“Ich bau dir ein Schloss so wie im Märchen, da wohn ich mit dir dann ganz allein. So tönt es vom Balkon der Wiener Arena, unter Begleitung einer Ukulele. TV Total-Comedian Stefan Raab mit Mallorca-Ballermann Jürgen Drews im legendärsten Veranstaltungslokal der Bundeshauptstadt ? Mitnichten, Anheizerin in der ausverkauften Halle ist vielmehr Amanda Palmer, die Sängerin der Dresden Dolls, die für eine sensationelle „One Woman-Live-Show“ nach Österreich düste und mit dieser Heintje-Schlager-Einlage vermutlich ihren einjährigen Aufenthalt in der Faschingshochburg Köln glorifizieren wollte. Danach ging´s direkt durch (!) das Publikum ohne Security auf die minimalistisch nur mit einem Piano eingerichtete Bühne.
Grell geschminkt und im typischen sexy Korsagen-Look präsentierte sich die aus Boston stammende Performerin als eine Mischung aus Shakespeare´s Sister und „Dreigroschenoper“-Anarchistin der 20er. Nicht umsonst bezeichnen die Dresden Dolls ihren Stil auch als „Brecht´sches Punk-Cabaret“. Deren kommerziell bekanntester Song „Coin operated Boy“ auch im Solo-Set von Amanda Palmer nicht fehlen dürfte. Wie dieser metaphorische „Vibratoren“-Track allerdings als Darbo-Fruchtikus-Promotion-Hit in die Werbung gelangte, bleibt weiterhin ein Geheimnis. „Der Vertrag wurde ein weiteres Jahr verlängert. Wir können die Krankenversicherung weiter bezahlen“, das verriet Amanda Palmer frenetisch. Denn die 33jährige führte zwischen den Songs minutenlange Monologe, beantwortete interaktiv Fragen aus dem Publikum und ließ die Audienz bei der Songauswahl mehr als nur ein Wörtchen mitreden. Nicht ohne zwischendurch wieder einen tiefen Schluck Rotwein aus einem neben dem Piano postierten Weinglas zu sich zu nehmen. Life is too short for boring live-concerts. Und zumindest Miss Palmer, deren erste Solo-CD „Who killed Amanda Palmer“ einen Verweis auf die wohlberühmteste Wasserleiche der Welt, Laura Palmer (Twin Peaks, you know), enthält, steigerte sich mit erhöhtem Promillewert auch in einen emotional-lasziven Spielrausch.
Mitreißend die selbstkomponierten Titel „Oasis“ und „Runs in the Family“, österreichbezogen „My Favourite Things“ aus dem Musical „Sound of Musik“, faszinierend die Coverversionen von „Billie Jean“, Grauzones „Eisbär“ und Kurt Weills „Seeräuber-Jenny“, berührend Radioheads Studentenhymne „Creep“ und Jeff Buckleys atmosphärisches „Hallelujah“ als Schluss-Sequenz einer mehr als zweistündigen Show der Sonderklasse. Das Konzertpublikum war begeistert, manch durch progressives Marketing gepushter weiblicher Shooting Star wäre wohl nach diesem brillanten Personality-Auftritt erblasst. Und das trotz Schminke im Überfluss.
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tsSLAueP (Montag, 22 August 2022 10:19)
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