Brutalismus am Stadtrand: Die Wotrubakirche und ihre mysteriöse Entstehungsgeschichte!

Eine historisch gewachsene Stadt wie Wien lebt von ihren Sagen, Legenden, Mythen, Gerüchten und Geschichten. Jene der Wotruba-Kirche im 23. Bezirk klingt wie ein ausgeklügelter, raffinierter Geheimdienst-Roman a la 007 Ian Fleming oder John Le Carre. Im Gegensatz zu diesen ist sie aber wahr.

 

Im Mittelpunkt steht die 29jährige Beamtin Margarethe Ottillinger, die 1948 gemeinsam mit dem Minister für Wirtschaftsplanung, Herbert Krauland, über die Ennsbrücke St. Valentin von der amerikanischen in die sowjetische Zone einfährt und dort festgenommen wird. Während Krauland aufgrund seiner Immunität und mit brisanten Unterlagen (wie dem Marshallplan) die Fahrt fortsetzen darf, wird Ottillinger in Isolationshaft gesperrt, laufend verhört und als US-Spionin angeklagt. 1949 wird sie zu 25 Jahren Gulag-Lager verurteilt und in ein Sumpflager von Potma südostlich von Moskau gebracht. Für viele ein Todesurteil aufgrund der Seuchen, der Infektionen und des Sumpffiebers. Die Kämpferin Ottillinger schwört, sollte sie je wieder nach Österreich zurückkehren, dort eine Kirche zu bauen.

 

Wer mit dem Bus 60A Richtung Liesing fährt, der weiß, dass Ottillinger es geschafft hat. Am Georgenberg steht auf dem Areal der ehemaligen Luftnachrichtentruppen-Kaserne die aus riesigen Betonblöcken bestehende Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit, die nach ihrem Schöpfer, dem Bildhauer Fritz Wotruba, benannt wurde. 

 

Freigelassen wurde Ottillinger im Laufe der Staatsvertragsverhandlungen, im Juni 1955 kam sie schwer krank in Wiener Neustadt an und wurde 1956 seitens der sowjetischen Behörden freigesprochen. Nach einer kurzen Erholungsphase stieg sie wieder in die Wirtschaft ein und wurde OMV-Vorstandsdirektorin. In dieser Funktion verhandelte sie auch die österreichischen Gas- und Erdöllieferverträge mit der Sowjetunion..

 

Der Traum von der Kirche war allerdings nicht ausgeträumt. Die Gestaltung des von Ottillinger initiierten Gottestempels passt sich dabei in ihrer Dimension durchaus der Lebensgeschichte Ottillingers an. Der Bildhauer Wotruba wollte nach eigenen Worten: „Etwas gestalten, das zeigt, dass Armut nicht hässlich sein muss, dass Entsagen in einer Umgebung sein kann, die trotz größter Einfachheit schön ist und auch glücklich macht.

 

Der während des 2. Weltkriegs emigrierte Künstler konzipierte gemeinsam mit dem Architekten Fritz Gerhard Mayr eine Kirche, die aus insgesamt 152 rohen Beton-Blöcken zwischen 0,84 m3 und 64m3 und verschieden hohen Fensteröffnungen besteht. Der höchste Block misst 13,10 Meter.

 

Brutalismus nennt sich der um 1950 entstandene Architekturstil, dessen bevorzugter Werkstoff roher Beton ("beton brut") ist und der durch ein kompromissloses Erscheinungsbild mit klaren geometrischen Körpern geprägt ist. Gegner bezeichnen diesen Baustil auch als "ästhetischen Vandalismus". Kein Wunder vor allem in Österreich, dass es fast 10 Jahre dauerte, bis 1974 mit dem Bau der Kirche begonnen wurde.

 

Wotruba selbst erlebte die Fertigstellung seiner Kirche im Oktober 1976 nicht mehr, er starb ein Jahr zuvor. Der Platz vor der Kirche wurde zu Ehren der 1992 verstorbenen Managerin und Initiatorin 2013 in Ottillinger-Platz benannt.

 

Die römisch-katholische Wotruba-Kirche ist heute nicht nur ein Wallfahrtsort für Architekturstudenten und Avantgarde-Touristen, sondern wird gemäß ihres originären Zwecks natürlich auch für Gottesdienste genützt. Geöffnet ist derzeit am Samstag von 14 bis 20 Uhr und am Sonntag von 9 bis 16.30 Uhr.

 

Bis Mitte 2019 wird vor der Kirche auch ein Lift errichtet, sodass Behinderte und Mütter mit Kindern das Gotteshaus barrierefrei betreten können. Denkmalamt und Architekt Mayr sprachen sich im Vorfeld gegen diese "Basisveränderung" aus, das Bundesverwaltungsgericht genehmigte den Zubau. Die Wege zu Gott dürfen nicht beschränkt werden.