Stockholms Electro-Pop-Mozart: In Memoriam Avicii (1989-2018)!

"Some of us dance and sing to Abba or Avicii." Ein legendärer Satz des US-Präsidenten Barack Obama, den er 2016 bei einer Tischrede im Rahmen des US Nordic Leaders Summit in Washington ausgesprochen hat. Der Schwede Tim Bergling, der sich seit Beginn seiner Karriere das Pseudonym Avicii (abgeleitet von Avici, der tiefsten Ebene der buddhischen Unterwelt) zugelegt hat, war damals einer der erfolgreichsten DJ´s und Produzenten weltweit. Am 20. April 2018 wurde er - mit 28 - in einem Hotel in Oman tot aufgefunden. Ein Statement seiner Familie deutet auf Selbstmord hin.

 

Geboren wurde Avicii am 8. September 1989 in Stockholm. Er war der Sohn von Klas Bergling und der Schauspielerin Anki Liden. Avicii besuchte dasselbe Gymnasium wie seine DJ-Kollegen Alesso und Otto Knows. Sein größtes Ziel war bereits damals, ein erfolgreicher House-DJ zu werden. Fehlstunden in der Schule waren "begründet" durch Auflegen in einschlägigen Clubs. 2008 kurz nach seinem Schulabschluss gewann Avicii den Pete Tong-Fast Trax Wettbewerb, als Gewinn winkte eine gemeinsame Produktion ("Manman") mit der britischen DJ-Legende. Bereits ein Monat später unterschrieb Avicii - mit 18 - einen Plattenvertrag bei "At Night Management".

Nicht die renommierte schwedische Hit-Factory ebnete den Weg Aviciis in die Clubs und Charts, sondern die französische Dance-Szene. Gemeinsam mit dem French House-DJ Sebastien Drums coverte Avicii den 1999er-Klassiker "My Feelings for you" der französischen House-Avantgardisten Cassius.

 

Unter seinem (fast) echten Namen "Tim Berg" veröffentlichte Avicii "Seek Bromance", eine Mischung seines Electro House-Tracks  "Bromance" mit den Vocals des Samuele Sartini-Titels "Love U Seek". Das Video mit Drogenmissbrauch und einem sexuellen Threesome wurde in den USA verboten. Was dem Erfolg nicht entgegensteht, im Gegenteil.

 

Im Jahr 2011 folgte dann "Levels". Manager und Produzent Arash Pournouri ahnte im Vorfeld der Veröffentlichung bereits, dass dieser Track wie eine Bombe einschlagen werde. "Schuld" daran sind nicht nur die Happy Electro House Vibes von Avicii, sondern auch das geniale Sample von Etta James "Something´s got a Hold on me". Fasziniert davon war auch Rapper Flo Rida, der kurz danach mit "Good Feeling" die schwedische Hit-Mixtur in die amerikanischen Charts transferierte.

 

In den weltweiten DJ-Mag-Charts belegte Avicii Ende 2011 bereits Platz 6, ein Jahr später stieg er auf Platz 3. Dazwischen lagen zahlreiche Auszeichnungen für "Levels" (Best Electro/Tech House Track bei den International Dance Music Awards), die Krönung zum "Best European DJ" und eine Nr. 1 in den englischen Charts gemeinsam mit dem DJ-Kollegen Nicky Romero ("I could be the One"), genial promotet durch ein "Aussteiger"-Video einer gelangweilten Büroangestellten.

Im Jahr 2013 fand nach dem Loreen-"Euphoria"-Sieg der Songcontest in Schweden statt, den Titelsong "We write the Story" komponierte Avicii zusammen mit den ehemaligen ABBA-Mitgliedern Benny Andersson und Björn Ulvaeus.

 

Es sollte gleichzeitig auch das Jahr werden, in dem Avicii den ultimativen kommerziellen Durchbruch schaffte. Die mit Aloe Blacc aufgenommene Single "Wake me Up" erreichte weltweit Platz 1 und stieß sogar in den Hip Hop-R&B-lastigen US-Charts auf Platz 4 vor. Das erste Album "True", das im September 2013 erschien, war ähnlich konzipiert wie die erste Singleauskoppelung: Vocals talentierter Sänger (wie Audra Mae, Salem Al Fakir oder Queen-Live-Frontman Adam Lambert), präpariert mit melodischen Beats von Avicii. Vor allem der mit US-Countrysänger Dan Tyminski aufgenommene Track "Hey Brother" begeistert weltweit die Party People. Da kann Avicii verschmerzen, dass der "Underground" die "Kommerz"-Hymnen weniger goutierte.

 

Aufträge internationaler Stars kamen nach dem gigantischen Erfolg Aviciis en masse: Mit David Guetta produzierte Avicii "Lovers on the Sun" und "Sunshine", das für den Grammy nominiert wurde, für Coldplay deren Superhit "A Sky Full of Stars". Der FIFA-Song 2014, "Dar Um Jeito", entstand als Zusammenarbeit von Carlos Santana, Wyclef Jean und Avicii. Robbie Williams enterte mit Hilfe des Stockholmer DJ´s wieder die US-Charts ("The Days"). Madonna ("Devil Pray"), Daft Punk, Lenny Kravitz ("Superlove") oder Faithless ("Insomnia") ließen sich ebenfalls von Aviciis positiven Dance Vibes inspirieren.

 

Unglaubliche 28 Millionen Dollar soll Avicii im Jahr 2014 verdient haben. Ohne es an die große Glocke zu hängen, spendete der Schwede hohe Summen an internationale und nationale Hilfsorganisationen.

 

Das zweite Album "Stories" wurde im Jahr 2015 veröffentlicht, an dem wieder zahlreiche Gastsänger mitwirkten. "Waiting for Love" (in Zusammenarbeit mit DJ-Youngster Martin Garrix) und "A Better Day" waren zwar nicht so erfolgreich wie ihre Vorgänger, erreichten aber trotzdem hohe Chartplatzierungen und durch Special Remixes auch die EDM-Community.

 

Nach seinem Auftritt beim Ultra Music Festival Ende Februar 2016 kündigte Avicii überraschend das Ende seiner Bühnenkarriere an. 700 Shows soll der schwedische DJ in 3 Jahren absolviert haben, die ihren Tribut zollten: Gesundheitliche Probleme von einer chronischen Entzündung der Bauchspeicheldrüse, der Entfernung der Gallenblase bis Panikattacken, zu viel Alkohol und Erschöpfungszustände. Bei einem seiner Gigs wurde der deutlich abgemagerte Mega-DJ sogar per Krücken auf die Stage gebracht. Aviciis letzte umjubelte Show fand am 28. August 2016 in Ibizas berühmt-berüchtigtem Open Air-Club Ushuaia statt.

 

Im Dezember 2016 trennte sich Avicii von seiner Plattenfirma und seinem Manager Arash Pournouri, der mitverantwortlich war für seinen Durchbruch und Höhenflug, allerdings auch die stressigen Termine rund um den Erdball organisierte. Zitate aus der Netflix-Doku „True Stories“ wie „Tim wird das nicht überleben. Die ganzen Interviews, die Touren, all das - er wird tot umfallen“ werfen nachträglich kein gutes Licht auf den Ex-Manager. 

 

Abseits der Öffentlichkeit produzierte Avicii in seinem Studio neue Tracks, die im August 2017 als EP mit dem Titel „Avici“ erschienen. Darunter befanden sich Zusammenarbeiten mit dem schwedischen Musiker Sandro Cavazza (die erste Single „Without you“), dem Londoner Duo Aluna George („What would I change it to“) und Rita Ora. Deren Projekt mit Avicii, „Lonely Together“, wird zur letzten Veröffentlichung zu seinen Lebzeiten.

 

Am 20. April 2018 wurde Avicii tot in einem Hotel nahe der omanischen Hauptstadt Maskat aufgefunden. Fremdverschulden wurde nach einer Autopsie ausgeschlossen, die genaue Todesursache wurde nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben.

 

Ein Statement der Familie Berglings deutet auf Selbstmord hin.

 

"Unser geliebter Tim war ein Suchender, eine zerbrechliche Künstlerseele, die sich immer mit den großen existenziellen Fragen herumgetragen hat. 

 

Ein überambitionierter Perfektionist, der reiste und in einem Tempo arbeitete, das zu extrem schwerem Stress führte. 

 

Als er damit aufhörte, auf Tournee zu gehen, wollte er die Balance im Leben wiederfinden, damit es ihm gut geht und er das machen kann, was er am meisten liebte - Musik. 

 

Er hat wirklich gerungen mit dem Nachdenken über den Sinn, das Leben, das Glück. Jetzt hat er es nicht länger geschafft. Er wollte Frieden haben. 

 

Tim war nicht für die Maschinerie gemacht, in der er landete. Er war ein feinfühliger Junge, der seine Fans liebte und das Rampenlicht scheute. 

 

Tim, du wirst für immer geliebt und vermisst werden. Wir werden dich und deine Musik immer in unseren Erinnerungen an dich weitertragen. 

 

Wir lieben dich. 

 

Die Familie" 

 

Die Bestattung von Tim Bergling findet in kleinstem Familienkreis statt. "Wake me up, when it´s all over" ist eine traurige Illusion, die positiven Vibes von Avicii werden die Party-Freaks noch viele Jahrzehnte erfreuen, wenn nicht länger.