In konstantem Rahmen bewegt sich die Teilnahme an Demonstrationen (2023: 30 %). Nur 13 Prozent haben bei einer politischen Partei oder einer Interessenvertretung mitgearbeitet. 

 

Politische Bildung und Medienkompetenz

 

Schlecht bewertet wurde von den jungen Menschen die schulische politische Bildung. So berichten 59 Prozent der Befragten, dass sie in der Schule nicht gelernt haben, wie man politische Debatten führt. 52 (!) Prozent wurden zu wenig über ihre Rechte als Bürger aufgeklärt. Fast die Hälfte wurde nicht ausreichend über die Möglichkeit, sich am politischen Geschehen zu beteiligen, informiert. Nur 51 Prozent wissen nach der Schule, wie Politik in Österreich funktioniert. Auch die Medienkompetenz wird in den Schulen zu wenig vermittelt: 52 Prozent fühlen sich zu wenig informiert, wie die Qualität von politischen Informationen in den Medien beurteilt werden kann. Und das in Zeiten von Fake News, Informationsüberflutung durch soziale Medien und politischer Propaganda.  

 

Zukunft

 

Es ist zu befürchten, dass sich die Werte in den nächsten Jahren noch verschlechtern werden. Und daran sind nur bedingt die jungen Menschen selbst schuld. Die schlechtesten Vorbilder für Demokratie und politische Partizipation sind die Politiker selbst. In den politischen Führungsetagen sitzen großteils Parteibuch-Funktionäre, die ohne besondere Kompetenz und Ausbildung in ihre im Vergleich zur Bevölkerung hochbezahlten Ämter gehievt wurden. Es zählen Lobbyismus und Parteidisziplin statt Visionen und Wertvorstellungen. Die aktuellen Strafverfahren und Untersuchungsausschüsse sind die besten Beispiele für den moralischen Verfall der politischen Szene. 

 

Wichtige Themen wie Klimaschutz, Bildung, Vermögensumverteilung, leistbares Wohnen, faire Bezahlung für systemerhaltende Berufe oder Kindergrundsicherung werden aus parteitaktischen Gründen jahrzehntelang vertagt, verzögert und verhindert. Direktdemokratische Instrumente wie Volksbefragungen werden kaum genutzt bzw. landen als erfolgreiche Volksbegehren nach einer Behandlung im Nationalrat in der historischen Parlamentskorrespondenz. 

 

Wen wundert es da noch, dass sich immer mehr junge Menschen von der Politik nicht mehr vertreten fühlen?

Female Power: Dave Stewart mit „Eurythmics Songbook“ live im Berliner Tempodrom

„Als Annie und ich zusammen lebten, schrieben wir keine Songs zusammen. Erst als die Beziehung beendet war, produzierten wir 120 Stücke“. Eine witzige Anekdote, die Dave Stewart gerne bei seiner Europa-Tour zwischen seinen hochkarätigen Songs einstreut. In der Royal Festival Hall in London präsentierte der stets mit Hut auftretende 71jährige britische Popstar zum ersten Mal sein „Eurythmics-Songbook“, die Kritiken waren so enthusiastisch, dass eine World Tour keiner Überredung mehr bedurfte. Zum 40. Jubiläum des All Time-New Wave-Classics „Sweet Dreams“, der die Eurythmics – nach jahrelang mäßigem Erfolg (immerhin ein Top Ten-Hit als „The Tourists“) – in den Pop- und Rockolymp schoss.

 

Nicht mit dabei: Die einstige, stets androgyn gestylte, charismatische Sängerin Annie Lennox, die zuletzt 2022 mit Stewart bei der Aufnahme der Eurythmics in die Rock´n Roll Hall of Fame aufgetreten ist. „Annie wollte nicht mehr auf Tour gehen, das hat sie nie gemocht. Es ist ein anstrengendes Leben“, so Dave Stewart in einem Interview. Stattdessen steht Stewart im Berliner Tempodrom gemeinsam mit einer Band von acht (!) Frauen auf der Bühne, drei davon übernehmen den Part von Annie Lennox: Dave Stewarts Tochter Kaya, die Australierin Vanessa Amorosi (deren Karriere bei den Olympischen Spielen in Sydney mit dem Superhit „Absolutely everybody“ begann) und die aus Manchester stammende Soulsängerin RAHH. Die weiblichen Bandmitglieder wurden von Dave Stewart, teils auch über Instagram, persönlich selektiert. 

 

Die Setlist der rund 90 Minuten langen Show reicht von Frühwerken (wie der ersten Single „Never gonna cry again“ als Opener), dem im Kim Basinger-Mickey Rourke-Erotikstreifen „9 ½-Wochen“ platzierten „The City never sleeps“, den Superhits der 80er (wie „Love is a Stranger“, „Who´s that Girl“, „Thorn in my Side“ oder „When tomorrow comes“) bis hin zur Comeback-Single „I saved the World today“ aus dem Jahr 1999. Eine Reunion kurz vor der Jahrtausendwende, im Rahmen der die Eurythmics auch wieder auf Tour gingen und dabei die gesamten Gewinne Greenpeace und Amnesty International spendeten. 

 

Die großartige Saxophon-Spielerin Yasmin Ogilvie bekommt beim Instrumental-Classic „Lily was here“ einen Spezial-Auftritt und steht Candy Dulfer um nichts nach. Stewarts Tochter Kaya brilliert an der Seite ihres Vaters beim einzigen UK-Nr. 1-Hit der Eurythmics, „There must be an Angel“ (den sie schon als Fünfjährige auf dem Schoß ihrer Patentante Annie Lennox gesungen hat), und der Ballade „You have placed a chill in my heart“, Vanessa Amorosi transformiert das chillige „Here comes the Rain again“ gegen Ende in eine Rock-Hymne, während RAHH mit ihren Power-Vocals den Missionary Man beschwört. Beim Feminist Anthem „Sisters are doing it for themselves“ (in den schrillen Eighties ein Duett mit der Soul-Legende Aretha Franklin) rocken alle drei Leadsängerinnen gemeinsam die Bühne. Das Finale Furioso natürlich „Sweet Dreams“ in einer Extended Version mit Konfettiregen.

 

Fazit:  Eine großartige Retrospektive, die nicht nur den Fans, sondern auch Mastermind Dave Stewart und seiner Girls Band Spaß gemacht hat. Und obendrein den Sanktus der Eurythmics-Ikone Annie Lennox genießt.

mehr lesen

Hyperrealismus gegen Gewalt und Krieg: Gottfried Helnwein in der Wiener Albertina

Der Wiener Künstler Gottfried Helnwein feierte kürzlich im Oktober seinen 75. Geburtstag. Und hatte gleichzeitig das Vergnügen, mit der Kuratorin Elsy Lahner seine vierte Ausstellung in der Wiener Albertina zu konzipieren. 1979 war Helnwein, der den langjährigen Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder schon seit Studententagen kennt, zum erstenmal mit Zeichnungen zu Edgar Allan Poe vertreten, dann 1985 mit einer Einzelausstellung und 2013 mit einer umfassenden Retrospektive. „Realität und Fiktion“ heißt seine aktuelle Ausstellung, die sich mit seinen Werken aus den letzten 3 Jahrzehnten beschäftigt. Die Grundthematiken haben sich nicht verändert, die Methoden wurden allerdings adaptiert an den aktuellen, nicht unbedingt positiven Zeitgeist.

 

Kinder

 

Bereits vor der Eröffnung der aktuellen Ausstellung sorgte Helnwein mit zwei großformatigen Bildern eines blutverschmierten Mädchens („My Sister“) für Aufregung, die den Ringturm am Schottenring umhüllten. Damit einhergehend wurde eine Kampagne gegen Gewalt an Frauen und Kindern gestartet. Kinder stehen seit Beginn der künstlerischen Karriere Helnweins im Zenit seines Schaffens. „Die Helden meiner Geschichten sind die Kinder, als Metapher für eine potenzielle Unschuld und eine im Innersten des Menschen vorhandene Unverletzlichkeit und Unbesiegbarkeit“, so ein in der Ausstellung platziertes Zitat Helnweins. 

 

Jugend in der Nachkriegszeit

 

Aufgewachsen im Wien der 50er („ein schrecklicher Ort“) wurde Helnwein konfrontiert mit der kollektiven Amnesie der Elterngeneration über die Greuel des Zweiten Weltkrieges, der beklatschte Freispruch des NSDAP-Funktionärs Franz Murer bekräftigte seine Einstellung, dass er mit dieser Gesellschaft nichts zu tun haben wolle und „Kunst für ihn die einzige Möglichkeit wäre“, sich selbst zu verwirklichen. Helnwein studierte – gemeinsam mit Manfred Deix – an der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien, danach Malerei an der Akademie der bildenden Künste. Helnwein erregte damals nicht nur Aufsehen mit seinen Bildern, sondern auch mit radikalen Protesten gegen politische Missstände (wie der Aktion „Akademie brennt“ im Jahre 1971). 

 

Der Schrei

 

Im Gegensatz zu seinen Kollegen wollte Helnwein seine Kunst nicht nur in elitären Galerien präsentieren, sondern ein möglichst großes Publikum erreichen. Und so erschienen seine teils provokanten Fotos und Bilder bald auf den Covers bekannter Zeitungen und Magazine (wie dem „Profil“, dem „Stern“ oder dem Time Magazine). Oder auf Plattencovern. „Der Schrei“, Helnweins brutales Selbstporträt mit aufgerissenem Mund, Gabeln in den Augen und bandagiertem Kopf, verwendeten die Scorpions als Cover ihres Albums „Blackout“. Das Kult-Bild der 80er, einerseits ein verzweifelter Aufschrei gegen die herrschenden Strukturen, andererseits ein knallharter Aufruf zum Protest, ist auch in der aktuellen Helnwein-Ausstellung zu sehen.

 

Donald Duck

 

Helnwein, der 2008 die Ausstellung „Donald Duck – Und die Ente ist Mensch geworden“ im Kremser Karikaturmuseum kuratiert hat, ist seit seiner Kindheit Fan der Entenhaus-Family. Die Walt Disney-Comics waren für ihn eine Aufhellung der düsteren Nachkriegs-Wien-Atmosphäre. Vor allem mit Donald Duck (der in der aktuellen Albertina-Ausstellung mit dem neuen Bild „In the Heat of the Night“ vertreten ist) verbindet ihn eine besondere Sympathie, dieser „rapple sich immer wieder wie ein Stehaufmännchen auf, ungeachtet welches Unglück ihm auch widerfährt“. Die Micky Maus erscheint in seinen Arbeiten überdimensional, monströs und zähnefletschend, eine beabsichtigte Verzerrung mit Blick auf die gewalttätigen Zeiten. Helnwein sieht sich insofern als „Gott seines Universums“, die „Leinwand ist seine Bühne“, auf der er reelle Gestalten mit Fantastiefiguren kombiniert. 

 

In seinem Kunstwerk „The Man who laughs“ grinsen sich Minnie Maus und Diktator Adolf Hitler vor einer verwüsteten Stadt teuflisch entgegen, „The Visit 4“ zeigt einen gelben Vogelmann mit spitzem Schnabel, der sich über ein schlafendes Kind beugt. Die Interpretation bleibt dem Publikum überlassen, „die Kunst braucht nur eines, einen naiven Betrachter“, so Helnwein. 

 

The Disasters of War

 

Bei seiner neuesten, an Goya angelehnten Serie „The Disasters of War“ verwendet Helnwein die japanische Comic-Ästhetik, indem er Manga-Girls in Katastrophenszenarien einbettet. Diese posieren im Instagram-Style vor brennenden Häusern, explodierenden Tanks und sinkenden Schiffen, die in ihrer malerischen Ausgestaltung Hochglanz-Action- und Animationsfilmen entsprechen. Eine doppelte Fake Reality. Mangas stellen für Helnwein eine „künstliche, sexualisierte Kindlichkeit in einer kalten designten Welt“ dar, ebenso haben die in den Medien publizierten Bilder oft nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun, sie dienen zumeist der Propaganda der Kriegsparteien. „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges. Ich sehe bei den kriegerischen Auseinandersetzungen nur die Kinder, die haben das nicht verdient“, so Helnwein bei der Vernissage der Ausstellung.

 

Helnwein versteht sich als Konzeptkünstler. Im Mittelpunkt stehen der Inhalt und die Botschaft und nicht die Form der Umsetzung, die von Aquarellen, Zeichnungen, Aktionen bis zu Malereien, Installationen im öffentlichen Raum und Bühnenbilder für Inszenierungen reicht. „The Child Dreams“, bei dem Mädchen und Puppen an Seilen von der Decke hängen, basiert beispielsweise auf dem Bühnenbild für eine gleichnamige Oper Hanoch Levins 2010 in Tel Aviv. Die großformatigen Bilder hat er bereits seit seinem Wegzug nach Deutschland 1985 im Repertoire. Ansonsten hätte man keine Chance, sich gegen die massenhaften Bilder und Werbeplakate durchzusetzen. 

 

Hyperrealismus

 

„Ich will Dinge sichtbar machen, die die Menschen lieber verdrängen und unsichtbar lassen würden, und sie dazu verführen, diese Dinge anzusehen“, das ist das Credo Helnweins. Als Vorlage für seine Bilder dienen zumeist Fotografien. Die Methode des Hyperrealismus sei insofern notwendig, als sie nicht nur fasziniert, sondern auch das Mindset der Betrachter verändern kann. Bei monochromen Zyklen wie der in der Albertina präsentierten „Sleep“-Reihe verzichtet Helnwein fast gänzlich auf Farben, sodass die Gesichter der Kinder kaum mehr erkennbar sind.

 

Epiphany

 

„Die Kunst ist immer Spiegel der Zeit“, auch ein Helnwein-Zitat. In „Epiphany 1“ nimmt er Bezug auf die ihn zeit seines Lebens belastete Verdrängung des Nazi-Terrors durch die Nachkriegsgeneration und zeigt eine Variation der christlichen Anbetung des Jesuskindes und der Jungfrau Maria. Bei den Heiligen Königen handelt es sich allerdings um devote SS-Offiziere. Grundlage dieses provokanten Werks ist eine Fotoaufnahme mit Adolf Hitler in der Mitte, der im Bild durch ein den Betrachter anstarrendes Jesukind und eine stolz-arrogante Gottesmutter ersetzt wurde.

 

Ebenfalls im letzten Raum zu sehen ist das neueste Werk Helnweins, eine Skulptur eines ganz in Weiss gekleideten, bandagierten Mädchens, das auf einem Holztisch liegt. Formal identisch zum Bild dahinter, bei dem das Mädchen von Kriegsveteranen umringt wird. Es steht außer Frage, dass die kreativ-innovativen Zeiten des in Irland und Los Angeles lebenden Künstlers noch lange nicht vorbei sind.

mehr lesen

Alkohol ist keine Lösung: Journalistin Eva Biringer auf der Buch Wien

Österreich liegt laut einem aktuellen OECD-Gesundheitsbericht im Spitzenfeld beim Alkoholkonsum. Pro Kopf werden jährlich 11,1 Liter reiner Alkohol getrunken, dies entspricht ungefähr 220 Litern Bier. Nur in Bulgarien, Tschechien, Litauen und Lettland wird mehr getrunken. 370.000 Menschen (ca 5 % der Bevölkerung) gelten als alkoholabhängig, davon 100.000 Frauen. Während Jugendliche tendenziell immer weniger Alkohol konsumieren (alternativ allerdings auf Cannabis, Ecstasy oder Amphetamine zugreifen), kam es vor allem bei einer Gruppe zu einem Anstieg in den letzten Jahren, bei den jungen, gebildeten Frauen.

 

Alkohol in Wien

 

Eva Biringer ist bzw. war eine davon. Die 34jährige deutsche Journalistin und Theaterkritikerin hat über dieses Thema ein spannendes Buch – „Unabhängig: Vom Trinken und Loslassen“ – geschrieben und dieses bei der Buch Wien präsentiert. Wien war insofern auch Gegenstand der amüsanten Leseprobe über ein gar nicht so amüsantes Problem der Gesellschaft. In den Kaffeehäusern wechsle man schon um 15 Uhr von der Melange zum Achterl. Trinken sei Teil des Assimilierungsprozesses in Wien, egal ob am Donaukanal, bei Vernissagen oder in den Beisln. „Ich habe nie verstanden, warum man Wein mit Wasser mischen soll. Ich trank ihn lieber pur“, so Biringer, die allerdings jetzt trocken ist und  – ähnlich wie Buchautorin und Podcasterin Nathalie Stüben („Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens“) oder Instagrammerin und TikTokkerin-Laura („Laurassoberlife“) – für ein Leben abseits von Räuschen, Abstürzen, Unfällen, Gedächtnisverlust und verkaterten Wochenenden eintritt. 

 

Edward Munch

 

„Der Tag danach“: So heißt ein Bild des ebenfalls mit dem Dämon Alkohol ringenden norwegischen Maler Edvard Munch.  Dieses hing bereits in Form einer Postkarte im WG-Zimmer der Autorin. Das Motiv: Eine auf einem Bett liegende Frau mit leicht aufgeknöpfter Bluse und komatösem Zustand, auf dem Tisch daneben eine Flasche Alkohol. Ein Bild, mit dem sich Biringer zur Zeit ihrer Alkoholexzesse vollends identifizieren konnte.

 

Gelebte Emanzipation

 

Alkohol sei für die Frauen gelebte Emanzipation, so Biringer. „Früher konnten die Töchter kochen wie ihre Mütter, heute saufen sie wie ihre Väter“. Gefährdet seien laut aktueller Studien vor allem gut ausgebildete, alleinstehende Frauen aus der Mittel- und Oberschicht, die später Kinder bekommen und sowohl bei ihren Jobs als auch in der Freizeit mehr Gelegenheit haben, zu trinken. „So gesehen habe ich das große Los gezogen: Master-Universitätsabschluss, erwerbstätig, die meiste Zeit meines Lebens Single".

 

Schädliche Folgen

 

Die Alkoholprobleme (vor allem in der Kunst-, Gastro- und Medienszene) sind offensichtlich, werden allerdings mehr oder weniger geschickt versteckt und verdrängt, und das obwohl Alkohol sich bei Frauen schädlicher auswirkt als bei Männern. Frauen werden aufgrund eines unterschiedlichen Körperbaus (mehr Fettgewebe, weniger Flüssigkeitsanteil) schneller betrunken und bauen den Alkohol langsamer ab, als psychische Folgen drohen vor allem Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Depressionen.

 

Therapy

 

Unter der Kontrolle habe sie den Alkohol seit ihrer Jugend nicht gehabt. Es gab immer wieder Versuche, den Alkohol zu reduzieren, mit sogenannten „Dry Months“, Trinken nur am Wochenende oder geringeren Mengen. Erfolglos. „Man kann nur so lange abhängig sein, solange man konsumiert“, ihre Therapeutin. Mit 30 hat Biringer, selbst „nur“ psychisch und nicht körperlich abhängig, beschlossen, einen Schlussstrich unter das Saufen zu ziehen und eine ambulante Entwöhnungstherapie mit Einzel- und Gruppengesprächen zu absolvieren. Erfolgreich. Sie habe seitdem keinen Alkohol mehr getrunken, sei viel entspannter und betreibe viel Sport und Wander-Touren. Wer auf Bier und Wein nicht verzichten wolle, könne auf die boomenden alkoholfreien Varianten umsteigen, so die aktuell als Gastro- und Foodjournalistin arbeitende Biringer.

 

Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch

 

Das Problem von Alkohol in unserer Gesellschaft sei – im Vergleich zu illegalen Drogen - die ständige Verfügbarkeit. Als Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch schlägt Biringer Verkaufseinschränkungen, rigorose Werbeverbote und ein Verbot im Straßenverkehr vor. Außerdem müssen vor allem Kinder und Jugendliche geschützt werden, um nicht bereits im Teenageralter in den Teufelskreis Alkohol zu schlittern.

 

Allerdings möchte Biringer mit ihrem Buch nicht den Moralapostel spielen. Jedermann habe das Recht auf Rausch, es gebe allerdings auch alternative, gesündere Formen, einen Ausgleich im Leben zu finden. 

mehr lesen

"Reise in die Wüste": Filmbiographie zum 50. Todestag Ingeborg Bachmanns!

„Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein“, ohne Zweifel eines der bezaubernsten Zitate der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, deren bereits 50. (!) Todestag dieses Jahr zelebriert wird. Tatsächlich war ihre turbulente Vita vor allem in den letzten Lebensjahren nicht immer durch Sonnenseiten geprägt. 

 

Klagenfurt

 

Geboren wurde Bachmann am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wo sie auch ihre Kindheit verbrachte. Sie besuchte u.a. das katholische Ursulinengymnasium, bevor sie nach dem 2. Weltkrieg in Innsbruck, Graz und Wien zu studieren begann. Ihre erste Erzählung „Die Fähre“ erschien 1946 in der Kärntner Illustrierten. Reist man mit dem Zug in die Kärntner Landeshauptstadt, dann wird man sofort beim Verlassen des Bahnhofes mit dem Konterfei Ingeborg Bachmanns konfrontiert, und zwar durch ein bläulich gefärbtes Graffiti des französischen Street Art-Stars Jef Aerosol am Robert Musil-Haus. Dieses als Museum konzipierte Institut beinhaltet nicht nur eine Ausstellung über ihren Klagenfurtner Schriftsteller-Kollegen Robert Musil („Der Mann ohne Eigenschaften“), sondern auch eine Hommage an Ingeborg Bachmann mit zahlreichen Privatfotos, Gedichten und Dokumentationen ihres künstlerischen Schaffens. 

 

Bereits im 2024 soll in der Klagenfurter Henselstraße zusätzlich das Bachmann-Haus eröffnet werden, in dem die weltbekannte Dichterin während ihrer Kindheit wohnte. Dort soll das gesamte Leben und Werk Bachmanns präsentiert werden, von ihrer Kindheit in Klagenfurt, ihren literarischen Anfängen in Wien bis hin zu ihren späteren Aufenthaltsorten in Europa und ihrem durch eine brennende Zigarette (und Medikamentenentzug) ausgelösten Tod in Rom am 17. Oktober 1973. Begraben ist Bachmann ebenfalls in Klagenfurt, am Zentralfriedhof Annabichl.

 

Biopic „Reise in die Wüste“

 

Ein Mosaik ihres Lebens behandelt der aktuell in den Kinos laufende Biopic-Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“, und zwar die (toxische) Beziehung zwischen Bachmann und dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch in den Jahren 1958 bis 1963. In den Hauptrollen agieren die deutsch-luxemburgische Schauspielerin Vicki Krieps (bekannt u.a. aus der Bobo-Satire „Was hat euch bloss so ruiniert“, dem oscar-nominierten Liebesdrama „Der seidene Faden“ und dem Historienstreifen „Corsage“, wo sie durch ihre Rolle der Kaiserin Sisi den Europäischen Filmpreis gewann) und Ronald Zehrfeld („Im Angesicht des Verbrechens“, „Babylon Berlin“), Regie führte die durch Biopic-Filme wie „Hannah Arendt“ und „Rosa Luxemburg“ renommierte Margarethe von Trotta, die keinerlei Recherche-Anstrengungen ausließ und auch im stetigen Kontakt mit Bruder Heinz Bachmann stand. Allerdings verweigerte der Suhrkamp-Verlag den Zugriff auf die 297 Briefe zwischen Bachmann und Frisch, die kurz nach der Fertigstellung des Films im November 2022 unter dem Titel „Wir haben es nicht gut gemacht“ publiziert wurden. Vermutlich hätte sonst das Drehbuch etwas anders ausgesehen.

 

The Beginning

 

„Versprich mir, dass du nicht mehr unglücklich wirst“, einer der Kernzitate des Films vom österreichischen Komponisten Hans Werner Henze (Basil Eidenbenz), selbst schwul und in einer freundschaftlichen Bruder-Schwester-Beziehung zu Ingeborg Bachmann. Doch was verstand Bachmann eigentlich unter privatem Glück? Zahllose Affären (u.a. mit Hans Weigel, Paul Celan, dem späteren Außenminister Henry Kissinger oder Hans Magnus Enzenberger), die unbeschwerte Freiheit und Unabhängigkeit unter der italienischen Sonne oder eine Partnerschaft mit einem geliebten Menschen? Kann man überhaupt alles gleichzeitig haben? Ist dies nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Frisch und Bachmann lernten sich nach einer brieflichen Kontaktaufnahme 1958 in Paris kennen, Frisch war von ihrem Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ begeistert und bald auch von Bachmann selbst. „Before Sunrise“ am ersten Abend statt „Biedermann und die Brandstifter“. 

 

Alltagsfrust

 

Der private Alltag funktionierte aber überhaupt nicht. Trotta schildert dies in einigen prägnanten Szenen, u.a. als sich Bachmann vom Schreibmaschinen-Geklemper ihres Partners gestört fühlte und sich nicht aufs Schreiben konzentrieren konnte. Oder sich gesellschaftlich langweilte im kleinen Uetikon bei Zurich (wo beide zuerst eine Wohnung bezogen), der Antithese zum Dolce Vita Italiens. 

 

Mein Name sei Gantenbein

 

Missbraucht fühlte sich die Autorin, weil Frisch seine Erlebnisse mit Bachmann in einem Tagebuch niederschrieb. „Ein Schriftsteller lebt von der Sprache und nicht von dem Leben anderer Leute. Schon gar nicht von dem seiner eigenen Frau“, so die Diktion Bachmanns, der Frisch nichts abgewinnen konnte. Bachmann kritisierte nach der Trennung, dass sie Frisch sie als Vorbild für die Figur der eitlen Lila in seinem 1964 veröffentlichten Roman „Mein Name sei Gantenbein“ herangezogen hatte. Ein scheinbarer Sinneswandel: Denn die Briefwechsel der beiden bewies, dass Max Frisch bei all seinen Manuskripten die Zustimmung Bachmanns einholte.

 

The End

 

1960 bezogen Bachmann und Frisch eine Wohnung in Rom, dort wird der Schweizer Schriftsteller im Film vor allem als patriarchal, aggressiv und eifersüchtig dargestellt. Tatsächlich fühlte sich Frisch in Italien wohl und schrieb dort Tag und Nacht an seinem Roman, während Bachmann eine Affäre mit dem Germanisten Paolo Chiarini begann, eine Schreibkrise hatte und immer mehr dem Alkohol und den Tabletten verfiel. „Deine Lethargie….Ich habe darunter gelitten. Ich habe vielerlei versucht, aber ohne Glück. Dein Nichtaufwachenwollen, dein Hindösen,…deine Flucht in Narkotika.“, so in einem Brief im Mai 1962. Im Film wird dieser psychische Ausnahmezustand der Autorin nur in kaum sichtbaren Nuancen erläutert. Die neue Liebe von Frisch, die lebenslustige Studentin Marlene alias Margarethe Oellers (die spätere Ehefrau Margarethe Frisch), die Bachmann selbst in die Arme ihres Partners getrieben hat, erscheint daher keinesfalls abwegig. „Mörder meiner selbst“ warf Bachmann Frisch entgegen, dieser erwiderte „Manchmal sind nicht nur die Mörder, sondern auch die Ermordeten schuldig“. Klingt brutal, trifft es aber auch in der Filmbiographie auf den Punkt.

 

Trottas Bachmann-Film ist laut eigener Aussage eine Mischung aus Doku und Fiktion. Die „Reise in die Wüste“ mit dem Schriftsteller Adolf Opel (Tobias Resch) als persönliche Katharsis auf Rat ihrer Ärzte entsprach ebenfalls den Tatsachen, und zwar nach Ägypten und Sudan. Warum die Regisseurin allerdings einseitig dem Mann die Schuld am Beziehungsende und dem gesundheitlichen Verfall der Autorin zuschiebt, ist auch im Rahmen der Storyline nicht nachvollziehbar. Oder eben feministischer Aktionismus, der das Gegenteil erreicht.

mehr lesen

Gewalt ist niemals eine Lösung: Gewaltschutz in Österreich

„Ich hoffe, dass derartige Bilder im öffentlichen Raum zu groß sind, um übersehen zu werden und die Menschen dazu bringen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen“, Gottfried Helnwein bei der Eröffnung der temporären Ausstellung „Gegen Gewalt“ im Wiener Ringturm. Der renommierte Künstler verwies dabei auf seine beiden Kunstwerke „My Sister“, die das Gesicht eines blutverschmierten Mädchen zeigen und die in einer 3000 m2-Version auf zwei Gebäudeseiten des Ringturms platziert wurden.

 

Die erschreckenden Fakten liefert die Ausstellung gleich beim Eingang. So hat jede dritte Frau in Österreich zwischen 18 und 74 ab dem Alter von 15 Jahren körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt. In Partnerschaften wurden 16,4 % (rund 514.000 Frauen) Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt, 36,92 % wurden mit psychischer Gewalt konfrontiert. Außerhalb von Partnerschaften haben 863.000 Frauen und Mädchen (26,61 %) Gewalt erfahren, jede fünfte Frau wurde gestalkt. 

 

Die Zahl der Femizide ist 2023 bereits auf 25 (Stand: 10. November) angestiegen. Laut einer Studie des Instituts für Konfliktforschung, die die Frauenmorde zwischen 2016 und 2020 untersuchte, waren in 74 Prozent die Partner bzw. Ex-Partner die Täter. Bei 30 Prozent der Fälle war bereits eine Gewaltvorgeschichte aktenkundig, rund ein Viertel der Opfer hat den gewalttätigen Partner bereits angezeigt. Es besteht akuter Handlungsbedarf, und das obwohl das Gewaltschutzrecht erst 2019 novelliert wurde und eigentlich breite Akzeptanz findet.

 

Betretungs- und Annäherungsverbot

 

Das österreichische Gewaltschutzrecht besteht aus Einzelbestimmungen verschiedenster Rechtsvorschriften. Das polizeiliche Vorgehen gegen Gewalt in der Familie und gegen gefährliche Angriffe wird im Sicherheitspolizeigesetz geregelt. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes können gemäß § 38 a SPG ein Betretungs- und Annäherungsverbot aussprechen. Dem Gefährder ist es dann untersagt, die Wohnung samt einem Umkreis von hundert Metern zu betreten. Weiters darf er sich dem Gefährdeten im Umkreis von 100 Metern nicht annähern. Eine genaue Festlegung des Schutzbereiches ist dadurch nicht notwendig, da sich dieser mit der gefährdeten Person bewegt. Seit 1. Jänner 2022 wird zusätzlich ein vorläufiges Waffenverbot ausgesprochen. Die Polizei überprüft mindestens einmal innerhalb der ersten drei Tage die Einhaltung des Verbots und hat die Gewaltschutzzentren zu informieren, die seit 1997 in jedem Bundesland eingerichtet wurden. 

 

Das Betretungs- und Annäherungsverbot endet grundsätzlich zwei Wochen, bei Einbringung von einstweiligen Verfügungen gemäß §§ 382 b-d Exekutionsordnung spätestens vier Wochen nach der Anordnung. Werden diese einstweiligen Verfügungen allerdings vom Bezirksgericht bewilligt, dann können die Maßnahmen bei Gewalt in der Wohnung bis zur Dauer von 6 Monaten (in den anderen Fallkonstellationen bis 1 Jahr) bzw. zur rechtskräftigen Beendigung eines damit verbundenen Verfahrens (wie einer Scheidung) verlängert werden. Die einstweiligen Verfügungen können auch ohne vorheriges Einschreiten der Polizei beantragt werden. Bei Minderjährigen können diese Anträge bei Gefährdung des Kindeswohls auch von der Kinder- und Jugendhilfe gestellt werden. 

 

Einstweilige Verfügungen

 

§ 382 b EO regelt den Schutz vor Gewalt in Wohnungen und umfasst den Auftrag, die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verlassen und ein Verbot der Rückkehr. § 382 e gewährleistet einen allgemeinen Schutz vor Gewalt. Das Gericht kann dabei auf Antrag dem Gefährder verbieten, sich an bestimmten Orten aufzuhalten, sich dem Antragsteller oder bestimmten Orten zu nähern bzw. Kontakt mit dem Antragsteller aufzunehmen. Die sogenannte „Stalking-EV“ gemäß § 382 d EO schützt Personen vor Eingriffen in die Privatsphäre, u.a. durch das Verbot der Verfolgung der gefährdeten Partei, das Verbot jeglicher Kontaktaufnahme (inkl. SMS, Anrufe, E-Mails) oder das Verbot, Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches weiterzuverbreiten. 

 

Gewaltpräventionsberatung

 

Neu eingeführt wurden durch das Gewaltschutzgesetz 2019 nicht nur Fallkonferenzen bei Hochrisikofällen, sondern auch die verpflichtende Gewaltpräventionsberatung. Der Gefährder hat binnen fünf Tagen ab Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes eine Beratungsstelle für Gewaltprävention zu kontaktieren. Binnen weiterer 14 Tage ab Kontaktaufnahme hat eine Beratung stattzufinden, die derzeit mit einer Dauer von 6 Stunden festgelegt ist. Wird diese Verpflichtung nicht eingehalten, droht – ebenso wie bei Verstößen gegen das Betretungs- und Annäherungsverbot – eine Geldstrafe bis zu 2500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 5000 Euro.

 

Unabhängig von diesen Maßnahmen können Gewaltopfer die Täter natürlich auch polizeilich (oder direkt bei der Staatsanwaltschaft) anzeigen. Gewaltopfer haben außerdem gemäß der Strafprozesordnung Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung. Die Frauenhelpline gegen Gewalt (0800 222 555) ist rund um die Uhr kostemlos erreichbar.

 

Mangelnde Strafverfolgung

 

Im Jahr 2022 wurden 14.643 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen, rund 88 Prozent betrafen Männer. Der Anstieg gegenüber 2021 (13690) wird nicht mit einer Gewaltzunahme, sondern mit einer höheren Sensibilisierung der Bürger erklärt. Um die Gewaltspirale in unserer Gesellschaft einzudämmen, muss allerdings an noch zahlreichen anderen Rädern gedreht werden. Experten fordern beispielsweise mehr Annäherungsverbote bei Stalking und Cyber-Stalking und mehr Kontaktverbote bei Anrufen und Textnachrichten. Kontaktverbote sollten strenger kontrolliert werden, bei Verstößen Festnahmen angeordnet werden. Die Beratungsstellen wünschen sich eine rechtliche Möglichkeit, proaktiv Kontakt mit Gefährdern aufnehmen zu können. 

 

Die GREVIO (eine ExpertInnengruppe des Europarats für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt) lobt zwar das österreichische Gewaltschutz-System, kritisiert aber die mangelnde Strafverfolgung der Gewalttäter. Viele Fälle werden durch Diversion (anstatt einer strafrechtlichen Verurteilung) beendet, außerdem gäbe es Probleme bei polizeilichen Ermittlungen und der Beweiserhebung im Ermittlungsverfahren.

 

Informationskampagnen

 

Die Neos forderten zuletzt in einem parlamentarischen Entschließungsantrag eine strukturelle Erhebung aller bestehenden Gewaltschutzeinrichtungen von Bund, Länder und Gemeinden. Und das nicht unbegründet, verliert man doch aufgrund der zahlreichen singulären Interventionsstellen, Opferschutzeinrichtungen und Beratungsstellen leicht den Überblick über das Gesamtkonzept. Zumindest eine Informationskampagne für Frauen und Mädchen wurde einstimmig im Parlament beschlossen. Verbessert werden muss auch die juristische Information für alle Beteiligten. So waren zuletzt Streitigkeiten über die Obsorge und das Besuchsrecht Grund für gewaltsame Auseinandersetzungen, die bei rechtzeitiger Aufklärung der Rechtslage vielleicht verhindert hätten werden können.

 

Mehr Geld für Frauenberatungsstellen

 

Das Frauenbudget wurde für das Jahr 2024 um 9,3 Millionen Euro auf 33,6 Millionen Euro aufgestockt. Davon fließen 13,6 Millionen Euro in die Frauen- und Mädchenberatungsstellen. „Wir wollen einen 100-prozentigen Flächendeckungsgrad. Künftig soll es daher in jedem Bezirk entsprechende Einrichtungen geben“, so die Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP). Außerdem sollen gerichtsmedizinische Gewaltambulanzen eingerichtet werden, die mittels professioneller Spurensicherung die Verurteilungsrate erhöhen sollen. 

 

StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt

 

„StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ nennt sich ein in Hamburg entwickeltes Konzept, das auf Nachbarschaftsebene versucht, Gewalt in den Familien zu verhindern. Dazu zählen nicht nur regelmäßige Frauen- und Männertische und Informationskampagnen zur Sensibilisierung gegen Gewalt und patriarchale Strukturen, sondern auch das Mittel der „paradoxen Intervention“. Ergeben sich Hinweise auf einen Gewaltausbruch in einer Wohnung, sollen die Nachbarn unmittelbar eingreifen, indem sie an der Tür anläuten und durch eine harmlose Frage wie „Können Sie mir etwas Milch“ borgen“ zur Deeskalierung der Lage beitragen. In Österreich wird dieses Konzept derzeit in Wien-Margareten praktiziert.

 

Fazit

 

Es gibt also verschiedenste Anknüpfungspunkte und Handlungsebenen, um Gewalt in unserer Gesellschaft zu bekämpfen. Dass die Gewaltspirale radikal reduziert werden muss, steht außer Frage, wenn man sich die aktuellen Zahlen, innerhalb und außerhalb von Partnerschaften, betrachtet. Diese Zahlen sollten auch der Gradmesser für die Erfolgswirksamkeit der alternativen Konzepte sein, denn einzelne Femizide (die oftmals auch unerwartete Kurzschlussreaktionen darstellen) wird man schwer verhindern können.

Gonna make you sweat: Alternative-Rockerin K.Flay live im ausverkauften Wiener Flex

„Vienna, are you ready? Are you serious?“ - Mit diesen scharfen Worten startet Kristine Meredith Flaherty aka K.Flay ihre heiße Show im ausverkauften Wiener Flex. Ein Auftritt, den man nicht unbedingt erwartet hatte. Warum, das schildert K.Flay gleich persönlich mit den ersten Versen des Opening Tracks. „Woke up on a Saturday, deaf in my right ear. I was dizzy and disoriented, vertigo severe. All the doctors said the cause was just some mystery unknown“. 

 

Die 1985 in Wilmette (Illinois) geborene Sängerin erkrankte letztes Jahr an Labyrinthitis, die Folgen ein kompletter Hörverlust am rechten Ohr. Die musikalische Karriere setzte die US-Rockerin allerdings fort, und das mit dem großartigen neuen Album „Mono“, das sie im Rahmen einer weltweiten Club-Tour präsentiert. „Mono“ steht dabei nicht nur für ihre persönliche gesundliche Beeinträchtigung, sondern auch als Metapher für das Gefühl der Einsamkeit und der Isolation.

 

Dressed in Black mit coolen Shorts liefert K.Flay von der ersten Minute an eine temperamentvolle Power-Show. Der Sound eine genreübergreifende Synthese von Indie, Hip Hop und Alternative Rock, die Setlist eine Mixtur aus älteren Hits und Tracks aus dem neuen Album. Persönliche Moderationen dürfen nicht fehlen, und tatsächlich basieren viele Songs von K.Flay auf privaten Erlebnissen, Emotionen und Schicksalsschlägen. „Raw Raw“, ausgestattet mit einem genialen Prodigy-ähnlichen Riff (Anm.: Liam Howlett produzierte einst ihre 2012er-EP „Eyes Shut“), handelt von der Verletzlichkeit im Zustand des Verliebtseins, „Shy“ ist ihrer neuen Freundin gewidmet, bei „Irish Goodbye“ (einer Co-Produktion mit dem US-Post Hardcore-Musiker-Vic Fuentes) konfrontiert sich K.Flay mit dem teuflischen Dämon Alkohol. „In America“ thematisiert die negativen Seiten des American Way of Life: Kapitalismus, Drogensucht unter Jugendlichen, mordende Police-Cops.

 

2017 wurde die in Los Angeles lebende Sängerin für zwei Grammys nominiert, einerseits für das Album „Everywhere is some where“ (als Best Engineered Album), andererseits für den Track „Blood in the Cut“ als Best Rock Song, weiterhin ein Favourite Track der Fans und perfekt positioniert zwischen den Songs aus dem neuen Album „Mono“.

 

Am Ende der 90 Minuten-Show präsentiert Miss Flaherty noch ihre neue Single „Punisher“ und den legendären Klassiker „High Enough“. Wozu Alkohol und Drogen, „cause I´m already high enough“. Kein Wunder bei diesem Adrenalin-Schub im Flex. „Hottest Indoor-Show of my Life? Vienna I fuckin luv u. Thank you for selling it out and bringing your passion!“ – Ein Instagram-Clip der schweißüberströmten K.Flay unmittelbar nach der Show…

mehr lesen

Solo-Debüt: Chvrches-Sängerin Lauren Mayberry live im Flex

„I´m gonna play a bunch of songs that basically none of you know“, so startete Lauren Mayberry nach einem eingespielten Liza Minelli-Intro ihren Auftritt im Wiener Flex. Klingt nach einer scheuen Indie-Newcomerin bei ihrer ersten Promo-Tour durch die kleineren Clubs, ist aber genau das Gegenteil. Die aus Glasgow stammende Mayberry steht nämlich seit 2011 mit ihrer Band Chvrches (inkl. Iain Cook, Martin Doherty) auf der Bühne, und das vor ausverkauften Arenen und Festivals. Alle bisher veröffentlichten vier Alben stürmten die Top 10 der britischen Charts. 

 

Jetzt ist Manegenwechsel angesagt: Die überzeugte Feministin, die sich auch für die Rechte von LGBTIQ´s und für Waffenverbote einsetzt, will sich von ihrer Band emanzipieren und im nächsten Jahr ein Solo-Album veröffentlichen. Zwei Singles wurden bereits vorab veröffentlicht, sechs weitere Tracks stehen auf der Setlist ihrer Tour. Und Mayberry, sexy gekleidet im goldenen Glitzer-Look, stellt – trotz einiger Chvrches-Fan-T-Shirt-Träger im Publikum – von vornherein klar, dass in ihrem Solo-Programm keine Chvrches-Songs laufen werden. Musikalisch supportet wird Mayberry nicht von schwarzgekleideten Männern, sondern von einer lässigen Girl-Combo: Keyboards, Gitarre und Drums statt Eighties-Synthesizer. Die Bühne bunt mit Blumen geschmückt.

 

Der Electro-Pop bleibt allerdings nicht auf der Strecke, die zweite Single „Shame“ zählt zu den Highlights der neuen Mayberry-Show. Ebenso wie der Opener „Bird“ und das poppige „Change Shapes“. Neue Akzente setzt Mayberry mit ihrer ersten Solo-Single „Are you awake“, einer melancholischen Ballade, die sie – Amanda Palmer-like – am Piano performt. Zwei Coverversionen stehen am Programm jeder Mayberry-Show, die eine fix, „Like a Prayer“ von Madonna, die andere variiert von Stadt zu Stadt. Das Flex kam im Genuss des Depeche Mode-Kult-Tracks „Personal Jesus“. Wenn schon die Original-Band nicht nach Wien kommt, dann darf wenigstens Mayberry a la Gahan ihre Pirouetten drehen. 

 

Zum Schluss wird noch abgerockt im Stil der Blondie-Punk-Years der 70er: „Sorry, Etc.“, dann geht das Licht (früh) an. Der erste mutige Schritt Richtung New Image ist getan, Album und Festival-Gigs werden nicht lange auf sich warten lassen.

mehr lesen

Gleichbehandlungsrecht: Kein Ende der Diskriminierung für Homosexuelle in Österreich!

Homosexuelle haben es nicht leicht in unserer Gesellschaft. Die Mieten vor allem in den urbanen Ballungsräumen steigen und steigen, und dann kann es noch vorkommen, dass zwei Männer oder zwei Frauen gemeinsam eine Wohnung beziehen wollen und dann vom Vermieter aufgrund ihrer sexuellen Orientierung abgelehnt werden. Eine Taxifahrt verweigert, oder das Küssen in der Therme von einem Bademeister untersagt wird. Alles Fälle, mit denen die Gleichbehandlungsanwaltschaft in den letzten Jahren konfrontiert wurde. Der juristische Missstand, besser gesagt politische Skandal, liegt darin, dass die aufgrund ihrer Homosexualität diskriminierten Personen dagegen rechtlich nichts unternehmen können.

 

In Österreich sind Homosexuelle gemäß dem aktuellen Gleichbehandlungsgesetz nur in der Arbeitswelt geschützt. Dies betrifft die Arbeitsverhältnisse an sich (Bewerbung, Einstellung, Bezahlung, Beförderung, Arbeitsbedingungen, Beendigung,…), Praktika, Jobberatungen, Berufsausbildung, Weiterbildung, die Mitwirkung in Interessensvertretungen oder die Unternehmensgründung. Außerhalb der Arbeitswelt erfasst der Diskriminierungsschutz derzeit nur die Gründe „Geschlecht“ und „ethnische Zugehörigkeit“. Eine Erweiterung auf Alter, Weltanschauung und sexueller Orientierung, das sogenannte „Levelling Up“, wird seit Jahrzehnten (!) von der Gleichbehandlungsanwaltschaft, NGO´s und linken Parteien gefordert, allerdings von der rechtskonservativen Mehrheit im Parlament verweigert.

 

Der beschränkte Diskriminierungsschutz hat nicht nur negative Auswirkungen für die Diskriminierten, sondern auch für das Image Österreichs als weltoffenes, liberales und touristenfreundliches Land. Homosexuelle werden laut einer SORA-Studie (2019) dreimal so oft diskriminiert wie Heterosexuelle. So erlebten laut der EU-Grundrechtsagentur im letzten Jahr 35 Prozent der befragten LGBTIQ-Personen Diskriminierungen außerhalb der Arbeitswelt, 7 % bei der Wohnungssuche, 21 % in Bars oder Restaurants, 10 % in Geschäften. 

 

Im Ranking der ILGA, des europäischen Dachverbands der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen, fiel Österreich innerhalb eines Jahres von Platz 14 auf Platz 19 (Top Five: Malta vor Belgien, Dänemark, Spanien und Island). Nur 49 % der von der Ilga vorgeschlagenen Menschenrechte entsprechen der österreichischen Rechtslage. Die Hauptforderungen: Die Anerkennung der selbstbestimmten Geschlechtsbestimmung ohne vorhergegangener medizinischer Diagnose, das Verbot von medizinischen, nicht notwendigen Eingriffen an intersexuellen Minderjährigen und eben die Erweiterung des Diskriminierungsschutzes auf den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. 

 

Die skurrile Situation besteht hier insoferne, als auf Landesebene diese Lücken bereits gefüllt würden. So kann man sich aufgrund der Antidiskriminierungsgesetze der Länder gegen Diskriminierungen im Zusammenhang mit privaten Zimmervermietern wehren, bei Vorfällen in Hotels (die in die Kompetenzverteilung des Bundes fallen) dagegen nicht. Eine allgemeine, unmittelbar geltende EU-Richtlinie wurde von der EU-Kommission bereits 2008 vorgeschlagen, sie wird seitdem aber im Europäischen Rat blockiert.

 

Im Oktober 2023 brachte die SPÖ wiederholt einen Antrag auf Novellierung des Gleichbehandlungsgesetzes ein, dieser wurde wieder vertagt. Inklusive der Stimmen der Grünen, die aufgrund der Regierungskoalition mit der ÖVP gegen ihre eigenen Interessen votierten. Egal, ob Gleichbehandlung, Bildung, Sozialrecht, Umverteilung (durch Erbschafts- oder Vermögenssteuern), Klimaschutz, Bodenverbrauch,… - Eine Änderung der politischen Verhältnisse in Richtung Modernität, Gerechtigkeit und Fairness wird nur mit einer linksliberalen Mehrheit abseits der rechtskonservativen Altparteien ÖVP und FPÖ erreicht werden können. Hoffentlich droht nicht das Gegenteil…

"Band des Bundes": Berlins modernes Regierungsviertel!

Einst verlief am nördlichen Teil des Spreebogens bzw. östlich des Reichstagsgebäudes (in Richtung Brandenburger Tor) die Berliner Mauer, heute steht dort ein kompakt angeordnetes Regierungsviertel unter der Trademark „Band des Bundes“, und das obwohl gar nicht alle Pläne in die Tat umgesetzt wurden.

 

Reichstag

 

Der Deutsche Bundestag beschloss im Jahre 1991, von Bonn nach Berlin zu ziehen. Der Reichstag, der vor dem Mauerfall für Ausstellungen und Sonderveranstaltungen verwendet wurde, sollte wieder Sitz des Parlaments werden. Parallel dazu erfolgte eine weltweite Projektausschreibung für die Regierungsgebäude und die Abgeordnetenbüros.

 

Das ursprünglich zwischen 1884 und 1894 errichtete Reichstagsgebäude wurde von Sir Norman Foster umgestaltet, inklusive einer gläsernen Kuppel. Die Schlüsselübergabe fand am 19. April 1999 statt. Besichtigungen der Reichstagskuppel zählen zu den großen Hits eines Berlin-Trips und können per Online-Formular vorab gebucht werden.

 

Band des Bundes

 

Die Vision „Band des Bundes“ beinhaltet eine doppelte Symbolik, einerseits die Verbindung zwischen Ost und West (direkt an der ehemaligen Grenze), andererseits die Konnexion zwischen der Regierung und den vom Volk gewählten Parlamentariern.

 

Bundeskanzleramt

 

Am westlichen Ende wurde das Bundeskanzleramt platziert, das zwischen 1997 und 2001 unter der Regie der Berliner Architekten Charlotte Frank und Axel Schultes erbaut wurde. Das aus einem Mittelbau mit neun Geschossen, dem Leitungsgebäude, langgestreckten Flügeln und einem 18 Meter hohen Halbkreis im oberen Teil der Fassade bestehende Gebäude zählt zu den größten Regierungshauptquartieren der Welt und ist achtmal größer als das Weiße Haus. Im Ehrenhof steht die vom spanischen Bildhauer Eduardo Chillida konzipierte Stahl-Skulptur „Berlin“, deren tentakelartige Struktur die Wiedervereinigung darstellen soll. In der Kunsthalle Krems war kürzlich eine Retrospektive des 2002 verstorbenen Künstlers zu sehen.

 

Paul Löbe-Haus

 

Im Jahr 2001 wurde das Paul Löbe Haus eröffnet, das nach dem Reichstagspräsidenten des ersten Bundestags, Löbe (1875-1967), benannt wurde. Dieses enthält die Büros der Abgeordneten, Sitzungssäle und die zentrale Besucherbetreuung. Nach dem ursprünglichen Entwurf sollte das Paul Löbe-Haus eigentlich baulich mit dem Bundeskanzleramt verbunden werden. Geplant war ein Bürgerforum als Zwischenglied zwischen ausführender und gesetzgebender Gewalt, als „Ort der Öffentlichkeit“ mit Cafes, Galerien und Geschäften. Einer der Hauptkritiker war der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl, die Idee wurde verworfen und damit eine vollständige Eingliederung verhindert.

 

Marie Elisabeth Lüders-Haus

 

Auf dem nördlichen Spree-Ufer wurde 2003 direkt am ehemaligen Standort der Berliner Mauer das Marie Elisabeth Lüders-Haus eröffnet. In dem nach der liberalen Frauenrechtlerin Lüders (1878-1966) benannten Gebäude befindet sich das wissenschaftliche Dienstleistungszentrum des Parlaments und die Parlamentsbibliothek. Verbunden werden die auf unterschiedlichen Spree-Ufern liegenden Häuser durch öffentliche Brücken und parlamentsinterne Übergänge und Tunnels. Eine geplante Verlängerung bis zum Bahnhof Friedhofsstraße wurde wegen finanzieller Schwierigkeiten ebenfalls verworfen. 

 

Die Reduzierung des Gesamtkonzepts mag manche Kritiker noch immer stören, das neue Regierungsviertel ist trotzdem ein Eyecatcher der deutschen Bundeshauptstadt. Vor allem dann, wenn man vom Ausgang des 2006 neu eröffneten Hauptbahnhofes (dem größten Kreuzbahnhof Europas) auf das Berliner „Band des Bundes“ blickt…

mehr lesen

„Kind sein“ – Eine Ausstellung über die Young Generation in der Schallaburg!

„Kind sein heißt, die Welt mit anderen Augen zu sehen“, das ist nur eines von vielen Zitaten, die die Ausstellungsbesucher zum Nachdenken, Erinnern und Schmunzeln bringen und die bereits auf dem Weg hinauf zum Renaissance-Schloss Schallaburg platziert wurden. „Kind sein“ – Eine Ausstellung, die für alle Generationen informativ, kurzweilig und penibel zusammengestellt wurde, für Großeltern, die sich noch an tradierte Unterrichtsformen und längst vergessene Ausstattungen erinnern können, für Eltern, die sich mit einer modernen Zeitepoche konfrontieren müssen und manchmal mit den Kindern nicht mehr Schritt halten können und natürlich für die Kinder selbst, die in den 15 Räumen der Ausstellung interaktiv spannende Fragen stellen, eine Zukunftsberufsmaschine testen oder sich mit der gesamten Familie auf einem überlebensgroßen Sessel fotografieren lassen können. Eine Perspektive, die jedes Baby oder Kleinkind durchmacht, wenn es auf die riesige Welt der Erwachsenen blickt. Doch die Zeiten ändern sich bald.

 

Internationale Riten

 

„Denn die Kinder lernen täglich Neues. Und das in einem Tempo, das uns als Erwachsene schwindlig machen würde“. Und dieses Lernen findet noch dazu inmitten gesellschaftlicher und religiöser Riten statt, Erstkommunion oder Firmung in unseren Breiten. Im antiken Griechenland wurden beim Dionysos-Fest bereits 3jährige in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen, als Symbol ein Weinkännchen. In vielen Regionen Lateinamerikas werden 15jährige Mädchen im Rahmen der „Fiesta de quinceanera“ gefeiert, als Geschenk bekommen sie eine letzte opulente Puppe als Abschied von der Kindheit. In Indien erhalten Frauen bei der ersten Menstruation einen teils umstrittenen Halb-Sari-Wickelrock. 

 

Schule

 

„Kind sein heißt auch, für das Leben zu lernen und für die Schule“. Was naturgemäß nicht immer Begeisterung bei den Kids auslöst. Beim „Nie mehr Schule“-Spind fehlt nur der gleichnamige Falco-Track aus seinem ersten Album „Einzelhaft“, genial ist die auf eine kleine Box komprimierte Schummelsammlung. Eine Schulordnung der niederösterreichischen Gemeinde Michelstetten aus dem Jahre 1950 zeigt, wie rigide und konservativ einst die Zustände an den Schulen waren. Der Turnaround hat längst stattgefunden, viele Lehrer haben jetzt anscheinend vor den Schülern Angst, bereits 1994 vom Karikaturisten Gerhard Haderer aufs Tapet gebracht. Laut einer Studie aus dem Jahre 2018 wurden ein Viertel der deutschen Lehrer mit Schülergewalt konfrontiert, von Beschimpfungen in sozialen Medien bis hin zu körperlichen Angriffen. 

mehr lesen

Berlin einst und jetzt: Szene Oberbaumbrücke & East Side Gallery!

Party-Epizentrum Oberbaumbrücke. Dort tobt heute das Leben: Clubs, Bars, Kneipen, Spätis, Straßenmusiker, das Areal vollgefüllt mit einheimischen Nachtschwärmern und Touristen, die einmal 3 Tage wach das heiße Nachtleben Berlins auskosten wollen. Ganz im Gegensatz zur Zeit vor dem Mauerfall.. 

 

Mit dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 wurde die 1896 errichtete Oberbaumbrücke nämlich für den gesamten Verkehr inklusive der U-Bahn gesperrt. Sie diente ab sofort als Grenzübergang zwischen den beiden Berliner Bezirken Friedrichshain (Ostberlin) und Kreuzberg (Westberlin). Manchmal wurde sie auch für die Ausreise freigekaufter politischer Gefangener verwendet. Eine Daueröffnung für Fußgänger wurde erst durch das Viermächteabkommen 1972 ermöglicht. In den 70ern kam es hier aufgrund der Sektorengrenze zu fünf schrecklichen Todesfallen. Kreuzberger Kinder fielen am südlichen Ufer der Spree ins Wasser, die gänzlich zum Ostberliner Sektor gehörte. Die Westberliner durften nicht einschreiten, die Ostberliner schritten nicht ein. Erst 1976 wurde an der Oberbaumbrücke eine Notrufsäule installiert, nach deren Aktivierung Hilfe geleistet werden durfte.

 

Die Bezeichnung Oberbaumbrücke hat ihren Ursprung im 18. Jahrhundert, als eine hölzerne Vorgänger-Brücke zur Zolleintreibung verwendet wurde. Der Schiffs-Durchlass wurde dabei mit einem Baum versperrt, der im Osten „Oberbaum“, im Westen „Unterbaum“ benannt wurde. Die beiden in der Mitte platzierten 34 Meter hohen Türme, die heute zu den beliebtesten Foto-Motiven Berlins zählen, weisen auf diese Funktion hin. Nach der Wiedervereinigung wurde der Mittelteil nach Plänen des Stararchitekten Santiago Calatrava saniert. Auf der Oberbaumbrücke bewegen sich heute täglich rund 600 U-Bahn-Garnituren (U1, U3), 21.000 Kfz und 10.000 Fahrräder, die berühmteste „Joggerin“ unter dem Viadukt war einst Franka Potente im Tykwer-Kult-Film „Lola rennt“. 

mehr lesen

Reiches, armes Österreich: 353.000 Kinder armuts- oder ausgrenzungsgefährdet!

„Was heißt, ein Kind kriegt in Österreich keine warme Mahlzeit?“ Es gibt ja McDonalds, dort koste der Hamburger nur 1,40 (Anm.: vor der Preiserhöhung), plus Pommes Frites nur 3,50 Euro. „Und jetzt behauptet wirklich einer ernsthaft, wir leben in einem Land, wo die Eltern ihrem Kind dieses Essen nicht leisten können?“ Ein schlechter Scherz eines schlechten Kabarettisten, dann könnte man wenigstens darüber noch mitleidig schmunzeln. Tatsächlich stammt dieses Zitat vom türkisen Bundeskanzler Nehammer, der sich mit seinem Monatsgehalt von 23.440 Euro brutto wohl einen Hamburger-Speicher zulegen könnte, um wie Dagobert Duck in seinem Geldmammon dort herumzukraulen. Ein armseliger Tiefpunkt österreichischer Politik, und das beim Thema Kinderarmut, über das jeder Volksvertreter eigentlich Bescheid wissen müsste, Dies gilt insbesondere für einen Regierungschef, in dessen Regierungsprogramm im Kapitel Armutsbekämpfung der Satz „Kein Kind darf in Österreich zurückgelassen werden“ verankert ist.

 

22 % der Kinder armuts- oder ausgrenzungsgefährdet

 

Laut den aktuellen EU-SILC-Zahlen für das Jahr 2022 sind in Österreich rund 1.555.000 Personen (17,5 %) armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. 353.000 (22 %) davon sind Kinder und Jugendliche unter 18. 14,8 % der Bevölkerung (= 1.314.000 Menschen) sind armutsgefährdet und leben unter der Armutsgefährdungsschwelle von aktuell 1392 Euro, davon sind 316.000 Kinder und Jugendliche (19 %). Gäbe es keine Sozialleistungen in Österreich, dann würde sich der Prozentsatz an armutsgefährdeten Jugendlichen auf 36 Prozent (591.000) erhöhen. Besonders betroffen sind Kinder in Ein-Eltern-Haushalten (32 %) und Mehrkindhaushalten (29 %). 

 

Materielle und soziale Deprivation

 

104.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind materiell und sozial depriviert und können aufgrund der finanziellen Situation ihrer Eltern nicht am gesellschaftlichen Leben adäquat teilhaben. So gibt es in Haushalten von 123.000 Kindern Zahlungsrückstände, 363.000 Kinder leben in einem Haushalt, der unerwartete Zahlungen in einer gewissen Höhe nicht finanzieren kann. Für 78.000 Kinder ist es nicht möglich, sich ausgewogen zu ernähren bzw. jeden zweiten Tag Fisch, Fleisch oder eine vergleichbare vegetarische Alternative zu konsumieren. 175.000 Kinder wohnen in feuchten Wohnungen, 7 Prozent der Kinder unter 16 (103.000) können sich eine Teilnahme an mit Kosten verbundenen Freizeitaktivitäten nicht leisten. 27.000 Kinder können an kostenpflichtigen Schulveranstaltungen nicht teilnehmen und haben dadurch Probleme bei der ohnehin schwierigen Integration in eine Klassengemeinschaft. Zahlen und statistische Erhebungen im neuntreichsten Land Europas, die schockieren und zum Nachdenken anregen, aber sicher kein Anlass sind für zynische Scherze im politischen Freundeskreis.

 

Die türkis-grüne Regierung hat zwar die Sozial- und Familienleistungen valorisiert und einen in Relation zur Teuerung vergleichsweise geringen Sonderzuschuss von 60 Euro für sozial bedürftige Eltern beschlossen, die Malus-Seite ist aufgrund der konservativen Vorherrschaft in der Koalition allerdings bei weitem länger. So wurden im Regierungsprogramm neue Unterhaltsgesetze und ein parlamentarischer Unterausschuss „Armutsbekämpfung“ vereinbart, beides ist ein Jahr vor den nächsten Nationalratswahlen reine Makulatur.

 

Säumigkeit beim Aktionsplan gegen Kinderarmut

 

Die EU hat 2021 eine „Europäische Garantie für Kinder“ gestartet, durch die Kinder bis 2030 kostenlosen Zugang zu Betreuung, Bildung, gesunde Mahlzeiten, Gesundheitsversorgung und angemessenen Wohnraum erhalten sollen. Die österreichische Regierung hätte bis 15. März 2022 der EU einen nationalen Aktionsplan vorlegen sollen, ist allerdings bis dato damit säumig. Nur Rumänien und Lettland sind ebenso in Verzug wie Österreich.

 

Kindergrundsicherung

 

Und natürlich existiert da noch das u.a. von der Volkshilfe konzipierte Modell der Kindergrundsicherung. Statt der aktuellen Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag soll jedes Kind zumindest 285 Euro monatlich erhalten, je nach Haushaltseinkommen steigen die Beträge bis maximal 872 Euro pro Kind. Laut Michael Fuchs vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung würde die Kindergrundsicherung rund 4,6 Milliarden Euro kosten, die Armutsgefährdung würde in der Gesamtbevölkerung auf 8,6 Prozent sinken, die Kinderarmut sogar auf 2,8 Prozent.

 

Man kann davon ausgehen, dass mit rechten und konservativen Parteien ein derartiges Modell nicht umgesetzt werden wird. Es liegt daher auch in der Verantwortung der Wähler, bei der nächsten Nationalratswahl für eine klare Änderung der politischen Verhältnisse zu sorgen. Denn Kinderarmut hat in einem reichen Land wie Österreich nichts verloren. 

AK-Studie: Hohe Teuerungsrate bei Schulartikeln für Tafelklassler!

Die Kosten für den Unterricht in einer Privatschule sind unterschiedlich. Die Bandbreite reicht von 60 Euro monatlich bis hin zu mehreren hundert Euro. Zum Glück gibt es öffentliche Schulen, die „nichts kosten“. Eine naive und leider falsche Hypothese. Denn nicht erst seit der Rekordinflation werden alljährlich vor allem finanzschwächere Eltern mit einer Lawine von Ausgaben konfrontiert, die ein tiefes Loch in das Haushaltsbudget bohren.

 

Bei verschränkten Ganztagsschulen sind Unterricht und betreute Lern- und Freizeit bis zur Kernzeit kostenlos, danach werden in Wien pauschal 118 Euro pro Semester verrechnet. Das Mittagessen ist in Wien seit Herbst 2023 auch für offene Ganztagsschulen gratis, für die schulische Betreuung am Nachmittag werden 7,10 Euro pro Tag verrechnet. Bei geringem Familieneinkommen können die Eltern um eine Ermäßigung ansuchen.

 

Verteuerung im Fachhandel und bei Handelsketten

 

Die Arbeiterkammer hat Ende Juni eine Studie über die Preise von 50 Schulutensilien für Tafelklassler durchgeführt. Die Preiserhebung fand in 15 Papier-Fachgeschäften und bei 5 Handelsketten (Pagro, Libro, Thalia, Interspar, Müller) statt. Die Ergebnisse sind kaum verwunderlich. Gegenüber dem Vorjahr verteuerten sich die Schulartikel bei den Handelsketten um durchschnittlich 9,6 Prozent, im Papier-Fachhandel um 6,3 Prozent. Die Preise im Papier-Fachhandel sind dabei im Durchschnitt um 10,5 Prozent höher als bei den Handelsketten, 13 der untersuchten 50 Produkte waren im Fachhandel billiger.

 

Preisunterschiede

 

Erstaunlich sind einige Preisunterschiede zwischen den einzelnen Geschäften. Im Fachhandel kosten beispielsweise die Pelikan Tintenpatronen zwischen 1,30 und 2,40 Euro, ein Preisunterschied von 84,6 Prozent. Bei den Handelsketten beträgt dieser sogar 99 Prozent. Der Uhu-Klebestift „Stic“ kostet in den 15 untersuchten Fachhandelsgeschäften zwischen 1,69 und 4,10 pro Stück, ein Preisunterschied von 142,6 (!) Prozent. Bei den Handelsketten beträgt der höchste Angebotspreis „nur“ 3,19 Euro. Auch die Standard-Quart-Hefte mit 20 Blatt unterliegen im Fachhandel einer gewaltigen Preisspanne zwischen 1,15 und 2,90 Euro (Preisunterschied: 152,2 Prozent). 

 

Schultaschen-Sets

 

Untersucht wurden auch sogenannte Schultaschen-Sets, die aus mehreren Artikeln zusammengesetzt sind. Die billigste gefüllte Schultasche kostete dabei im Fachhandel durchschnittlich 177,54 Euro, bei den Handelsketten 91,60 Euro. Die Preise für die teuerste gefüllte Schultasche betrugen durchschnittlich 195,60 (Handelsketten) bzw.  259,77 Euro (Fachhandel). Der billigste „Mix“ kostete 49,99 Euro, der teuerste 299 Euro.

 

Schulkostenstudie

 

Laut der letzten Schulkostenstudie (die während der Corona-Krise 2021 erhoben wurde) betrugen die Gesamtausgaben für Volksschule und Unterstufe 1400 Euro, für die Oberstufe 1690 Euro. Eine aktuelle Schulkostenstudie ist aktuell in Arbeit. Man kann aufgrund der Teuerungskrise und den zusätzlichen starken Preiserhöhungen der Unternehmer davon ausgehen, dass die Kosten für die Eltern in die Höhe schnellen. So stieg laut AK-Nachhilfebarometer 2023 die Nachhilfe im Vergleich zum Vorjahr um 18,4 % an. Im Schuljahr 2022/2023 gaben die Eltern insgesamt 121,6 Millionen Euro für private Nachhilfe aus, das sind 720 Euro pro Kind.

 

https://www.oliverplischek.at/2023/09/11/finanzielle-belastung-schule-121-6-millionen-euro-nachhilfekosten-pro-jahr/

 

Finanzieller Support

 

Wie sieht es aus mit der finanziellen Unterstützung für die Eltern von Schulkindern? Im Rahmen der Aktion „Schulstartklar“ erhalten Mindestsicherungs- und Sozialhilfempfänger Gutscheine im Wert von 150 Euro. Außerdem erhalten alle Eltern von Kindern zwischen 6 und 15 das Schulstartgeld des Bundes in Höhe von 105,80 Euro. Dieser im Rahmen der Familienbeihilfe ausbezahlte Betrag wurde seit seiner Einführung im Jahr 2011 um 5,8 Euro erhöht, was laut Momentum Institut einem Wertverlust von rund 30 Prozent entspricht. Eine allgemeine Kindergrundsicherung, die vor allem armutsgefährdeten Familien helfen soll, finanziell über die Runden zu kommen, wird seit Jahren u.a. von der Volkshilfe gefordert, allerdings von den rechtskonservativen Parteien abgelehnt. 

 

Laut dem Sozialexperten der Diakonie Österreich, Martin Schenk, leben 52.000 Volksschulkinder und 81.000 Unterstufen-Kinder in einkommensarmen Haushalten. Und das sind Zahlen vor der Rekordinflation. Es ist Zeit zu handeln.

WWF-Report 2023: 16 Fußballfelder Bodenverbrauch täglich in Österreich!

„Zukunft für alle – Handelt jetzt!“: Das war das Motto des weltweiten Klimastreiks am 15. September 2023 in Österreich. In Wien beteiligten sich mehr als 20.000 Klimaaktivisten an der Demonstration, darunter viele Kinder und Jugendliche, aber auch Wissenschaftler, NGO´s (wie Greenpeace oder Amnesty International), die Parents for Future oder die Omas gegen Rechts. Die Forderungen reichten vom Beschluss eines neuen Klimaschutzgesetzes (hier ist die türkis-grüne Bundesregierung bereits rund 1000 Tage in Verzug) und des Erneuerbare Wärme-Gesetzes, dem Aus für fossile Energieträger, der Abschaffung umweltschädlicher Subventionen bis hin zu einer Bodenschutz-Strategie. In diesem Bereich hat der WWF mit dem Bodenreport 2023 neue, brisante Fakten geliefert, die eigentlich jeden vernünftigen Politiker zum sofortigen Handeln animieren sollten.

 

Bodenverbrauch und Versiegelungsgrad

 

So betrug der heimische Bodenverbrauch in den letzten 3 Jahren (2019-2021) durchschnittlich 11,3 Hektar pro Tag. Dies entspricht der Fläche von 16 (!) Fußballfeldern. Und das, obwohl im türkis-grünen Regierungsprogramm ein Maximal-Wert von 2,5 Hektar pro Tag für 2030 festgelegt wurde. Dramatisch sind auch die Versiegelungs-Grade: 41 Prozent des beanspruchten Bodens sind mit einer wasserundurchlässigen Schicht aus Beton oder Asphalt überzogen, was bedeutet, dass der Boden kein CO2 aus der Atmosphäre mehr langfristig speichern kann. Im Jahr 2021 betrug der Versiegelungsgrad sogar unfassbare 58 Prozent, die davon betroffene Fläche von 21 km2 ist höher als jene des Wörthersees. 

 

Überschwemmungen und Hitzeinseln

 

Die Folgen dieses immensen Bodenverbrauchs sind in jeder Hinsicht schädlich für das Klima, die Sicherheit und die Gesundheit in Österreich. Bei Regenfall kann der verbaute Boden kein Wasser mehr aufnehmen, welches dadurch oberirdisch abrinnt und die Gefahr von Überschwemmungen erhöht. Umgekehrt entstehen durch die Bodenversiegelung unerträgliche Hitzeinseln vor allem in den Städten. Am Wiener Naschmarkt wurden im August 2023 auf der „Parkplatzwüste“ 69 Grad gemessen. Eine unzumutbare gesundheitliche Belastung insbesondere für Senioren, Kinder und Hunde. 

 

Aufteilung nach Sektoren

 

Bundesländer-Spitzenreiter beim Bodenverbrauch ist die Steiermark (3,1 Hektar pro Tag) vor Oberösterreich (2,3 Hektar) und Niederösterreich (2,1 Hektar). Laut Statistik Austria ist der Bodenverbrauch in Österreich seit 2001 um 27,9 Prozent gestiegen, die Bevölkerung dagegen nur um 10,9 Prozent. Insgesamt wurden in Österreich bis dato 5804 km2 verbaut (was 1/5 des nutzbaren Siedlungsraumes entspricht), 46 Prozent betreffen Bauflächen (2657 km2), 36 Prozent Verkehrsflächen (2083 km2) wie Autobahnen, Straßen, Parkplätze und Bahnflächen. Der Rest wird aufgeteilt zwischen Betriebsflächen (671 km2) und Erholungs- und Abbauflächen (393 km2).

 

Zersiedelung der Ortsgebiete

 

Eine der Hauptursachen für den hohen Bodenverbrauch ist die Zersiedelung in den ländlichen Regionen, und das, obwohl es laut Umweltbundesamt mindestens 40.000 Hektar an ungenutzten Gebäuden und Gewerbeflächen gibt. Eine bundesweite Leerstands-Datenbank wurde trotz Fixierung im Regierungsprogramm bis dato nicht eingerichtet. Während die Ortszentren immer mehr aussterben, werden an den Ortsrändern riesige Gewerbeparks und Fachmärkte (inkl. Parkplätzen) gebaut. Man spricht vom unrühmlichen „Donut-Effekt“, der die Autoabhängigkeit in diesen Gebieten immens erhöht. Die Anzahl und Fläche der Fachmarktzentren hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt, laut einer Branchenstudie existieren aktuell 280 Fachmärkte mit einer Verkaufsfläche von 6,4 Millionen Quadratmetern. Mit über 1,5 Quadratmetern Einkaufsfläche pro Kopf liegt Österreich europaweit auf Platz 3 hinter Belgien und den Niederlanden.

 

Zeit für eine Mobilitätswende

 

Auch beim Straßenverkehr ist Österreich leider negativer Vorreiter. Das Straßennetz besteht aus rund 128.000 Kilometern, das sind 14,3 Meter Straße pro Person. Deutschland und die Schweiz weisen nur rund 10 Meter pro Kopf auf. Laut Umweltbundesamt ist ein Kilometer, der mit einem Diesel- oder Benzin-betriebenem Auto zurückgelegt wird, über 15 mal so klimaschädlich, wie ein Kilometer mit der Bahn. Es ist daher längst Zeit für eine echte Mobilitätswende Richtung Fuß-, Rad- und Bahnverkehr. Die Statistik lässt allerdings wenig hoffen. So wurden in Österreich seit 1995 230 Bahnstationen und 655 Bahnkilometer stillgelegt, und das vor allem in den regionalen, autoabhängigen Regionen.

 

Maßnahmen

 

Die Maßnahmen zur Senkung des Bodenverbrauchs liegen allesamt auf dem Tisch, die jeweilige Regierung – gewählt wird spätestens wieder im Herbst 2024 – muss sie nur umsetzen. Der WWF und Fridays for Future fordern primär ein Bodenschutzgesetz und einen Bodenschutz-Vertrag zwischen Bund, Länder und Gemeinden, in dem die Reduktionsziele verbindlich festgelegt werden. Raumordnungspolitisch zweifelhafte Umwidmungen (wie aktuell das „Mini-Dubai“ in Grafenwörth) können durch eine teilweise Verlagerung der Kompetenzen von den Gemeinden in Richtung Länder verhindert werden. Eingeführt werden sollte ein interkommunaler Finanzausgleich, der die Kommunalsteuer unter den benachbarten Gemeinden verteilt und nicht gänzlich der Ortschaft zuteilt, in der ein Projekt verwirklicht wird. 

 

Kritisiert werden vom WWF auch die zu hohen Schwellenwerte der Umweltverträglichkeitsprüfung und die klimaschädlichen Subventionen, die laut WIFO bis zu 6 Milliarden Euro jährlich ausmachen. Alle Gesetze und Verordnungen sollten verpflichtend auf ihre Folgen für das Klima, die Biodiversität und den Bodenverbrauch geprüft werden. 

 

Es ist fünf Minuten nach 12. Zeit zu handeln. Es geht um unsere Umwelt, unsere Tiere und Pflanzen und schlussendlich um die Lebensqualität unserer Bürger.

mehr lesen

Beach- und Nightlife-Metropole Rimini: Bald italienische Kulturhauptstadt 2026?

Nina Kraviz und Deborah de Luca im pyramidenartigen Techno-Club Cocorico, Italo-Legende Gabry Ponte in den Altromondo Studios, die Underground House-Kult-DJ´s Peggy Gou und Black Coffee auf dem prall gefüllten Open Air Beach vor Sonnenuntergangskulisse, die Summer Pride von Rimini mit mehr als 15.000 Besuchern auf der Strandpromenade Lungomare Tintori mit straighten Messages gegen Diskriminierung und Rassismus. 

 

Die italienische Strand-Hochburg Rimini an der wunderschönen Adria ist in Sachen Nightlife und Clubkultur Ibiza knapp auf den Fersen. Und will im Jahr 2026 noch höher hinaus. Die 150.000 Einwohner-Stadt mit rund 3,5 Millionen Touristen (2017) jährlich will 2026 italienische Kulturhauptstadt werden. Das wird jetzt eigentlich nur jene verblüffen, die in Rimini bis dato nur den Strand, die bagni, die Bars und Diskotheken direkt an der Strandpromenade genossen haben (was ja kein Fehler ist), damit aber viel Kultur und Historie versäumt haben.

mehr lesen

Finanzielle Belastung Schule: 121,6 Millionen Euro Nachhilfekosten pro Jahr!

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ lautet ein bekannter Motivationsspruch für die nicht immer motivierten Schüler und Schülerinnen, von denen gerade rund 97.000 „Tafelklassler“ ihren ersten Schultag absolvierten. Auch diese werden bald erkennen, dass das Lernen sich – trotz des Steigens von verschränkten Ganztagsschulen und offenen Schulen mit Nachmittagsbetreuung – nicht auf den Standort Schule selbst beschränkt.

 

Wie die Arbeiterkammer im Rahmen ihres Nachhilfebarometers erhoben hat, ist für viele Kinder der Schulbesuch ohne Unterstützung der Eltern oder externe Nachhilfe kaum möglich. So werden 78 Prozent der Kinder bei den Hausaufgaben und beim Lernen beaufsichtigt, bei knapp einem Viertel trifft dies täglich zu. 

 

Bei 30 Prozent der Schüler muss zusätzlich ein privater Nachhilfeunterricht organisiert werden, sei es bezahlt oder unbezahlt in Form einer schulischen Gratisnachhilfe. 17 Prozent der Schüler, das sind in Zahlen rund 167.000 (!), erhalten eine bezahlte Nachhilfe, deren Kosten sich im Zuge der Teuerungskrise ebenfalls erhöht haben. Laut dem AK-Stichproben-Preismonitor bei 29 Nachhilfe-Instituten wird Einzelunterricht zwischen 25 und 60 Euro pro Stunde angeboten (Durchschnitt: 37 Euro), die Kosten für Gruppenunterricht betragen zwischen 6,33 und 41,50 Euro (Durchschnitt: 22 Euro).

 

Nachhilfequoten nach Schulstufen

 

Die höchsten Nachhilfequoten weist die AHS-Oberstufe auf: Dort erhalten 44 Prozent (plus 5 Prozent) der Schüler Nachhilfe, 30 Prozent davon bezahlt. Stark im Steigen mit plus 9 Prozent sind die Werte bei der NMS, hier erhalten 39 Prozent der Schüler Nachhilfe, davon 18 Prozent bezahlt. In der AHS-Unterstufe werden 33 Prozent der Schüler mit Nachhilfeunterricht unterstützt, 22 Prozent davon bezahlt. Selbst 17 Prozent der Volksschüler werden von externer Nachhilfe nicht verschont, 6 Prozent davon bezahlt. Bei der bezahlten Nachhilfe handelt es sich großteils um konventionelle Nachhilfe, Online-Nachhilfe wird nur von 3 Prozent der Schüler genutzt.

 

Fächer

 

Bei den Nachhilfe-Fächern liegt Mathematik an der Spitze. Deutsch-Nachhilfe benötigen vor allem Volksschüler. Der Grund liegt laut Arbeiterkammer vor allem an der Einführung der Deutsch-Förderklassen und der Sprachstandsfeststellung, aufgrund derer vor allem Migranten veranlasst werden, ihre Kinder in Nachhilfekurse zu stecken.

 

121,6 Millionen Euro Nachhilfekosten pro Jahr

 

Insgesamt gaben die Familien im Schuljahr 2022/23 121,6 Millionen Euro für private Nachhilfe aus, das sind um 18,9 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Die durchschnittlichen Kosten betrugen 720 Euro pro Schulkind, um 90 Euro mehr als im Vorjahr (630 Euro). Die Eltern von 20 Prozent der Schüler (rund 200.000) hätten sich gerne Nachhilfe oder mehr Nachhilfestunden gewünscht, konnten sich diese allerdings nicht leisten. Kein Wunder, leben doch laut Armutskonferenz-Gründer Martin Schenk 50.000 Volksschüler und 81.000 Unterstufenschüler in einkommensschwachen Haushalten. 52 Prozent der Eltern fühlen sich durch die bezahlte Nachhilfe finanziell belastet, die Zahlen sind im Vergleich zum Vorjahr (48 Prozent) im Steigen und dürften durch die Rekordinflation weiter ansteigen. 

 

Wie man diesen negativen Trend stoppen kann? Laut Arbeiterkammer u.a. durch beitragsfreie Ganztagsschulen, eine Schulfinanzierung nach dem AK-Chancenindex (bei dem die Mittelzuweisung vom Unterstützungsbedarf der Schüler abhängt) und durch Förderung der Mehrsprachigkeit.

Tanz der Totenköpfe: Depeche Mode auf "Memento Mori"-Tour in Klagenfurt!

Progressive Techno-Beats ertönen als Appetizer vor dem Depeche Mode-Konzert in der Klagenfurter 28 Black Arena (aka Wörthersee-Stadion). Und das unter dem Deckmantel des düsteren Tour-Mottos „Memento Mori“, auf deutsch „Sei dir der Sterblichkeit bewusst“. Davor soll man allerdings noch das Leben genießen und feiern, mögen die Umstände noch so widrig sein. Und da hatten sogar die gefährlichen Kärntner Unwetter ein Einsehen und beendeten kurz vor dem ersten österreichischen Stadion-Konzert von Depeche Mode ihr Unwesen. Als Support lieferte die junge Bristoler Trip Hop-Formation Haelos rund um Sängerin Lotti Bernadout eine elektronisch-melancholische Werkschau inklusive der neuen Single „Hear me“, bevor Gahan, Gore & Co. mit dem neuen Song „My Cosmos is Mine“ ihre Show starteten, der brillante Techno-Remix der brasilianischen DJ Anna wäre fast noch passender gewesen.

 

The Band

 

Depeche Mode-Kult-Video-Regisseur Anton Corbijn hat die Bühne gestaltet, mit einem großen M in der Mitte und zahlreichen Visuals und ohne den Pyro-Wahnsinn vergleichbarer Stadien-Größen. Denn im Mittelpunkt steht die Band: Depeche Mode, 1980 gegründet, benannt nach einem französischen Modemagazin, entdeckt durch den Mute Records-Boss Daniel Miller als Vorgruppe bei einem Fad Gadget-Konzert im Londoner Club Bridgehouse und mit über 100 Millionen verkauften Tonträgern „the most popular electronic band the world has ever known“ (so die Zeitschrift „Q“). Von der Original-Formation sind noch Sänger Dave Gahan und Martin Gore (Keyboard, Synthesizer, Gitarre, Gesang) mit dabei, der „Kitt der Band“, Andrew Fletcher, starb im Vorjahr kurz vor den Aufnahmen zu „Memento Mori“ im Alter von 60 Jahren an den Folgen einer Aortendissektion. „Im Geiste wird er mit uns sein und uns beurteilen“, so Gahan. Auf der Bühne stehen weiters der Keyboarder Peter Gordeno, der bereits seit 1997 das frühere Stamm-Mitglied Alan Wilder ersetzt, und der österreichische Schlagzeuger Christian Eigner, der mit seinen Drum-Beats die treibende Kraft des Live-Sounds darstellt. 

 

Christian Eigner

 

Eigner ist 1994 mit 24 nach London gezogen und lernte 1997 zufällig den Keyboarder Dave Clayton kennen, der an der Produktion des Depeche Mode-Albums „Ultra“ beteiligt war und Eigner der Band vorstellte. Depeche Mode standen damals kurz vor der Auflösung: Soundarrangeur Wilder weg, Alkoholprobleme von Gore, Depressionen bei Fletcher, und Gahan erlitt ein Jahr zuvor aufgrund eines Kokain-Heroin-Speedballs einen Herzstillstand, war zwei Minuten klinisch tot und absolvierte ein Therapieprogramm für Drogenabhängige. Von der Kunstfertigkeit Eigners waren alle sofort begeistert, und seitdem ist der in Niederösterreich lebende Musiker unbestrittenes Mitglied der Live-Touren Depeche Modes. 

 

Memento Mori

 

Das neue Album „Memento Mori“ wird von nahezu allen Musikkritikern als das beste Depeche Mode-Album seit vielen Jahren bezeichnet, insofern ist es schade, dass „nur“ 5 neue Tracks (excl. dem Kraftwerk-angehauchten „People are good“, „My Favourite Stranger“ und „Never let me go“) auf der Setlist der neuen Tour stehen. Bei einer bisherigen Diskography von 15 Alben aber kein Wunder. Die ersten Mega-Hits „Walking in my Shoes“ und „It´s no good“ tauchen bereits im ersten Teil der Show auf, Dave Gahan ist da bereits in Bestform, mit tänzelnden Schritten und zahlreichen Pirouetten mit ausgestreckten Armen. Die altersmäßig bunt gemischten Zuschauer, großteils in Black gekleidet, liegen dem charismatischen Frontman zu Füßen, als erster großer Höhepunkt der kapitalismuskritische 83er-Genie-Streich „Everything counts“ (in large amounts). Martin Gore sorgt mit dem neuen Track „Speak to me“ und „A Question of Lust“ für leisere Momente, bis Dave Gahan den ersten MM-Single-Hit „Ghosts again“ präsentiert. Auf den Videoscreens: Der düstere Corbijn-Video-Clip, in dem Gahan und Gore, verhüllt in dunklen Hoodies, in Anlehnung an den Bergman-Film „Das siebente Siegel“ Schach spielen. 

 

Hommage an Andrew Fletcher

 

Nach dem „Songs of Faith and Devotion“-Klassiker „I feel you“ und „Pain that I´m used to“ folgt dann die Hommage an den 2022 verstorbenen Keyboarder Andrew Fletcher: Sein Favourite Track „World in my Eyes“, visualisiert durch sich verändernde Porträts des Depeche Mode-Gründungsmitglieds. Ein weiteres Highlight des Konzert: Das dämonisch-erotische „Stripped“ aus dem 86er-Album „Black Celebration“. Nach dem eher selten gespielten Track „John the Revelator“ schlägt dann endgültig die Stunde der Fans: „All I ever wanted. All I ever needed. Is here in my arms. Words are very unnecessary. They can only do harm“, Dave Gahan könnte sich die Vocals sparen, „Enjoy the Silence“, der erfolgreichste Hit der Band aus dem 90er-Album „Violator“, dazu rotieren auch die riesigen Totenköpfe auf den Videoleinwänden.

 

Encore

 

„Waiting for the Night“ läutet dann den Zugabenteil ein mit den All Time-Live-Krachern „Just can´t get enough“, „Never let me down again“ und dem Final Track „Personal Jesus“, „Reach out, touch faith“ vor einer Kulisse von rund 25.000 Fans. Ob die 2024 fortgesetzte „Memento Mori“-Tour die letzte Tour von Depeche Mode sein wird? Time will tell. „Die Band wird immer größer. Im Normalfall ist jede Tour größer als die Tour davor“, so Christian Eigner in einem TV-Interview. Stellt sich die Frage: Ist die aktuelle Tour eigentlich noch irgendwie zu toppen?

mehr lesen

Reiserecht: Pauschalreisen vs. Individualreisen

Club-Exzesse auf der spanischen Party-Insel Ibiza, ein Road-Trip durch Australien, Island-Hopping auf den griechischen Inseln, eine Woche Strand-Urlaub am Mittelmeer, eine Kultur- und Bildungsexkursion durch Frankreich oder Spanien per Bahn. Die Reiseziele und –motivationen können unterschiedlicher nicht sein. Und selbst die komplexesten Hotel-Flug-Miete-Kombinationen können durch das Internet und diverse Buchungsplattformen persönlich zusammengestellt werden. Läuft die Reise allerdings nicht plangemäß, dann kann die in den letzten Jahrzehnten gewonnene Flexibilität in ein blaues Wunder münden. 

 

Im Juli 2018 trat zwar im EU-Raum die sogenannte „Pauschalreiserichtlinie“ in Kraft. Diese betrifft – wie der Name schon sagt – allerdings nur Pauschalreisen und nur in beschränktem Ausmaß „verbundene Reiseleistungen“. Individualreisen, die seit der Entstehung von Online-Diensten einen immensen Boom erleben, sind davon nicht betroffen und unterliegen einem bei weitem geringeren Rechtsschutz.

 

Unter „Pauschalreise“ versteht man eine Kombination aus mindestens zwei verschiedenen Arten von Reiseleistungen (wie Beförderung, Unterbringung, Vermietung von Kraftfahrzeugen,…) für den Zweck derselben Reise. In der Regel werden diese Leistungen von einem Unternehmer (dem Reiseveranstalter) auf Basis eines einzigen Vertrages erstellt. Ein Spezialfall einer Pauschalreise liegt bei einer „Click-Through-Buchung“ vor, bei der nach einer ersten Buchung innerhalb von 24 Stunden die Daten der Reisenden an einen zweiten Vertragspartner übermittelt werden. Ansonsten liegt trotz Buchung auf dem selben Portal eine „verbundene Reiseleistung“ vor.

 

Bei verbundenen Reiseleistungen ist der Reisende zwar gegen die Insolvenz des Reisevermittlers abgesichert, ansonsten gelten aber die Privilegien für Pauschalreisen nicht. So sind Pauschalreisende gegen die Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert. Preiserhöhungen sind gemäß § 8 PRG nur dann zulässig, wenn dies im Vertrag ausdrücklich vorgesehen und gleichzeitig eine Preissenkung festgelegt ist. Ab dem 20. Tag vor der Abreise besteht ein absolutes Reisepreiserhöhungsverbot. 

 

Der Reisende kann jederzeit ohne Angabe von Gründen vom Pauschalreisevertrag zurücktreten, hat dann aber in der Regel Stornogebühren zu zahlen, die sich zumeist – wie in den ARB 1992 – nach dem zeitlichen Abstand zum Reisetermin richten. Bei unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umständen ist keine Entschädigung zu leisten, der Reisende hat Anspruch auf volle Erstattung der für die Pauschalreise getätigten Zahlungen. Ist die Rückbeförderung nicht möglich, hat der Reiseveranstalter die Kosten für die notwendige Unterbringung des Reisenden für einen Zeitraum von höchstens drei Nächten zu tragen. Darüber hinaus besteht eine Beistandspflicht insbesondere bei der Informationsbereitstellung über Gesundheitsdienste oder Behörden bzw. bei der Herstellung von Fernkommunikationsverbindungen und bei der Suche nach Ersatzreisearrangements. Bei Vertragswidrigkeiten hat der Reisende Anspruch auf eine angemessene Preisminderung, angemessenen Schadenersatz und und bei Erheblichkeit auf angemessenen Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude. Hier besteht eine Mitteilungspflicht seitens des Reisenden, deren Unterlassung als Mitverschulden angerechnet werden kann.

 

Der Pauschalreisende kann diese Ansprüche alle gegen den Reiseveranstalter geltend machen. Individualreisende, die ihren Urlaubstrip selbst zusammenstellen, haben es da um einiges schwerer. Hier bestehen Verträge mit unterschiedlichen Vertragspartnern, bei denen zumeist ausländisches Recht gilt, und zwar in der Regel jenes, in dem das Hotel oder die Fluglinie ihren Sitz hat. Die Stornierungsmöglichkeiten richten sich nach der individuellen Vereinbarung mit dem Hotel. Bei Flugreisen gilt zumindest die EU-Fluggastrechteverordnung, die bei allen innerhalb der EU startenden Flüge (unabhängig vom Hauptsitz der Airline) und bei allen in der EU landenden Flüge aus Drittstaaten greift (sofern die Airline ihren Hauptsitz in der EU hat).

 

Bei Insolvenzen bestehen überhaupt keine Absicherungen für Individualreisende. Gehen Hotel oder Fluglinie pleite, dann können die Reisenden nur ihre Forderungen im Insolvenzverfahren geltend machen, die zumeist nur mit einer geringen Quote befriedigt werden. 

 

Die mangelnde rechtliche Absicherung von Individualreisen steht konträr zur Entwicklung des Tourismusmarktes. Laut einer aktuellen ADAC-Tourismusstudie buchen aktuell rund 71 Prozent eine Individualreise. Es ist höchste Zeit, die Rechte der Reisenden zu verbessern und die Hotels und Fluglinien stärker in die Pflicht zu nehmen.

„Overlooks“: Lars Eidinger-Fotoausstellung in der Stadtgalerie Klagenfurt

Obdachlose, die vor den Schaufenstern einer Bettenabteilung schlafen, Fitness-Sportler, die selbst bei der allergrößten Anstrengung auf ihr Handy starren, junge Leute, die bei den Bankomaten Geld für ihre Vergnügungen abheben, während unmittelbar daneben gestrandete Bettler ums Überleben kämpfen. Es sind (scheinbar) skurrile Fotos, die in der Stadtgalerie Klagenfurt auf einer Fläche von 700 Quadratmeter von 18. Mai bis 27. August 2023 zu sehen sind. 

 

Der Urheber: Das deutsche Multi-Talent Lars Eidinger, Schauspieler, Regisseur, Ex- „Jedermann“, DJ und Fotograf zugleich. „Overlooks“ nennt sich seine hochspannende Foto-Ausstellung, die nicht nur subtil hinter die Kulissen unseres gesellschaftlichen Lebens blickt. Denn bei diesen Fotos handelt es sich keineswegs um Kuriositäten. „Ich würde behaupten, die Bilder, die hier in der Galerie hängen, könnte ich mit ihnen gemeinsam an einem Nachmittag in Klagenfurt aufsuchen. Es ist wahnsinnig alltäglich, nur haben wir es halt gelernt, zu übersehen“, so Eidinger in seiner Eröffnungsrede bei der Vernissage.

 

Eidingers Hoffnung ist, dass „das Unsichtbare wieder sichtbar wird“ und der Narzissmus in unserer Gesellschaft zurückgedrängt wird. Die Fotos sind innerhalb der letzten Jahre überall auf der Welt entstanden, mit einer Spiegelreflexkamera und großteils mit dem Smartphone. Viele davon sind auf seinem Instagram-Account veröffentlicht worden, den er vor rund einem Jahr allerdings gelöscht hat. „Ich behaupte, dass Instagram ein toxisches Medium ist, man vergiftet sich da sukzessive. Langfristig macht das krank“, so der „Babylon Berlin“-Star in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

 

Tatsächlich machen die Fotografien, derer (vermutlicher) Aussagegehalt sich teils erst nach einer Nachdenkphase offenbart, nachdenklich. Vor allem die starken Gegensätze zwischen Reich und Arm werden im alltäglichen Leben kaum mehr bemerkt und registriert. Mondäne Bürger, die neben einem schlafenden Obdachlosen Luxusjuwelen im Schaufenster begutachten, ein Ehepaar, das auf einer Bank sitzend vor einem Armen-Zeltlager seine Füße ausstreckt oder eine Touristin, die während des Ablichtens der Pariser Notre Dame gar nicht bemerkt, dass sie das Schlaflager eines Obdachlosen stört. 

 

Smartphone-Mania, dauernde Erreichbarkeit, Informations-Overkill, das zwanghafte Streben nach Bestätigung in den sozialen Medien. „Den (dystopischen) Kampf Mensch gegen Maschine haben wir eigentlich schon verloren, wenn man sich die Leute anguckt auf der Straße, wie sehr sie der Maschine gehorchen“, so Eidinger bei der Eröffnung. Rhetorisch verziert mit einem Prince-Zitat aus den 80ern: „Use the Computer, don´t let the computer use you“.

 

Nicht fehlen dürfen in der umfangreichen Ausstellung der Disco-Würfel (der auf Eidingers „Autistic DJ“-Shows hinweist) und die Wand-Uhr in Form einer gekreuzigten Jesus-Figur, die zweimal pro Tag den Status des (okkulten) „umgekehrten Kreuzes“ einnimmt. Wie schändlich der Mensch mit der eigenen Umwelt umgeht, zeigt sich am besten an dem Foto eines Baumes, dessen Wurzeln mit Ziegelsteinen betoniert wurde.

 

„Meine Bilder sind visuelle Readymades. Der morbide Charme der Fotografie besteht nicht darin, dass sie das Leben anfängt, sondern den Tod abbildet. Ein Memento Mori.“ Das mag wohl stimmen. Ziel seiner Fotografien ist allerdings auch eine Selbstanalyse der Fotobetrachter hinsichtlich des eigenen Verhaltens, eine Neu-Interpretation der gesellschaftlichen Zustände und eine Rückbesinnung auf ethische Werte. „Ohne missionarischen Auftrag“…

mehr lesen

40 Jahre 99 Luftballons: Nena auf „Wir gehören zusammen“-Tour in Ansfelden!

Rund 25 Millionen Tonträger hat Nena als Sängerin der gleichnamigen, im Jahr 1987 aufgelösten Band und als Solo-Künstlerin verkauft. Mit ihrem größten Hit 99 Luftballons belegte sie sogar Platz 1 der englischen Charts und Platz 2 der US-Charts. In den Vereinigten Staaten (die für deutschsprachige Interpreten – Ausnahme Falco – meist unerreichbar sind), wurde die Anti-Kriegshymne durch die ehemals drogensüchtige Christiane F. („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) bekanntgemacht, die bei einer Buchpräsentation in Los Angeles ihre Lieblingshits auf Kassette mitbrachte und mit dem Nena-Track den dortigen Radio-DJ Rodney Bingenheimer begeisterte (der die Luftballons danach über die Radiosender der Westküste fliegen ließ). Seitdem sind 40 lange, kurze Jahre vergangen, und die in Hamburg lebende Gabriele Susanne Kerner aka Nena, der Name abgeleitet vom spanischen Kosewort für „Mädchen“, ist weiterhin mit vollem Elan auf den europäischen Show-Bühnen vertreten.

 

Zuletzt mit kurzen Unterbrechungen: Die freiheitsliebende Nena war eine erklärte Gegnerin der exzessiven Corona-Maßnahmen und sagte daher im September 2021 – nach Schwierigkeiten mit einigen Veranstaltern – die Frühjahrstour 2022 ab. Im Jahr 2023 allerdings gibt Nena mit ihrer zehnköpfigen Band wieder Vollgas. Motto: „Wir gehören zusammen“. Eine der drei österreichischen Locations: Die für Sommer-Festivals genutzte Freizeitanlage Kremspark Ansfelden nahe Linz. Den Support übernahm der österreichische Popsänger Lemo, der die Gelegenheit nützte, sein zweites Album „Irgendwas mit dreißig“ zu präsentieren und beim altersmäßig bunt gemischten Publikum mit Songs wie „Der Himmel über Wien“, „Alte Seele“, einem Münchener Freiheit-Cover („Ohne dich“) und „Analoge Revolution“ bestens ankam.

 

Superstar Nena betrat danach die Bühne, ganz in Schwarz gekleidet, mit einer Lebenslust und einer Power, die viele ihrer jüngeren Kolleginnen vor Neid erblassen lässt. Nach dem Start-Song „Liebe ist“ (der 2005 auf Platz 1 der deutschen Charts stürmte) erfolgt ein Zeitsprung in die grell-bunten wavigen 80er. Auf der Setlist steht „Nur geträumt“, ihr erster großer Hit aus dem Jahr 1982, mit dem Nena damals als 22jährige im „Musikladen“ debütierte und zum deutschen Teenie-Superstar wurde. Die ersten Augen werden feucht im Zuschauerraum, Smartphones (damals nicht einmal eine Zukunftsvision) werden gezückt, und es wird mitgesungen wie damals in den schrillen Eighties. Nena liefert allerdings nicht nur einen Rückblick auf ihre Karriere, sondern hat auch viele neue Songs im Repertoire wie die aktuelle Single „Karawane“, „Genau jetzt“ oder den Titeltrack ihres letzten Albums „Licht“. 

 

Die süße Aufforderung Nenas nach einer „Schweigeminute für den schönen Sommer“ dürfte sonderbarerweise den Wettergott nicht becirct haben. Denn nach ca. einer Stunde musste das Konzert aus Sicherheitsgründen wegen eines heftigen Gewitters unterbrochen werden. Es wurde schlammig und regnerisch am Gelände, die meisten Besucher verzogen sich in ihre Autos, unter nahegelegene Dachvorbauten und in ein Feuerwehrhaus. Und wurden nicht enttäuscht. Denn Nena betrat kurz nach 22 Uhr mit ihrer Band und den Worten „Regen bringt Segen“ wieder enthusiastisch die regennasse Bühne, kongenial mit dem Titel „Wunder geschehen“.  

 

Auf dem zeitlich bedingten, verkürzten Programm standen u.a. noch die Superhits „Leuchtturm“, „Irgendwie, irgendwo ,irgendwann“ und natürlich die „99 Luftballons“, die Nena – wie üblich – textlich um zwei Nuancen veränderte: „Ich seh die Welt NOCH NICHT in Trümmern liegen“, eine Variation des ursprünglichen Textes, die zum positiven Lebensgefühl der deutschen Kult-Sängerin passt. „Blitze, Donner, Wind und Regen, nichts konnte uns aufhalten. Danke Ansfelden, you rock“, Nena nach dem Konzertspektakel auf Facebook. Nena live – Ein Ereignis, das man sich nicht entgehen lassen darf…

mehr lesen

Feministische Multi-Medial-Kunst: Valie Export-Retrospektive in der Wiener Albertina!

In einer Zeit, als weltweit die Hippies die sexuelle Revolution ausriefen und für die freie Liebe eintraten, war es in der kleinen Alpenrepublik noch vergleichsweise bieder und konservativ. Für Aufregung sorgten vielleicht die Wiener Aktionisten und in deren Dunstkreis die mutig-provokante Multimedial-Künstlerin Valie Export. „Tapp und Tastkino“ nannte sich beispielsweise die legendäre Expanded-Cinema-Aktion von Export und ihrem Partner Peter Weibel, bei denen Passanten mit einem Megafon aufgefordert wurden, in eine umgeschnallte Box zu greifen und dort für eine kurze, festgelegte Zeit die Brüste Exports zu berühren. Filme und Fotos dokumentieren diese 1968 in Wien und München konzipierte Performance, die den männlichen Voyeurismus offenlegen sollte. Eine von 163 Werken der 1940 in Linz geborenen Waltraud Lehner, die in unterschiedlichen medialen Formen – von Fotografien, Videos, Zeichnungen bis hin zu Installationen – im Rahmen einer Retrospektive in der Wiener Albertina zu sehen sind.

 

In der Performance „Aus der Mappe der Hundigkeit“ führt Export ihren damaligen Freund und Medienkünstler Peter Weibel wie einen Hund an der Leine durch die Kärntner Straße. Eine Umkehrung der patriarchalen Machtverhältnisse, die sich seitdem zumindest in Nuancen verbessert haben. Das Publikum reagierte damals erstaunlich tolerant, belustigt und amüsiert. Nicht fehlen dürfen in der Ausstellung die Pop Art-angehauchten Fotos der „Aktionshose Genitalpanik“, bei denen Valie Export – ihr urheberrechtlich geschütztes Pseudonym leitet sich von der Zigarettenmarke „Smart Export“ ab – sich mit gespreizten Beinen, im Schambereich ausgeschnittener Hose, Lederjacke und Maschinengewehr präsentiert. 

 

Die angepasste und devote Rolle der Frau in den 60ern und 70ern thematisiert Export auch in zahlreichen Collagen und Nachbildungen alter Kunstwerke, durch die jahrhundertelange tradierte Stereotype schonungslos offengelegt werden. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen allerdings auch die grandiosen fotokünstlerischen Ideen Exports. Bei dem Projekt „Foto-Raum“ erweitert Export scheinbar den physischen Raum durch wandfüllende Aufnahmen des ihn umgebenden Außenraums. Auf dem Wiener Südbahnhof kombiniert Export Fotografie und Schrift, indem sie Waggons mit dem Wort „Schriftzug“ beschriftet. Parlament, Heldenplatz, Rathaus und viele andere andere Stätten des öffentlichen Raums dienen als Kulisse für die „Körperkonfigurationen“, bei denen sich Export oder engagierte Models an mächtige Stadtbauten schmiegen, um soziale Machtstrukturen zu hinterfragen. Deftigere Kost bekommt der Ausstellungsbesucher bei diversen Performances, wo sich Export selbst Schmerzen zufügt (wie bei der vierteiligen Aktion „Kausalgie“ oder der „Asemie – Die Unfähigkeit, sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können“).

 

Beeindruckend sind zwei weiträumige Installationen Valie Exports in der Albertina: Bei den „Fragmenten der Bilder einer Berührung“ werden 18 leuchtende Glühbirnen in mit Öl, Milchersatz und Wasser gefüllte Zylinder getaucht. Die Flüssigkeiten brechen das Licht auf unterschiedliche Weise und entsprechen den Farbwerten eines durchleuchteten Schwarz-Weiß-Filmes. Kritik an der Massenproduktion und dem sinnentleerten Arbeitsalltag von Frauen äußert Export mit der in einem Sonderraum plazierten Installation „Die un-endliche/-ähnliche Melodie der Stränge“ aus dem Jahr 1998, bei der auf- und abwärtsbewegende Nähmaschinennadeln auf 25 PC-Bildschirmen zu sehen sind. 

 

„Kunst soll dazu beitragen, Wahrnehmungen zu schärfen, und das auch abseits der künstlerischen Pfade. Man muss als Bürger beispielsweise wahrnehmen, welche Gesetze wir haben, ob diese richtig oder falsch sind oder von wem sie diktiert wurden“, so Export in einem aktuellen Interview. Ob´s gelingt, wird sich nach dem Besuch der spannenden Retrospektive zeigen.

mehr lesen

Queer Euphoria: 60.000 Fans bei Harry Styles-Show im Wiener Ernst Happel-Stadion

Pinke Federboas, bunte Brillen, Glitzer in den Haaren, fröhlich, junge Mädchen, die stundenlang auf der Wiese vor dem Ernst Happel-Stadion mit oder ohne Warteschlangentickets campen und auf ihren Star warten. Oder mit ihren teils überforderten Eltern Richtung Eingang strömen, um auf dem Stehplatz möglichst nahe der Bühne ausflippen zu können. Ein „safe space“ soll das Konzert mit rund 60.000 Besuchern werden, das hat der englische Superstar Harry Styles versprochen. Und dieses Versprechen wurde eingehalten. 

 

Wet Leg

 

Unabhängig von der Hysterie der Teenies, denen man kein besseres Idol wünschen könnte, war dieser Abend auch ein Rendezvous mit der britischen Pop-Elite. Im Vorprogramm spielten die von der Isle of Wight (südlich des Festlandes) stammenden Freundinnen Rhian Teasdale und Hester Chambers aka Wet Leg. Ihr gleichnamiges Debüt-Album stürmte sofort auf Platz 1 der UK-Charts, bei den Brit Awards gewannen sie die Preise in den Kategorien Best Alternative Music Album und Best Alternative Performance. Q.e.d.: Indie-Rock vom Feinsten mit grungigen Gassenhauern wie „Chaise Longue“, „Angelica“ oder „Ur Mum“ und subtil-feministischen Show-Einlagen. 

 

Superstar-Mania

 

Die Welle fließt durch das Stadion wie bei einem Fußball-Thriller, die Fans tanzen, kreischen und singen, noch bevor der durch die Boy-Band One Direction berühmt gewordene Harry Styles die Bühne betritt. Zur Musik von Freddie Mercury („Bohemian Rhapsody“), den Beatles („All you need is love“) und Robbie Williams („Angels“), alles Stars, die man mit Styles vergleichen könnte (in dieser Reihe fehlt nur Bowie). In einer Zeit, als es noch keine sozialen Medien und keine Smartphones gab. Heute zücken die Fans bereits vor dem ersten Erscheinen ihres Superstars die Handies, Instagram, Facebook und Tik Tok brauchen Material. Und das alles ist nicht unbedingt schlecht, wenn es sich um so sympathische Künstler wie Harry Styles handelt.

 

Queer Image

 

Der 1994 in Worcestershire aufgewachsene Harry Edwards Styles verzichtet bei seiner „Love on Tour“-Show auf Klimbim und Akrobatik-Einlagen. Die Bühne besteht aus einer Pyramide in der Mitte und vier Screens, auf denen neben Zeichentrickfiguren vorwiegend Styles und seine großteils weibliche Band zu sehen sind. Die Bandleaderin ist die großartige Drummerin Sarah Jones. Ein signifikantes Zeichen, mit dem Styles die patriarchalische Struktur der Musikszene aufbrechen will. „Styles repräsentiert alles, was Männer jetzt zu tun haben, empathisch sein, Diversität feiern, Frauen und queere Menschen unterstützen“, so der Männerforscher Christoph May. Die Regenbogenflagge und ein extravaganter Look dürfen nicht fehlen. In Wien trägt Styles eine hellgrüne Glitzer-Hose mit offenem Gilet, das Gucci-Rüschenkleid ist der Vogue vorbehalten, für die Styles im Dezember 2020 als erster Cover-Boy posiert hat.

 

„My Job is to entertain you“. Und den macht der 4fache Brit-Awards und 3fache Grammy-Gewinner exzellent, chronologisch perfekt aufgebaut: Unbekanntere, groovige Tracks am Anfang (wie „Golden“ und „Adore you“), die Superhits am Schluss, dazwischen One Direction-Covers und der bei jedem Konzert geplante persönliche Kontakt zu den Fans, bei denen Styles „Coming Out“-Fragen beantwortet. Selbst ist er diskreter und gibt keine Statements zu seinen sexuellen Präferenzen ab: „The whole point of where we should be heading, is accepting everybody and being more open“, so Styles im Guardian.

 

Encore

 

Vor allem bei den Mega-Hits könnte sich Styles, der seit fast zwei Jahren ununterbrochern auf Tour ist, jederzeit einen Schnitzer leisten. Die Fans im Front of stage-Bereich singen sowieso jede Textzeile lautstark mit. Dass „Watermelon Sugar“, sein brillanter erster Nr. 1-Hit in den USA, nicht über Wassermelonen handelt, sondern über Oralsex, muss man den Teenies (oder ihren Eltern) ja nicht direkt auf die Nase binden. Bei der ersten Zugabe, seiner an David Bowie angelehnten Ballade „Sign of the Times“ (seiner ersten Nr. 1 in England), gehen im ganzen Stadion die Handy-Lichter an, Gänsehaut pur. „You know, it´s not the same, as it was“, Harry Styles melancholisch-poppiger Track über Liebe, Einsamkeit und Verlust, sein bisher größter Hit aus seinem aktuellen Album „Harry´s House“ (mit 15 Wochen auf Platz in den Staaten), verwandelt das Stadion in einen kreischenden Hexenkessel. Den Schlusspunkt setzen Styles und seine großartige Band mit dem Indie-Kracher „Kiwi“. Ohne Tortenschlacht wie im Video, aber mit lächelnden, glücklichen Gesichtern der Fans. Rock´ Roll will never die. Das gilt nicht nur für die jungen Römer…

mehr lesen

The Right Choice: Her mit der Wiedereinführung der Erbschaftssteuer!

„Tax us. It is the right choice. It´s the only choice. Humanity ist more important than our money.“ Mit diesen klaren Worten hat das internationale Netzwerk „Millionaires for Humanity“ in einem Brief an verschiedene Regierungen um höhere Steuern für Milliardäre und Millionäre gebeten. Prominentestes Mitglied in Österreich: Marlene Engelhorn, eine Millionenerbin, die sich mittels zahlreicher Aktionen, Publikationen und öffentlicher Auftritte für Vermögens- und Erbschaftssteuern in der Alpenrepublik einsetzt. In einem Land, in dem das reichste ein Prozent der Bevölkerung rund 40 Prozent des Vermögens besitzt, während die ärmsten 50 Prozent gerade über einmal 2,5 Prozent verfügen.

 

Tatsächlich gab es in Österreich bereits beide Formen der Besteuerung. Die Vermögenssteuer, die jährlich rund 500 Millionen Euro einbrachte, wurde 1994 abgeschafft. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer wurde 2007 mit Wirkung ab dem 1. August 2008 durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Der Grund lag darin, dass die Bewertungsvorschriften für Grundstücke gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen hatten. Der Steuersatz betrug in der Steuerklasse 1 (Ehegatten, Kinder) zwischen 2 und 15 %, in der höchsten Steuerklasse 5 (ferne Verwandte und Dritte) zwischen 14 und 60 Prozent. Eine neue Regelung wurde mangels Einigung der damaligen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP nicht getroffen, stattdessen wurde u.a. das Grunderwerbsteuergesetz geändert, das ab 1. Jänner 2016 den Verkehrswert als Bemessungsgrundlage heranzieht.

 

Die extrem ungleiche Vermögensverteilung sollte allerdings jetzt Motiv sein, eine Erbschaftsssteuer wiedereinzuführen, die einerseits zu einer steuerlichen Entlastung der Arbeitseinkommen als auch zur Finanzierung wichtiger Initiativen in Bildung, Pflege und Armutsgefährdung (v.a. von Kindern) verwendet werden soll. In 18 von 27 EU-Ländern (inkl. Deutschland, Frankreich und Italien) gibt es aktuell eine Erbschaftssteuer, ebenso in den USA, Japan oder der Schweiz. Im EU-weiten Vergleich betragen die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer zwischen 0,2 % und 0,7 % des BIP, das wären nach den Berechnungen des Momentum Instituts in Österreich zwischen 850 Millionen und 3,3 Milliarden Euro jährlich.

 

Politische Überzeugungsarbeit muss allerdings seiten der Entscheidungsträger geleistet werden. Laut einer aktuellen Umfrage befürworten derzeit nur 48 Prozent die Einführung einer Erbschaftssteuer. Vor allem die Häuslbauer fürchten die Erbschaftssteuer wie der Teufel das Weihwasser, und das obwohl nur rund 2 Prozent der Erben von der Steuer betroffen sein werden. Abgesehen davon, dass 7 von 10 Personen überhaupt nichts erben, gehen alle einschlägigen Modelle von einem Freibetrag von mindestens 1 Million Euro aus, unter dem überhaupt keine Erbschaftsssteuer anfällt. Beträgt die Höhe der Erbschaft beispielsweise 1,2 Millionen Euro, dann wird nur der Wert über 1 Million Euro besteuert. Bei einem Steuersatz von 25 Prozent wären das 50.000 Euro. Die SPÖ hat diesbezüglich ein progressives Steuertarif-Modell konzipiert: Ab fünf Millionen Euro soll der Steuersatz 30 Prozent, ab 10 Millionen Euro 35 Prozent betragen.

 

„Wieso ist es der Alleinerzieherin mit Teilzeitjob zumutbar, dass sie auf ihr geringes Einkommen mindestens 20 Prozent zahlt, und jemand wie ich bekommt ein Vermögen geschenkt? Einfach so. Null Prozent Steuern.“, so das Credo der Millionenerbin Marlene Engelhorn. Und auf die „Standard“-Frage: „Wie viel Geld möchten Sie besitzen?“ „Gerade so viel, dass ich meine Grundbedürfnisse gut abdecken kann und die eine oder andere Freude“. Wenn die Nationalratsabgeordneten genauso denken würden, dann sollte einer Erbschaftssteuer nichts mehr im Wege stehen. Bei einigen Fraktionen ist dies allerdings leider sehr zu bezweifeln…

Rebellion der Angry Young Girls: Yoshitomo Nara in der Albertina Modern!

„Es sind keine Kinder, die ich male. Für mich sind das alles eigene Selbstporträts“, so der japanische Künstler Yoshitomo Nara, der mit seiner Retrospektive „All my Little Words“ von 10. Mai bis 1. November 2023 in der Albertina Modern vertreten ist. Im Mittelpunkt dieser mehr als 600 Werke umfassenden Ausstellung stehen dabei die „angry girls“ oder „big headed girls with piercing eyes“ (oder wie man so auch bezeichnen mag), die Nara Anfang der 90er entwickelt hat und die zu seiner Trademark geworden sind.

 

Die Einsamkeit und das Alleinsein hatten dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung dieser Comic-Figuren. Nara wuchs auf dem Land auf, spielte dort am liebsten mit Tieren und führte gerne Selbstgespräche. Dies hat sich auch nicht geändert, als er in der Großstadt Tokio lebte (wo man sich unter vielen Menschen allein fühlt) oder später im Rahmen seines Studiums in Düsseldorf, wo er die deutsche Sprache kaum beherrschte. „Statt des Wortes hatte ich die Kunst“, so Nara, der mittels seiner Girls-Zeichnungen seine Gefühle und Emotionen ausdrückte. Eine große Inspirationsquelle Naras ist auch die westliche Musik, die er bereits als Kind über die amerikanische Military Radio-Station Far East Network genossen hat. „I listen to music, when I draw“: Die Werke, die Nara auf den verschiedensten Materialien – von Zetteln, Kuverts bis Flyern oder Kartons – realisiert, haben allerdings weniger mit den Songinhalten als mit seinem persönlichen Seelenzustand und mit Gesellschaftskritik im Stile der Punk- und Hippie-Kultur zu tun. 

 

„Live for the Moment“, „Marching on, still alive“, „I´m a son of a gun“ oder ganz straight „Fuck U“ kommen da aus dem schmalen, ungeschliffenen Mund der Young Girls mit ihren stechenden Augen und ihren zornigen Blicken. Der Sound darf natürlich nicht fehlen: Die „Long Hair Rockers“ spielen fetzige Gitarren und laute Drums. Und schrecken auch vor dem Einsatz von Boxhandschuhen nicht zurück. Ob hinter „Stand by me“ der Wunsch nach Zweisamkeit oder die Aufforderung nach mehr Solidarität steckt, das bleibt im Auge der Betrachter, die durch die Comic-Figuren, ihre Gefühlsausbrüche und ihre Parolen auch mit ihrer eigenen Identität, ihrer Vergangenheit und ihren Wertvorstellungen konfrontiert werden sollen. „If the audience is able to discern new discoveries, then that makes me happy“, so Yoshitomo Nara, der – wie auch bei seiner großen Retrospektive im Los Angeles County Museum of Art (LACMA) – die chronologisch angeordneten Ausstellungsparcours persönlich zusammengestellt hat.

 

Eine Zäsur seiner künstlerischen Karriere erlebte Nara durch die Dreifachkatastrophe an der Ostküste Japans im März 2011. Ein Seebeben löste Tsunami-Flutwellen aus, die eine Fläche von über 500 km2 der japanischen Pazifikküste überfluteten und zu Unfällen im Atomkraftwerk Fukushima führten. Nara zweifelte an der Sinnhaftigkeit seiner Kunst, begann dann aber große Bronzeskulpturen (wie der in der Albertina Modern ausgestellten „Midnight Pilgrim“) zu konzipieren. Der gesellschaftskritische Aktivismus kam aber bald zurück, der sich vor allem gegen die Atomkraft („Love or Nuclear“) und gegen die Informations- und Kommunikationspolitik des Staates („For true democracy to work, people need easy access to independent diverse sources of news and information“) richtete.

 

Finales Highlight der Ausstellung ist der „Drawing Room“ des Künstlers, der in einem separaten abgedunkelten Raum in Form einer Hütte aufgestellt wurde. „A Place like Home“ nennt sich dieses Konstrukt, das den (fingierten) Atelierraum des Künstlers zeigt, mit all seinen Stiften, Zeichnungen, Zetteln, Kalendern, Landkarten, Radios, Bierflaschen und Kuscheltieren. Ein Ort, an dem Nara nicht nur künstlerisch tätig ist, sondern sich auch zurückzieht, um seine Gedanken und Ideen zu sammeln. Als Background hört man seine sixties-angehauchten Lieblingssongs – von den Byrds, Donovan, Mary Hopkin bis hin zu Barry Mc Guires „Eve of Destruction“. 

 

Yoshitomo Nara ist nicht nur in der Kunstszene angesagt – seine Originalwerke werden um viele Millionen Dollars verkauft – sondern auch in der Protestkultur. Seine Werke werden bei zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen verwendet. Unterstützt vom Künstler selbst, der diese per Download gratis zur Verfügung stellt. Bei der nächsten Demo in Wien also darauf achten, ob ein Angry Young Girl den Protestzug begleitet…

mehr lesen

Gegen Spekulation: Bundesweite Leerstandsabgabe für freistehende Wohnungen!

Laut Statistik Austria stiegen die Mietpreise im privaten Sektor seit 2010 um 50 Prozent, in Wien sogar um 61 Prozent. Dafür verantwortlich ist nicht nur die hohe Nachfrage nach Wohnungen in den Städten und die immer größer werdende Anzahl von befristeten Mietverträgen (die bereits 2/3 der Neuabschlüsse ausmachen), sondern auch die Spekulationsmotive der Eigentümer. Freistehende Wohnungen werden nicht vermietet, sondern gehortet und gewinnen durch die Marktpreisentwicklungen ständig an Wert. Eine Möglichkeit, diese Tendenzen umzukehren, wäre eine sogenannte Leerstandsabgabe.

 

Tatsächlich gibt es in drei österreichischen Bundesländern bereits eine „Leerstandsabgabe light“. In der Steiermark und in Salzburg handelt es sich um eine „Kann-Bestimmung“, in Tirol dagegen sind die Gemeinden verpflichtet, die Leerstandsabgabe umzusetzen. Sie betrifft dort – mit zahlreichen Ausnahmebestimmungen (wie zeitnahem Eigenbedarf, Verwendung für berufliche Zwecke oder fehlende Gebrauchstauglichkeit) Wohnungen, die über einen durchgehenden Zeitraum von mindestens 6 Monaten nicht als Wohnsitz verwendet werden. Die Höhe beträgt je nach Nutzfläche und Region zwischen 10 und 215 Euro pro Monat. In der Steiermark beträgt die „Wohnungsleerstandsabgabe“ maximal 10 Euro pro m2 Nutzfläche pro Monat, wobei die Höhe der Abgabe für eine Wohnung mit 100 m2 Nutzfläche im Kalenderjahr 1000 Euro nicht überschreiten darf. In Salzburg wurde ein Stufenmodell entwickelt, das zusätzlich noch zwischen „Neubau“ (Wohnungen mit einem Alter von bis zu 5 Jahren) und „älteren Wohnungen“ unterscheidet.

 

Warum diese länderspezifischen Leerstandsabgaben so gering ausfallen, liegt an der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung. Die Länder und Gemeinden dürfen zwar eigene Abgaben erheben, allerdings „dürfen diese nicht eine Intensität entwickeln, dass sie den Abgabepflichtigen wirtschaftlich zu einem bestimmten Verhalten zwingen“, so ein Gutachten des Rechtsanwalts Thomas Walzel für das Land Tirol. Denn dann würde dies in den Kompetenztatbestand „Volkswohnungswesen“ fallen, der dem Bund vorbehalten ist. So wurde bereits im Jahr 1985 eine zu hohe Leerstandsabgabe in Wien durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben. 

 

Die rot-pinke Wiener Stadtregierung forderte kürzlich in einem offiziellen Brief an die Bundesregierung die Umsetzung einer Leerstandsabgabe. Rechtlich wäre dies einfach. Der Nationalrat kann selbst eine Leerstandsabgabe beschließen oder die Zuständigkeit an die Länder verschieben. Die aktuelle Bundesregierung lehnt dies allerdings ab. Die fadenscheinigen Argumente: Der Leerstand sei schwer nachzuweisen bzw. drohe die Gefahr der Kalkulation in den Mietpreisen. In anderen Städten (wie in Zürich, Kopenhagen oder Toronto) funktioniert das System. Dort sind die Immobilienbesitzer sogar verpflichtet, Leerstand verpflichtend zu melden, sonst drohen empfindliche Strafen. 

 

Eine bundesweite Leerstandsabgabe würde – trotz Umgehungsversuchen – garantiert das Angebot an freien Wohnungen vergrößern und dadurch die Mietpreisentwicklung senken. Allerdings ist sie nur ein Mittel, um den Wohnungsmarkt unter Kontrolle zu bringen. Das wichtigste Instrument ist die Abschaffung der Befristungen bei Mietverträgen mit Immobilienunternehmen und gewerblichen Vermietern. Die Befristungen erzeugen nicht nur eine psychische Belastung bei den Mietern, die der ständigen Angst ausgesetzt sind, nach drei Jahren wieder umziehen zu müssen, sondern sind – aufgrund der rechtlich zulässigen (!) Mietpreiserhöhungen nach jeder Verlängerung bzw. nach jedem Abschluss mit einem Neumieter – der größte Preistreiber am Wohnungsmarkt.

New Festival in Town: Florence & The Machine, Interpol & Co. beim Lido Sounds in Linz…

„Linz an den Strand“, das war vor einigen Jahren eine Parole in der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Sandstrand, Cocktail-Bar und Beach-Feeling vor dem Brucknerhaus zählen nunmehr bereits zum State Art. Jetzt kommt ein neues Musik-Festival dazu, und zwar direkt am linken Donauufer auf dem Areal des Urfahraner Marktes. Der kongeniale Name: Lido Sounds. 

 

Gebucht wurden von den Veranstaltern Arcadia Live & LIVA nicht nur hochkarätige Acts aus dem Indie-, Pop-, Rock- und Hip Hop Genre, sondern auch viele nationale Künstler (wie My Ugly Clementine, Lou Asril oder Avec), die vor rund 25.000 Zuschauern täglich die Chance bekamen, neue Fans zu gewinnen. Die Hotels waren seit Wochen ausgebucht, zahlreiche Musik-Freaks kamen daher per Zug aus Wien oder Salzburg (inkl. Sonderzüge nach Mitternacht zurück). Wer sich die Tagestickets nicht leisten wollte, hatte auch die Möglichkeit, den Festival-Sound am rechten Donauufer auf einer Kuscheldecke zu genießen. Die Main Stage lag nämlich genau gegenüber der Linzer Kunstmeile, dem Kunstmuseum Lentos und dem Brucknerhaus (wo die Insomnia-erprobten Nachtschattengewächse bei der After Hour noch zu den House-Beats von Joyce Muniz und Salute abtanzen konnten).

 

Die zweite Ahoi Pop Summer Stage, benannt nach einem seit 2016 stattfindenden Linzer Festival, war in einem riesigen weißen Zelt untergebracht, das allerdings mit einer begrenzen Kapazität von rund 6000 Gästen begrenzt wurde. Eine gewisse Disziplin war also vonnöten, um seinen Lieblingsstar live mitzuerleben. Schuld am ersten rigorosen Einlass-Stopp war allerdings nicht die Hysterie um eine Indie-Band, sondern der – nach brütender Hitze – plötzlich eintretende Regen- und Hagelfall. Motto: „Wet Wet Wet“, denn die Unterstellmöglichkeiten bei den Gastro- und Street Food-Zelten waren ebenso rar wie die aufgrund der sonnigen Wetterprognosen unterlassene Mitnahme von Regenschutz der Fans.

 

Im Zelt selbst präsentierte die 22jährige Arlo Parks Tracks aus ihren beiden Alben „Collapsed in Sunbeams“ und „My Soft Machine“. Die Londoner Newcomerin, die 2021 den renommierten Mercury Prize gewonnen hat, trat zum ersten Mal in Österreich auf und freute sich über die diverse Zusammensetzung des Festivals. Aus New York reisten die Indie-Rocker von Interpol an, die seit Anfang der Nuller-Jahre zu den hippsten US-Bands zählen und bis dato bereits 7 Studio-Alben (zuletzt: „The Other Side of Make-Believe“ mit dem Opener „Toni“) veröffentlicht haben. Der Sound düster und melancholisch, der Fashion-Look smart und cool, vor allem Frontman Paul Banks mit weißer Jacke und schwarzen Sonnenbrillen.

 

Headliner des ersten Tages war die Londoner Band „Florence and the Machine“ rund um die Sängerin Florence Welch. „The Machine“ bezieht sich übrigens auf die Mitgründerin der Band, Isabella Summers, die als Keyboarderin der achtköpfigen Band im Einsatz ist. Nach dem kurzen Regentanz am frühen Abend begann jetzt der euphorische „Summer of Love“ beginnen: Barfuß und mit einem wallenden rosa Glitzerkleid transferierte Florence Welch die Fans in ihr buntes, hippieskes Wunderland aus musikalischen Delikatessen, vom Opener „King“, „Free“, dem bezaubernden Source-Cover „You´ve got the Love“ bis hin zu den Up-Tempo-Tracks „My Love“, „What Kind of Man“, „Dog Days are over“ oder „Shake it out“. „Dance Fever“ (so der Titel ihres letzten Albums) bis zur letzten Zugabe inkl. Hugs für die begeisterten Fans in der First Row. Ein Happy Ending des ersten, indie-angehauchten Festival-Tages mitten in der Linzer City. Wien kann da nur neidisch in den Sternenhimmel blicken…

mehr lesen

Regenbogenparade 2023: LGBTIQ-Community fordert vollen Diskriminierungsschutz!

„Sunshine, Peace, Happiness“ – So kann man die Stimmung auf der 27. Regenbogenparade in Wien bezeichnen, die mit 98 Teilnehmergruppen und mehr als 300.000 Besuchern zu der zweitmeistfrequentierten Parade aller Zeiten zählt. Die erste Regenbogenparade fand 1996 zwischen Oper und Universität Wien statt, mit gerade einmal 25.000 Besuchern. Als Vorbild diente laut Mitbegründer Andreas Brunner New York, dort wo auch der Christopher Street Day seinen Ursprung hatte. Am 27. Juni 1969 leisteten Homosexuelle und Transgender im Lokal Stonewall Inn erstmals Widerstand gegen die Polizeigewalt und die grassierenden Diskriminierungen. Daraus resultierten weltweite Demonstrationen der LGBTIQ-Bewegungen am sogenannten „Christopher Street Day“, in Österreich hat sich die Trademark „Regenbogenparade“ durchgesetzt, die eben nicht nur Party, Tanzen und Lebensfreude widerspiegelt, sondern auch eine politische Demonstration ist.

 

„Together we rise“ war das Motto der diesjährigen Parade, die wie immer – andersrum – entgegen der Fahrtrichtung der 5,2 km langen Ringstraße führte und eine breite Palette an unterschiedlichen Teilnehmergruppen enthielt: Von den LGBTIQ-Protagonisten (wie der Hosi Wien, der Türkis Rosa Lila Villa, dem Gay & Fetisch-Verein LMC Vienna, der Queer Base, der Aids Hilfe Wien oder der Szene-Ikone Conchita „Spreading Happiness“), politischen Parteien und Interessensvertretungen (wie der SoHo, den Grünen Andersrum, den Neos, dem ÖGB oder dem ÖAMTC), Wiener Clubs (wie dem Why Not gemeinsam mit der Felixx Bar, dem Techno-Epizentrum Exil, dem O-Club als Veranstalter der offiziellen Pride Night oder dem Werk) bis hin zu Banken, Softwareunternehmen, Getränke- und Schokoladefirmen, die die Parade augenscheinlich auch als Promotion für ihre Produkte verwenden. Ob dort die Firmenpolitik tatsächlich so divers, tolerant und anti-diskriminierend geführt wird oder die Identifikation mit der LGBTIQ-Bewegung nur der Umsatzsteigerung dient, das sei dahingestellt. Der linksgerichtete Verein Funke dürfte ebenfalls seine Zweifel haben. Deren Motto bei der Parade: „Gegen Pinkwashing – Für den Sturz des Kapitalismus!“

 

Im Mittelpunkt der politischen Message des Pride Month und der Parade steht der volle Diskriminierungsschutz für die LGBTIQ-Community. Laut einer europäischen Studie aus dem Jahr 2020 erfuhren 43 Prozent aller Befragten persönlich Diskriminierung oder Belästigung wegen ihrer sexuellen Orientierung, 21 Prozent fühlten sich am Arbeitsplatz trotz des EU-weiten Schutzes diskriminiert, 11 Prozent der Homosexuellen wurden sogar innerhalb der letzten 5 Jahre körperlich oder verbal angegriffen.

 

Österreich ist dabei keinesfalls Vorreiter, sondern liegt aufgrund des fehlenden Diskriminierungsschutzes nur auf Platz 20 (!) des Länderrankings der Ilga Europe. Während die Bürger im Bereich der Arbeitswelt aufgrund von sechs Diskriminierungsgründen (Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Religion bzw. Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung) geschützt sind, existiert im Privatleben KEINEN Schutz aufgrund der sexuellen Orientierung, der Religion und Weltanschauung bzw. des Alters. Hauptanwendungsbereich ist der „Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich Wohnraum“. Heißt fallspezifisch, dass Lokalbesitzer Homosexuelle aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus ihrem Wirtshaus oder Beisl schmeißen dürfen oder Vermieter offen Schwule, Lesben oder Transgender als Mieter ablehnen dürfen, ohne rechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.

 

Skurrile Fälle nennt das von der Hosi Wien publizierte Positionspapier „Levelling Up“. So ist ein Kellner als Arbeitnehmer in einem Lokal geschützt vor der Homophobie des Besitzers, nicht dagegen die Gäste. Eine HTL-Schülerin ist geschützt, da die HTL als Berufsausbildung gilt, nicht dagegen eine Gymnasiastin, da Bundesschulen nicht unter den Diskriminierungsschutz fallen. Eine weitere Kuriosität in diesem Zusammenhang: Die Gleichbehandlungsgesetze der neun Bundesländer enthalten alle einen vollen Diskriminierungsschutz, dieser gilt aber natürlich nur für deren Kompetenzbereiche.

 

Die LGBITQ-Community fordert daher – neben der Erweiterung des Schutzgrundes „Geschlecht“ um Geschlechtsidentität, Geschlechtsmerkmale und Geschlechtsausdruck – ein bundesweit einheitliches Gleichbehandlungsgesetz, das einen vollen Diskriminierungsschutz für queere Personen enthält. Zuletzt wurde dies von der ÖVP 2015 – trotz einer fertigen rot-schwarzen Regierungsvorlage – abgelehnt. Eine rechtliche Situation, die für Schwule, Lesben und Transgender untragbar ist. Man darf gespannt sein, ob sich nach der nächsten Nationalratswahl neue Mehrheiten ergeben. Ein #Schutzfüralle – so der Hashtag – ist längst fällig…

mehr lesen

„The Future is Now“: Peter Fox live in der ausverkauften Wiener Arena!

„Alle malen schwarz, ich seh' die Zukunft pink: Wenn du mich fragst, wird alles gut, mein Kind. Mach dein Ding, aber such' keinen Sinn. Und was nicht da ist, musst du erfinden.“ – Diese lässig-euphorischen Reime laufen seit Oktober 2022 auf allen Radiostationen, in allen Clubs und bei allen Privatparties. Pierre Baigorry aka Peter Fox is back, und das mit Turbogeschwindigkeit auf Platz 1 in den Charts. Spontaner musikalischer Aktivismus gegen die depressiven Gemüter, das dachten viele, denn seit seines vielumjubelten Debüt-Albums „Stadtaffe“ von 2008 (!) erschienen keine Solo-Releases von Peter Fox mehr. „Diese pure, auf meine Person gerichtete Aufmerksamkeit finde ich nicht so geil. Dieses Solo-Popstar-Sein ist echt nicht mein Ding“, so Fox in einem aktuellen „Spiegel-Interview“.

 

Die Kreativität und ein nicht realisiertes Album mit dem deutschen Rapper Trettmann allerdings motivierten Fox zu seinem zweiten Solo-Werk, „Love Songs“, das Ende Mai veröffentlicht wurde. Inklusive zahlreicher Live-Auftritte bei Festivals, die innerhalb kürzester Zeit organisiert wurden. Die Wiener Arena zählte zu den ersten Locations der Comeback-Tour, sie war nach wenigen Tagen ausverkauft. Mit dabei hatte Fox die Support-Rapper Ola und Willy Will und die M.I.K.-Family („Monsters in Krump“), eine multikulturelle Streetdance-Gruppe aus Berlin. 

 

„Wir spielen Songs vom neuem Album, vom ersten Album und von Seeed, eine schöne Mischung“, das prophezeite Fox zu Beginn des Konzerts, lässig mit weiten Hosen und Sonnenbrillen. Die 51 Jahre merkt man dem in Berlin-Kreuzberg aufgewachsenen Musiker nicht an, der 1998 die Reggae-Dancehall-Combo Seeed („Dickes B“) gründete und mit dieser genauso wie mit seinem Album „Stadtaffe“ das Berliner Lebensgefühl der 2000er widerspiegelte. 

 

Guten Morgen Berlin. Du kannst so hässlich sein. So dreckig und grau. Du kannst so schön schrecklich sein. Deine Nächte fressen mich auf. Es wird für mich wohl das Beste sein. Ich geh nach Hause und schlaf mich aus. Und während ich durch die Straßen laufe. Wird langsam schwarz zu blau“ – Die legendären Zeilen aus Peter Fox´ ambivalenter Liebeserklärung an die deutsche Bundeshauptstadt dürfen die Fans bereits in der ersten Hälfte des flotten Konzerts genießen und kräftig mitsingen. Und zwar nach einer Palette von neuen Tracks wie „Vergessen Wie“ (Die City Lebt – man darf also auch noch als 50er auf die Piste gehen ), „Ein Auge blau“, „Weiße Fahnen“ (einem Appell an Mäßigung innerhalb von Liebesbeziehungen und Freundschaften) und der subtilen Ballade „Kein Regen in Dubai“.

 

Es dauert nicht lange, bis die Akteure auf der Bühne durch Wiener Fans erweitert werden, die auf einer höher platzierten Plattform mit der M.I.K. Family tanzen und feiern. Im Vordergrund der Schriftzug „The Future is Now“. Hat natürlich eine gewisse Analogie zum coolen Video „Zukunft Pink“. Bis dieser Superhit die rund 3000 Fans endgültig zum Ausflippen bringt, präsentiert Peter Fox noch einige neuere Seeed-Hits (wie „Ticket“, „Lass sie gehn“ und „Hale-Bopp), die neue Single „Tuff Cookie“ (eine Liebeserklärung an den Partner mit coolen Zeilen wie „Winter in Berlin mit dir wie'n warmer Sommer“) und den Body Positivity-Klassiker „Schüttel deinen Speck“.

 

Im Zugabenblock rockt Fox dann die Crowd mit „Alles Neu“ und überrascht mit einer soften Version von „Haus am See“. Diesen Song wollte Fox eigentlich gar nicht mehr live spielen. „Es gibt zwar so eine klassische Sehnsucht nach Familie und Zuhause, aber inzwischen weiß ich: Man kommt nicht an, und dann ist alles toll“, so Fox im „Spiegel-Interview“. 

 

Im Gegensatz zu seiner Show in der Wiener Arena, die alle mitgerissen hat. Inklusive der Abschluss-Nummer von den „Toscana Fanboys“, aufgenommen im Original mit der 85jährigen Italo Pop-Legende Adriano Celentano. Die wird man garantiert im Sommer auch auf den Stränden von Rimini, Lignano und Jesolo hören. 

mehr lesen

Mietrecht: Weg mit den befristeten Mietverträgen!

Die Befristung von Mietverträgen wurde im Jahr 1994 im Rahmen des neuen Richtwertmietgesetzes eingeführt. Das damalige Ziel war, Studierenden für die Dauer ihres Studiums ein befristetes Wohnen zu ermöglichen. Die erste schwarz-blaue Regierung fixierte dann mit der Wohnrechtsnovelle 2000 den Status Quo und damit zahlreiche Nachteile, Belastungen und Erschwernisse für Mieter mit befristeten Verträgen, deren Anzahl in den letzten Jahren ständig gestiegen ist. 

 

So gab es 2021 bereits über 347.000 befristete Mietverträge im privaten Segment, bei neuen Verträgen sind bereits drei von vier befristet. Diese sind laut Arbeiterkammer um etwa 130 Euro pro Monat teurer als unbefristete. 

 

Gemäß § 29 Mietrechtsgesetz muss die Vertragsdauer von befristeten Mietverträgen mindestens 3 Jahre betragen, der Vertrag muss außerdem schriftlich abgeschlossen werden. Ansonsten liegt ein unbefristeter Mietvertrag vor. Eine Höchstdauer wurde nicht festgelegt. Der Mieter hat auf jeden Fall das unverzichtbare und unbeschränkbare Recht, den Mietvertrag nach Ablauf eines Jahres zum Monatsletzten gerichtlich oder schriftlich unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zu kündigen. Was de facto heißt, dass er zumindest 16 Monate an den Vertrag gebunden ist. 

 

Diese Regelung ist weniger ein Problem, als die Folgen, die sich aus der Befristung der Mietverträge ergeben. Zulässig ist beispielsweise ohne Einschränkung eine Kette von befristeten Mietverträgen zwischen denselben Vertragsparteien. Dabei hat der Vermieter die Möglichkeit, zwischen den Kettenverträgen den Hauptmietzins anzuheben. Eine Erhöhung, die zumeist die gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Indexierungen oder Wertsicherungen von unbefristeten Verträgen bei weitem übersteigt.

 

Durch die Befristung wird der Mieter erpressbar gemacht. Dieser hat sich – meistens mit Familie und Kindern – in seiner Wohnung gemütlich gemacht, hat ein soziales Umfeld, Arbeitsplatz, Schule und Kindergärten in der Nähe und hat keine Lust nach 3-5 Jahren wieder auszuziehen, inklusive Suchaufwand, psychischer Belastung bzw. Umzugs- und Maklerkosten. Und muss damit de facto alle Nachteile auf sich nehmen. So gibt es zahlreiche Mieter, die die Betriebskostenabrechnungen nicht überprüfen oder auf den gesetzlich vorgeschriebenen Befristungsabschlag von 25 Prozent verzichten (um den Vermieter ja nicht zu verärgern). Laut Arbeiterkammer wurden im Jahr 2020 in den rund 90.000 befristeten vermieteten Altbaumieten 123 Millionen Euro zuviel an Hauptmietzins bezahlt, eine Überzahlung von durchschnittlich 1600 Euro pro Wohnung. 

 

Verstärkt wird die Lage der befristeten Mieter aktuell noch durch die stark steigenden Lebenshaltungs-, Energie- und Wohnkosten. Politisches Ziel kann daher nur eine Novellierung des Mietrechtsgesetzes mit einer fast gänzlichen Abschaffung der Befristungen sein. Die Arbeiterkammer und die SPÖ fordern ein Befristungsverbot für Immobilienkonzerne und nicht-gemeinnützige Bauträger, bei privaten, nicht gewerblichen Vermietern könnte Deutschland als Vorbild herangezogen werden. Dort existieren bereits seit dem Jahr 2001 sogenannte „befristete qualifizierte Zeitmietverträge“. Die Gründe für eine Befristung sind gesetzlich normiert und müssen ausdrücklich im Mietvertrag erwähnt werden. Dazu zählen die bevorstehende Eigennutzung des Vermieters oder eines seiner Angehörigen, die Renovierung des Mietobjektes und die Überlassung als Werkswohnung. 

 

Ein System, das sich bewährt hat und den Mieter vor rechtlicher und faktischer Unterlegenheit gegenüber dem Vermieter und einem Leben in dauernder Unsicherheit schützt. Weg daher mit den Befristungen so schnell wie möglich!

Junge Römer rocken cooler als die anderen: Maneskin live in der Wiener Stadthalle!

2016 spielten Damiano David, Victoria de Angelis, Thomas Raggi und Ethan Torchio noch in der römischen Via del Corso als junge Straßenmusiker, sieben Jahre später haben sie – nicht nur als Vorgruppe der Rolling Stones – den Rock-Olymp erobert. Den Band-Namen gab es allerdings schon damals: Maneskin, das dänische Wort für „Moonlight“,auserkoren von der Halb-Dänin und Bassistin Victoria.

 

Das corona-bedingt verschobene „Konzert in der Wiener Stadthalle war bereits seit Monaten ausverkauft und sorgte von Beginn an für einen Hexenkessel. Eine kilometerlange Menschenschlange mit rund 80 Prozent Girls im Regenguss vor der Halle, drinnen vor allem in den vorderen Reihen Schweißattacken. Trademark: „Loud Kids Tour gets louder!“ Der rote Vorhang fällt – und mit dem neuen Uptempo-Hit „Don´t wanna sleep“ startet eine 120 Minuten-Power-Show (fast) ohne Verschnaufpause.

 

„The Biggest Rock Band to emerge in years“, so das US-Magazin „Variety“. Im Mittelpunkt der charismatische, kurz geschorene Sänger Damiano David, Idol der weiblichen Fans, der bereits nach einigen Songs die Hüllen fallen lässt und seine zahlreichen Tattoos am nackten Oberkörper präsentiert. Die vier jungen Römer wurden mit gerade einmal 17 Zweite beim italienischen Musik-Wettbewerb „X-Factor“ und stürmten dann mit ihrem ersten, rein italienischen Album „Il Ballo della Vita“ auf Platz 1 der Charts. Auf der Setlist der aktuellen Tour standen – trotz hoher Qualität – leider keine Songs ihres Debüt-Albums. Im Gegensatz zu ihrem internationalen Break-Through-Hit „Zitti E Buoni“, der bereits als 3. Track des Abends für Massenhysterie sorgte. 2021 gewannen Maneskin damit zuerst das San Remo-Festival und danach den Eurovision Songcontest in Rotterdam, (falsche) Drogenvorwürfe gegen Sänger Damiano bei der Siegesfeier inklusive. Was besseres kann nicht passieren. 

 

Seitdem ist das sexy Quartett Liebling der Musik-, Fashion- und Lifestylemagazine. Bassistin Victoria de Angelis lässt auch gerne mal den Busen blitzen, beim Wien-Konzert glänzte sie modisch – wie Gitarrist Thomas Raggi – im schicken Pepita-Look. Drummer Ethan Torchio liefert die exzessiven Drum Beats zum Pop-, Glam- und Alternative Rock-Sound der Band. Schrille Light-Effects, Feuerfontänen und schnell geschnittene Screen-Aufnahmen dürfen nicht fehlen.

 

Romantische Stimmung kommt erstmals bei der auf italienisch gesungenen Gothic-Rock-Ballade „Coraline“ aus dem zweiten Album „Teatro d´Ira“ auf, Sänger Damiano mit schwarzen Sunglasses, bevor er sich beim Rock-Burner „Bla Bla“ erstmals in die Fan-Crowd wirft. Mit „You Fucking love this song“ kündigt er dann den ersten Nr. 1-Hit von Maneskin in Österreich an, „Beggin“, das Four Seasons-Cover, das die Band erstmals im Teenager-Alter (neben Tracks der Killers und Franz Ferdinand) beim X-Factor-Wettbewerb präsentierte und mit dem die Italiener sogar auf Platz 13 in den US-Charts landeten.

 

Nach weiteren Tracks aus dem im Jänner 2023 erschienenen dritten Album „Rush“ (wie „Gasoline“ und „Timezone“) verdunkelt sich die Main Stage, kurze Zeit später taucht Damiano mit Gitarrist Raggi auf einer gegenüber errichteten kleinen Bühne auf und erzeugt dort Gänsehautstimmung mit den Akustik-Versionen von „Vent´anni“ und „If Not for you“. Victoria und Ethan liefern danach ein rockiges Intermezzo, bis Maneskin dann in voller Besetzung den – mit Iggy Pop aufgenommenen – Mega-Hit „I wanna be your Slave“ (übrigens der erste UK-Top-Ten-Hit einer italienischen Band) in die Mikros schmettern. Mit kräftiger Unterstützung der kreischenden Menge. 

 

Ob vorher ausgemacht oder nicht, bei „Mamma Mia“ schmeißt Sänger Damiano der Bassistin Victoria eine große Portion Schlagobers ins Gesicht. Nicht ohne Grund: It was Vic´s 23rd Birthday, den die Band am Vorabend u.a. im Wiener Prater und in einer Karaoke-Bar feierte. Im Stil von Jared Leto dürfen am Ende der Main Show auch die Fans auf der Bühne tanzen und feiern. Der kongeniale Punk-Track dazu: „Kool Kids“, ein Favourite Track der Band.

 

Im Zugabenteil: Die brillante Abschieds-Ballade „(Tonight is gonna be) The Loneliest“, Oktober 2022 Nr. 1 in den Charts (supported durch ein grandioses Funeral-Video mit „Gucci“-Look), und danach noch einmal unter tosendem Applaus „I wanna be your slave“. 

 

„Rock and Roll never dies“. Wie recht doch Damiano bereits nach dem ESC-Triumph hatte…

mehr lesen

Katastrophales Zeugnis für die Sozialhilfe: Zurück zur Mindestsicherung!

„Das Gesetz ist mittlerweile eine einsturzgefährdete Ruine, was für jene problematisch ist, die sich noch in dieser Ruine befinden“, Martin Schenk von der Armutskonferenz. Gemeint ist das von Türkis-Blau beschlossene Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, das am 1. Juni 2019 in Kraft getreten ist und die Ärmsten der Armen mit zahlreichen Schlechterstellungen und Schikanen konfrontiert.

 

Die Länder hatten die Verpflichtung, innerhalb von 7 Monaten Ausführungsgesetze zu erlassen. Tatsächlich ist dies bis dato (!) erst in 6 Ländern durchgeführt worden (NÖ, OÖ, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Vorarlberg, in Wien nur in Teilbereichen). Während die zuvor geltende Mindestsicherung auf dem Prinzip von Mindeststandards basierte, wurden durch das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz Höchstsätze normiert. Zahlreiche Kann-Bestimmungen lassen den Ländern weite Spielräume, die teils ein menschenwürdiges Leben ohne Armut (absichtlich?) nicht mehr ermöglichen. 

 

Im Jahr 2023 haben Alleinlebende und Alleinerziehende einen Anspruch auf Sozialhilfe von maximal 1.054 Euro. Für Paare beträgt der Maximalbetrag 1.475 Euro. Diese Beträge werden 12mal jährlich gewährt. Die degressive Staffelung für minderjährige Kinder wurde – wie die Verknüpfung der Sozialhilfe mit Sprachkenntnissen („Arbeitsqualifizierungsbonus“) – bereits im Dezember 2019 durch den VfGH aufgehoben. 

 

Novelle 2022

 

Im Jahr 2022 erfolgten durch die türkis-grüne Regierung einige Erleichterungen für die Sozialhilfempfänger. So werden betreute Wohngemeinschaften, Obdachloseneinrichtungen und Frauenhäuser nicht mehr zwingend als „Haushaltsgemeinschaft“ subsumiert. Dies hat zur Folge, dass die Sozialhilfe nicht mehr mit maximal 70 Prozent limitiert wird. Das Pflegegeld wird nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet, die Wohnbeihilfe allerdings weiterhin, in Zeiten der Rekordinflation und der enorm gestiegenen Mieten und Betriebskosten ein extremer finanzieller Malus für die Betroffenen.

 

Aufhebung des Sachleistungszwangs

 

Am 15. März 2023 wurde eine weitere Schikane des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes aufgehoben. Bis dahin durften Länder erhöhte Wohnbeiträge nur als Sachleistungen erbringen. Darunter fällt insbesondere die direkte Überweisung des Geldes an den Vermieter oder den Stromlieferanten, was für den Sozialhilfempfänger eine besondere Stigmatisierung und Erniedrigung darstellt. Dies widerspricht laut VfGH dem Gleichheitsgrundsatz und ist daher sachlich nicht gerechtfertigt. 

 

Im Jahr 2020 wurden insgesamt 260.114 Personen durch die Mindestsicherung und Sozialhilfe unterstützt. 52 Prozent waren weiblich, 48 Prozent männlich. Der Anteil der Kinder lag mit 37 Prozent über jenem der Frauen (34 %) und Männer (29 %). Die monatliche Mindestsicherungshöhe betrug durchschnittlich 365 Euro. Die Sozialhilfe macht derzeit gerade einmal 0,9 % der Gesamt-Sozialausgaben aus, bezogen auf das Gesamtbudget der Republik nur 0,4 %. 

 

Sozialhilfe-Studie

 

Die von der Armutskonferenz im Herbst 2021 durchgeführte Erhebung zur Sozialhilfe ergab desaströse Resultate. Befragt wurden 103 Teilnehmer, die beruflich Sozialhilfeempfänger unterstützen, darunter (überwiegend) Sozialarbeiter, Juristen, Pädagogen, Psychologen, Soziologen und NGO-Mitarbeiter.

 

Die Aussage „Die Sozialhilfe ist ein geeignetes Mittel, um die Armut zu bekämpfen“ erhielt dabei mit 3,5 (!) noch die beste (!) Bewertung des allgemeinen Fragenblocks. Nur 10,6 % der Teilnehmer sehen in der Sozialhilfe eine Verbesserng der Situation armutsbetroffener Menschen im Vergleich zur bedarfsorientierten Mindestsicherung. Kritisiert werden die nicht einheitlichen Standards (durch die weiten Spielräume der Länder) und das Fehlen wichtiger Verfahrensbestimmungen (wie die Verpflichtung eines schriftlichen Bescheides). Die Aussage „Durch die Einführung der Sozialhilfe wird schneller und effizienter Hilfe gewährt“ erhielt die katastrophale Bewertung von 4,27. Die gröbsten Verschlechterungen liegen laut der Erhebung bei den Härtefällen, der Unterstützung fürs Wohnen, den Geld- und Sachleistungen und den Verfahrensregeln. „Es scheint, dass der optimierte Ressourceneinsatz darauf ausgerichtet ist, durch eine möglichst komplizierte Verfahrensgestaltung, die Non-Take-Up Rate zu erhöhen bzw. Menschen von der Inanspruchnahme der Sozialhilfe auszuschließen“, so im Wortlaut der Studie.

 

19 Punkte für eine neue Mindestsicherung

 

Es wundert daher nicht, dass die Armutskonferenz (ein Netzwerk sozialer Hilfsorganisationen) zahlreiche Reformvorschläge erarbeitet hat, um die Situation der Ärmsten der Bevölkerung zu verbessern. So sollte die „neue Mindestsicherung“ die tatsächlichen ortsüblichen Wohn- und Energiekosten (inkl. der Anmietungs- und Ausstattungskosten) übernehmen. Berücksichtigt werden sollten auch Kreditrückzahlungen im Zusammenhang mit der Wohnraumschaffung, Unterhaltszahlungen, laufende Ausgaben für die Begleichung von Miet- und Energiekostenrückständen und Ratenzahlungen im Rahmen eines Schuldenregulierungsverfahrens. 

 

Eingeführt werden sollte ein Rechtsanspruch auf Sonderbedarfe, die beispielsweise durch Erkrankung oder besondere Lebenslagen entstanden sind. Die Mindeststandards sollten sich nach der Armutsgefährdungsschwelle (aktuell: 1392 Euro monatlich) orientieren. Das System der „vorrangigen Leistungen Dritter“ muss dahingehend verändert werden, dass Unterhaltsforderungen nicht mehr generell als Einkommen gewertet werden. Dies hat derzeit zur Folge, dass volljährige Behinderte, die bei ihren Eltern leben, keine Leistungen mehr erhalten, oder Unterhaltsberechtigte ihre Forderungen gegen Dritte gerichtlich geltend machen müssen, bevor sie Anspruch auf Sozialhilfe haben.

 

Gefordert wird außerdem eine effektive Sofort- und Überbrückungshilfe, aufgrund derer die Behörde bei Notlagen von Amts wegen handeln muss. Die Verfahrensbestimmungen sind zu vereinfachen und sollen den Sozialhilfeempfängern zugutekommen. Die Entscheidungsfrist sollte von 3 Monaten auf ein Monat reduziert werden, bei Anträgen auf die (zahlreichen) Kann-Bestimmungen sollte zwingend eine schriftliche Entscheidung mit Begründung ausgestellt werden. Anstatt Monatsbescheiden sollten Quartalbescheide die Regel sein, bei Dauerleistungsbeziehern ohne Einsatz der Arbeitskraft (wie Älteren, Kranken oder Behinderten) sollte ein Jahresbescheid ausgestellt werden.

 

In dieselbe Kerbe schlägt die Volkshilfe, die – durch die enorm gestiegenen Lebenshaltungs-, Miet- und Energiekosten – eine Armutswelle befürchtet und eine Existenzsicherungsgarantie mit bundeseinheitlichen Mindestgrenzen fordert. Der Caritas-Chef Landau kritisiert nicht nur die Höchstsätze für Sozialhilfeempfänger, sondern sorgt sich auch um das Wohl der Kinder (Stichwort: Kindergrundsicherung!) und der älteren Generation. „Es kann nicht sein, dass sich Mindestpensionisten nach einem arbeitsreichen Leben um Lebensmittelhilfe anstellen müssen!“ 

 

Eine Reform der Sozialhilfe ist im sechstreichsten EU-Staat unabdingbar, bei gleichzeitig qualifizierter Migrations- und restriktiver Flüchtlingspolitik (um hier von vornherein keine falsche Hoffnungen zu wecken). Vermögens- und Erbschaftssteuern oder progressive Kapitalertragsteuern dürfen dabei kein Tabu sein, um allen Bürgern in unserem Heimatland ein menschenwürdiges Leben ohne Armut und ohne Defizite zu ermöglichen.

„Now is the Time“: Retrospektive von Kiki Kogelnik im Wiener Kunstforum

„She´s undoubtely the girl of the future“: Das schrieb einst im Jahr 1966 die US-Modezeitschrift Women´s Wear Daily über die damals 31jährige österreichische Künstlerin Kiki Kogelnik, die sich damals im New Yorker Dunstkreis von Andy Warhol, Roy Liechtenstein, Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg und Carolee Schneemann bewegte. Das Fashion-Magazine hatte nicht ganz unrecht. 25 Jahre nach ihrem Tod aufgrund einer Krebserkrankung (1997) war Kogelnik mit ihren Mensch-Maschinen-Hybriden Teil der Venediger Biennale. Und das Wiener Kunstforum widmet Kogelnik, die bereits 2013 in der Kunsthalle Krems mit einer Sonderausstellung vertreten war, die bisher größte Retrospektive. Bezeichnender Titel: „Now is the Time“.

 

Die Kuratorin Lisa Ortner-Kreil hat nach einer dreijährigen Vorbereitungszeit – in Zusammenarbeit mit der Kiki Kogelnik Foundation – das Werk Kogelniks chronologisch angeordnet. Empfangen werden die Besucher allerdings von einem ihrer bekanntesten Werke, dem „Painter“ aus dem Jahr 1975, das eines ihrer künstlerischen USP´s zeigt, das Ausschneiden ihrer (bzw. anderer) körperlicher Umrisse, die dann für die weitere Gestaltung ihrer Kreationen verwendet werden. 

 

Galerie St. Stephan

 

Kogelnik stammt ursprünglich aus dem kärntnerischen Bleiburg und studierte ab Herbst 1955 Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Dabei schloss sie Bekanntschaft mit der Avantgarde-Gruppe rund um die Galerie St. Stephan (der u.a. Mäzen Otto Mauer, Arnulf Rainer oder Hans Hollein angehörten). Obwohl Männerdomäne, präsentierte sie dort 1961 ihre erste Einzelausstellung, die von abstrakten Malereien geprägt war. Tatsächlich zog es sie damals schon in das Art-Epizentrum New York („challenging“), wo die Kosmopolitin ein eigenes Atelier bezog und ihren eigenen Stil entwickelte. 

 

Szene New York

 

„Kiki is an original. Her Style is part bohemian, part film star, part intellectual“, so der Kunstkritiker Robert Fulford im Toronto Daily Star. Kogelnik erlangte Popularität in der Szene nicht nur durch ihre grellen Kunstwerke (wie „Fly me to the Moon“, 1963), sondern auch durch ihren schrillen Fashion-Look, ihre lebenslustige Art und ihre Performances. So fabrizierte sie aus ihren körperlichen Umrissen Schaumstofffiguren und trug diese in New York und in Wien durch die City-Streets. In der wilden Sixties-Dekade entstanden ebenso die – im Hauptraum positionierten - knallbunten „Bombs in Love“ und die auf Kleiderbügeln platzierten „Hangings“, die – aus Vinyl bestehend – ebenfalls auf den Umrissen Kogelniks basieren. Der Kleiderbügel steht dabei nicht nur als Symbol für weibliche Rollenklischees, sondern auch für illegale Abtreibungen. 

 

Space Art

 

Ein Sonderraum der Ausstellung widmet sich einem besonderen Faible Kogelniks, der Space Art. In der Mitte steht der rekonstruierte „Lover Boy“ (1963), ein überlebensgroßer Roboter, der aus Backformen (!) und Rohren besteht. Zu sehen sind auch Ausschnitte des legendären „Moonhappenings“ in der Galerie nächst St. Stephan. Kogelnik veranstaltete dort ein Public Viewing der ersten Mondlandung am 21. Juli 1969 und erstellte dazu parallel Siebdrucke mit Datum und genauer Uhrzeit. 

 

Frauenbilder

 

In den 70er Jahren setzte Kogelnik feministische Akzente, indem sie die Rolle der Frau in der patriarchalen Gesellschaft hinterfragte. Weltberühmt ist ihr Sujet „Women´s Lib“ aus dem Jahr 1971, das Kogelnik mit ihrem „Lieblingswerkzeug“, der Schere, und ausgeschnittenen Körpersilhouetten zeigt. Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählen die bunten, lebensgroßen „Frauenbilder“, bei denen Kogelnik Hochglanz-Fashion-Magazine als Vorlage verwendet. „My paintings are about woman, about illusions woman have about themselves“, so Kogelnik, die die ästhetisch wunderschönen Frauenkörper mit geisterhaften, blassen Gesichtern und subtil-ironischen Elementen kombinierte. Beim Gemälde „Superserpent“ (1974) trägt die Frau einen Medusa-Schlangenkranz auf dem Kopf und eine Schlange in der Hand. Im Jahr 2019 wurde dieses Meisterwerk – bei einem Schätzwert von 20.000 Euro – um 162.500 Euro versteigert. Eine verspätete (postmortale) Genugtuung für Kogelnik, die damals laut ihrer privaten Tagebuchaufzeichnungen an der Akzeptanz ihrer Kunst zweifelte („I´m only the Doctor´s wife cooking. My Social standard is wrong“).

 

Spätwerk

 

Kogelnik war zeit ihres Lebens stets für neue Techniken und Stilgattungen aufgeschlossen. Sie besuchte an der New Yorker University einen Filmkurs und drehte danach im Jahr 1978 einen Kurzfilm über den Underground-Punk-Club „CBGB“, u.a. mit dem Schriftsteller Jim Carroll, Blondie und den Ramones. In der Retrospektive sind natürlich auch ihre Keramik-Arbeiten und ihre Glasköpfe (die „Venetian Heads“) zu sehen. Bei den weltweit ausgestellten „Expansions“ vermischte Kogelnik die Keramik mit der Malerei, das Verhältnis zwischen Leben und Tod steht immer mehr im Mittelpunkt ihres Spätwerks. Eines der Highlights der winkende, lachende Tod mit einem „Hi“ auf der Stirn und drei Keramik-Gesichtern über dem Gemälde. Ein ironisch, aber auch bitter anmutendes Kunstwerk Kogelniks, die am 1. Februar 1997 im Alter von 62 viel zu früh gestorben ist.

 

Mit ihren Themen ist Kogelnik 26 Jahre später am Puls der Zeit. Und der Hype um die österreichische Weltbürgerin wird so schnell nicht abreißen: „Now is the Time“ wandert nach dem Wiener Kunstforum ins Kunsthaus Zürich und danach in das Kunstmuseum Brandts in Odense. New York Calling nicht ausgeschlossen.

mehr lesen

Schuldenfalle Bürgschaften: SPÖ-Antrag auf Haftungsübernahme nur bis zur eigenen Bonität!

„Bürgen sollst du würgen“ lautet ein nicht gerade sympathisches Sprichwort, das allerdings leider oft der Wahrheit entspricht. Wer eine Bürgschaft eingeht, verpflichtet sich, die fremde Schuld zu übernehmen, wenn der Hauptschuldner die vereinbarte Leistung nicht erbringt.

 

Besonders gefährlich ist die oft vereinbarte Bürgschaft als „Bürge und Zahler“, die sogenannte Solidarbürgschaft. Hier haben die Gläubiger die Wahl, ob sie bei Zahlungsverzug den Hauptschuldner oder sofort den Bürgen in Anspruch nehmen, und das sogar ohne Mahnung des Hauptschuldners. Bei einer Ausfallsbürgschaft dagegen wird der Bürge erst subsidiär beansprucht, wenn der Hauptschuldner nicht zahlen kann oder nicht auffindbar ist. 

 

Vor allem junge Familien planen zu Beginn ihrer Ehe oder ihrer Lebensgemeinschaft teure Investitionen für die Zukunft und schließen in diesem Zusammenhang Kreditverträge ab, bei denen der Partner als zusätzliche Sicherheit – scheinbar ohne Risiko – eine notwendig schriftliche Bürgschaftserklärung abgibt. Zumeist ohne fundierte rechtliche Beratung, wobei diese ohnehin nicht ernstgenommen würde, man schwebt ja gemeinsam auf Wolke 7.

 

Das bittere Erwachen kommt dann, wenn der Ernstfall eintritt und der Bürge vom Gläubiger in Anspruch genommen wird. Besonders Frauen sind laut der Schuldnerberatung davon betroffen. Mehr als 21.000 Frauen haben 2021 Rat bei der Schuldnerberatung gesucht, der durchschnittliche Schuldenbetrag betrug 48.000 Euro. Als Gründe für die Überschuldung wurden neben Arbeitslosigkeit (bzw. Einkommensverschlechterung) und dem Umgang mit Geld die Scheidung bzw. Trennung genannt. 

 

11 Prozent der betroffenen Frauen nannten als besondere Kategorie die Schuldenfalle der Bürgschaften. Viele Frauen bürgten als „solidarische Partnerin“ für den Kredit ihres Ehemannes oder Lebensgefährten und mussten dann – nach Ende der Beziehung – feststellen, dass sie weiterhin für dessen Schulden haften. In Einzelfällen gibt es zwar einige Exit-Strategien (wie ein grobes Missverhältnis zwischen der finanziellen Leistungsfähigkeit des Bürgen und der Höhe der Haftung oder die zu beweisbare Abgabe der Bürgschaftserklärung in einer Zwangslage oder aufgrund der Abhängigkeit vom Hauptschuldner), die zu einem Erlass oder zu einer Reduzierung der Haftung führen können. Der Regelfall sieht allerdings anders aus.

 

Die SPÖ hat daher im Nationalrat einen Entschließungsantrag eingebracht, um diese leichtsinnigen Schuldenfallen von vornherein zu verhindern. Die Haftungsübernahme als Bürge soll mit der persönlichen Bonität beschränkt werden. Einkommenslose Haushaltsangehörige dürften dann überhaupt nicht mehr herangezogen werden. Ein Vorschlag, der bereits seit Jahren von der Schuldnerberatung gefordert wird. Der Ball liegt jetzt im Parlament…

„Love Sux“-Tour: Avril Lavigne nach 18 Jahren wieder live in Wien!

„I pretty much feel the same other than I definitely can´t drink as much as I used to“, scherzhaft Avril Lavigne kürzlich in einem Interview. 2002 stürmte die damals erst 17jährige kanadische Sängerin mit ihrer ersten Single „Complicated“ die internationalen Charts, eroberte die Herzen der gleichaltrigen, seelenverwandten Teenager und wurde bei den MTV Video Awards als beste neue Künstlerin ausgezeichnet. 

 

21 Jahre später ist die nunmehr 38jährige wieder auf einer – durch die Corona-Pandemie – dreimal verschobenen Welttournee, nach 18 Jahren auch wieder in Österreich, wo sie zuletzt 2005 im Wiener Gasometer rockte. Die Begeisterung für Lavigne, die bis dato rund 70 Millionen Tonträger verkaufte und 7 Studioalben veröffentlichte, war trotz einer längeren künstlerischen Pause wegen Krankheit (Borreliose) ungebrochen, und so wurde das Konzert aufgrund des großen Kartenvorverkaufs vom Gasometer in die Wiener Stadthalle verlegt. 2 Euro jeden Tickets wurden dabei an die Avril Lavigne Foundation gespendet, die Personen mit schweren Krankheiten und körperlichen Behinderungen unterstützt (http://www.theavrillavignefoundation.org/).

 

Optisch hat sich Avril Lavigne innerhalb der letzten 20 Jahre kaum verändert, vielleicht etwas kürzere blonde Haare, sexy Rock und eine coole Lederjacke. Privat dürfte Lavigne aber doch einige Narben davongetragen haben, u.a. durch zwei gescheiterte Ehen mit dem Sum 41-Sänger Deryck Whibley und dem Nickelback-Frontmann Chad Kroeger. Dementsprechend heißt das neue Album „Love Sux“, das allerdings betont angriffig und selbstbewusst klingt. Die erste Single „Bite me“ ist auch gleichzeitig Opener der Avril Lavigne-Show in Wien, die ihre gesamte Schaffensperiode abdeckt. Das freut natürlich die rund 13.000 Besucher unterschiedlichen Alters, die vor allem in den vorderen Reihen die Texte der Hits auswendig mitsingen. Mit einer extralangen Introduction und Original-Videoeinspielungen präsentiert Avril Lavigne gleich im ersten Drittel der Show ihren sensationellen Debüt-Hit „Complicated“, es folgen später „Happy Ending“ (aus ihrem zweiten Album „Under my Skin“), ihr einziger Single-Nr.1 Hit „Girlfriend“ (2007) und natürlich die noch immer lässige Jugend-Hymne „Sk8er Boi“. 

 

Gemeinsam mit ihrem ausgezeichneten Support-Act Phem, einer 27jährigen kalifornischen Sängerin (die 2022 mit „Brkdwn“ einen Indie-Hit ablieferte), schlüpft Lavigne in die Rolle der Spice Girls (!) und würzt deren Glitzer-Pop-Smash „Wannabe (my Lover“) mit einer Prise Rock´n Roll. Bei „Love Sux“ setzt sich Lavigne selbst hinter die Drums, bei der Ballade „When you´re gone“ mit einer Gitarre auf einen Hocker. Und bei der neuen Single „I´m a Mess“, die Lavigne gemeinsam mit dem 25jährigen UK-Alternative Star Yungblud aufgenommen hat, stürzt sich Lavigne in die kreischende Menge der Fans. Riesige Luftballons, Pyro-Einlagen und Konfettiregen dürfen natürlich nicht fehlen. 

 

Ruhige Töne dagegen bei den Zugaben „Head Above Water“ (einem persönlichen Song Lavignes nach ihrer Krankheit) und „I´m with you“ (aus ihrem Debüt-Album „Let Go“), bei dem in der gesamten Stadthalle die Handy-Lichter aufleuchten. Die Fans waren – trotz der kurzen 80 Minuten-Show (und nur 4 Tracks aus dem neuen Album) – von der Rückkehr Lavignes nach Wien begeistert. See you next time baby again! 

mehr lesen

50. Todestag: Jahrhundert-Künstler Pablo Picasso in der Wiener Albertina

„Alle Kinder sind Künstler. Das Problem ist, ein Künstler zu bleiben, wenn man erwachsen ist“, ein berühmtes Zitat des wohl genialsten Malers des 20. Jahrhunderts, Pablo Picasso (1881-1973). Kunsttempel, Museen und Galerien weltweit zollen dem spanischen Künstler zu seinem 50. Todestag am 8. April Tribut und widmen ihm zahlreiche Sonderausstellungen, so auch die Wiener Albertina mit ihrer insgesamt 3. Picasso-Exhibition („Malen gegen die Zeit“, 2006, „Peace and Freedom“, 2010). Die rund 60 Kunstwerke, die seine gesamte Schaffenszeit umfassen, stammen aus eigenen Beständen, die 14 Gemälde großteils aus der Sammlung Batliner. 

 

Blaue Periode

 

Picasso wurde 1881 im spanischen Malaga geboren. In Barcelona besuchte er bereits mit 14 die Kunstakademie „La Llotja“, wo er die ersten zwei Klassen überspringen durfte. Die katalanische Hauptstadt war gleichzeitig auch Schauplatz seiner ersten Einzelausstellung im Jugendstil-Cafe „Els Quatre Gats“, zum Epizentrum seiner Karriere wurde allerdings Paris, die anfänglich durch eine private Tragödie erschüttert wurde. Sein Freund Carlos Casagemas brachte sich 1901 aus enttäuschter Liebe zu einer Tänzerin um. Der Startschuss für die „Blaue Periode“ des damals in einem verwahrlosten Haus am Montmartre in einer Künstlerkommune wohnenden Picasso. Eines der Hauptwerke, die in der Albertina präsentierte „Schlafende Trinkerin“, die traurig und einsam – in düsteren Blautönen – auf ein Absinthglas starrt. Auch die erste Radierung Picassos, „Das karge Mahl“ stammt aus dieser Ära.

 

Kubismus

 

Gemeinsam mit dem fauvistischen Maler Georges Braque prägte er zwischen 1908 und 1914 die neue Kunstrichtung des „Kubismus“, die durch geometrische Formen, multiple Perspektiven, eine monochromatische Farbpalette und eine abgeflachte Bildebene gekennzeichnet ist. Vertreten in der Albertina durch das aus dem Jahr 1911 stammende, erstmals gezeigte Gemälde „Etagere“ und „Die Frau mit dem grünen Hut“. Das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, 1947 entstandene Bild ist auch ein Zeichen dafür, dass sich Picasso nie auf einen bestimmten Stil zu einer bestimmten Zeit festlegen ließ, sondern nach subjektiver Befindlichkeit und aufgrund äußerer Einflüsse künstlerisch agierte.

 

Krieg

 

Der Spanische Bürgerkrieg und die dadurch resultierende bis 1975 dauernde Diktatur Francos waren der Grund, dass Picasso seit 1936 zeit seines Lebens nie mehr sein Heimatland Spanien betreten hat. Für die Pariser Weltausstellung kreierte er 1937 das damals umstrittene Meisterwerk „Guernica“, das den deutsch-italienischen Bombenangriff auf die urbane Zivilbevölkerung unter Verwendung zahlreicher unterschiedlicher interpretierbarer Figuren, Allegorien und Symbole zeigt. Heute kann man „Guernica“ – nach einem langen Aufenthalt im Museum of Modern Art von New York – im Musea Reina Sofia Madrid bewundern. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs war Picasso mit der Fotografin und Antifaschistin Dora Maar zusammen und war – nach der Nazi-Besetzung von Paris – mit Ausstellungsverbot belegt. Picasso wohnte damals in einem Atelier nahe der Notre Dame und malte dort u. a. das „Stillleben mit Gitarre“ (1942), das die Ambivalenz zwischen düsterem Krieg und den trotzdem noch existierenden schönen Seiten des Lebens schildert. 

 

Picassos Frauen

 

Inspirieren ließ sich Picasso während seiner gesamten künstlerischen Karriere von Frauen, egal, ob es sich um Ehefrauen, Lebensgefährtinnen, Geliebte, Freundinnen oder Bekannte handelte. Das zeigen auch eindrucksvoll zahlreiche Kunstwerke in der Pfeilerhalle der Albertina. Im surrealistischen Meisterwerk „Femme, sculptures et vase de fleures“ (1929) offenbart Picasso subtil sein Doppelleben zwischen seiner ersten Ehefrau Olga und seiner 17jährigen Geliebten Marie Therese Walter. In der „Mittelmeerlandschaft“ (1952), dem Lieblings-Gemälde des Albertina-Direktors Klaus Albrecht Schröder, erzeugt Picasso eine beengte, labyrinthartige Atmosphäre an der schönen Cote d´Azur und dokumentiert dadurch die konfliktreiche Beziehung zur 40 Jahre jüngeren Jacqueline Gilot (für die er zuvor die in einer Psychiatrie landenden Dora Maar verlassen hat). 

 

In Vallauris direkt an der Mittelmeerküste konzipierte Picasso nicht nur eine Friedenstaube für den Pariser Weltfriedenskongress, sondern malte auch zahlreiche Porträts der 19jährigen Sylvette David und beschäftigte sich mit der traditionellen Kunst des Töpferns. Die Keramikverkäuferin Jacqueline Rogue wurde nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Olga seine zweite, Picasso produzierte über 4000 Keramiken und Teller mit antiken Motiven (wie Stieren, Fischen und Eilen). In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte er sich immer wieder mit der Vergänglichkeit des Lebens, so wie in dem auch in der Albertina ausgestellten Meisterwerk „Nackte Frau mit Vogel und Flötenspieler“, das aber gleichzeitig auch eine Liebeserklärung an die Verführung und Erotik darstellte. 

 

Picasso starb am 8. April 1973 mit 91 Jahren. Seine über 50.000 Kunstwerke, von denen 3800 als „Erbschaftssteuer“ im Museu Picasso von Paris landeten, werden noch Jahrhunderte für Freude, Kritik und Interpretationen sorgen. Ganz nach dem Geschmack des spanischen Jahrhundertkünstlers. „Es ist nicht Sache des Malers, die Symbole zu definieren. Sonst wäre es besser, wenn er sie in vielen Worten ausdrücken würde. Die Öffentlichkeit, die das Bild betrachtet, muss die Symbole so interpretieren, wie sie sie versteht.“, so Picasso nach Fertigstellung der „Guernica“.

mehr lesen

Electro-Pop mit Romantic Touch: Marc Almond live im Wiener Volkstheater!

„It was our way of saying you can put emotion into electronic music“, Marc Almond über seinen größten Hit „Tainted Love“, den er 1981 gemeinsam mit seinem Partner David Ball unter der Trademark „Soft Cell“ produzierte. 42 Jahre später präsentiert der nunmehr 65jährige auf der Bühne des renovierten Wiener Volkstheaters seine Greatest Hits. Ein abwechslungsreiches Potpourri aus düsterem New Wave der 80er, romantischen Schmachtfetzen und eleganten Pop-Chansons, bei dem die Fans voll auf ihre Kosten kamen.

 

Almond & Ball waren eigentlich Kunst-Studenten in Leeds, die die Original-Version von „Tainted Love“ aus den lokalen Clubs kannten. Der Northern Soul-Klassiker aus dem Jahre 1965 stammt von Gloria Jones, die mit dem T.-Rex-Sänger Marc Bolan (einem Jugendidol Almonds) ein Verhältnis hatte und im September 1977 als Lenkerin den Tod Bolans verursachte. Für Almond war das nicht nur subtil gay angehauchte „Tainted Love“ („Verdorbene Liebe“) der Startschuss für ein exzessives Nightlife in den Clubs von New York, wo die Alben von Soft Cell produziert worden. 

 

Almond feierte, aufgeputscht durch Ecstasy- und Speed-Cocktails, bis zum Umfallen, bewegte sich im Dunstkreis von Andy Warhol und Freddie Mercury und gab wie dieser keine Details zu seiner privaten Sexualität ab. Die Zeiten damals waren laut Almond aber besser für Homosexuelle: „We were together. There was more of a shared experience, us against the World. Now I feel gay people are very divided. I hate the way, the LGBT thing has emerged, transgender community, lesbians, all divided.“ Weitere Tracks aus dem Debüt-Album „Non Stop Erotic Cabaret“ stürmten die Charts, „Bedsitter“ (mit den genialen, szene-kompatiblen Lyrics „Dancing laughing, Drinking loving, And now I'm all alone, In bedsit land, My only home“), „Torch“ und „Say Hello Wave Goodbye“, die natürlich auf der Setlist im Volkstheater nicht fehlen durften. 

 

Soft Cell trennten sich 1984: Kurze Reunions sollten folgen. Für Marc Almond begann eine lange Solo-Karriere mit zahlreichen Kollaborationen, Stilwechseln und Releases, die eigentlich nur durch einen schweren Motorrad-Unfall 2004 mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen unterbrochen wurden. „The Stars we are“ aus dem Jahr 1988 war sein erfolgreichstes Solo-Album, mit dessen brillantem Titel-Track der Auftritt im Volkstheater startete. Aus diesem Album stammt auch das Duett mit dem Sixties-Sänger Gene Pitney, „Something´s gotten hold of my Heart“, das, sogar erfolgreicher als das 68er-Original, in den europäischen Charts die Spitzenpositionen erklommte. Das erste große Highlight einer Show, die auch zahlreiche Raritäten (wie „Black Heart“ von seiner Zweitband Marc and the Mambas), neue Tracks (wie „Hollywood Forever“ oder „Golden Light“) und Coverversionen von T.-Rex, Rod Mc Kuen bis hin zu David Bowie´s „John I´m only dancing“ enthielt.

 

Pop-Chamäleon David Bowie inspirierte Almond – durch sein Jacques Brel-Cover „Amsterdam“ (1973) – zu seiner Verehrung des 1978 verstorbenen, belgischen Chansonniers, 1989 veröffentlichte er ein eigenes Brel-Cover-Album („Jacques“), der Single-Hit „Jacky, natürlich auf der Setlist des Konzerts im Volkstheater, oszilliert – ebenso wie „Tears run rings“ und „A Lover spurned“ perfekt im Spannungsfeld zwischen „romance“ und „gutter“, Almonds musikalische und seelische Spielwiese. Die Electro-Pop-Hymne „Purple Zone“, 2022 als euphorischer Neustart nach den dunklen Covid-Zeiten mit den Pet Shop Boys aufgenommen („Let's get out of this life. I'm afraid and alone. Paralyzed in the purple zon“) präsentiert Almond minimalistisch mit Klavier-Begleitung.

 

Gegen Ende des Konzerts können sich die Zuschauer nicht mehr auf den Sitzen halten: „The Days of Pearly Spencer“ (sein elegantes UK-Top 5-Cover des David Mc Williams-Klassikers aus dem Jahre 1967), „Tainted Love“ und das schwülstige „Say Hello Wave Goodbye“ als krönender Abschluss, bevor Almond mit Standing Ovations und zahlreichen Rosensträußen frenetisch verabschiedet wird. A Great Night in einer wunderschönen Location…

mehr lesen

Umverteilungs-Studie: Breite Mehrheit für Vermögensteuern und geringere Steuern für Arbeitnehmer!

„Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“, das hat der berühmte deutsche Dramatiker Bertolt Brecht bereits 1934 formuliert. Und er konnte damals bei weitem nicht ahnen, wie sich innerhalb von 90 Jahren die Ungleichheit in der Gesellschaft galoppartig weiterentwickelt. 

 

Aktuell verdienen die obersten 20 Prozent der Einkommensbezieher rund viermal so viel wie die untersten 20 Prozent, die ATX-Vorstände erhielten 2018 das 64fache des Medianlohns. Noch extremer sind die Relationen beim Vermögen: Das reichste 1 Prozent besitzt rund 40 Prozent des Nettovermögens, die unteren 50 Prozent nur 3 Prozent. Durch die Corona-Pandemie und die Inflationskrise haben sich die finanziellen Verhältnisse für die ärmere Bevölkerung noch weiter verschlechtert, während die Vermögenden noch reicher geworden sind.

 

Warum die Politik nicht gegensteuert? Forscher gehen davon aus, dass durch die emsige Arbeit der Lobbyisten Wirtschaftsinteressen (in Verbindung mit Wettbewerbsvorteilen und Arbeitsplatzsicherheiten) in den Vordergrund gerückt werden. Gerne wird von den „Mächtigen“ auch behauptet, dass „die Bürger keine stärker umverteilende Politik“ wollen. Hier handelt es allerdings um einen Trugschluss, wie die aktuelle SORA-Studie „Umverteilung – So denken die Vielen“ zeigt.

 

Repräsentative Studie

 

Befragt wurden im Rahmen einer repräsentativen Studie 2000 Menschen ab 16 Jahren mit Wohnsitz in Österreich. Die Interviews wurden zwischen dem 26. Juli und dem 25. September 2022 durchgeführt. Im Mittelpunkt standen dabei die Haltung der Menschen zur Einkommens- und Vermögensverteilung und die Bewertung ausgewählter Maßnahmen in den Bereichen Steuern, Arbeit und Soziales. Zwecks Analyse von Unterschieden je nach Einkommen wurden die Menschen in drei Klassen unterteilt, die oberen Klassen (= obersten 10 Prozent mit einem äquivalisierten Nettohaushaltseinkommen von mindestens 3370 Euro), die Mittelklassen (= die folgenden 40 Prozent) und die unteren Klassen (= unteren 50 Prozent mit einem N.-Einkommen unter 1950 Euro).

 

Einkommens- und Vermögensverteilung ungerecht

 

Die Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache: So sind 69 Prozent der Österreicher davon überzeugt, dass die Einkommensverteilung ungerecht ist. Noch höher ist der Wert mit 71 Prozent bei der Vermögensverteilung. Die absolute Mehrheit wird in allen drei Klassen erzielt, bei den oberen Klassen ist sie etwas geringer ausgeprägt.

 

Erschütternd sind eigentlich die Ergebnisse über die Bewertung des politischen Systems, die mit der zunehmenden Ungleichheit in der Gesellschaft im Zusammenhang stehen: 75 Prozent der Interviewten gaben an, dass „das politische System wenig bzw. gar nicht gut funktioniert“, die Politik wird von rund 80 Prozent für die krassen Einkommensunterschiede zwischen Arm und Reich verantwortlich gemacht.

 

80 Prozent für geringere Steuern auf Arbeit

 

Spannend für die künftige Entwicklung Österreichs sind auch die Resultate bezüglicher diverser politischer Maßnahmen, die aus dem Regierungsprogramm 2020, Oppositionsvorschlägen und Positionspapieren von Interessensvertretungen selektiert wurden. So votieren 80 Prozent für eine Senkung der Steuern für Arbeitnehmer und für eine Senkung der Steuern auf Lebensmittel. Letztere Maßnahme wurde in Österreich – trotz des Vorbilds vieler europäischer Staaten – sogar im Rahmen der Inflationskrise von der türkis-grünen Bundesregierung abgelehnt.

 

2/3-Mehrheit für Vermögenssteuern

 

65 Prozent der Befragten sind für die Einführung einer Vermögenssteuer, 55 Prozent für eine Erhöhung der Steuern auf Unternehmensgewinne und 48 Prozent für die Einführung einer Erbschaftssteuer für große Erbschaften. Warum dieser Wert vergleichsweise gering ist, könnte auf die Angst oder Unsicherheit der Bürger zurückzuführen sein, dass sie davon betroffen sind. Paradebeispiel: Die Vererbung von Einfamilienhäusern oder Eigentumswohnungen an die Söhne und Töchter, die allerdings bei nahezu allen Modellen unter den Freibeträgen (500.000 – 1 Million Euro) liegt.

 

Höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen

 

Im Politikfeld Arbeit sprachen sich 88 Prozent der Befragten für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in besonders anstrengenden Berufen und 87 Prozent für Lohnerhöhungen in Branchen mit niedriger Bezahlung aus. Mehr als 80 Prozent fordern Richtlinien für Unternehmen, damit Ältere bis zur Pension gesund arbeiten können. Eine Mehrheit goutiert mehr Geld für Umschulungen und mehr Unterstützung für Arbeitslose, allerdings auch strengere Bestimmungen. 55 Prozent sind gegen eine dauerhafte Erhöhung des Arbeitslosengeldes, das derzeit ohnehin nur 55 Prozent des täglichen Nettoeinkommens beträgt. Grund vermutlich die subjektiv zu gering empfundene Differenz zwischen Arbeitseinkommen und Arbeitslosengeld bzw. Mindestsicherung, die allerdings durch eine geringere Besteuerung der Arbeit verbreitert werden könnte. Mehrheitlich abgelehnt wird auch eine Erleichterung der Einwanderungsbestimmungen, um Arbeitskräfte ins Land zu holen.

 

Verbesserung der Bildungschancen

 

Im sozialen Bereich fordern 81 Prozent eine Verbesserung der Bildungschancen bei schlechteren Startbedingungen, 77 Prozent mehr Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Armut und rund 70 Prozent dauerhaft mehr Geld für Familien und die Mittelschicht. Während sich die Mehrheit (61 Prozent) für einmalige Zahlungen für arbeitslose und armutsgefährdete Menschen in Ausnahmesituationen ausspricht, wird die Erhöhung der Sozialhilfe (42 Prozent Zustimmung, 36 Prozent Ablehnung, Rest keine Meinung) eher zwiespältig gesehen. 

 

Breite Mehrheit für Umverteilung

 

Betrachtet man die Ergebnisse dieser Studie als Gesamtresümee, besteht seitens der Bevölkerung eine breite, klassenunabhängige Unterstützung für Umverteilungs-Maßnahmen, egal, ob es sich um Steuersenkungen für Beschäftigte, die Einführung einer Vermögenssteuer, Lohnerhöhungen für niedrig bezahlte Branchen (wie Elementarpädagogik, Pflege, Gastro, Verkauf), mehr Geld für Familien oder die Verbesserung des Bildungssystems handelt. 

 

Dass es sich hier vorwiegend um Themen handelt, die mit dem Programmen und der Leitlinien der Sozialdemokratie kohärent sind, liegt auf der Hand. Bei der nächsten Nationalratswahl sollte man – mit Selbstbewusstsein und mentaler Stärkung durch diese Studie – eine zielgerichtete Kampagne konzipieren und klar darlegen, wie sich das Leben in Österreich durch diese Umverteilungsmaßnahmen für alle verbessern kann. Es dürfen nicht weitere Elfmeter im gegnerischen, konservativ-neoliberalen Tor versenkt werden…

Armuts-Studie: Dringender Bedarf nach Kindergrundsicherung und konsumfreien Räumen!

Es sind Zahlen und Fakten, die im viertreichsten Land der EU gleichzeitig traurig und zornig machen. In Österreich waren 2021 – also noch mitten in der Corona-Pandemie und vor der Inflationskrise – 368.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Würde man diese nebeneinanderstellen, ergäbe das laut Volkshilfe eine Menschenschlange von Wien nach Klagenfurt. Betroffen sind vor allem Kinder in Ein-Eltern-Haushalten, Mehr-Kinder-Haushalten, Kinder von Langzeitsarbeitslosen und Familien, bei denen eine Person eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung aufweist.

 

Die Zeiten haben sich für diese Personengruppen jetzt noch drastisch verschlechtert. Die Inflation lag 2022 bei 8,6 Prozent, bei Energie (36,8 Prozent) und Lebensmittel noch weit höher. Betroffen sind hier vor allem die unteren Einkommensbezieher, da diese auf die Grundbedürfnisse des Lebens nicht einfach verzichten können. Jede zweite armutsgefährdete Person gibt drei Viertel ihres Einkommens alleine für Wohnkosten aus.

 

Armutsgefährdung

 

Als armutsgefährdet gilt laut einer EU-Definition jemand, der in einem Haushalt lebt, dem weniger als 60 Prozent des Nettomedianeinkommens (2021: 2484 Euro) zur Verfügung steht. Die Armutsgefährdungsschwelle beträgt dementsprechend bei 2 Erwachsenen und 1 Kind aktuell 2467,8 Euro, bei 2 Kindern 2879 Euro, bei Alleinerziehenden und 1 Kind 1782,3, bei 2 Kindern 2193,6 Euro. 

 

Telefonbefragung

 

Die GÖG (Gesundheit Österreich GmbH) hat gemeinsam mit der Volkshilfe und Fachkräften der Sozialen Arbeit zwischen 21. Februar und 13. März 2023 eine nichtrepräsentative Telefonbefragung bei von Armut betroffenen Eltern durchgeführt. Befragt wurden 103 Haushalte, die bereits bei einem Existenzsicherungs-Projekt der Volkshilfe mitgewirkt haben. 80 % davon waren weiblich, 61 % alleinerziehend, 39 % erhielten die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Der Fragebogen enthielt 40 Fragen über die Wohn- und Lebensbedingungen, die psychischen Belastungen und den Schutz der Kinder vor Kälte in armutsbetroffenen Familien. 

 

Wohnverhältnisse

 

Die Mängel in den Wohnungen reichen von undichten Fenstern, einer energieintensiven Heizung, schlecht isolierten Böden bis hin zu Schimmel und Feuchtigkeit. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass sie aufgrund der explodierenden Heizkosten ihre Kinder nur eingeschränkt vor Kälte in der Wohnung schützen können. 

 

Die Heizkosten sind allerdings nicht die einzigen Sorgen, die die armutsgefährdeten Haushalte belasten. Dazu kommen noch die steigenden Kosten für Essen, Verkehr, Schule, aber auch die mangelnde Unterstützung durch die Politik. Gleich 41 % fühlen sich von den Volksvertretern im Stich gelassen.

 

Trotz der finanziellen Probleme wurde mehrheitlich aber mehr geheizt, wenn die Kinder gefroren haben. Als Alternative mussten die Kinder warme Kleidung (inkl. Straßenwinterkleidung wie Mäntel und Jacken) anziehen, warme Getränke trinken, Wärmeflaschen verwenden oder warm duschen. 

 

Einschränkungen für Kinder

 

Die steigenden Energiekosten führten innerhalb der Familie allerdings dazu, dass andere Bedürfnisse der Kinder eingeschränkt werden mussten. Dies betrifft vor allem Freizeitaktivitäten, Gewand, Essen und soziale Kontakte. So mussten u.a. auch die Betreuungskosten für den Kindergarten oder die Nachmittagsbetreuung eingespart werden, um über die Runden zu kommen.

 

Öffentlicher Raum

 

Der öffentliche Raum wird von einem Viertel der Familien genutzt, um die Kinder aufzuwärmen. Beliebte Orte sind vorwiegend Einkaufszentren, Geschäfte, Cafes, Büchereien und Schwimmbäder, aber auch wärmere Wohnungen von Bekannten, Verwandten und Freundinnen. Der Hauptgrund, warum diese Räume nicht öfter genutzt werden, liegt an den teuren Eintrittspreisen. Müdigkeit, teurer Sprit, mangelnde Zeit aufgrund der Arbeit, keine Angebote in der Umgebung oder eine Abneigung der Kinder sind weitere Gründe. Die befragten Haushalte wünschen sich in diesem Zusammenhang vor allem öffentliche (Indoor)-Spielplätze, kostenlose warme Räume, Büchereien und Gemeindezentren. Bedenklich: Jede fünfter bzw. jeder 10. Haushalt gab an, dass ein Bedarf nach warmer Kleidung bzw. Winterschuhen besteht.

 

Kindergrundsicherung

 

Die politischen Lösungsalternativen liegen auf der Hand. Von seiten der Infrastruktur müssen konsumfreie Räume geschaffen werden, die laut der Armutsforschung nicht nur gegen Kälte schützen, sondern auch soziale Teilhabe ermöglichen und Einsamkeit und Isolation verhindern. Bundesweit sollte endlich eine Kindergrundsicherung eingeführt werden, die sich an den monatlichen Kinderkosten orientiert. Ein von der SPÖ unterstütztes Modell der Volkshilfe liegt vor. Sollte sich dafür im Parlament keine Mehrheit finden, dann ist Österreich noch ärmer dran als bisher. In jeder Hinsicht.

 

https://www.volkshilfe.at/fileadmin/user_upload/Media_Library_Kinderarmut/News_Artikel/2023/01_Kaelte/GOEG_2023_MultipleBelasungen_Winter22-23-VH.pdf

„The Fest“: Maskenbälle, Techno-Kultur und Party-Demos im Wiener MAK!

„Fight for your Right to Party“, „Fiesta Grande, Fiesta Noche“, „A little party never killed nobody“, „Get the Party started“ – Die Liste an leidenschaftlichen Parolen, den biederen Alltag zu vergessen und sich in das düster-exzessive Party-Nightlife zu werfen, ist endlos. Das MAK (Museum für Angewandte Kunst) hat sich jetzt dieses Themas angenommen und unter der Trademark „The Fest“ einen spannenden Parcours mit über 650 Objekten konzipiert. 600 Jahre Fest- und Partykultur, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

 

Dekadenz im Kaiserreich

 

So wurde auch in der Habsburger-Monarchie gefeiert, allerdings dienten die damaligen Feste, die durch detaillierte Sitzordnungen und Hierarchien gekennzeichnet waren, oftmals einer reinen Machtdemonstration. Zu sehen ist gleich zu Beginn der Ausstellung der „Königskopfschlitten“ (laut Kuratorin Brigitte Felderer der „Bugatti des Rokoko“), mit dem die Fürsten des 18. Jahrhunderts sich dem Volk präsentierten. Die Untertanen selbst durften bei Faschingsumzügen und Karnevalsveranstaltungen ihren Spaß haben. Wie dekadent und verschwenderisch die Monarchen mit ihrem Geld umgingen, zeigt ein prächtiger Aquarellschrank, den Kronprinz Rudolf seiner Braut Stephanie von Belgien geschenkt hat. Der Begriff „Exzessmöbel“ könnte nicht besser gewählt sein. Schick und mondän ist auch ein riesiger Luster, der zu den zeitgenössischen Kunstwerken der Ausstellung zählt. Er stammt vom britischen Künstler Cerith Wyn Evans und kann per Morsecodes und Lichtsignalen mit den Besuchern kommunizieren.

 

Totenkronen (als Zeichen habsburgischer Bestattungsrituale) sind in einem eigenen Raum positioniert zwischen den Porträts von Kaiserin Maria Theresia und Franz Stephan (edel dekoriert und mit Maske in der Hand) und einem modernen „Knochenporträt“ ihrer Tochter Maria Anna von Österreich (1738-1789). Für die japanische Künstlerin Haruko Maeda symbolisieren Knochen die „Ewigkeit und eine geistige Stärke, die das Fleisch überdauert“. Maria Anna war eine zu ihrer Zeit gering geschätzte Kaisertochter, ihre hochwertige Mineraliensammlung ist allerdings heute noch im Naturhistorischen Museum zu betrachten.

 

Un Ballo in Maschera

 

Direkt daneben läuft in einem abgedunkelten Raum das vom britisch-nigerianischen Künstler Yinka Shonibare produzierte Video „Un Ballo in Maschera“ (A Masked Ball). In Anlehnung an ein historisches Faktum und eine Verdi-Oper wird der schwedische König Gustav III. während eines Maskenballs erschossen, steht aber danach wieder auf und tanzt – im Loop – weiter. Shinabare kritisiert hier die finanzielle und personelle Ausbeutung ausländischer Völker, durch Verwendung sogenannter „wax prints“, die nicht aus Europa, sondern aus den niederländischen Kolonien Afrikas stammen. 

 

Ballroom Blitz

 

Ein Gläschen in Ehren, das kann keiner verwehren. Die Scherzgläser, die einst dem Brautpaar vor der Hochzeit überreicht wurden, sind wohl die Ausnahme von der Regel. Eine Vitrine mit den schönsten Champagnengläsern wurde platziert gegenüber den glamourösen Bildern des Venediger Le Bal 1951, einer vom Multimillionär Charlie de Beistegui inszenierten Veranstaltung mit Hocharistokratie, Hollywood-Stars und Modezaren auf der Einladungsliste, die man unter der elitären Trademark „Ball of the Century“ kennt. Spaß hatte man garantiert auch bei den Wiener Festen im Künstlerhaus und der Sezession. Auf den von Gary Keszler von 1993 bis 2019 organisierten Aids-Charity-Life Ball, die U4-Exzesse in den 80ern oder auf die Clubbing Nights Hannes Jagerhofers im Technischen Museum und in den Sofiensälen hat das MAK leider vergessen. Wie eine freakige Party aber jenseits aller Freizügigkeitsgrenzen und Tabus ablaufen könnte, zeigt das großformatige Kunstwerk der österreichischen Aktionskünstler von Gelitin.

 

Berghain

 

Parties ohne Unterbrechung von Samstag nacht bis Montag früh, streng selektierte Party People, Exzesse aller Art on the Dancefloor und in den Dark Rooms. Kein Wunder, dass im Berliner Kult-Club Berghain Film- und Fotoverbot herrscht. Strictly feel the Moment. Im MAK ist ein Kork-Modell des weltberühmten Techno-Clubs von Philip Topolovac zu sehen, dazu eine witzige Zeichnung Sampo Hänninens über die Verteilung der Stammgäste im Berghain und der inkludierten Panorama Bar. Ein Foto („studio party“) von Kult-Szenefotograf Wolfgang Tillmans (von dem einige großformatige Shots im Club hängen) darf natürlich nicht fehlen. 

 

Reclaim the Streets

 

„There are two different forms of dancing, that of entertainment and that of urgency“, so der serbische Künstler Bogomir Doringer, der seit 2014 Clubs aus der Vogelperspektive fotografiert und die Choreographien der Tänzer studiert. In Zeiten von Krisen ist der Tanz eine kollektive Ausdrucksform der Teilnehmer. Bei der Berliner Love Parade mit dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ standen mehr der hypnotische Sound, Spaß, Ecstasy und der ultimative Exzess im Mittelpunkt. Anders bei authentischeren politischen Demonstrationen wie „Reclaim the Streets“ (die ihren Ausgangspunkt im Widerstand gegen den „techno-party-feindlichen“ Criminal Justice Act Margaret Thatchers hatten, später sich allerdings auch gegen Kapitalismus, Konsumwahn, Umweltverschmutzung, Autoverkehr und die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes richteten) oder den global inszenierten „Carnival against Capital“ 1999, der das G8-Treffen in Köln im Visier hatte. Zahlreiche Videos derartiger Protest-Demos sind auf großen Leinwänden im MAK zu sehen. 

 

Maifeiern

 

Ebenso wie alte Filme über die Maifeiern der Sozialdemokraten. Die erste Mai-Kundgebung fand übrigens am 1. Mai 1890 unter dem Motto „888“ (8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Schlaf, 8 Stunden Erholung) statt, mehr als 100.000 Arbeiter versammelten sich damals im Prater, zu dieser Zeit die größte Zusammenkunft in der Habsburger-Monarchie.

 

Sports Banger

 

Aus einem versteckten Kämmerchen dröhnen kontinuerlich progressive UK-Techno- und House-Vibes. Ein Raum zum hedonistischen Abtanzen und zum Look auf die schrillen Fashion-Shows des T-Shirt- und Sportswear Labels Sports Banger. Die Auswahl der Modemarke hätte nicht besser sein können. Denn Boss Jonny Banger gilt schlechthin als Personifikation für den modernen „Fest“-Begriff. Er kreiert nicht nur Mode, ist Gründer eines Musik-Labels (Heras), organisiert Food Banks für hilfsbedürftige Menschen, veranstaltet Club Nights und inszeniert sich als politischer Aktivist (u.a. mit den im Londoner Foundling Museum ausgestellten „Covid-Letters“ Jugendlicher). Motto: „Everything comes back to the spirit of Rave“…

mehr lesen

Warhol, Kiefer, Hirst & Co.: Revolution in Printmaking @ Albertina Modern!

Serialität, Monumentalisierung und die Erfindung des Siebdrucks: Das sind die drei Merkmale, die zu einer Revolution in der Druckgrafik nach dem 2. Weltkrieg geführt haben. Die Albertina Modern präsentiert – parallel zur zeitlich vorgelagerten Ausstellung „Von Dürer über Munch zu Miro“ in der Albertina – rund 80 Kunstwerke dieser Zeit, die allesamt aus dem eigenen Bestand stammen.

 

Prominent vertreten sind natürlich die Vertreter der Pop Art, von Andy Warhol, Roy Lichtenstein bis hin zu Robert Rauschenberg. Warhol verglich die Herstellung von Kunstwerken mittels Siebdruckverfahrens mit der Arbeit in einer Fabrik, sein Atelier bezeichnete er daher kongenial als „Factory“. Als Motive wählte er Alltagsgegenstände, Fotos aus der Zeitung und den Medien und Celebrities. Zu sehen sind in der Albertina Modern u.a. seine weltberühmten Foto-Konstellationen von Mao Tse Tung, dem electric chair und den Campbell Soups. 

 

Ein Musterbeispiel für die Monumentalisierung der Druckgrafik sind die Kunstwerke des US-Amerikaners Chuck Close, der mit einem 4 mal 14 Meter großen Bild aus variierten Porträts die gesamte Seitenfront einer Ausstellungshalle besetzt. In bester Gesellschaft befinden sich dabei Werke der deutschen Künstler Anselm Kiefer (mit seinen großformatigen Holzschnitten über die Hermanns-Schlacht und das Rheingold), Jörg Immendorff und Georg Baselitz. 

 

Österreich ist u.a. vertreten durch den 2022 verstorbenen Aktionskünstler Hermann Nitsch („Das letzte Abendmahl“), Arnulf Rainer, Auguste Kronheim (die die Rolle der Frau als Mutter, Köchin und Hausfrau kritisch hinterfragt) und die Grazer Illustratorin Michaela Konrad, die im Rahmen ihres Zyklus „Can this be tomorrow“ mit einer grellen Comic-Serie die „Brave New World“-Utopien Aldous Huxleys aus dem Jahre 1932 mit dem Überwachungsstaat der Gegenwart konfrontiert.

 

Das American Way of Life wird zelebriert durch Kunstwerke von Alex Katz (mit schick-oberflächlichen Frauen-Porträts), Jack Pierson (der Stars wie Marilyn Monroe oder Tony Curtis mit Vintage-Schriftzügen wie „Boy“ oder „Legend“ schmückt), Jim Dine (mit seinen Summer-Holzschnitten) und Kiki Smith, die durch ein Ineinanderfließen von Selbstporträts und Masken eine düstere Atmosphäre erzeugt („Banshee Pearls“).

 

Der britische Superstar Damien Hirst erwartet mit seinem „Last Supper“ die Kunstfreaks beim Ausgang der Ausstellung. Zu sehen sind dort – angelehnt an Jesus und seine 12 Jünger – 13 typische Medikamenten-Verpackungen, die allerdings laut Aufschrift Lebensmittel wie Chips, Sandwich, Salat, Chicken und Mushrooms enthalten. Eine mögliche Interpretation liefert Hirst selbst mit einem Zitat: „Art is like medicine – it can heal. Yet I’ve always been amazed at how many people believe in medicine but don’t believe in art, without questioning either.“

 

Andy Warhol bis Damien Hirst: The Revolution in Printmaking.  24. Februar – 23. Juli 2023…

mehr lesen

Mega-Hits mit Freud-Esprit: Robbie Williams live in der Wiener Stadthalle…

Startschuss Ibiza. Das australische Duo Tim Metcalfe und Flynn Francis aka Lufthaus sorgte im August 2022 u.a. im 528 Ibiza und im Ibiza Rocks mit trance-artigen Electro-Tracks für Party-Stimmung. Mit im Gepäck ein Sensationsgast: Robbie Williams, der auch auf ihren Tracks „Sway“, „Soul Seekers“, „To the Light“ und „Unlovable“ zu hören ist. Das beim von Trance-Legende Armin van Buuren mitbegründeten Label Armada Music unter Vertrag stehende Duo wurde kongenial von Robbie Williams als Support-Act für seine „XXV-Tour“ gebucht. Nicht wenige dürften der Annahme gewesen sein, dass Robbie Williams auch bei der Pre-Show auf der Bühne steht, bester Beweis die unendlichen Menschenmassen vor der Wiener Stadthalle um ca. 19 Uhr. Leider ein Fehlalarm, Robbie war noch im Backstage-Bereich, und die Fans trösteten sich mit den tanzbaren Lufthaus-Tracks und einem „Sweet Dreams“-80er-Klassiker der großartigen Eurythmics.

 

Superstar Robbie Williams

 

„This is my band, this is my arse, and I am Robbie Fucking Williams“: So peitschte der „MTV Greatest Superstar“ und „most influential artists of the 90´s die Fans ein, als er mit rotem Fußball-T-Shirt (inkl. Penis-Karikatur) die Bühne betrat. Über 77 Millionen Tonträger hat der am 13. Februar 1974 geborene Robert Peter Williams verkauft, dazu 18 Brit Awards und ein Eintrag im Guinness Buch der Rekorde mit 1,6 Millionen verkaufte Eintrittskarten an einem Tag für seine 2006er-Tour. Nur der Durchbruch in den USA (kein einziger Top 40-Hit) gelang ihm nicht. Dies war allerdings nicht Thema seiner Jubiläums-Tournee, die sich zahlenmäßig auf das erste Solo-Album „Life thru a lens“ (1997) u.a. mit dem Welthit „Angels“ bezieht. Andere berufliche und private Probleme von Williams dagegen standen durchaus im Zenit der mehr als zweistündigen Show, der einst in Wien lebende Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, hätte seine Freude damit gehabt.

 

Take That-Memories

 

Vorerst aber wurde Party gemacht, mit einem Up-Beat-Track, der gleichzeitig Trademark von Robbie Williams ist: „Let me entertain you“. Die Journey durch 33 (!) Jahre Williams-Life mit vielen Ups and Downs konnte beginnen. Kurz nach dem Mauerfall mit dem Jahr 1990, als der erst 16jährige Robbie Williams Teil der fünfköpfigen Boy-Band Take That aus Manchester wurde. „Do what u like“ war die erste (mäßig erfolgreiche) Single der Jungs, das dazu gedrehte Video ließ Williams bei der Stadthallen-Show unter der Bezeichnung „Gay Porn“ einspielen, am Schluss ein Standbild seines nackten Pos. Kurz angestimmt wurde auch der 92er-Hit „Could it be Magic“, der erste Song, bei dem Williams hinter das Mikro treten durfte. Ansonsten war zumeist der Songschreiber Gary Barlow der unumstrittene Vocal-Leader der Band, Selbstzweifel, der Hang zum Alkohol und zu Drogen und die unerträgliche Überwachung des Privatlebens plagten damals schon Williams. Die Lebensbeichte seiner „Teenagerjahre“ erfolgte live minutenlang auf der Bühne. Nach einem Champagner- und Kokainrausch düste Williams Richtung Glastonbury (Juni 1995) und machte dort mit den berühmt-berüchtigten Gallagher-Brothers von Oasis die Nacht zum endlosen Tag. Der Rausschmiss aus der Band erfolgte nur einige Wochen danach am 17. Juli 1995, noch vor der Take-That-Tour (die Williams eigentlich noch absolvieren wollte). 

 

Don´t look back in anger

 

„Take That became a painful distant memory“, so Robbie im Original-Ton. Viel später kam es aber wieder zu einer Annäherung mit der Band („If you can´t beat them, join them“). Den ersten gemeinsamen „Wiedervereinigungs-Song“, „The Flood“, präsentierte Williams in voller Länge. Und danach eines der Show-Highlights: „Don´t look back in anger“: das wunderschöne Oasis-Cover, gleichzeitig cool-lässiges Statement des vom geschniegelten Boyband-Popper zum  schnörkellosen Indie-Rocker mutierten Superstars.

 

Eternity

 

„You were there for Summer Dreaming. And you gave me what I need. And I hope you find your freedom. For Eternity“. Die romantische Ballade aus dem 2000er-Album „Sing when you´re winning“, als Begleitung ein ganzes Orchester im Hintergrund. Robbie Williams widmet diesen speziellen Song dem ehemaligen Spice Girl Geri Halliwell. Trotz seines großen Erfolges fühlte sich Robbie allein, depressiv, war emotional am Ende und schwerst alkoholabhängig. Halliwell fuhr mit ihm auf Urlaub und half ihm bei seinem Weg aus der Sucht. Seitdem hat Williams 23 Jahre lang keinen Alkohol mehr angerührt. 

 

Drugs vs. Family Life

 

„I took Alcohol, Cocaine, Ecstasy (this was great). The Party had to end, but I didn´t know when it should end“, so Williams bei einer späteren Rede vor dem gespannten Publikum. 2007 war Williams zuletzt in einer Reha-Klinik. Zu dieser Zeit lernte er auch seine spätere Frau, die Schauspielerin Ayda Field, kennen. „At the end of the 90´s I had two rules. Never get married. And no children“. Diese Grundsätze haben sich zum Glück geändert. Williams ist seit 2010 mit Ayda verheiratet und hat vier Kinder. „I love my Life“, seine musikalische Liebeserklärung an seine Familie, geschmückt mit Baby- und Kinderspielzeug-Visuals und einem Konfettiregen.

 

Encore

 

„I just wanna feel real love. Feel the home that I live in“. Auf diesen Superhit aus seinem vierten Album „Escapology“ haben bereits alle gewartet, Robbie elegant grün beleuchtet vor blauem Hintergrund. Danach schlüpft eine blonde Background-Sängerin in die Rolle Kylie Minogues, it´s „Kids“-Time. Der disco-lastige „Rock DJ“ sorgt für Dancefloor-Atmosphäre in der mit 15.000 Besuchern ausverkauften Wiener Stadthalle. Als Zugabe das von den Pet Shop Boys produzierte „No Regrets“, „She´s the one“ und als Finale – Handy-Lights inklusive - der Fan-Favourite „Angels“:

 

Die musikalische und psychologische Odyssee durch das Leben von Robbie Williams ist zu Ende, das Publikum ist happy, überglücklich und strahlend auch der Manegenstar. „I hope I´m old before I die“ stand nicht auf der Setlist, das hat ihm vermutlich der Herr Freud geraten...

mehr lesen

Transparenz und Qualifikation statt Parteipolitik: 50 Vorschläge der „Initiative Bessere Verwaltung“

„In den Ministerien arbeiten teilweise Personen, die noch vor 2 Jahren in einer Vorlesung von mir waren“, Verfassungsrechtler Dr. Heinz Mayer im Polit-Podcast „Ganz offen gesagt“. Alleine im Bundeskanzleramt sitzen laut einer SPÖ-Anfrage 104 PR-Mitarbeiter, in allen 14 Kabinetten rund 250 Personen, meist ohne Fachkompetenz und Lebenserfahrung mit lediglich einem Atout, dem richtigen Parteibuch. In Deutschland dagegen sind die Kabinette mit hochqualifizierten Beamten belegt. Ein untragbarer Zustand, und beileibe nicht der einzige in der Bundesverwaltung.

 

16 renommierte Proponenten, darunter auch Mayer selbst, Irmgard Griss, Clemens Jabloner, Oliver Scheiber und Judith Kohlenberger, haben daher die „Initiative Bessere Verwaltung“ gestartet und – subsumiert unter 7 Kategorien – 50 Vorschläge für eine moderne, transparente und digitale Verwaltung erstellt. Die Neuordnung der Bundesministerien ist dabei eines der Kernelemente. Die Zahl der Mitarbeiter in den Kabinetten soll auf 6 Personen reduziert werden. Voraussetzung ist eine entsprechende Qualifikation, eine Doppelverwendung in den Kabinetten und den Ministerien soll verboten werden. Damit soll der derzeitige Usus verhindert werden, dass Personen aufgrund ihres Parteibuchs in den Kabinetten Karriere machen und dann in den Ministerien die fachlich qualifizierten, unprotegierten Beamten verdrängen. 

 

Im Bundeskanzleramt soll eine strategische Koordinationsstelle errichtet werden, um Steuerungsdefizite zwischen den Ressorts bzw. zu den Ländern auszugleichen. Bei diversen Verhandlungen sollen Städte und Gemeinden gleichberechtigt eingebunden werden. 

 

Ein immenser Kritikpunkt sowohl bei den Flüchtlingsbewegungen 2015 als auch bei der Covid-Pandemie und der Inflationskrise war das schlechte Krisenmanagement der Bundesregierung. Hier plädieren die Proponenten u.a. für eine systematische Auswertung aller vorhandenen Informationsquellen, die Einbeziehung von Wissenschaft, Wirtschaft und NGO´s in Früherkennungssysteme und eine klare Kommunikation der politischen Strategien in Krisen. Das Krisenmanagement soll von politischen Interventionen abgeschirmt werden. Ein Regierungskoordinator soll bestellt werden, der verantwortlich ist für die Umsetzung der strategischen Ziele und Prioritäten und für die Leitung der Krisenkommunikation.

 

Das Amtsgeheimnis soll endlich durch ein Informationsfreiheitsgesetz abgelöst werden. Studien und Gutachten, die durch die Verwaltung mit Steuergeld in Auftrag gegeben wurden, sollen verpflichtend publiziert werden und nicht hinter dem Vorhang verschwinden, weil sie ein „parteipolitisch nicht konformes“ Ergebnis hervorgebracht haben. Eine zentrale Whistleblowerstelle soll Bundesbediensteten und Bürger die Möglichkeit geben, Missstände unmittelbar zu melden. Wie in Deutschland soll eine Geschäftsordnung der Bundesregierung beschlossen werden, die die Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundesministern regelt. 

 

Die Mühlen der Partei-Politik mahlen leider (viel) langsamer als die der unabhängigen Vordenker. Und so dürften noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen, bis wir in Österreich eine transparente, moderne und top-organisierte Verwaltung haben…

„My Friend Freddie“: Buchpräsentation von Regisseur Rudi Dolezal im Wiener Thalia

„My Friend Freddie“ ist keine vollständige Biographie, nicht Freddies lückenlos recherchierte Fakten und komplette History, sondern MEINE Geschichte – Die Geschichte eines langhaarigen Hippies, der aus dem 9. Wiener Gemeindebezirk auszog, die Welt als Videoregisseur und Musikfilmer zu erobern.“ Rudi Dolezal, für seine Mercury-Doku „The Untold Story“ bei den Grammys ausgezeichnet, im Vorwort zu seinem Buch über seine Freundschaft und Arbeitsbeziehung zum legendären Queen-Sänger Freddie Mercury, der am 24. November 1991 an den Folgen einer Aids-Infektion starb.

 

In den nächsten Monaten wird Dolezal mit seinem Buch auf einer Lesungs-Tour durch ganz Österreich, Deutschland und der Schweiz unterwegs sein, erste Eindrücke gab es bereits bei einer Buchpräsentation im Thalia Wien-Landstraße. Vor einer großen Menschenaudienz (darunter auch einigen Mitglieder des Queen-Fan-Club) wurden nicht nur Kostproben aus dem Buch serviert, sondern auch interaktive Fragen des Publikums beantwortet. Dolezal erzählte von seinen Anfängen als Video-Regisseur, wie er als knapp 20jähriger bei der Arena-Besetzung „Ohne Maulkorb“-Mitarbeiter kennenlernte und dort die Chance bekam, den Job von der Pike auf zu lernen. Dazu gehörten im Laufe der Zeit auch „Musikfilme“ von Künstlern wie Falco, Trio, Nina Hagen, den Rolling Stones oder Frank Zappa, die erst später zum Genre „Musikvideos“ mutierten. Wien war Anfang der 80er nicht die Stadt, in der die Pop- und Rockstars ein- und ausgingen, auch TV-Reports über die Musikszene waren eher rar gesät. Durch „Ohne Maulkorb“ bekam Dolezal die Möglichkeit, Freddie Mercury in einer Bauernstube des Hilton Hotels von München zu interviewen. Was sein Leben veränderte. 

 

Dolezal und Mercury waren sich von Anfang an sympathisch, das letztes Interview des Tages wurde das beste mit schillernden Zitaten wie „I am just a musical prostitute, my dear“, Wodka Drinks inklusive. Dolezal schickte Mercury den fertigen Beitrag per VHS-Cassette nach London mit dem frech-naiven Zusatz „und wenn du mal einen wirklich guten Video-Regisseur brauchst“. Dieser Mut machte sich bezahlt: Im Jahr 1985 nach dem sensationellen Live-Aid-Auftritt Queens meldete sich das Management, Dolezal und Rossacher bekamen den Zuschlag für das Video „One Vision“, das in München in kürzester Zeit gedreht wurde. Es folgten im Laufe der Zeit 31 weitere Queen-Videos mit Drehorten quer über dem Globus, Mercury und Dolezal wurden „Leibfilmer und Freunde“. „Go for the Impossible“ oder „Never try to be the second Best“, zwei Maxime Mercurys, wurden auch zu Lebensparolen Dolezals.

 

Auf die Frage nach dem „wichtigsten Moment mit Mercury“ offenbarte Dolezal seine Geschichte über den „letzten Take“ im Zusammenhang mit dem letzten Queen-Video „These are the days of our Lives“ am 30. Mai 1991. Mercury, damals schon gesundheitlich schwer gezeichnet, forderte eine Wiederholung der letzten Szene, um – so wie Dolezal es interpretiert – ein Zeichen zu setzen. „Er hauchte in die Kamera „I still love you“, schnippte mit dem Finger und ging aus dem Bild“ (im Sinne einer Verabschiedung vom Leben). Bei einem späteren Nachruf für ein deutsches Musikmagazin war Dolezal vorerst kaum in der Lage, die richtigen Worte zu finden, dann erinnerte er sich an ehemalige Zitate Mercurys, „Ich möchte einfach so viel Spaß im Leben haben wie möglich, in den Jahren, die mir noch bleiben“. „Lebensfreude, Professionalität, Genialität, Dasein für andere“, das war der Spirit, das persönliche Vermächtnis der Queen-Legende. 

 

31 Jahre nach seinem Tod ist das Queen-Fever still alive. 14 Millionen Queen-Fans sind international organisiert, der Film „Bohemian Rhapsody“ wurde – trotz historischer Mängel – ein Kassenschlager, der Hauptdarsteller Rami Malek mit dem Oscar und Golden Globe ausgezeichnet. Der US-Rock-Sänger Adam Lambert schlüpft seit 10 Jahren in die Rolle Mercurys und begeistert mit Brian May und Roger Taylor ein Millionenpublikum. Dolezal sieht dies als einer, der den Original-Mercury miterlebt hat, zwiespältig. „Mit Freddie ist Queen gestorben. It´s as close as you can get, aber es fehlt die Authentizität“. 

 

Lambert sieht dies übrigens nicht anders, „May und Taylor wollen auftreten und ihre Musik spielen, brauchen dafür aber einen Sänger. Ich bin eine Art Dienstleister für sie und das Publikum“, so Lambert in einem Stern-Interview im Juni 2022. So everybody can be happy…

mehr lesen

Vienna Facts: Statistiker rechnen mit 2 Millionen Einwohnern im Jahr 2027!

Wien kann sich wieder einmal mit besonderen Lorbeeren schmücken. Laut einer Studie der Beratungsfirma Boston Consulting Group liegt die fünftgrößte Stadt der EU bei den mittelgroßen Metropolen unter 3 Millionen Einwohnern auf dem großartigen zweiten Platz. Nur die „Fahrrad-Hochburg“ Kopenhagen konnte Wien mit 3 Punkten Vorsprung Platz 1 streitig machen.

 

Bevölkerungs-Statistik 2023

 

So ist es kein Wunder, dass die Bevölkerung in Wien immer mehr ansteigt und man 2027 mit dem Überschreiten der 2-Millionen-Einwohner-Grenze rechnet. Am 1. Jänner 2023 zählte Wien 1,98 Millionen Personen mit Hauptwohnsitz, 51.000 mehr als im Jahr 2021. Dieser Wert setzt sich zusammen aus der Geburten- und der Wanderungsbilanz. Die Geburtenbilanz wies aufgrund der höheren Sterblichkeit während der Corona-Pandemie im Vergleich zum Vorjahr (1273) einen geringeren Überhang von 1000 Personen auf (19.000 Lebendgeborene, 18.000 Gestorbene). Die Wanderungsbilanz betrug 51.000 (2021: 9581), großteils verursacht durch die Ukraine-Flüchtlinge.

 

Staatsangehörigkeit

 

Laut Statistik Austria wohnen in Wien mehr Frauen (51,1 %) als Männer (48,9 %). Das Durchschnittsalter beträgt 41 Jahre. 67,8 % der Einwohner Wiens sind Österreicher, 14,1 % aus dem EU-Ausland, 18 % aus Drittstaaten. Was mit anderen Worten bedeutet, dass mangels Staatsbürgerschaft fast ein Drittel der Bürger nicht wahlberechtigt ist. EU-Ausländer dürfen nur bei den Bezirksvertretungswahlen teilnehmen. 

 

Bei den ausländischen Staatsangehörigen sind die Serben mit 4 Prozent führend, danach folgen Deutsche (2,8 %), Türken (2,3 %), Polen (2,3 %) und Rumänen (2,0 %). In den letzten 10 Jahren ergab sich aufgrund der Flüchtlingsentwicklung ein hoher Wanderungssaldo der Syrer (31.251) und der Afghanen (17.817), der immer wieder zu politischen Konfrontationen zwischen der SPÖ-geführten Landesregierung und der blauen Opposition führt. Fakt ist, dass ohne diese Zuwanderung Wien nicht die am stärksten wachsende größere EU-Stadt der letzten 10 Jahre geworden wäre.

 

Fläche und Bevölkerungsdichte

 

Die Fläche Wiens beträgt 414,9 km2, die Donaustadt ist flächenmäßig mit 102,3 km2 der größte, die Josefstadt mit 1,1 km2 der kleinste Bezirk. Die Bevölkerungsdichte betrug am 1.1. 2022 4656 Personen pro km2. Margareten ist Spitzenreiter mit 26.710, Hietzing aufgrund des Wienerwalds und des Lainzer Tiergartens Schlusslicht mit 1431 Personen pro km2. 

 

Höhen und Tiefen

 

Die größte Erhebung Wiens ist der zum Kahlengebirge zählende 543 m hohe Hermannskogel im nördlichen Wienerwald an der Grenze zu Niederösterreich. Der 1964 erbaute Donauturm ist mit 252 Metern das höchste Bauwerk Wiens und Österreichs, dahinter folgt mit knappem Abstand der vom französischen Architekten Dominique Perrault geplante DC Tower in der Donau City mit 250 Metern. Tiefster Punkt in Wien ist die Lobau mit 151 Metern über dem Meeresspiegel, tiefste U-Bahn-Station aktuell die U1-Station Altes Landgut (mit 30 Metern unter dem Straßenniveau). Übertroffen wird sie in Zukunft durch die neue U5-Station Neubaugasse mit 35 Metern unter der Erde. Eröffnet wurde die erste U-Bahn Wiens übrigens am 25. Februar 1978, Bundespräsident Dr. Rudolf Kirchschläger saß bei der ersten U1-Fahrt zwischen Reumannplatz und Karlsplatz im Fahrer-Cockpit.  

 

Bildung

 

Die erste Universität Wiens existiert da schon viel länger, sie wurde 1365 – mit Standorten im Stubenviertel des 1. Bezirks – gegründet und war damit die älteste im deutschen Sprachraum und drittälteste in Mitteleuropa nach der Karls-Universität Prag und der Jagiellonen-Universität in Krakau. Heute gibt es in Wien 23 Hochschulen mit 193.924 ordentlichen Studierenden (davon 159.245 in öffentlichen Universitäten, 19.832 in Fachhochschulen, 8.096 in Privatuniversitäten und 6.751 in Pädagogischen Hochschulen). Wien ist damit knapp hinter Berlin die zweitgrößte Hochschulstadt im deutschsprachigen Raum. 55 Prozent der Studierenden sind Frauen, und das spiegelt sich auch im Akademikeranteil wider. 2020 waren 31 Prozent der Frauen Träger eines Akademikertitels, aber nur 26 Prozent der Männer. 2001 hielten sich beide Geschlechter noch bei 15 Prozent die Waage.

 

Der Akademiker- oder Facharbeiternachwuchs in spe wird in den zahlreichen Schulen Wiens ausgebildet. Insgesamt 247.327 Schüler waren im Schuljahr 2020/21 laut Statistik Austria in Wien gemeldet. In den Kindergärten wurden 2021/22 insgesamt 98.294 Kinder auf den „Ernst des Lebens“ vorbereitet. 89 Prozent aller Kinder besuchten dabei elementarpädagogische Einrichtungen, die ganztägig geöffnet und mit einer Vollzeitbeschäftigung der Eltern vereinbar waren.

 

Bevölkerungsprognosen

 

Die Bevölkerungsprognosen der Statistik Wien gehen davon aus, dass Wien im Jahr 2027 die Zwei Millionen-Einwohnergrenze überschreiten wird. Bis zum Jahr 2036 soll der historische Bevölkerungshöchststand aus dem Jahr 1910 von 2,1 Millionen Einwohnern erreicht werden. Die Zuwanderung aus dem Ausland wird vermutlich zurückgehen, die positive Geburtenbilanz allerdings durch die junge Altersstruktur ansteigen. Unter den Innenstadtbezirken dürfte nur die Bevölkerung der Landstraße deutlich zunehmen, ansonsten sind leichte Zunahmen (Innere Stadt, Alsergrund) Rückgänge (Margareten, Mariahilf, Neubau) und Stagnationen (Wieden, Josefstadt) zu erwarten. In den äußeren Bezirken ist mit einem starken Wachstum bis über 16 % zu rechnen, vor allem in der Brigittenau und Donaustadt.

 

Im Steigen begriffen ist auch der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre, von aktuell 16,5 % auf 21,6 % in den kommenden drei Jahrzehnten. Eine große Herausforderung vor allem für den Gesundheits- und Pflegesektor, mit der nicht nur die Stadt Wien konfrontiert werden wird…

 

Quellen:  Wien in Zahlen 2022, Statistik Wien

mehr lesen

„Housing First“: Wie man Obdachlosigkeit sozial und würdevoll bekämpft!

Immer wieder taucht es bei Volksbegehren oder im Forderungskatalog von engagierten NGO´s auf, das Grundrecht auf Wohnen. Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Denn die Fakten sprechen eine andere Sprache. In Europa schlafen ca. 700.000 Personen auf der Straße, in Deutschland allein gelten rund 178.000 Menschen als obdachlos oder wohnungslos, in Österreich ca. 20.000. Wobei diese Zahlen allerdings mit einer enormen Dunkelziffer behaftet sind.

 

Ethos-Richtlinien

 

Als obdachlos gilt nach den ETHOS-Richtlinien jemand, der im öffentlichen Raum lebt oder in Notschlafstellen die Nacht verbringt. Zu den Wohnungslosen zählen Menschen, die in Übergangswohnheimen, zeitlich befristeten Unterkünften, Herbergen oder Frauenhäusern übernachten. Nicht von diesen Definitionen umfasst sind daher die Fälle verdeckter Wohnungslosigkeit. Das sind beispielsweise Personen, die bei Familienmitgliedern oder Freunden nächtigen. Dazu gehören vermehrt wohnungslose Frauen, die in der offiziellen Statistik „nur“ 31 Prozent ausmachen und die aufgrund fehlender Angebote keine andere Wahl haben als bei Bekannten (mit teils nicht ungefährlichen Motiven) zu schlafen.

 

Gründe der Obdachlosigkeit

 

Die Gründe für die Obdachlosigkeit sind vielfältig und basieren laut Amnesty International auf einem Zusammenspiel von strukturellen Problemen (wie Armut, prekärer Arbeit, dem Fehlen leistbaren Wohnraums und geschlechtsspezifischer Gewalt) und persönlichen Schicksalsschlägen. Der Fonds Soziales Wien hat 2016 eine Befragung mit 2500 Obdachlosen durchgeführt: 42 % der Personen wurden arbeitslos und konnten die Miete nicht mehr zahlen, 32 % hatten eine Trennung bzw. Scheidung hinter sich, 26 % gingen zu leichtsinnig mit dem Geld um, und rund 20 % verloren die Wohnung aufgrund einer psychischen oder physischen Erkrankung. 

 

Hürden

 

Dass Obdachlose durch den Sozialstaat ausreichend aufgefangen werden, ist allerdings ein Irrglaube. Es existieren zahlreiche bürokratische und persönliche Hürden, von der Antragstellung von Unterstützungsleistungen, mangelnden Informationen, einem labyrinthartigen System-Wirrwarr bis hin zu sprachlichen Defiziten. Bestimmte Personengruppen sind außerdem per Gesetz vom Zugang zur Wohnungshilfe ausgeschlossen. Ein Anspruch auf Wohnungslosenhilfe für österreichische Staatsbürger (und Gleichgestellte) besteht in Wien beispielsweise nur dann, wenn man in Wien obdachlos geworden ist. Föderalismus-Irrsinn auf dem Rücken der Ärmsten der Armen.

 

Werden diese Kriterien nicht erfüllt, stehen nur Notunterkünfte zur Verfügung, für die ein finanzieller Beitrag (!) zu leisten ist und die man tagsüber wieder verlassen muss. Dabei handelt es sich vorwiegend um Mehrbettzimmer und Schlafsäle, was vor allem Frauen und Personen aus der LGBTIQ-Community abschreckt. Haustiere, zumeist die einzigen Begleiter der Gestrandeten, sind in vielen Notschlafstellen verboten.

 

Housing First in Finnland

 

Finnland geht hier einen ganz anderen Weg. Unter dem Motto „Housing First“, einem in New York Mitte der 90er entwickelten Konzept, müssen Obdachlose nicht den gesamten bürokratischen Dschungel durchwaten und ihre „Wohnfähigkeit“ beweisen, sondern bekommen als erstes sofort eine Wohnung. Die entsprechenden Heimstätten, sowohl Wohneinheiten als auch Einzelwohnungen, werden von Stiftungen zur Verfügung gestellt. Der Obdachlose ist Mieter der Wohnung, die Miete wird vom Staat bezahlt. Sozialleistungen wie medizinische und psychologische Betreuung und Hilfe bei behördlichen Anträgen werden freiwillig (!) angeboten und sind keine Voraussetzung dafür, dass die Wohnung bezogen werden kann. Es bietet sich damit für den Wohnungslosen eine zweite Chance im Leben, ohne sein Gesicht zu verlieren. 

 

Anspruch auf diese Wohnungen haben allerdings nur finnische Staatsbürger, andere Personengruppen (wie EU-Ausländer oder Drittstaatsmigranten) dürfen nur in Notunterkünften übernachten und Geld verdienen beim Verkauf von Obdachlosenmagazinen. Zumindest für die eigenen Staatsangehörigen hat sich das System sowohl sozial als auch finanziell bewährt. Zwischen 75 und 90 Prozent der ehemaligen Obdachlosen wohnen laut diverser Studien weiterhin in ihren neuen Wohnungen, und laut einer Fallstudie haben sich die Kosten pro Person bis zu 15.000 Euro jährlich reduziert, und zwar vor allem in den Bereichen Gesundheit, soziale Dienstleistungen, Rechtssystem und Polizei. 

 

Österreich

 

„Housing First“-Angebote gibt es vereinzelt auch schon in Österreich, allerdings nicht eingebettet in ein globales System wie in Finnland, wo diese vorbildliche Sozialpolitik unabhängig von den jeweiligen Regierungskoalitionen kontinuierlich durchgezogen wird. „In Finnland ist Konsens, dass Wohnungslosigkeit in einem so reichen Land eine Schande ist“, so der deutsche Soziologe Volker Busch-Geertsema. Diese Maxime kann man nur unterschreiben.

 

In Österreich dürfte man in sozialen Belangen (negativ) abgebrüht sein. Im viertreichsten Land der EU werden die Reichen immer reicher, während gleichzeitig 1,3 Millionen Menschen (inkl. 370.000 Kinder) armutsgefährdet sind. Die Lösungen (wie Vermögens- und Erbschaftssteuern, Kindergrundsicherung, Mietpreisbremsen,…) liegen alle auf dem Tisch, sie werden aber politisch nicht umgesetzt. Das lässt in der aktuellen Teuerungskrise, die die Anzahl der Delogierungen in die Höhe schnellen lassen wird, nichts Gutes erwarten…

„You definitely had to be there“: Panic at the Disco-Abschiedsgig in der Wiener Stadthalle

Seit dem 2016er-Album „Death of a Bachelor“ handelt es sich bei der 2004 von vier Jugendfreunden aus Las Vegas gegründeten Rock-Band Panic at the Disco um ein Soloprojekt des Sängers Brendon Urie. Insofern ist es verblüffend und witzig zugleich, dass sich beim Startschuss der „Viva Las Vengeance“-Tour in der Wiener Stadthalle 11 Musiker und Musikerinnen auf der Bühne befinden. Vom charismatischen Mastermind Urie, der cool-lässigen Bassistin Nicole Row, dem Leadgitarristen Mike Naran, Drummer Dan Pawlovich bis hin zu klassischen Viola-, Cello- und Violin-Virtuosinnen. Eine bombastische Rock-Opera im Las Vegas-Style mit grell-düsteren Visuals im Juke-Box-, Flowers- und Totenkopf-Style ohne Atempause.

 

Eine riesige Uhr zählt die Sekunden bis zum Showbeginn ab, dann betritt die ausgezeichnete Panic at the Disco-Crew die Bühne mit einem ihrer größten Hits, „Say Amen, Saturday Night“. Das Publikum altersmäßig bunt durchgemischt, immerhin existiert die (Original)-Band seit 2004, die jüngsten Fans lernten Uries Rock-Hymnen vermutlich durch Tik Tok kennen, Stichwort „House of Memories“. Auf der Setlist stehen Tracks aus nahezu allen Alben, vom überraschenden US-Top-Ten-Hit „I write sins not Tragedies“ (aus dem Debüt-Album „A Fever you can´t sweat out“), „Miss Jackson“, „Victorious“, „Nine in the Afternoon“ bis zu allen 12 Songs aus dem letzten 7. Album (wie dem Titeltrack „Viva Las Vengeance“, „Do it to Death“, „God killed Rock´n Roll“ und dem brillanten „Don´t let the Light go out“). Der größte Hit der Band, „High Hopes“ (der bis auf Platz 4 der US-Charts kletterte), beendete die temporeiche Rock-Show in der Stadthalle mit einem Konfettiregen. Und nicht nur diese. Panic at the Disco lösen sich nach dieser Tour am 10. März in Manchester endgültig auf. Offizieller Grund: Brendon Urie und seine Frau bekommen Nachwuchs. Das Motto der Show „You definitely had to be there“ war insofern kein billiger Marketing-Gag.

 

Die Zukunft dagegen gehört dem feministisch-queeren Support-Act, Cari Elise Fletcher aka Fletcher. Die aus New Jersey stammende Künstlerin veröffentlichte nach einigen EP´s 2022 ihr erstes Album „Girl of my Dreams“. Im Mittelpunkt steht dabei ihre verflossene Liebesbeziehung zur You Tuberin und LGBT-Anwältin Shannon Beveridge, bei ihrem größten Hit „Becky´s so hot“ wird sogar deren neue Flamme zum Song-Motiv. Fletcher spielt gekonnt mit Erotik, platziert sich kongenial in der pinken Community und produziert eingängige Rock-Pop-Tracks, die live um einiges härter und energischer klingen als auf dem Debüt-Tonträger. Beim nächsten Vienna-Auftritt garantiert als Headliner unterwegs…

mehr lesen

UN-Kinderrechts-Report: „Nachhilfebedarf“ für Österreich bei Bildung, Gesundheit und Armutsbekämpfung.

„Man darf nicht verlernen, die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen (Henry Matisse). 

 

Die Erwachsenen haben dementsprechend nicht nur die gesetzliche, sondern auch die aus tiefstem liebenden Herzen kommende Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass es den Kindern und Jugendlichen gutgeht und dass sie in allen Lebensbereichen bestmöglich aufwachsen. Diverse Rechte der Kinder sind umfassend geregelt in der UN-Kinderrechtskonvention, die von allen UN-Mitgliedstaaten außer den USA ratifiziert wurde. Österreich gehört zu den Erstunterzeichnerstaaten im Jahre 1990, bei der Umsetzung der Kinderrechte ist die Alpenrepublik in wichtigen Teilen aber säumig, wie der letzte Report des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes im Jahr 2020 zeigt.

 

Dieser alle 5 Jahre erscheinende Bericht begrüßt zwar die Harmonisierung der Jugendschutzgesetze der Bundesländer, die Einrichtung des Kinderrechte-Boards oder das Gewaltschutzgesetz (mit den Betretungs- und Annäherungsverboten für Gefährder innerhalb einer Schutzzone von 100 Metern), zeigt aber auch schonungslos die Defizite Österreichs in den Bereichen der Bildung, der Gesundheitsversorgung und der kaum vorhandenen Partizipation der Kinder an der Umsetzung der Ziele und Programme.

 

Kinder- und Jugendhilfe

 

2018 wurde die Kinder- und Jugendhilfe in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder übertragen. Der UN-Ausschuss befürchtet in diesem Zusammenhang eine uneinheitliche Anwendung der Rechtsvorschriften. Trotz verschiedener Aktionspläne bestehe in Österreich keine umfassende Strategie zur Umsetzung der Kinderrechte, als Alternative wird ein ständiges Koordinationsgremium mit diesbezüglichen Kompetenzen und Ressourcen vorgeschlagen.

 

Ehemündigkeit

 

Der UN-Ausschuss fordert Österreich auf, die Ausnahmen für das Ehemündigkeitsalter von 18 Jahren zu streichen. Nach aktueller Rechtslage können in Österreich Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren unter bestimmten Voraussetzungen (Reife, Volljährigkeit des Partners, Zustimmung des gesetzlichen Vertreters) eine Ehe schließen.

 

Klimaschutz

 

Bei allen legislativen Verfahren sollen die Auswirkungen der Gesetze auf das Kindeswohl eingeschätzt werden. Im besonderen nennt der UN-Ausschuss die in Österreich im Vergleich zur Rest-EU eher schleißige Klimaschutzpolitik und ihre Folgen für die Gesundheit der Kinder. So ist der Sektor Verkehr für rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich, in den letzten 20 Jahren hat dieser fünfmal so stark zugenommen wie im EU-Schnitt. 

 

Recht auf Gehör

 

Der UN-Ausschuss fordert die formelle rechtliche Verankerung der Meinung des Kindes, konkret ein Recht des Kindes auf Gehör in allen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, die verpflichtende Bestellung eines Kinderbeistandes bei Verfahrensstreitigkeiten zwischen den Eltern (wenn keine Einigung erzielt wurde und bei Gewalt gegen eine der Betreuungspersonen) und die Ausweitung des Systems der „kinderanwaltlichen Vertrauensperson“ auf alle Kinder in öffentlichen Einrichtungen (inkl. Wohnheime, Internate, psychiatrische Einrichtungen, Asylheime,…).

 

Cybermobbing und Grooming

 

Kinder müssen geschützt werden vor physischer und psychischer Gewalt. Insofern müssen Strategien und Kampagnen konzipiert werden, um den Missbrauch und die Vernachlässigung von Kindern zu bekämpfen. Bei Strafverfahren muss eine angemessene therapeutische Begleitung gewährleistet werden. Neue Formen der Internet-Kriminalität wie Cybermobbing und Grooming müssen adäquat verfolgt werden. Die dazugehörigen Straftatbestände wurden in Österreich bereits umgesetzt. Und das nicht ohne Grund. So wurden laut einer HBSC-Studie bereits 1/3 der befragten Schüler u.a. durch E-Mails, WhatsApp, Postings oder Anrufe belästigt.

 

Alternative Betreuung

 

Bezüglich Kindern, die nicht in einem familiären Umfeld aufwachsen können, fordert der UN-Ausschuss bundesweite Qualitätsstandards für alternative Betreuungsformen, die gleichzeitig auch für Kinder nichtösterreichischer Abstammung gelten. Vor allem die Diskriminierungen unbegleiteter, älterer Flüchtlingskinder bezüglich Unterstützung und Höhe der Tagessätze sind abzustellen. Für alle unbegleiteten und von ihren Familien getrennten Flüchtlinge soll sofort nach der Ankunft ein gesetzlicher Vertreter bestellt werden. 

 

Inklusives Bildungssystem

 

Der Nationale Aktionsplan Behinderung (inkl. der Einrichtung inklusiver Modellregionen) wird seitens der UN goutiert. Nicht vorhanden sei aber ein umfassender Plan in allen Bundesländern, die Barrierefreiheit von öffentlichen Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln, Schulen und Spielplätzen sei weiterhin unzureichend. Dringend urgiert wird die Stärkung der inklusiven Bildung in Regelschulen und die Entwicklung eines inklusiven Bildungssystems mit qualifiziertem Lehrpersonal, angepassten Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien.

 

Kinderarmut

 

In Österreich, dem viertreichsten Staat der EU, sind derzeit 368.000 Kinder (23 %) armuts- und ausgrenzungsgefährdet. Dies betrifft vor allem Kinder in Haushalten mit mehr als drei Kindern, in Ein-Eltern-Haushalten und in Migranten-Haushalten. Unter diesen Umständen kann man von Chancengleichheit nicht mehr sprechen, eines der Kernprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention. Die UN-Experten fordern einen „bundesweit einheitlichen Mindestlebensstandard“, der durch die zuletzt dezimierte, unterschiedliche Sozialhilfe in den Ländern nicht erfüllt ist. Österreich sollte zusätzlich eine Kindergrundsicherung einführen, die sich an den aktuellen monatlichen Kinderkosten orientiert. 

 

Gesundheitsversorgung

 

Immense Kritik und Besorgnis äußert der UN-Ausschuss über die gesundheitliche Grundversorgung der Kinder, vor allem hinsichtlich der Behandlung von psychischen Erkrankungen (wie Angstzuständen, Depressionen oder Essstörungen). Das zeigen leider auch aktuelle Zahlen, die sich durch die Corona-Krise noch deutlich verschlechtert haben. Laut eines deutschen interministeriellen Berichtes sind noch immer 73 Prozent der Kinder psychisch belastet, in Österreich gaben bei einer Befragung der Med-Uni Wien und der Donau-Uni Krems 16 Prozent der Jugendlichen an, suizidale Gedanken zu haben. Und das gerade zu einem Zeitpunkt, als das Ausmaß der klinischen Infrastruktur schon fast an fahrlässiger Gesundheitsgefährdung grenzt. Gemäß einer Bedarfsplanung sollte es in Österreich 890 Betten für die Kinder- und Jugendpsychiatrie geben, tatsächlich waren es 2020 349. Ähnlich schlechte Zahlen existieren bei Ambulatorien und Kassenordinationen.

 

Immer problematischer wird auch die Zwei-Klassen-Medizin bei den Kindern. Von den insgesamt 609 Kinder-Praxen haben laut Verein KIB children care nur rund 250 einen Kassenvertrag. Zahlreiche Kassenärzte gehen in den nächsten Jahren in Pension, in den ländlichen Regionen sind Kassenstellen unbesetzt, die immer höhere Anzahl von Wahlärzten können sich vor allem ärmere Haushalte kaum leisten. 

 

Bildung

 

Im Zenit des Berichts steht das österreichische Bildungssystem. Gefordert wird - unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status - ein gleichberechtigter Zugang aller Kinder zu einer unentgeltlichen und hochwertigen Grund- und Sekundarschulbildung. Die Entscheidung über die weitere Schullaufbahn der Kinder soll hinausgezögert werden. Das sind Wunschvorstellungen, die nur durch eine Revolution innerhalb des heimischen Schulsystems durchgeführt werden könnten. Stichworte: Gesamtschule bis 14, Erweiterung der verschränkten ganztägigen Schulformen und ein Chancen-Index für Brennpunktschulen. In Hamburg werden die finanziellen Mittel nach dem sozialen Status der Schüler verteilt, in Österreich wurde jetzt wenigstens ein Pilot-Projekt unter dem Motto „100 Schulen – 1000 Chancen“ gestartet. Den Run auf die nicht billigen Privatschulen werden derartige Initiativen aber nicht verhindern. 

 

Nicht speziell erwähnt im UN-Bericht wurden die Kindergärten. Auch diese müssen strukturell und finanziell aufgewertet werden. Österreich verwendet 0,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Krippen, Kindergärten und Vorschule, Länder wie Schweden und Norwegen rund zwei Prozent. Die Probleme reichen von hohen Betreuungsschlüsseln, schlechten Arbeitsbedingungen, mangelnder Bezahlung (und damit zu wenig Personal) bis zu mangelhafter Infrastruktur. Man darf davon ausgehen, dass die Elementarpädagogik beim nächsten periodischen Bericht des UN-Ausschusses 2025 an prominenter Stelle aufscheint. Denn es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung, keine Bildung. 

Nicht einklagbar: UN-Kinderrechts-Konvention muss in den Verfassungsrang!

172.015 Bürger haben das Kinderrechte-Volksbegehren unterzeichnet, das kürzlich in einer Nationalratssitzung behandelt wurde. Die darin von den Proponenten geforderten fünf Maßnahmen bedürfen laut deren Ausführungen „aufgrund ihrer überfälligen Umsetzung keiner gesonderten Begründung“. Tatsächlich stellen die Forderungen nur die Spitze des Eisberges dar.

 

Forderungen des Kinderrechte-Volksbegehrens

 

Die Unterstützer des Volksbegehrens fordern eine „signifikante und nachhaltige Erhöhung des Kinderbetreuungsgeldes“ und die Umsetzung einer staatlichen Unterhaltsgarantie. Derzeit greift der Unterhaltsvorschuss nicht in allen Fällen. Kein Anspruch besteht dann, wenn der Unterhaltsbetrag vom zahlenden Elternteil nicht eingefordert werden kann, beispielsweise bei Insolvenz oder dauernder Arbeitsunfähigkeit. In Schulen fordern die Unterzeichner des Volksbegehrens die tägliche Turnstunde und regional bezogenes, kostenloses Schulessen. Auf der Wunschliste steht auch ein Bundesverfassungsgesetz mit einem Importverbot von „Produkten, die Kinderarbeit im Produktionsprozess oder der Lieferkette aufweisen“. 

 

Als globalen Punkt Nr. 1 fordern die Proponenten die „vollständige Verankerung der UN-Kinderrechtskonvention im Verfassungsrang“. Dies hätte zur Folge, dass die darin genannten Rechte von Kindern und Jugendlichen vor dem Verfassungsgerichtshof eingeklagt werden könnten. Dies ist derzeit nicht der Fall. 

 

UN-Kinderrechtskonvention

 

Das „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ (kurz: UN-Kinderrechtskonvention) trat am 2. September 1990 in Kraft. Alle UN-Mitgliedstaaten mit Ausnahme der USA sind dieser Konvention beigetreten, die in insgesamt 54 Artikeln die Rechte von Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr enthält. 

 

Österreich hat die UN-Konvention bereits 1990 unterzeichnet. Allerdings wurde diese 1992 im Nationalrat nicht (wie die Europäische Menschenrechtskonvention) als Verfassungsgesetz, sondern nur als einfaches Bundesgesetz ratifiziert. Die darin inkludierten Kinderrechte können daher nicht unmittelbar eingeklagt werden. Das im Jahr 2011 beschlossene „Bundesverfassungsgesetz über die Rechte der Kinder“ enthält nur einige wenige, allgemeine Punkte wie „Anspruch auf Schutz und Fürsorge, Verbot von Kinderarbeit, Recht auf Partizipation oder „Diskriminierungsverbot von Kindern mit Behinderung“, die teils noch mit einem Gesetzesvorbehalt eingeschränkt werden können.

 

Keine Individualbeschwerde für Kinder in Ö

 

Unterzeichnet am 28. Februar 2012, aber nicht ratifiziert seit nunmehr 11 Jahren wurde von Österreich das 3. Zusatzprotokoll über ein Individualbeschwerdeverfahren für Kinder. Österreichische Kinder bzw. Dritte (bei Zustimmung der Kinder) haben daher NICHT die Möglichkeit, bei mutmaßlichen Verstößen gegen die Konvention eine Individualbeschwerde beim UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes einzuleiten. Derartige Verfahren können von beigetretenen Staaten initiiert werden, wenn der nationale Instanzenzug ausgeschöpft ist. Der Ausschuss kann eine Vertragsverletzung feststellen und dem Staat Vorschläge zur Behebung des Streits übermitteln.

 

UN-Bericht

 

Österreich hat als Vertragspartei der Konvention allerdings die Verpflichtung, die dort enthaltenen Kinderrechte einzuhalten bzw. umzusetzen. Alle fünf Jahre erfolgt eine Überprüfung durch den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, die mit einem detaillierten Bericht abgeschlossen wird. Der zuletzt 2020 editierte Bericht enthält zwar auch einige positive Kritiken, die Liste der Mängel ist allerdings um einiges länger.

 

Als positiv begrüßt der Ausschuss den Beschluss des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes 2013, die Novelle des Jugendgerichtsgesetzes 2015, die Einrichtung des Kinderrechte-Boards und die Harmonisierung der Jugendschutzgesetze der Bundesländer im Jahr 2019, die den Verkauf von alkoholischen Getränken an Kinder unter 16 verbieten. Auf der Habenseite steht auch die Novellierung des Gewaltschutzgesetzes, aufgrund dessen Betretungs- und Annäherungsverbote für Gefährder im Umkreis von 100 Metern verhängt werden können.

 

Fehler im System

 

Rund 40 Punkte (mit zahlreichen Unterpunkten) beschäftigen sich allerdings mit Mängeln im österreichischen System, die mit direkten Aufforderungen und Empfehlungen seitens des Kinder-Ausschusses verbunden sind. Sie reichen von einer fehlenden Gesamtstrategie, einer uneinheitlichen Anwendung der Rechtsvorschriften in den Ländern, Aufforderung zur Verfolgung von Cybermobbing und Grooming, fehlenden Qualitätsstandards bei alternativer Betreuung bis hin zu gravierenden Defiziten in den Bereichen „Kinder mit Behinderung“, „Gesundheitliche und soziale Grundversorgung“ und „Bildung“. Es darf bezweifelt werden, dass diese Mängel bis zum nächsten periodischen Bericht der Bundesregierung (im September 2025) rechtzeitig beseitigt werden.

„Portraits“: Star-Fotograf Juergen Teller in der Christine König Galerie

Der 1964 im deutschen Erlangen geborene Juergen Teller trägt – neben dem kürzlich im Mumok mit seiner Ausstellung „Schall ist flüssig“ herausragenden Wolfgang Tillmans – die Trademark „Popstar der zeitgenössischen Fotografie“. Im September 1986 zog er nach London, um der Wehrpflicht zu entgehen, kreierte dort Plattencover für Stars wie Sinead O´Connor, Soul to Soul, Elton John, Neneh Cherry und Morrissey und arbeitete für die Fashion-Lifestyle-Magazine „The Face“, „ID“ und „Arena“. Weltberühmt wurden seine Fotos von Kurt Cobain und Nirvana, die er 1991 auf ihrer „Nevermind-Tour“ – kurz vor ihrem unerwarteten Charts-Durchbruch – begleitete. Teller war auch verantwortlich für die erste Modekampagne der damals 15jährigen Kate Moss und konzipierte die ambivalenten Shots des extrem dürren US-Supermodels Kristen McMenamy. 

 

„Portraits“ internationaler Stars und nationaler Persönlichkeiten von Teller sind bis Anfang März 2023 in der Christine König Galerie in der Schleifmühlgasse 1a (1040 Wien) zu sehen. Die Palette reicht von Punk-Rocker Iggy Pop (im Juli mit den Red Hot Chili Peppers im Wiener Ernst Happel-Stadion), Schachweltmeister Garri Kasparow, Maler Anselm Kiefer bis hin zu teils freizügigen Motiven der kürzlich verstorbenen Fashion-Ikone Vivienne Westwood. Zu den Highlights der Ausstellung zählen auch die Aufnahmen der österreichischen Schriftstellerin Friederike Mayröcker, die sie in ihrer Wiener Dachgeschoßwohnung inmitten eines „Zettelgebirges“ zeigen.

 

Teller arbeitet ohne Retuschierungsprogramme, sondern lichtet die Porträtierten so ab, wie sie sind – mit Narben, Falten und Hautunreinheiten. Ein klarer Abgesang auf die hyperkünstliche Ästhetik anderer Fotografen. Dass er auf Instagram selbst keine Fotos postet, die Plattform aber spannend findet, ist insofern keine Überraschung. Tellers Foto sind allerdings „in der Regel inszeniert“. „Ich prüfe die Räume, in denen ich fotografiere, überlege mir, welche Posen dort infrage kommen. Aber ich lasse den Leuten auch den Spielraum, sich zu positionieren, wie und wo sie sich am wohlsten fühlen“, so Teller kürzlich in einem „Profil“-Interview.

 

Der Kult-Fotograf vergleicht dabei seine Methodik mit der von Ulrich Seidl. Ein Foto des österreichischen Film-Regisseurs findet man auch in der Christine König Galerie, gleich rechts nach dem Eingang…

 

Juergen Teller – Portraits – Galerie Christine König, Schleifmühlgasse 1a, 1040 Wien

mehr lesen

„New African Portraiture“: 24 Black Artists in der Kunsthalle Krems

„Die erste Ausstellung über zeitgenössische afrikanische figurative Malerei in Europa“ – Mit diesem Teaser lockt die Kunsthalle Krems Besucher aus aller Welt in die Exhibition „The New African Portraiture“, die sich über beide Stockwerke des Museums erstreckt. Impulsgeber war eine Ausstellung im Pariser Musee d´Orsay, die sich mit dem Schwarzen Körper in der Malereigeschichte von 1800 bis zur Klassischen Moderne beschäftigte.

 

Kuratiert wird die Ausstellung von Ekow Eshun, der zuletzt in der Londoner Hayward Gallery die Schau „In the Black Fantastic“ über Afrofuturismus konzipierte. Die afrikanischen Kunstwerke stammen aus der Sammlung von Amir Shariat, den der künstlerische Direktor der Kunsthalle, Florian Steininger, im Rahmen der Robin Rhode-Ausstellung „Memory is a Weapon“ 2020 kennenlernte. Der südafrikanische Street-Art-Künstler Rhode teilt sich mit einem der Shooting Stars der Ausstellung, Alexandre Diop, ein Studio. Ein kongeniales Netzwerk als Basis für einen attraktiven Parcours durch die Portraitmalerei Afrikas, die dort im Gegensatz zum weltweiten Trend der Abstraktion und Konzeptkunst stets im künstlerischen Zenit verharrte.

 

Die Arbeitsweisen, kreativen Ideen und Perspektiven der insgesamt 24 Künstler unterscheiden sich aber nicht unwesentlich. Cornelius Annor beispielsweise, dessen Werke im Oberlichtsaal zu sehen sind, dokumentiert das traditionelle ghanaische Familienleben, in der Küche, im Wohnzimmer oder im „Cabinet of Memories“. Auf dieser Schiene bewegt sich auch Crystal Yayra Anthony, die mit ihren Werken Geschlechterstereotypen aufbrechen will. Eines der Highlights: „What are you looking at“, das eine nackte schwarzte Frau – bei einer Alltagshandlung - mit Wasserschlauch in einem Garten zeigt. 

 

Andere Künstler wie Souleimane Barry oder der in Paris aufgewachsene und in Wien an der Akademie der bildenden Künste studierende Alexandre Diop lassen sich vom kürzlich in der Albertina gewürdigten 80er-Superstar Jean Michel Basquiat beeinflussen und konzipieren eine Mixtur aus Pastell, Ölfarben, Bleistift, Klebstoff und diversen Materialien (wie Holz, Latex, Nägel, Gips oder Schnüren). Der im Künstler-Epizentrum Accra (in Ghana) geborene Amoako Boafo kreiert moderne, trendige Porträts von Freunden und Szene-Artists wie der amerikanischen Bildhauerin Kennedy Yanko. 

 

Nicht fehlen dürfen in der Ausstellung sozialkritische Aspekte und Fragen der Diskriminierung. Jean David Nkot thematisiert die Rohstoff-Ausbeutung in Afrika u.a. mit seinem Porträt von drei selbstbewussten Minenarbeiterinnen. Mit Rassismus und Sexismus beschäftigt sich die nach Schweden emigrierte Everlyn Nicodemus nicht nur künstlerisch, sondern auch wissenschaftlich. Aus dieser Inspiration entstanden u.a. familiäre Motive wie in „Mother and Child“ oder „The Wedding“. 

 

„No, I don´t speak Swahili“, so reagierte die in den USA geborene Künstlerin Josie Love Ruebuck auf eine verletzende Klassifikation aufgrund ihrer Hautfarbe. In dem daraus entstandenen Kunstwerk zeigt sie anhand von drei Gesichtern, wie sie selbst sich wahrnimmt und wie sie von anderen kategorisiert wird. Ein toughes Statement in der Zentralhalle kurz vor dem Ausgang, das auch nach dem spannenden Ausstellungsbesuch noch zum Nachdenken anregen soll…

 

„The New African Portraiture“ – 19. 11. 2022 bis 10. April 2023 Kunsthalle Krems.

mehr lesen

SUV-"Stadtpanzer": Bedrohung für Klima, Verkehrssicherheit und Kinder!

Klimaaktivismus derzeit auf allen Fronten. Im Mittelpunkt einer europaweiten Kampagne stehen derzeit die immer größer und  häufiger werdenden „Sport Utility Vehicles“, kurz „SUV´s“, von den Gegnern auch als „Stadtpanzer“, „Chelsea Tractors“ oder „Super Unnecessary Vehicles“ bezeichnet. Alleine in Deutschland wird jährlich bis rund zwei Milliarden Euro für Werbung investiert, um die zumeist im Ü30-Alter befindliche Zielgruppe für das vermeintliche Status-Symbol zu begeistern. Gemäß der Maxime „Ban Fossil Ads“ waren die Aktivisten u.a. in London, Berlin und Paris Frankfurt unterwegs und „hijackten“ SUV-Werbeplakate mit Totenköpfen, Luftverschmutzungs-Logos und Aufschriften wie „Add Climate Breakdown“ und „Catastrophe Climatique Garantie“. 

 

SUV-Höchststand bei den Neuwagenzulassungen

 

Ob diese Aktionen etwas bewirken, ist allerdings leider zweifelhaft. Denn der Trend geht in eine Gegenrichtung. Laut dem Verkehrsclub Österreich (VCÖ) erreichte der Anteil der SUVs bei den Neuwagenzulassungen im Vorjahr mit 43 Prozent einen Höchststand.  Dieser Anteil hat sich seit 2005 verfünffacht (8 %) bzw. seit 2015 verdoppelt. Insgesamt wurden 92.387 SUVs und Geländewagen neu zugelassen, die meisten davon mit 17.163 in Wien. Und das, obwohl bei weitem nicht nur der Klimaschutz gegen den SUV-Hype spricht.

 

Erhöhtes Sterbe- und Verletzungsrisiko für Unfallgegner

 

Die SUVs zerstören durch ihre in die Breite und Höhe gehende Karosserie nicht nur das urbane Stadtbild, sondern bergen eine enorme Unfallgefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer. Laut der deutschen Unfallforschung ist das Risiko, bei einem Unfall mit einem SUV schwer oder tödlich verletzt zu werden, für die Fahrer kleinerer Autos viermal (!) höher als für SUV-Fahrer. PKW-Insassen werden mehr als doppelt so oft schwer verletzt. Bei erhöhter Geschwindigkeit des SUVs besteht kaum eine Überlebenschance. Der Grund liegt darin, dass die leichteren Fahrzeuge den Großteil der Energie des Zusammenpralls auffangen. Laut dem deutschen Bundesverkehrsministerium hat sich die Zahl der Unfälle mit SUVs und Geländewägen seit 2011 mehr als verdoppelt.

 

Höchste Gefährdung für Kinder

 

Internationale Untersuchungen haben eindeutig ergeben, dass auch bei Radfahrern und Fußgängern das Verletzungsrisiko und die Schwere der Verletzungen bei einem Unfall mit einem SUV weit höher sind. So ist die Wahrscheinlichkeit für Fußgänger, bei einem Unfall mit einem SUV zu sterben, um 50 Prozent höher als bei einem Zusammenstoß mit einem anderem PKW. Gerade die Kinder tragen das größte Verletzungsrisiko, denn diese werden aufgrund der überdimensionalen Größe der SUVs am Rumpf oder Kopf getroffen. 

 

Eine Studie der Universität Wien über das Verhalten von SUV-Fahrern in der Innenstadt von Wien sorgt für zusätzliche Angst unter den Familien. SUV-Besitzer fahren zwar nicht unbedingt schneller, halten sich aber weniger an die Verkehrsvorschriften. Sie fahren häufiger über rote Ampeln, sind häufiger nicht angeschnallt und halten häufiger ein Mobiltelefon in der Hand. Psychologen erklären dies mit einem stärkeren Sicherheitsgefühl durch die erhöhte Sitzposition. Weniger schmeichelhaft der Autodesigner Paolo Tumminelli: „Das SUV ist das Fahrzeug des Eskapismus für die breite Masse. Es strahlt jene Potenz aus, mit der sich Fahrer für jede Lage gut gerüstet fühlen. Diese neigen dazu, riskanter zu fahren, weil sie das Gefühl haben, in einer Burg zu sitzen.“

 

Höherer CO2-Ausstoß

 

Die Organisation Greenpeace hat bereits 2019 in ihrer Broschüre „Ein dickes Problem – Wie SUVs und Geländewagen das Klima und unsere Städte ruinieren“ eindeutig dargelegt, wie stark der CO2-Ausstoß durch die „Stadtpanzer“ erhöht wird. Die einfache Rechnung: Je schwerer ein Fahrzeug bzw. je höher die Motorleistung, desto höher der Treibstoffverbrauch und desto höher der CO2-Wert. 2018 betrug das Durchschnittsgewicht neu zugelassener PKWs in Deutschland 1515 kg, das von SUVs 1628 Kilogramm. 

 

Direkt proportional ist ebenso der Zusammenhang zwischen dem Treibstoffverbrauch und dem CO2-Ausstoß. Der höhere Verbrauch bei SUVs resultiert aus der Fahrzeughöhe und der größeren Stirnfläche, die zu höherem Luftwiderstand führt. Laut Bundesverkehrsministerium werden mit SUVs jährlich auch größere Strecken zurückgelegt als mit anderen Fahrzeugen (16.600 km vs. 14.000 km).

 

Straßenverkehr Hauptemittent

 

So ist es eigentlich kein Wunder, dass die Verkehrsemissionen europaweit weiterhin steigen. In Deutschland ist der Verkehr der einzige Sektor, in dem die Emissionen seit 1990 nicht gesunken sind. In Österreich, das mit einem Straßennetz von 127.500 Kilometern (oder drei Erdumrundungen am Äquator) ausgestattet ist, war der Sektor Verkehr im Jahr 2018 sogar für rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich, der Energieverbrauch des Verkehrs stieg zwischen 2000 und 2018 um enorme 37 Prozent (EU: 7,7 Prozent).

 

SUV-Restriktionen

 

Auch wenn die meisten Politiker, Wirtschaftslobbyisten und SUV-Protagonisten den Klimaschutz anscheinend auf die leichte Schulter nehmen, die Klima-Uhr hat die „5 Minuten vor 12“ bereits überschritten. Und es liegen für alle Themengebiete wissenschaftlich begründete Expertisen auf dem Tisch. In Sachen „SUV-Restriktion“ reichen die Vorschläge von höheren Parkgebühren für SUVs, der kompletten Verbannung klimaschädlicher Fahrzeuge aus den Innenstädten, einem Verbot der Zulassung als Dienstwagen bis hin zu höherer Besteuerung und einer radikalen Produktions-Einstellung von SUVs. Dass zumindest bei letzterer Initiative die Autoindustrie bereits ihre Lobbyisten aufwärmen lässt, steht wohl außer Frage…

Across the River: 700km-Wollfaden-Installation von Chiharu Shiota in der Kunstmeile Krems

Zeitgenössische Kunst soll im Mittelpunkt der Landesgalerie Niederösterreich in Krems stehen. In einem Monumentalgebäude des Architekten-Brüderpaares Marte Marte nahe der Donau, das weltweit für Anerkennung sorgt. So werden die Besucher derzeit verführt zu einem progressiven „Rendezvous mit der Sammlung“ aus der Ära von 1960 bis heute, einem bunten, abwechslungsreichen und stilvariablen Parcours auf 3 Stockwerken mit hochkarätigen Vertretern wie Nitsch, Kowanz, Gelitin oder Deborah Sengl. Als besonderes Highlight winkt im Erdgeschoß der Landesgalerie eine sensationelle Installation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, die ihre speziellen Fertigkeiten kongenial mit der Lage der Landesgalerie an der Donau verbindet.

 

„Across the River“ nennt sich das Konstrukt, das aus ca. 700 Kilometern (!) Wolle und damit verwobenen Booten (Zillen mit Namen wie „FF Palt“ und „Poldi Fitzka“, dem Restaurant der Galerie) besteht. Die Installation wurde innerhalb von zwei Wochen von Assistenten Shiotas und Mitarbeitern der Landesgalerie nach genauen Skizzen der Künstlerin errichtet. Inmitten des Netz-Konglomerates wurden historische Landkarten des Donauraumes platziert. „Der Titel der Ausstellung bezieht sich sowohl darauf, den Fluß zu überqueren als auch ihm zu folgen. Die Donau fließt durch 14 Länder und ist ein starkes Symbol dafür, wie wir miteinander verbunden sind, bei allen kulturellen Unterschieden“, so Shiota in einem Gespräch mit dem Kurator Günther Oberhollenzer.

 

Die 1972 in der Präfektur Osaka geborene Künstlerin studierte zuerst Malerei in Kyoto und zog 1996 nach Berlin nahe dem Szeneviertel Prenzlauer Berg. Nach einigen Semestern in Hamburg und Braunschweig schloss sie 2003 ihr Studium auf der Universität der Künste Berlin ab, sie war u.a. Schülerin von Marina Abramovic und Rebecca Horn.

 

Ihren internationalen Durchbruch feierte sie bei der Biennale 2015 mit der Installation „Der Schlüssel in der Hand“, bei der – wie in Krems – rote Wollfäden, Boote und zusätzlich Schlüssel (als Symbole für Erinnerungen) verwendet wurden. Ihr besonderes Markenzeichen sind Wollfäden (in verschiedensten Farben), die Kleider, verbrannte Klaviere (wie in der Ausstellung „The Soul Trembles“ in Tokio 2019), Türen oder Stühle umhüllen. In ihrem neuesten Werk „Silent Word“, zu sehen im Schauwerk Sindelfingen (bei Stuttgart), hat Shiota Buchstaben auf den Wollfäden platziert, die – nicht hörbar – die Gedanken und Emotionen der Menschen widerspiegeln sollen.

 

In Krems dagegen steht die Donau im Mittelpunkt, für Besucher unmittelbar sichtbar durch die großen Außenfenster und auf der offen zugänglichen Terrasse der Landesgalerie. Die Boote verkörpern für Shiota „Objekte der Ungewissheit“, „die sich nur nach vorne in das große Unbekannte bewegen können. So wie die „Welt, die im steten Wandel begriffen ist“. Spannende Thesen einer weltberühmten Künstlerin, die nicht nur zu einem kurzem Trip durch das „Wolle-Wonderland“ einladen, sondern auch zum nachhaltigen Nachdenken über den Sinn und Fortschritt des eigenen Lebens.

 

Chiharu Shiota: Across the River. 

 

11. Juni 2022 bis 19. Februar 2023

 

Landesgalerie Niederösterreich, Kunstmeile Krems

mehr lesen

Ortskerne und Böden in Not: Shopping Center innerhalb von 20 Jahren verdoppelt!

Krapfen und Donuts essen wohl die meisten gerne. Betrachtet man die beiden Süßwaren allerdings als Symbole für die Verbauung Österreichs, dann vergeht einem zumindest bei den Donuts der Appetit. Der WWF bezeichnet in seinem Bodenreport 2021 die Verbauung der Ortsränder als „Donut-Effekt“. Ein wirklich treffender Vergleich. Statt einer attraktiven Füllung in der Mitte (wie bei den Krapfen) „gleichen Ortschaften in Österreich zunehmend Donuts, außen ein Ring, in der Mitte ein großes Loch“.

 

Die Ortskerne sterben immer mehr aus: Wirtshäuser, Greissler und Vereinslokale schließen, größere Gastronomen und Unternehmer verlegen ihre Betriebe an den Stadtrand, die Straßen und Gassen im Zentrum sind menschenleer, die Kommunikation der Stadt- und Dorfbewohner untereinander geht verloren. Und damit auch die Lebensfreude und der Spirit.

 

244 Shopping Center

 

An der Peripherie dagegen boomen die Shopping Center. Laut dem aktuellen SC-Report gibt es in Österreich 244 Shopping Center mit über 8700 Shops. Die vermietbare Fläche beträgt rund 4,2 Millionen (!) m2, davon 3,4 Millionen für den Handel. Im Europavergleich liegt Österreich mit 1,6 Quadratmeter Einkaufsfläche pro Kopf im europäischen Spitzenfeld, seit dem Jahr 2000 haben sich die Shopping Malls, Fachmärkte und Outlet Center mehr als verdoppelt. Der Hauptgrund für die weiterhin steigende Zersiedelung und Bodenversiegelung Österreichs. 

 

Ein Ende dieser Tendenz ist trotz der immens negativen Auswirkungen auf das Klima, die Tier- und Pflanzenwelt und das Ortsleben nicht abzusehen. Obwohl im aktuellen türkis-grünen (!) Regierungsprogramm ein Zielwert von 9 km2 Bodenverbrauch jährlich festgelegt wurde, betrug alleine der Wert für Betriebsflächen im Jahr 2021 11 km2. 

 

Ein Drittel CO2-Emissionen durch den Verkehr

 

Damit in Verbindung stehen die weiterhin hohen Werte für den Straßenbau (2021: 4,4 km2). Shopping Center an der Peripherie werden großteils mit Privat-Autos angesteuert, die für die Umwelt horrible Kettenreaktion bleibt nicht aus. So war der Sektor Verkehr laut dem Klimaschutzbericht 2020 für rund ein Drittel (!) der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, der Straßenverkehr hatte 2019 mit 2,65 Tonnen CO2 die zweithöchsten Pro-Kopf -Emissionen der EU. 

 

Die wissenschaftlichen Fakten liegen auf der Hand, ebenso ein Konglomerat an Lösungsvorschlägen. Wer nicht reagiert, sondern sich von den Wirtschaftskonzernen und den einschlägigen Interessensvertretungen leiten lässt und falsche Prioritäten setzt, das sind die zuständigen Politiker auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. 

 

Umweltverträglichkeitsprüfung

 

Klimaschützer fordern eine Herabsetzung der Schwellenwerte für die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Während in Deutschland eine UVP für Einkaufszentren ab 0,5 Hektar verpflichtend ist, in der Schweiz ab 0,75 Hektar, liegt der Schwellenwert in Österreich aktuell bei 10 (!) Hektar bzw. bei 1000 PKW-Parkplätzen. 

 

Über 40.000 Hektar Leerstand

 

Laut Schätzungen des Umweltbundesamtes verfügt Österreich über mindestens 40.000 Hektar Leerstand und Industriebrache. Dies entspricht der Fläche von Wien (414,6 km2). Anstatt eine bundesweite Leerstands-Datenbank einzurichten und diese Areale zu nützen wird neuer Boden versiegelt. Laut den Raumordnungsberichten wird obendrein ein Viertel des gewidmeten Baulandes nicht entsprechend der Widmung genutzt.

 

Interkommunaler Finanzausgleich

 

Viele Gemeinden freuen sich über die Errichtung von Shopping Centern auf ihrem Hoheitsgebiet, da die Kommunalsteuer direkt in das Gemeindebudget fließt und durchschnittlich ca. 11 Prozent des Gemeindebudgets ausmacht. Die Leidtragenden sind die Nachbargemeinden, deren Ortskerne aussterben und die von zusätzlichem PKW- und LKW-Verkehr geplagt werden. Eine alternative Lösung wäre laut WWF die Verpflichtung zu einem interkommunalen Finanzausgleich, im Rahmen dessen Gemeinden Standortentscheidungen gemeinsam verhandeln und die Einnahmen aus der Kommunalsteuer teilen.

 

Back to the City

 

Und natürlich muss eine österreichweite „Back to the City“-Strategie entwickelt werden, um den Wildwuchs an Shopping Centern an der Peripherie zu beenden und die Menschen wieder in die Ortskerne zu locken. Mit regionalen Angeboten, wichtigen Versorgungsbetrieben (für Kinder, Schüler, Familien, Pensionisten,…), der Verbesserung des öffentlichen Verkehrs, spannenden Events, Erdgeschoßzonen, verdichtetem Bauen und einem attraktiven, konsumfreien öffentlichen Raum, der zu Fuß und mit dem Rad erreichbar ist. Die Verwendung eines Autos zwecks täglichen Einkaufs und Shoppings soll die Ausnahme und nicht die Regel sein…