Wie einst in den grungigen 90ern: Selig mit neuem Album „Kashmir Karma“ im Flex!

Es war einmal eine Zeit, hin- und hergerissen zwischen Hedonismus und Depression, als fünf Jungs aus Hamburg die Band Selig gründeten. Das erste Album erschien kurz vor dem Selbstmord des Alternative-Helden Kurt Cobain, trotzdem oder gerade vielleicht deswegen trafen der charismatische Sänger Jan Plewka und seine Band den Puls der Zeit. Mit lasziv-hypnotischen Hymnen wie „Ohne dich“ und „Sie hat geschrien heut Nacht“ und einem Sound irgendwo zwischen Grunge, Doors und US-Garage Rock, Selig nannten ihn selbst „Hippie Metal“. Auch die VIVA-MTV-Generation war von ihren an den Grenze der Zensur watenden Videos begeistert, „Wenn ich wollte“ gewann sogar den Echo 1995. Nach der dritten, eher pop-lastigen CD „Blender“ (1997) war plötzlich Schluss: Tour-Stress, Streitigkeiten, die Chemie passte zwischen den eng aneinander geschweissten Bandmitgliedern nicht mehr. Keiner hätte damals eine deutsche Mark auf eine Reunion von Selig gewettet.

 

2008 geschah allerdings das Wunder, Selig waren wieder da, und das sogar in Originalbesetzung. 9 Jahre später stellten sie im Wiener Kult-Club Flex ihr neues Album „Kashmir Karma“ vor, aufgenommen in einer weit abgelegenen schwedischen Hütte. Sänger Jan Plewka ist auch 24 Jahre nach der Erstgründung noch immer der mitreißende Bühnenstar, egal ob bei Klassikern wie „Ist es wichtig“ oder neuen Stimmungshits wie „Alles ist nix, wenn du nicht da bist!“ Von der Band gar nicht zu sprechen: Bassist Leo Schmidthals, Gitarrist Christian Neander und Drummer Stephan Eggert liefern astreinen Rock-Sound mit zahlreichen Soli, erprobt durch jahrelange Bühnenerfahrung bei Festivals, Stadthallen oder Regionalschuppen. Nicht mehr dabei ist Keyboarder Malte Neumann, der Sound hat sich dadurch vom Electronic-Pop des „Magma“-Albums wieder mehr entwickelt zum originären Selig-Style der 90er. 

 

Psychedelisch angehaucht sind vor allem der Titeltrack des neuen Albums und der Konzert-Opener „Unsterblich“, mit Zeilen wie „Ich fühle mich unsterblich. Zeit ist ein Raum. Die Welt ist ein Traum.“ Die Ballade „Wintertag“ wurde an einem Tag produziert und zählt zu den gefühlvollen Highlights jedes Gigs. Politische Messages stehen nicht im unmittelbaren Mittelpunkt der Selig-Songs. Die liefert Sänger Plewka mit seinen Kurz-Ansagen an das Publikum. Mit heftiger Kritik an die „wenigen da oben“, die mit ihren Entscheidungen nur Ungerechtigkeit und Hass entfachen und einem Appell an die „Mehrheit da unten“, sich dagegen zu stemmen. Trifft zumindest auf das Konzert-Publikum zu, ob auch auf die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung, ist nach den letzten Wahlen eher anzuzweifeln.

 

Ansonsten ist heiße Party-Stimmung angesagt, zu Tracks wie „Nimm mich so wie du bist“, „Lebenselixir“ und „Schau, schau“, und da steht Plewka schon mal ohne T-Shirt da. Mit einem witzigen Seitenhieb auf „unseren“ Marco Michael Wanda: „Hier ist es so heiß. Jetzt ist mir klar, warum der von Wanda immer nackt auf der Bühne herumhüpft.“

 

Nach „Wir werden uns wiedersehn“ verabschieden sich Selig von ihren Wiener Fans. Und kommen kongenial wieder mit drei Zugaben, einem Block ihrer Breakthrough-Hits aus dem ersten Album („Sie hat geschrien“, „Wenn ich wollte“, „Ohne dich“), „Kashmir Karma“ und einem Akustik-Abschied mit „Regenbogenleicht“. Und dem subtilen Wink, positiv in die Zukunft zu schauen. Trotz aller Widrigkeiten.