"Stell dir vor, der Schiri ist Wettbürobesitzer. Stell dir vor, dein Firmenboss ist auch dein Betriebsrat. Stell dir vor, dein Scheidungsanwalt wohnt jetzt bei deiner Ex. So unfair ist das neue Asylverfahren." Mit diesen Kernslogans wirbt die Asylkoordination Österreich für ihre Initiative "Fair lassen". Im Zentrum der Kritik steht dabei das am 16. Mai 2019 - einen Tag vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos - von ÖVP und FPÖ beschlossene BBU-Errichtungsgesetz, das - mit einigen Übergangsfristen - am 20. Juni partiell in Kraft getreten ist.
Laut diesem Gesetz werden ab Juli 2020 die Erstaufnahmezentren für Asylwerber von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) betrieben. Es handelt sich dabei um ein gemeinnütziges Unternehmen, das zu 100 % im Eigentum des Bundes steht und in dem der Innenminister auch personell wesentliche Einflussrechte hat. So werden sowohl der Geschäftsführer als auch 6 der 12 Aufsichtsräte vom Innenminister bestellt.
Eine besondere Aufgabe dieser Bundesagentur ist die "unabhängige" Rechtsberatung. Derzeit werden Asylwerber aufgrund zweier im Jahr 2011 abgeschlossener Verträge von der ARGE Rechtsberatung (Diakonie, Volkshilfe Oberösterreich) und dem Verein Menschenrechte Österreich beraten. Beide Organisationen sind je zur Hälfte zuständig für Zulassungsverfahren, Beschwerdeverfahren (an das Bundesverwaltungsgericht) und Schubhaftverfahren der Flüchtlinge.
Ab 1. Jänner 2021 sollen sowohl die Rechtsberatung in Asyl- und fremdenpolizeilichen Verfahren als auch die Rückkehrberatung von Rechtsberatern der BBU übernommen werden. Bereits vor der Beschlussfassung des von FPÖ-Innenminister Kickl initiierten Gesetzes wurde heftige Kritik seitens renommierter Verfassungsjuristen und des aktuellen Justizministers Jabloner laut, die vor einer drohenden Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren warnten.
Entfaltet diese Gesetzesnovelle nämlich ihre volle Wirksamkeit, dann verlieren nicht nur NGO´s und Zivilgesellschaft ihre Überwachungstätigkeit über die Asylverfahren, sondern kontrolliert der Staat de facto sich selbst. So übernehmen Personen, die - formell zwar weisungsfrei, faktisch aber dem Innenministerum unterstehen - die Rechtsberatung von Asylwerbern in Rechtssachen, die von einer dem Innenministerium weisungsgebundenen Behörde (dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - kurz BFA) getroffen wurden. Zuletzt lag der Prozentsatz an fehlerhaften bzw. rechtswidrigen Bescheiden des BFA bei extrem hohen 42 %.
Angesichts des in Österreich vorherrschenden fremdenfeindlichen Klimas ist anzunehmen, dass diese "unabhängigen" Rechtsberater einem Asylwerber eher zu einer resignativen Strategie raten werden als alle Anker zu ergreifen, um vielleicht doch noch den ihm zustehenden Schutz vor Verfolgung zu erlangen. Rechtsschutz im Sinne der Menschenrechtskonvention sieht anders aus. Null Vertrauenswürdigkeit ist auch für Personen gegeben, die sich für eine freiwillige Rückkehr interessieren und sich dann an jene Behörden wenden müssen, die schlussendlich auch über ihre Abschiebung entscheiden.
Ein untragbares System, das von einem Innenminister konstruiert wurde, der die Erstaufnahmezentren offiziell in "Ausreisezentren" umbenannt hat und (vorerst?) Vergangenheit ist. Sollte es zu Regierungsverhandlungen zwischen der ÖVP und den Grünen kommen, dann sollte eine der (vielen) Mindestforderungen der grünen Fraktion darin bestehen, dass die unabhängige Asylrechtsberatung beibehalten wird und das BBU-Gesetz auch angesichts stark sinkender Asylantragszahlen sofort wieder rückgängig gemacht wird.
Ansonsten haben die Grünen ihren Nimbus als Kämpfer für Menschenrechte und Unterstützer der Armen und Schwachen schneller verloren als ihnen lieb ist. Dies wäre nicht nur schade, sondern würde ihnen auch einen Großteil ihrer Wählerschaft kosten...