"I dance Alone" - So nennt sich eine Installation von Bogomir Doringer, die direkt vor der DJ-Lounge des Kremser Donaufestivals in der Österreichhalle platziert worden ist. Der Künstler hat Dancefloors aus der Vogelperspektive fotografiert und zeigt auf Bildschirmen das instabile Verhältnis von Kollektivität und Individualität. Und wirft damit auch die Frage auf, ob man trotz der (scheinbaren) Gemeinschaft auf der Tanzfläche eigentlich nicht doch allein ist oder sich zumindest allein fühlt.
Interpreten, die künftig flächenmäßig die Konzert- und Dancefloors füllen sollen und gleichzeitig auch einen künstlerischen Anspruch haben, die präsentierte Kurator Thomas Edlinger am zweiten Wochenende des Donaufestivals. Avantgardistischer Future Sound für großteils internationales und urbanes Publikum in einer traditionsverhafteten Stadt wie Krems (in der Volksmusikant Hansi Hinterseer drei Wochen später die Einheimischen vor einem Hofbräuhaus begeistern wird).
Aus Istanbul stammt beispielsweise Hüma Utku, die man in der Undergroundszene unter dem Pseudonym R.A.N. (= Roads at Night) kennt. In Berlin, wo sich eine türkische Club- und Lokalkultur entwickelt hat, kann sich die Produzentin seit einigen Jahren selbstverwirklichen. Beim Donaufestival präsentierte sie im roten Schimmerlicht progressive Tracks aus ihrer EP "Seb-i Yelda", die gekonnt orientalische Traditionals mit technoiden Ambient-Sound verbinden.
Queens New York ist die Heimat von Alexandra Drewchin aka Eartheater. Der Name ihrer Kunstfigur stammt aus dem Buch "100 Years of Solitude", die einen Charakter enthält, der immer dann Dreck und Erde frisst, wenn er seine Gefühle nicht mit Worten ausdrücken kann. Ähnlich unberechenbar und heftig ist auch der Sound der Performance-Künstlerin, zumindest die erste Hälfte des Sets. Danach transformiert sich Miss Eartheater in eine gitarrenspielende Folk-Sängerin mit bezaubernden Melodien. Genial.
Den traditionellen Sound der Golfregion vermischt die aus Kuwait stammende Fatima Al Qadiri mit innovativen Trap- und Grimebeats. Im Mittelpunkt ihres Sets steht ihr brandneues Album "Shaneera", das herrlich doppeldeutig interpretiert werden kann. Einerseits ein Slang-Ausdruck für eine queere Person, andererseits eine falsche Aussprache des arabischen Wortes "shaneeá" (= schändlich). Im Stadtsaal zucken nicht nur die Beats, sondern auch die Visuals im Background.
In den heiligen Gemäuern der Minoritenkirche, im historischen Stadtteil Stein, versetzen um 15 Uhr nachmittags die aus Sao Paolo stammenden Rakta die Donaufestival-Besucher in düster-schaurige Endzeitstimmung. Brasilianischer Sound einmal anders - Die coolen Front-Ladies erinnern mit ihrer genialen Mischung aus Post Punk, Electro und Gothic an 70er-80er-Ikonen wie Joy Division oder Killing Joke. Höllisch heiß!
Auch beim diesjährigen 15. Donaufestival wieder mit dabei: Camae Ayewa aka Moor Mother. Die Polit-Aktivistin steht 2019 mit den "Irreversible Entanglements", einer Free-Jazz-Formation mit Saxophon, Trompete, Bass und Drums, auf der Bühne. Die zornigen Messages, die sind dieselben wie bei ihren Solo-Gigs: Gegen Polizeigewalt, gegen Rassismus und gegen Diskriminierung der Frauen.
Als Aktivistin kann man auch die aus dem Kongo stammende Musikerin Melika Ngombe Kolongo aka Nkisi (zu deutsch: "Geist") bezeichnen. Ihr Label NON Worldwide inkludiert nicht nur innovativen Sound, sondern auch Art und ein politisch-soziales Kommunikationsnetzwerk. In den Österreichhallen fasziniert Nkisi mit Live Vocals und treibenden Beats zwischen Electro und African Traditionals. Ihr gerade erschienenes Album heißt "7 Directions", die Richtung beim Donaufestival war eindeutig: Noch einmal tanzen, bevor die Party zu Ende ist.
"Europe is lost, America lost, London lost. Still we are clamouring victory. All that is meaningless rules. We have learned nothing from history. The people are dead in their lifetimes. Dazed in the shine of the streets. But look how the traffic's still moving. System’s too slick to stop working." Es sind traurige Wortkreationen, die man vom letzten Act des Kremser Donaufestivals im Stadtsaal hört. Geschrieben noch vor dem Brexit selbst. Kate Tempest, die aus Südlondon stammende Künstlerin, ist zum ersten Mal in Österreich. Ein Multi-Talent: Musikerin, Lyrikerin, Dramatikerin ("Wasted") und Romanschriftstellerin.
Und tatsächlich sind auch ihre musikalischen Werke so aufgebaut wie ein Buch. Ihr letztes Album "Let them eat chaos" (2016) - das neue erscheint im Juni - handelt, verpackt in 13 Songs, von 7 Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Inmitten von Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, Schlaflosigkeit, Depression und Frustration. London, wie es gegenwärtig leibt und lebt. Tempest bittet bei ihrem Auftritt, die Handys in den Taschen zu lassen und zuzuhören. Bei ihren berührend-intensiven Geschichten über das Leben, unterlegt mit Hip Hop- und Electro-Beats.
Man wünscht sich, dass die im ländlichen Bereich lebenden Briten Tempest konzentrierter zugehört hätten. Ist Europa tatsächlich lost? Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch die auf eine "New Society" in einer Welt ohne Diskriminierung, Nationalismus und Rassismus.