"Geheimdienste fiebern im Sammelrausch, Regierungen spielen den Datentausch, gefangen im Netz, gegen jedes Recht und Gesetz" – Diese Texte stammen nicht von den Fanta 4, einer Berliner Undergroundcombo oder radikalen Netzaktivisten. Nein, sie stammen von einem, der immer "mitten im Leben" stand. Und leider seit 21. Dezember 2014 nicht mehr im Leben steht. Zumindest physisch. Denn seine Lieder, Texte und Botschaften werden die Zeit lange überdauern: Udo Jürgens, vielleicht der letzte österreichische Entertainer mit Weltformat.
Die ersten Songs von Udo Jürgens hörte ich bereits als Kleinkind in den 70ern, damals noch mit legendären Cassetten. Und er verschwand die letzten Jahrzehnte keinen Moment aus den Boxen, bei mir nicht und bei vielen anderen Generationen. Wir spielten seine Gassenhauer bei Balldiskotheken, tanzten berauscht zu "Griechischer Wein" in den Lokalkneipen am Kärntner Klopeinersee, im Fernsehen sah man ihn bei "Wetten, dass", bei Peter Alexander, gemeinsam mit Falco. Bei der Regenbogenparade in Wien tanzte die Gay Community sehnsuchtsvoll zu seinen faszinierenden Schlagertiraden, er spielte auf der Donauinsel vor über 200.000 Menschen, ausverkaufte jegliche Stadthallen Europas und präsentierte alle paar Jahre ein neues Album, das nie retro, sondern immer am Puls der Zeit war.
Die Karrierehöhepunkte von Udo nachzuerzählen, würde Bände füllen und hat dies auch. Sein autobiographischer Roman "Der Mann mit dem Fagott", mitverfasst von seiner letzten Lebensgefährten Michaela Moritz, wurde auch ein TV- und DVD-Erfolg. Dass Udo nicht so "endete" wie viele seiner unzufriedenen Künstler-Kollegen (a la Roy Black oder Rex Gildo), hatte viele Faktoren: Sein Streben, nicht nur Geld zu verdienen, seine Liebe zu künstlerisch hochwertigen Chansons (die auch von Sammy Davis jr. oder Shirley Bassey vertont wurden), sein Ehrgeiz, sein außergewöhnlichen Talent und auch sein grandioses Management, allen voran Hans Rudolf Beierlein, der den sensationellen Songcontest-Sieg Udos mit "Merci Cherie" im 3. Anlauf strategisch vorbereitete.
Udo Jürgens verkaufte in seiner Karriere über 100 Millionen Tonträger, nahm 52 Alben auf und über 100 Songs. "Griechischer Wein", seine einzige Nr. 1 in Deutschland, ist vielleicht sein größter Gassenhauer, Apres Ski- und Mallorca-Party-Highlight und gleichzeitig eine faszinierende Hymne über griechische Gastarbeiter, die in ihrer Stammkneipe ihrer Heimat nachtrauern und sich wie Fremde in ihrem neuen Aufenthaltsland fühlen. "Unterhaltung mit Haltung" – so definierte Udo Jürgens sein künstlerisches Wirken. Beim "ehrenwerten Haus" war es ein Angriff auf die heuchlerische Spießbürgerlichkeit der Bürger, bei "5 Minuten vor 12" ein Appell an den Umweltschutz, beim brandaktuellen "Gläsernen Menschen" ein Wachrütteln der Menschen, sich nicht von den sozialen Medien und dem Datenpleonasmus unterdrücken zu lassen und sich auf die natürlichen Triebe rückzubesinnen. "Liebe bleibt Liebe, im Wandel der Welt, von Mode und Fortschritt und Stil, Liebe bleibt Liebe, sie bleibt alle Zeit, ein unschlagbar gutes Gefühl", so in einem Lied seines letzten Albums.
Und Udo war Zeit seines Lebens auch ein Liebling der Frauen: Zweimal verheiratet, 4 Kinder, dutzende (auch kolportierte) Affären. Obwohl er beteuert "Ich war nie ein Verführer, sondern immer der Verführte". In diesem Sinne ein Widerspruch zu seinem Lieblingssong "Ich weiß, was ich will" aus dem disco-orientierten "Udo 80"-Album.
Auch politisch entfachte Udo Jürgen Bockelmann – so sein gebürtiger Name – immer wieder spannende Debatten. Eine gewisse Ambivalenz seinerseits – die man vielen "öffentlichen Personen" gerne wünschen würde – kann man hier nicht leugnen, die er selbst auch kongenial zitierte: "Den Rechten war ich zu links, den Linken nicht links genug“.
Udo Jürgens war mit Jörg Haider befreundet, lehnte aber Zeit seines Lebens rechts- und linkspopulistische Strömungen ab. Er kritisierte aber im Gegenzug auch Angriffe von Ausländern gegen unser Rechtssystem und unsere Kultur. Verwunderlich zeigte er sich noch im September 2014 über die Lethargie der agierenden Politiker in der Religionsthematik: "Es scheint wichtiger, dass FC Bayern im Fußball gewinnt, als der Frage nachzugehen, ob der Islam eine Gefahr für uns darstellt."
Seinen letzten Auftritt hatte Udo Jürgens am Christtag in der (aufgezeichneten) Helene Fischer-Show. Es ist sehr traurig, dass Udo Jürgens – nach dem sensationellen Songcontest-Sieg seiner legitimen Nachfolgerin Conchita Wurst – bei der Austragung in Wien nicht mehr dabei sein kann.
"Ich war noch niemals in New York", das Musical mit 23 Songs des Ausnahmekünstlers, wird vermutlich ausverkauft Ende März in Berlin für Furore sorgen. Der 82er-Titelsong, der die Sehnsucht nach einem neuen Leben und die innere Angst, diesen Schritt zu wagen, beschreibt, bewirkt indessen eine gewisse innere Beklemmung. Eines Tages ist es zu spät, die Dinge zu machen, die man sich jahrelang erträumt hat. Und dazu gehört – aus meiner Sicht – leider auch, Udo Jürgens live einmal erlebt zu haben...
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