„I remember that summer in Dublin. And the Liffey, yes, it stank like hell. And the young people walking on Grafton Street, and everyone looking so well.” So Liam Reilly, der smarte, irische Songcontestzweite 1990 in Zagreb. Mit scharfzüngigen Aphorismen hat sich Irland und seine Metropole Dublin noch nie zurückgehalten, stammen doch viele Weltliteraten aus diesem Distrikt der Welt: Dandy-Gentleman Oscar Wilde, James Joyce, Samuel Beckett, Brem „Dracula“ Stoker, Jonathan „Gulliver“ Swift.
In Dublin direkt geboren ist auch einer der größten Musiker aller Zeiten, Sir Paul David Hewson alias Bono Vox, seines Zeichens Sänger der legendären irischen Band U 2. Eines ihrer ersten Videos „A Celebration“ drehten U 2 1982 im alten Gefängnis Kilmainham Gaol. Heute eines der spannendsten Guide-Highlights, war diese düstere Stätte früher Auffang- und Hinrichtungslager für die irischen Rebellen, die für die Unabhängigkeit Irlands von England kämpften. Höhepunkt war 1916 der Osteraufstand rund um Persönlichkeiten wie Michael Collins, James Connolly und James Larkin, die die römisch-griechisch architektonisierte GPO, die General Post Office, besetzten. Die tatsächliche Unabhängigkeit (von 26 der 32 Grafschaften Irlands) wurde zwar erst 1922 erreicht, die GPO, direkt gelegen an der Hauptstraße Dublins, der O´Connell Street, gilt aber als unumstößliches Symbol der Independence Irlands.
Düst man vom hypermodernen Terminal 2 des Dubliner Flughafens per Flughafenbus Richtung Innenstadt, dann ist die O´Connell-Street mit den zahllosen Buslinien – insgesamt gibt es in Dublin 200 -, Kaufhäusern, Touristenströmen und Denkmälern der erste Eyecatcher der irischen Hauptstadt. Daniel O´Connell, der Namensgeber der Straße, war im 19. Jahrhundert ein Kämpfer für die Gleichberechtigung der Katholiken und die irische Unabhängigkeit, allerdings mit gewaltlosen Mitteln. An ihn reihen sich Charles Parnell, ein nationalistischer Führer Ende des 19. Jahrhunderts, der sozialistische Aktivist und Mitgründer der Irish Citizen Army, James Larkin, und Father Theobald Matthew, ein geistlicher Vorkämpfer der Bewegung für Alkoholabstinenz. Ob dieser Kampf erfolgreich war, ist eine andere Frage. Die Iren stehen in der Trinkerhitparade Europas auf Platz 2 (hinter den Finnen). Von deren Rechtmäßigkeit kann man sich jeden Abend im Vergnügungsviertel Temple Bar überzeugen.
Konservative Dubliner meinen, dass der Konstrukteur des wohl auffälligsten Bauwerkes der O´Connell Street auch von einigen Substanzen berauscht war, als er „The (Millennium) Spire“ plante, eine 123 Meter hohe Edelstahlnadel, die in der Nacht leuchtet und seit 2003 als neues Wahrzeichen Dublins gilt. Das „Monument of Light“ wurde unter der Fittiche des britischen Architekten Ian Ritchie an der Stelle erbaut, an der früher die von der IRA 1966 gesprengte Nelson-Säule stand. Kosten: 4 Millionen Euro. Es hagelte nicht nur Preise, sondern auch Kritik. Locals bezeichnen die ambivalente „Spire“ auch als „Stiletto in the Ghetto“ oder „Stiffy by the Liffey“, als Jugendtreffpunkt und als Orientierungs-„Leuchtturm“ für Pint-berauschte Dubliner und Touristen hat sie sich aber mehr als bewährt.
Apropos Liffey – der Zentralfluss Dublins, der in den Grafschaften von Wicklow entspringt, war einst die natürliche Trennung zwischen dem nördlichen Arbeiterviertel und dem wohlhabenderen Süden Dublins. Damals gab es allerdings nur eine Brücke, jetzt gibt es zwanzig, und auch die Schichtunterschiede haben sich längst verflüchtigt. Bei einer Schiffsfahrt auf der Liffey hat man die Gelegenheit, die signifikanten Brücken Dublins vom Wasser aus zu besichtigen und deren geschichtlichen Background zu ergründen. Hervorstechend ist vor allem die Samuel Beckett Bridge, die – harfenartig – vom spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava entworfen wurde. Sie dient als Verbindungslinie in den Docklands, einer Gegend, die während des (leider schon vergangenen) Wirtschaftsbooms Dublins, der Zeit des „Keltischen Tigers“, mit Büro- und Wohnflächen revitalisiert wurde. Auch das International Financial Services Centre (IFCS) und das Convention Centre Dublin befinden sich dort, und trotz der Wirtschaftskrise gilt die irische Hauptstadt nach Antwerpen als zweitattraktivste Stadt Europas für Firmen-Hauptquartiere – Facebook, Google, Microsoft, Yahoo und neuerdings Twitter lassen grüßen.
An „Ups and Downs“ dürfte man in Dublin aufgrund der turbulenten History aber ohnehin gewohnt sein – die „Famine Figures“ im modernen Dockland-Areal deuten auf ein dunkleres Kapital irischer Geschichte hin, auf die Große Hungersnot aufgrund mehrerer Kartoffel-Missernten um 1850, als eine Million Iren starben und eine weitere Million Richtung Kanada, Australien und USA – mit Schiffen wie der auf der Liffey stationierten, neurestaurierten „Jeanie Johnston“ - auswanderte. Heute versuchen umgekehrt viele Europäer ihr Glück im krisengeschüttelten Irland – so wanderten in den letzten 8 Jahren 125.000 Polen nach Irland aus, die somit – noch vor den Briten (!) – die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe in Irland darstellen. Tour-Guides in Dublin meinen dazu spöttisch, im Unterhaltungsmekka Temple Bar könne man auf irische Trinksprüche verzichten, „Nastrovje“ reicht – die Barkeeper dort sind Polen.
Innerhalb der Stadtgrenzen Dublins leben übrigens derzeit offiziell um die 500.000 Einwohner (davon über 50 % unter 25 Jahren). Was sie alle eint (trotz der derzeitigen Krise) – immer freundlich, lächelnd, touristenfreundlich, eine Charaktereigenschaft, die der grantige Wiener erst lernen muss, vermutlich aber nie erreichen wird.
Politisch regiert in Dublin derzeit die Labour Party, die auch den Bürgermeister stellt (der jährlich durch den Stadtrat gewählt wird). Vertreten im Dublin City Council ist auch die Sinn Fein, die politische „IRA“-Partei, die – auch in Nordirland parlamentarisch vertreten – weiterhin (zu Recht) für ein Vereinigtes Irland eintritt. Dublin ist als Hauptstadt Irlands natürlich auch Sitz der irischen Regierung und des Parlaments, das im Leinster House südlich der Liffey tagt, ein Areal, das vor allem für seine georgianischen Bauten berühmt ist. Dort situiert ist auch die älteste Universität Irlands, das Trinity College, das 1592 von Königin Elisabeth I. (für protestantische Studenten) gegründet wurde. Hauptattraktion ist die 1732 gebaute Alte Bibliothek, in der neben 200.000 alten Texten das berühmte Book of Kells aufbewahrt wird. Am Trinity College studieren derzeit ca. 15000 Studierende, für EU-Bürger sind – abgesehen von Verwaltungsgebühren in der Höhe von ca. 1000 Euro - die Studiengebühren für EU-Bürger abgeschafft, sofern man einen Nachweis erbringen kann, dass das Studium am Trinity College im Heimatland anerkannt wird.
In der Nähe des begrünten Innenstadtcampus befindet sich die Haupteinkaufsstraße Dublins, die Grafton Street, auf der wohlbetuchte Shoppingsüchtige nach den neuesten Edelmarken Ausschau halten können. Subtile Musikliebhaber haben hier aber auch die Chance, die Nachfolger der „Commitments“ zu begutachten: Sympathische Straßenmusiker, die für ein paar Euros „Wonderwall“, „Back for Good“ oder „Country Roads“ in eigentümlicher Art und Weise präsentieren und den Kommerzwahnsinn der Einkaufsstraße vergessen machen. Für Musiker gilt Dublin übrigens aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen als Hot Spot: Man bezahlt in Irland als Musiker keine Steuern, vorausgesetzt, man hat seinen Wohnsitz in Irland und verbringt auch einen gewissen Teil des Jahres auf der „Grünen Insel“.
Ein Frauen-Denkmal, scherzhaft als „dish with the fish“, „tart with the cart“ oder „dolly with the trolley“ bezeichnet, direkt an der Kreuzung von Grafton Street und Suffolk Street, erinnert an die inoffizielle musikalische Hymne der Stadt Dublin, „Molly Malone“. „In Dublin's fair city, Where the Girls are so pretty, I first set my eyes, On sweet Molly Malone” – singen auch gerne mal die Multitasking-Busfahrer bei ihren Touristen-Fahrten. Das 1883 geschriebene Lied handelt über eine sexy Dubliner Fischhändlerin, die in der Nacht als Prostituierte arbeitete und in jungen Jahren an Fieber starb. Verwendet wurde es auch im Kult-Film „Clockwork Orange“, gesungen von einem betrunkenen Landstreicher.
Wer sich auf religiösen Pfaden bewegen will, der sollte bei seinen Sightseeing-Tours keineswegs auf die St. Patrick´s Cathedral (benannt nach dem Nationalheiligen Irlands) und die Christ Church Cathedral verzichten. Bonmot dazu: Die beiden bekanntesten Dubliner Kirchen gehören beide zur Anglikanischen Church of Ireland, obwohl 84 % der Iren Katholiken sind. Empfehlenswert ist auch eine Tour südlich Dublins Richtung Wicklow Mountains, dem „Garten Irlands“. Deren niedrige Gebirgszüge – die höchste Erhebung ist der Lugnaquilla mit 925 m Höhe – dienten u.a. als wunderschöne Naturkulisse für Filme wie „Braveheart“ oder „P.S. I love you“, aber auch als Rückzugsort für Popstars wie Paul Mc Cartney (der angeblich hier „Yesterday“ schrieb) oder Michael Jackson. Inmitten der Gebirgskette liegt Glendalough („Gleann Da Loch“ = „Tal der zwei Seen“) mit Ruinen der damaligen Klostersiedlung, die vom Hl. Kevin (dem Stadtpatron Dublins) im 6. Jhdt. gegründet wurde, und den beiden bezaubernden Seen (Upper Lake, Lower Lake), ideal als Wanderungsroute geeignet.
Per Rad erkundbar ist der 3 km vom Stadtzentrum Dublins entfernte Phoenix Park, mit 8 km2 einer der größten Parks Europas, in dem sich u.a. der Wohnsitz der irischen Präsidentin und des amerikanischen Botschafters, das Hauptquartier der irischen Polizei, und der Dublin Zoo befinden. Besonders hervorstechend ist das 62 m hohe Wellington Monument, ein Obelisk für den First Duke of Wellington, Arthur Wellesley, der Napoleon in Waterloo 1815 besiegte. Der Phoenix Park war u. a. auch Schauplatz einer Papst Johannes Paul II. - Messe vor 1,2 Millionen Menschen (1979) und eines Robbie Williams-Konzertes. In der Nähe des Parkes befindet sich übrigens nicht nur mein Dublin-Hotel (Phoenix Park House), sondern auch das Pub Nancy´s Hand, das mit dem Dublin Pub of the Year Award ausgezeichnet wurde. Kein Wunder, ist das riesige Pub mit zahlreichen Guinness-Antiquitäten und einem Original-Treppenaufgang des Trinity Colleges ausgestattet. Dass wir bei unserem Aufenthalt ausgerechnet dort die 1:6-Niederlage Irlands gegen Deutschland im 2010 errichteten Aviva Stadium miterleben mussten, ist eine Tragik des Schicksals. Doch die Iren haben dieses Debakel bereits vor dem Spiel erwartet, das „Ich habe fertig“ des auch in den Boulevardmedien ungeliebten Trainers Giovanni Trappatoni scheint nur mehr eine Frage der Zeit.
Die Iren sind allerdings gewohnt, den Ärger über die Soccer-Versager mit ein paar Guinness runterzuspülen: Guinness Bier, die legale Droge der Iren, dessen erste Brauerei 1759 von Arthur Guinness in Dublin gegründet wurde. Die Geschichte des dunklen Bieres kann man ergründen im 7stöckigen Guinness Storehouse, das wie ein Riesen-Pint (mit dem Fassungsvermögen von 14,3 Millionen) designt ist. Ganz oben an der Gravity-Bar fühlt man sich dann wie Barack Obama, Bill Clinton, Brad Pitt oder Pink, die dort ebenso ihr Guinness bei Betrachtung der wunderschönen Landscape Dublins genossen. Die Guinness-Brauereien gehören heutzutage allerdings dem britischen Diageo-Getränkekonzern mit Sitz in London.
Genug der Aufwärmübungen, es geht Richtung Temple Bar. Ursprünglich als Busbahnhof gedacht, mauserte sich der lang verwahrloste Stadtteil südlich der Liffey zum Künstler- und Studentenviertel und zum Nightlife-Hot Spot. Unzählige Pubs mit cooler Live-Musik und Dance-Clubs a la Alchemy oder Club M lassen die Anzahl der getrunkenen Pints leicht vergessen. Verirren kann man sich aber kaum – die hell erleuchtete Millennium Spire wacht über die exzessiv feiernden Dubliner Party People. Eine muss es ja tun...