„Alle erzählen Euch von der Malerei, ich erzähle Euch vom Leben. Man muss verrückt sein, man muss den Boden „Mensch“ unter den Füßen verlieren können, um in der Luft zu schweben und mit dem Leben Liebe zu machen.“ So kreativ und genial seine Aphorismen, so faszinierend ist auch das malerische Werk des französischen Avantgardisten und Exzentrikers Francis Picabia, dem in der Kunsthalle Krems eine unterhaltsame Retrospektive gewidmet ist. „Wenn man durch die 12 Säle der Ausstellung gehe, habe man den Eindruck, durch eine Gruppenausstellung mit mindestens sieben Künstlern zu gehen“ – so der Kunsthallendirektor Hans-Peter Wipplinger. Und tatsächlich hat der 1879 in Paris geborene und 1953 verstorbene Künstler keine Stilrichtung ausgelassen. Beginnend mit impressionistischen Frühwerken prägte er gemeinsam mit seinem Freund Pablo Picasso Strecken des Kubismus, bis ihm künstlerisch angweilig wurde und er mit Hilfe sogenannter Maschinenbilder („Mechanomorphien“) die fortschreitende Technisierung kritisierte. In Barcelona gründete er die Zeitschrift 391, eine Postille des Dadaismus. Mitte der 20er entstanden die „Transparenzen“, die gekennzeichnet waren durch eine Überlagerung mehrerer Motive und auch auf die Malerei von Pompeji und romanische Fresken verwiesen. Während des 2. Weltkrieges hatte der umtriebige Frauenheld, Auto- und Yachtensammler finanzielle Probleme, die er mit hyperfotorealistischen Akt-Bildern von Frauen zu lösen versuchte. Als Vorbilder dienten dabei Trivial- und Pornomagazine, manche bezeichnen diese Phase seines künstlerischen Lebens auch als Geburtsstätte der Pop Art.
„Ich nehme nichts ernst, außer nichts ernst zu nehmen“ – eines seiner Lebensmottos, das spätestens mit den Greueln des zweiten Weltkriegs in Brüche geraten sein könnte. Denn die letzten Jahre seines Lebens, in denen er auch einen Schlaganfall erlitt, wurden vor allem durch düstere, abstrakte Malerei bestimmt. Picabia war übrigens nicht nur Maler und Zeitungsherausgeber, sondern auch Filmdarsteller. Er spielte 1924 in Rene Clairs dadaistischem Stummfilm „Entr´acte“, der Bestandteil des Balletts Relache wurde. Den 20 Minuten langen Film kann man sich in der Kunsthalle nach dem Streifzug durch die malerischen Jahrzehnte Picabias zu Gemüte führen. Und natürlich galt Picabia Oscar Wilde-like auch als genialer Aphorismen-Akrobat. Sein berühmtestes Zitat „Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann“ drückt nicht nur seine individuelle, nie vorhersehbare Art zu leben und zu malen aus, sondern ist auch Titel einer Zitate-Compilation.
Beeindruckend ist auch die neue Ausstellung im Untergeschoß der Kunsthalle. Der Bildhauer Elmar Trenkwalder präsentiert unter dem Titel „Ornament und Obsession“ meterhohe Skulpturen, die an barocke Architekturen und indische Tempelkonstruktionen erinnern und mit ihrer detaillierten Ausarbeitung die Besucher ins Staunen geraten lassen.
Eine Top-Vernissage in der Kunsthalle Krems an einem teils verregneten Samstag Abend, die sich – auch ohne Open Air-Sommerfest - für die vielen internationalen und nationalen Gäste garantiert gelohnt hat...
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tsSLAueP (Montag, 22 August 2022 10:47)
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