"We are the Heroes of our Time" – so lautet der poppig-housige Siegerhit des diesjährigen Songcontests in Wien. Und trifft damit direkt in das Musik-Selbstbewusstsein der Schweden. Die Nation in Nordeuropa ist tatsächlich zur Supermacht des Pops arriviert, und das nicht nur beim alljährlichen Eurovisions-Festival: Abba, Roxette, Ace of Base, Dr. Alban, EDM-Hero Avicii und jetzt nach Loreens "Euphoria" 2012 bereits der 6. schwedische ESC-Triumph – nur Irland hat mehr Siege (7) – durch das fesche 28jährige Multitalent Mans Zelmerlöw.
Und das, obwohl dieser eigentlich mit kontroversen Aussagen wie "Es ist nicht normal, wenn Männer miteinander schlafen" die Gay Community, neben den Frauen, die Hauptzielgruppe des gewohnt trashig-schrillen Songcontests, durchaus beleidigen hätte können. Hat er – nach einer Entschuldigung – aber nicht, und das ist gut so.
Der Songcontest bewegt sich immer mehr in Richtung kommerziellen, top-produzierten Pop-Mainstream, und so sind – im Gegensatz zu früheren Wettbewerben – die bestplatzierten Titel alle chartskompatibel: Die Russin Polina als Zweitplatzierte (die skandalöserweise von Besuchern der Stadthalle der politischen Agitation wegen ausgebuht wurde), die San Remo-Gewinner Il Volo (deren Opern-Pop-Schnulze "Grande Amore" bei den Televotings den ersten Platz belegte), das Lorde-angehauchte "Rhythm Inside" des 18jährigen belgischen Newcomers Loic Nottet, vom australischen Superstar Guy Sebastian auf Platz 5 gar nicht zu reden, der auf dem Rathausplatz ein exzellentes Live-Konzert gab und den Songcontest für einen Karrieresprung Richtung Europa nützte.
Musikalisch en vogue auch Estland mit dem düsteren Duett "Goodbye to Yesterday", Serbiens "Beth Ditto"-Verschnitt Bojana Stamenov, die Eurovision-Village-Favourites aus Israel oder Sloweniens Indie Popper Maraaya, die speziell für Wien einen eigenen Clip kreierten. Die österreichischen Makemakes konnten da leider nicht mithalten und belegten mit einem 70er-Retro-Track, der sogar zu dieser Zeit schon zu altmodisch gewesen wäre, gemeinsam mit der Deutschen Ann Sophie den letzten Platz. Mit Zero Points. Österreich ist damit bisher das einzige Gastgeberland mit Null Punkten und Rekordhalter mit 4 Nullern (Eleonore Schwarz, Wilfried, Thomas Forstner und jetzt die Makemakes), hat aber mit 35 anderen Interpreten die (zweifelhafte) Ehre, Teil der Ausstellung "Nul Pointers" von Tex Rubinowitz zu sein. Zu sehen im Leopold-Museum noch bis 8. Juni :-)
Glänzen konnte dagegen Wien als Veranstaltungsort des unter dem Motto "Building Bridges" stehenden 60. Songcontestes, wenn auch die Hotels "nur" zu 70 % ausgebucht waren. Wer nicht live in der (ansonsten wenig glamourösen) Stadthalle vor der aus 1300 Teilen bestehenden Hi-Tech-Bühne inkl. schicker LED-Wall mit dabei war, konnte an den zahlreichen Public Viewing-Locations seiner Lieblingsnation die Daumen drücken.
Epizentrum der ESC-Fans war die Eurovision Village am Wiener Rathausplatz, wo die Life-Ball-Bühne mit der "Secessions-Kuppel" gleich als Live Screen genützt wurde. Warum hier mehr Tourismus- und Traditionsstände vorhanden waren als Gastronomie (und Toiletten), sollte man die sicher nicht billigen drei beteiligten Event-Agenturen mal fragen. Begeisterung pur aber trotz kalten Temperaturen mit Fans aus aller Welt bei der Fashion Show am Montag, den Live-Auftritten der "Big Five" und den Übertragungen der Semifinali und des Finales. Am Tag der Entscheidung war die Village mit über 25.000 Besuchern zwischen Rathaus und Burgtheater gerammelt voll, die sofortige Räumung nach der TV-Übertragung "aus logistischen Gründen" war allerdings nicht ganz nachvollziehbar.
Der ORF freute sich über 1,9 Millionen Zuschauer, davon 1,5 Millionen bei der Entscheidung nach Mitternacht. 6 Millionen Tweets zeugen von der Popularität des Songcontests auch in den Social Networks. Schwedens Songcontest-King Mans feierte im Euro-Klub der Ottakringer Brauerei, andere im U4, der Pratersauna oder in den zahllosen Gay-Clubs der Bundeshauptstadt, wo man sicherlich auch auf die erfolgreiche Volksabstimmung über die "same-sex-marriage" in Irland anstieß.
Im Morgengrauen war Wien bereits Songcontest-Geschichte, Sieger Mans und seine – am Gewinn nicht unbeteiligten – Strichmännchen düsten ab in die Heimat. Wir freuen uns bereits jetzt, auf den ESC 2016 in Schweden...
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tsSLAueP (Montag, 22 August 2022 11:24)
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