Was ist der Haupt-Unterschied zwischen Nationalratsabgeordneten und Mindestsicherungsempfängern? Die Parlamentarier erhalten - abseits von Gagen aus Zweit- und Nebenjobs, Spesen, Gesellschaftsbeteiligungen, Funktionärsentschädigungen,.. - ein Mindestgehalt von 8931 Euro 14 mal im Jahr. Den Ärmsten der Armen wird aufgrund der mehrheitlichen Beschlüsse der schwarz-blauen Abgeordneten nicht einmal ein garantierter Mindestbetrag gewährt. Und das im viertreichsten Land der EU, in Österreich, das seit der Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ unter dem Damoklesschwert des gnadenlosen Sozialabbaus steht.
Am 25. April 2019 wird das neue Sozialhilfe-Grundsatzgesetz beschlossen, das am 1. Juni in Kraft tritt und die Länder zu der Erlassung von Ausführungsgesetzen bis Ende 2019 verpflichtet. Im Gegensatz zur Vorgängerregelung wird mit dem Netto-Ausgleichszulagen-Richtsatz (von aktuell 885,47 Euro) eine Höchstgrenze festgesetzt. Ein Betrag, der weit unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1238 Euro monatlich liegt. Für Paare gibt es maximal 140 % des Ausgangsbetrages (1239,66), das sind 88,55 Euro monatlich weniger als bisher.
Radikale Einschnitte drohen für kinderreiche Familien. Die Kinderzuschläge werden, anders als in der alten Bund-Länder-Vereinbarung, gestaffelt. Statt mindestens 18 % pro Kind sind höchstens 25 % für das erste Kind, 15 % für das zweite und 5 % ab dem dritten Kind zulässig. Dies bedeutet, dass Familien je nach Kinderanzahl 26,57, 53,13, 168,24 bzw. 283,35 (bei 4 Kindern) monatlich weniger erhalten als bisher. Völkerrechtler kritisieren die Staffelung als einen Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
Die schwarz-blaue Bundesregierung rühmt sich stets mit einem Bonus für alleinerziehende Personen. Dieser ist laut § 5/2 Z. 4 des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes eine reine "Kann"-Bestimmung und muss von den Ländern nicht umgesetzt werden. Nicht nachvollziehbar ist auch die Deckelung der Leistungen für Wohngemeinschaften (bei maximal 1549 Euro).
Die Genfer Flüchtlingskonvention und die EU-Qualifikationsrichtlinie regeln eindeutig, dass Flüchtlinge und österreichische Staatsbürger in Bezug auf Sozialhilfe gleichzubehandeln sind. Das Sozialhilfe-Gesetz verstößt insofern dagegen, als anerkannte Flüchtlinge nur dann den vollen Mindestsicherungsbetrag erhalten, wenn sie Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 in Deutsch oder C1 in Englisch bzw. eine Integrationsprüfung nachweisen. Wie man mit einem reduzierten Betrag von 575,55 Euro überleben kann und gleichzeitig noch eine neue Sprache erlernen soll, das scheint den schwarz-blauen Politikern egal zu sein.
Noch schlimmer trifft es subsidiär Schutzberechtigte, die mangels Verfolgung zwar kein Asyl erhalten haben, aber aufgrund von Lebensgefahr ins Heimatland nicht abgeschoben werden dürfen. Diese erhalten überhaupt keine Mindestsicherung mehr, sondern nur die Grundversorgung (Unterbringung, Verpflegung, Krankenversicherung, Taschengeld). Eine prekäre Situation, die viele Betroffene Richtung Kriminalität und psychische Aussichtslosigkeit stoßen könnte.
Im Jahr 2017 haben 332.000 Personen Mindestsicherung bezogen. Die Ausgaben beliefen sich - inklusive Krankenversicherung - auf 977 Millionen Euro. Das sind 0,92 % der gesamten Sozialausgaben. Die Kürzungen haben auch nicht den Zweck, die Kosten zu reduzieren. Tatsächlich werden jährliche Mehrkosten für den Bund von 19 Millionen und die Länder von 17,15 Millionen Euro prognostiziert.
Die Schikanen gegenüber der ärmsten Bevölkerungsschicht haben alleine den Sinn, Ressentiments gegen Ausländer, Flüchtlinge, Arbeitslose und Arme zu schüren. So soll der finanzielle Aufwand der Länder durch die neue Kinderstaffelung um 40 Millionen Euro gesenkt werden. Dies soll - wie ausdrücklich (!!!) vermerkt - vor allem Familien mit Migrationshintergrund treffen. Dass hier aufgrund der rechtlichen Gleichbehandlung auch Österreicher betroffen sind, steht außer Frage, wird aber nicht öffentlich thematisiert.
Peinlich und schäbig zugleich sind die ständig in den Medien bis zur Unerträglichkeit wiederholten "Argumente" schwarz-blauer Politiker für eine Reform der Mindestsicherung.
1.) "Die Mindestsicherung darf nicht höher sein als das Erwerbseinkommen." Das ist technisch gar nicht möglich, ein Arbeitnehmer erhält außerdem 14 und nicht 12 Gehälter. Den Abstand zwischen Mindestsicherung und Erwerbseinkommen kann man übrigens ganz leicht ausdehnen, nämlich durch eine Erhöhung der Mindestlöhne. (Die Wirtschafts-Lobby der ÖVP dürfte da allerdings etwas dagegen haben).
2.) "Man muss die Mindestbezieherungsbezieher aus der "sozialen Hängematte" holen." Fakt ist, dass die Mindestsicherung nur dann gewährt wird, wenn die betroffene Person bereit ist, eine Arbeit anzunehmen. Ansonsten wird sie gestrichen. Über zwei Drittel der Mindestsicherungsbezieher sind außerdem Kinder, Pensionisten, Kranke, Behinderte und Erwerbstätige („Working Poor“), die ihr karges Gehalt mit der Mindestsicherung „aufstocken“.
3.) Der sogenannte "Sozialhilfetourismus" ist laut Experte Nikolaus Dimmel kein real nachweisbarer Faktor. Für Wanderungsbewegungen seien andere Gründe als die Höhe der Sozialhilfe maßgeblich.
Verfassungsrechtliche Untergrenzen für Sozialhilfe, Einheitliche Mindeststandards für Österreich, Orientierung der Richtsätze an der (höheren) Armutsgefährdungsschwelle, Sonderunterstützungen für Kinder (auch in Form von Sachleistungen), ein selbstbewusstes Leben in Menschenwürde für jeden, der sich aktuell in Österreich aufhält. Das sollten die Ziele der Mindestsicherung sein. Und kein repressiver Druck gegen Arbeitslose, keine fremdenfeindlichen Schikanen, keine Almosen-Politik und kein radikaler Sozialabbau a la Schwarz-Blau.