"Man stelle sich vor, ein Automobilkonzern liefert Autos aus, wo jedes fünfte Fahrzeug nicht funktioniert. Oder jedes fünfte Flugzeug wäre defekt. Das wäre undenkbar. Wenn aber jedes fünfte Kind nach neun Jahren nicht sinnerfassend lesen und schreiben kann, sagen viele: Na ja, das ist halt so." - Mit solchen zündenden Vergleichen macht der ehemalige ÖVP-Politiker und Mitbegründer der Sir Karl Popper Schule, Andreas Salcher, derzeit Werbung für sein neues bildungskritisches Buch "Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde".
Die Lehrer (vor allem jene, die auf pure, antiquierte Wissensvermittlung statt auf soziale Kompetenzen setzen) unterliegen zwar auch der Kritik Salchers, der im Buchtitel verwendete Begriff der "Feinde" (erstmals eingesetzt im Vorgängerwerk aus dem Jahr 2008) geht allerdings viel weiter, wie Salcher auch bei der Buchpräsentation im Thalia Wien-Landstraße erklärt. Der Unternehmensberater und Buchautor versteht darunter "alle, die sich mit dem extrem niedrigen Anspruchsniveau an den Schulen zufriedengeben".
Die jährlich hereinprasselnden Leistungsbilanzen sind tatsächlich nicht berauschend. Österreich hat das zweitteuerste (!) Bildungssystem in der EU, laut den PISA-Tests sind allerdings 31 % der 15jährigen zumindest in einer der Kategorien (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften) besonders leistungsschwach, 13 Prozent in allen. Erschreckend hoch ist in Österreich der Unterschied zwischen Migranten und Nichtmigranten, der auch auf die Sozialisation und die mangelnde Unterstützung der Eltern und anderer Mentoren zurückzuführen ist. Im Vorzeige-Bildungsland Kanada, in dem Ganztagsschulen und integrative Unterrichtsformen das Schulsystem prägen, gehen die Uhren anders. „Dort beherrschen viele Kinder von Migranten am Ende der Schulzeit die englische Sprache besser als die gebürtigen Kanadier.“
Schulische Erfolgskurven dieser Art sind auch in Österreich möglich. Als Beispiel nennt Salcher gerne einen polnischen Migranten, den er als Testleser für seine Bücher beschäftigt. In einem Schulsystem, das „1935 dieselben Notenskalen aufweist wie 2015 80 Jahre später“, werden auch herausragende Talente nicht gefördert. Bei schulischen Theateraufführungen erhalten nicht die Bühnencharismatiker die besten Rollen, sondern jene mit den besten Noten in den anderen Fächern. Einstiges „Opfer“ dieser Schulpolitik: Der spätere „Jedermann“ Peter Simonischek.
Die Reformvorschläge des renommierten Schulkritikers Salcher sind vielfältig, bei den letzten Bildungsreformen (die um Zentralmatura, Neue Mittelschule mit zwei Lehrern in den Hauptgegenständen, Ziffernnoten bzw. Sitzenbleiben in den Volksschulen und fadenscheinige Autonomiepakete kreisten) waren diese so gut wie kein Thema. Sieht man sich die Paragraphenschwemme an, dann ist es anscheinend schwieriger eine Schule zu führen als ein Atomkraftwerk, so Salcher.
Der Bildungskritiker fordert eine Schule, bei der „Schüler und Lehrer jeden Tag gern hingehen“. Sozusagen Aus mit horriblen Botschaften wie dem beginnenden „Ernst des Lebens“. Lernen funktioniert am besten – so wie in den Volksschulen – über Beziehungen, was Leistung allerdings nicht ausschließt (die vor allem durch Wertschätzung zwischen Lehrern und Schülern, Leidenschaft aller und ehrliches Lob gefördert werden soll). Die „Belehrungsschule“ müsse zu Grabe getragen werden, ebenso wie der Brockhaus im Vergleich zu Wikipedia.
Absurd sei die Fragmentierung der Lehrfächer (die teils auch noch von den Lehrern verteidigt wird). Bereits in den Unterstufen sollen Lernbereiche eingeführt werden, ab der Oberstufe könnte wie in den USA – neben den Hauptfächern – ein Wahlfächersystem verankert werden. Vorträge von externen Künstlern, Schriftstellern, Jungunternehmern oder Entwicklungshelfern sollen in den Unterrichtsstunden Praxiswissen vermitteln und Interesse wecken. Sozial- und Kommunikationskompetenz sollte als eigener Maturagegenstand konzipiert werden, so wie in der von Salcher mitbegründeten Sir Karl Popper Schule für Hochbegabte.
Zahlreiche Verbesserungen soll es auch in der Lehrerwelt geben. Neben einer adäquaten Lehrerfortbildung und einer Hebung des Berufsimages müsse man endlich in die Arbeitsplätze der Lehrer investieren. Salcher schlägt hier Departments (beispielsweise für Deutsch und Geschichte) vor, bei der die einzelnen Lehrer auch fächerübergreifend zusammenarbeiten können.
Die Hoffnung auf eine moderne, progressive Schulreform stirbt zuletzt. Solange aber die Migration (vulgo die Fremdenfeindlichkeit) und nicht die Bildung das wichtigste politische Thema in unserer Gesellschaft bleibt, dürfte der Vorhang für eine rosarote Zukunft verschlossen bleiben…
Buch: Andreas Salcher, Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde. Ecowin Verlag, 2019. 280 Seiten, 24 Euro.