Es weht ein schauriger Hauch von Geschichte, wenn man durch die verwinkelten, mittelalterlichen Gässchen der Altstadt von Prag wandelt. Der Name Prag soll von „prahy“ (den Stromschnellen der Moldau) oder von „prazeny“ (niedergebranntes Land) stammen. Gebräuchlich ist allerdings vor allem die symbolhafte Bezeichnung „Goldene Stadt“. Ein Name, der sich nicht von den im Sonnenlicht golden schimmernden Fassaden und Turmspitzen herleitet, sondern vom ehemaligen deutschen Kaiser Karl IV.. Dieser wollte aus Prag eine fürstliche Metropole voller wirtschaftlicher und kultureller Blüte machen, und das ist ihm – trotz aller kriegerischer Greuel und systemischer Umstürze danach – auch gelungen.
Karl IV. war verantwortlich für den Bau der ersten Universität Mitteleuropas, der Karlsbrücke, des gigantischen St. Veits-Doms und einer weiteren Vielzahl von Kirchen und Prunkbauten der tschechischen Metropole. Sehenswürdigkeiten, die heute noch Millionen von Touristen nach Prag locken. Die 520 m lange Karlsbrücke ist seit 1357 die Verbindungsstrecke zwischen den Moldauufern, auf der 30 prunkvolle Heiligenfiguren mit religiös-historischem Hintergrund thronen (wie jene des durch einen Brückensturz ermordeteten Märtyrers Johannes von Nepomuk). Der Legende nach wurde beim Bau Eiweiß in den Mörtel gemischt. Sei´s wie´s sei – die Karlsbrücke hat nicht nur Weltkriege und seltsame Anglizismen („Charles Bridge“) überlebt, sondern auch die vielen (seit kurzem lizenzierungspflichtigen) Straßenkünstler und Gaukler, die die Touristenströme mit Souvenirs überschwemmen wollen. Echte Melancholie oder Romantik stellt sich aber sowieso erst ein, wenn man in der Abenddämmerung auf der Brücke Richtung Moldau blickt und man in übersinnlicher Eingebung Smetanas Musik-Epos geistig infiltriert. Dann wirken die in der Dunkelheit unheimlichen Heiligenfiguren auch etwas sanftmütiger als sonst.
Die Karlsbrücke, DAS Wahrzeichen Prags, war natürlich in Vorzeiten auch ein Teil des Krönungsweges der böhmisch-tschechischen Kaiser zwischen Altstädter Ring und dem Hradschin. Jenem Areal, das jeden historisch, bautechnisch und kulturell begeisterten Besucher Prags die Herzen höher schlagen lässt. Hervorstechend sind neben den vielen gotisch-barocken Häusern vor allem das alte Rathaus mit seiner astronomischen Uhr und der 60m hohen Aussichtsplattform, die Teynkirche, die St. Nikolaus-Kirche oder das Ehrendenkmal des Jan Hus, der sich gegen die Verweltlichung der Kirche wandte und schlussendlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Nur eine von (scheinbar unendlich) vielen Tragödien, die sich in der tschechischen Metropole im Laufe der letzten Jahrhunderte abgespielt haben. Vor allem der Wenzelsplatz mit seinem Reiterdenkmal, heute eine bunte Mixtur aus historischen Bauten, Hotels, Shopping Malls, Souvenirshops und Würstchenbuden, war im 20. Jahrhundert lokaler Mittelpunkt von historischen Revolutionen und Umstürzen. 1918 wurde hier die tschechische Unabhängigkeit ausgerufen, 1948 den Kommunisten zugejubelt. Am 21. August 1968 rollten die Panzer des Warschauer Paktes ein und beendeten den von Presse- und Meinungsfreiheit geprägten Prager Frühling. Am 16. Jänner 1969 übergoss sich der 20jährige Student Jan Palach als Protest gegen die Besetzung Prags mit Benzin – ein sorgsam gepflegtes Ehrendenkmal erinnert heute noch an ihn. Und auch das Ende des Kommunismus widerspiegelte sich auf dem Wenzelsplatz: Nur einige Tage nach einer brutalen Niederschlagung einer Studentendemo präsentierte sich dort im November 1989 der spätere Staatspräsident Vaclav Havel gemeinsam mit der Legende des Prager Frühlings, Alexander Dubcek, vor 750.000 Menschen, das KP-Regime trat wenig später zurück.
Seit 1993 sind Tschechien und die Slowakei separiert, unter dem neuen Präsidenten Vaclav Klaus fand Tschechien mit 77 %-Zustimmung der Bürger den Anschluss an die EU. 2007 trat das Land dem Schengen-Raum bei, wodurch man jetzt ohne Grenzkontrollen nach Prag reisen kann. Und dort anstatt mit Euro noch in Kronen zahlen muss. Vielleicht auch ein Mitgrund, warum man vor allem in den touristenferneren Bezirken Prags noch günstig einkaufen, speisen und trinken kann.
Apropos Trinken. Die Tschechen sind die Europameister im Bierkonsum und trinken durchschnittlich pro Jahr 162 Liter Staropramen, Gambrinus, Budweiser oder Pilsner Urquell. Bei Preisen von 1 Euro pro Krügerl kein Wunder. Die traditionellen Bierkneipen, („Pivnice“) sind aber vor allem auch ein gemütlicher Ort des Zusammentreffens verschiedenster Menschentypen und Berufsgruppen, bei der gerne auch über den Durst getrunken, gesungen und musiziert wird.
Wer Prag aus der Luft sehen will, der kann dies nicht nur von den Aussichtsplattformen des alten Rathauses und der Brückentürme der Karlsbrücke, sondern auch vom hypermodernen Fernsehturm von Zizkov und vom Eiffelturm. Wie bitte ? Zuviel ins Glas geguckt ? Nein, seit 1891 steht auf dem per pedes oder per Standseilbahn erreichbaren Hausberg der Prager, dem 318 m hohen Petrin, eine 60 m hohe Miniaturform des Eiffelturms, gebaut anlässlich der Prager Industrieausstellung.
Ein heißer Tip übrigens für einen Wanderausflug. Vom Petrin-„Gipfel“ gelangt man innerhalb einer halben Stunde durch einen Wald hindurch zum Kloster Strahov und zum Hradschin, dem Herrschersitz Tschechiens. London Calling dort vor den Toren in Form der Ablösen der attraktiven Burgwachen. 82 m ragt dort der St. Veits-Dom in die Höhe, die ehemalige Krönungskirche der Kaiser. Umso possierlicher wirkt da das „Goldene Gässchen“ mit seinen winzigen bunten Häusern. Legenden sprechen auch von alchemistischen Blei-Gold-Zaubereien dort, tatsächlich waren aber dort die Burgwacheleute untergebracht und viele Goldschmiede, die aufgrund strenger Zunftregelungen in der Altstadt dort ihr Brot verdienten.
Im Haus Nr. 22 residierte während des 1. Weltkrieges einst Franz Kafka, einer der großen Schriftsteller der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie, der einen Großteil seines Lebens in Prag verbrachte. Dass seine Werke und Roman(fragmente) wie „Der Prozess“ oder „Das Schloss“ überhaupt der Nachwelt erhalten blieben, verdankt man seinem Freund Max Brod, der sie gegen den testamentarischen Willen Kafkas veröffentlicht hat. Begraben wurde Kafka übrigens auf dem Jüdischen Friedhof im Stadtteil Josefov. Denkmal, Museum, Buchhandlung, Cafe und natürlich auch die Souvenir-Shirts deuten auf seine nachhaltige Wirkung in Prag.
Auch der pazifistische Ex-Beatle John Lennon wurde in der „Goldenen Stadt“ verewigt. Eine mit Graffitis besprühte Hippie-Mauer – genannt die „John Lennon“-Mauer – nahe der Karlsbrücke im Kampa-Künstlerviertel wurde zum Symbol des Kampfes gegen die Obrigkeit und gegen die Unterdrückung in den 80ern. Nach einer Überschwemmung der Moldau 2002 teilweise zerstört, wurde sie allerdings einem Remake unterzogen. Prag, Prager und Prager Denkmäler bringt eben so leicht keiner um.
Auch die Avantgarde-Kultur bekommt in Prag ihre Chance, so zum Beispiel im durchgestylten Museum für zeitgenössische Kunst. Provokateure wie David Cerny dürfen sogar das kultisch verehrte Wenzel-Reiterdenkmal ambivalent mutieren – zu sehen in der Lucerna-Passage nahe dem Original, wo der Reiter auf dem verkehrt hängenden Pferd sitzt. Das extravaganteste Gebäude Prags steht direkt am Moldauufer und wird liebevoll „Ginger & Fred“ genannt. Und tatsächlich: Frank Gehrys „Tanzendes Haus“ sieht wirklich so aus, als ob das geschwungene Gebäude mit dem senkrechten Nachbarbauwerk ein Tänzchen aufs Parkett legt.
Wenn es Nacht wird im schaurig-mystischen Prag, dann treibt es die Party People nicht nur in die Kneipen und Jazzbars, sondern auch in die Diskotheken. House, Disco, Drum & Bass, Hip Hop, 80´s und 90´s-Parties werden angeboten, in einem Club sogar alles unter einem Dach. Ehemals ein öffentliches Bad, bietet das Karlovy Lazne seit 1999 nahe der Karlsbrücke einen auf 5 Etagen platzierten „Five Story Club“ mit 5 unterschiedlichen Musikrichtungen, DJ´s und Bars. Etwas sehr kommerziell und bei den Treppenabgängen sehr heruntergekommen, der Mainstream-Touristenclub funktioniert allerdings – ohne Dresscode und vergleichsweise geringem Eintritt (150 Kronen = 6 Euro) - prächtig. Neuer Hype ist das im Erdgeschoß angesiedelte Ice Pub, bei der alle 30 Minuten neue Gäste mit Jacken und Handschuhen eingelassen werden und in einem mit minus 7 Grad abgekühlten Raum bei Cocktails und Heineken abfeiern können.
Ob Sightseeing-Tour, History-Deja-Vu, Kultur-Trip, Bierverkostung oder Disco-Party-Urlaub, Prag ist immer eine Reise wert. Und nicht nur ehemalige tschechische Einwohner kehren immer wieder gerne in die Goldene Stadt zurück. Auch ohne eine Münze in einen Brunnen zu werfen. Man ist ja schließlich nicht in Rom...