Gewöhnlich zittern nur Maturanten vor einer Exponentialfunktion, jetzt ist es ganz Österreich. Die Corona-Virusinfektionsraten steigen auch in der Alpenrepublik exponentiell und verdoppeln sich derzeit ca. alle 3 Tage. Komplexitätsforscher haben errechnet, dass bei ähnlicher Entwicklung wie in Italien es innerhalb der nächsten 2-3 Wochen zu einem Kapazitätsengpass an Intensivbetten und in ca. 3-4 Wochen an allen Krankenhausbetten kommen kann.
Virologen und Gesundheitsexperten versuchen eine Trendwende und haben daher drastische, grundrechtseinschränkende Maßnahmen vorgeschlagen, die die sozialen Kontakte zwischen den Bürgern und damit die Weiterverbreitung reduzieren sollen. Umgesetzt wurden diese durch zwei Verordnungen des Gesundheitsministers Rudi Anschober, basierend auf dem am Sonntag erlassenen Covid-Gesetz.
So ist seit Montag früh das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit- und Sportbetrieben verboten. Normiert wurden allerdings insgesamt 21 Ausnahmen, darunter öffentliche Apotheken, Lebensmittelhandel, Drogerien, Banken, Tankstellen, Post, Lieferdienste, Öffentlicher Verkehr, Trafiken oder Kfz-Werkstätten, die der lebensnotwendigen Versorgung der Bürger dienen. Eine Reduzierung der Öffnungszeiten ist vorerst nicht vorgesehen, sie könnte aber am Wochenende folgen. Nahezu alle Gastgewerbebetriebe sind seit Dienstag geschlossen, das Betreten von Gastgewerbebetrieben ist nur bei einschlägigen Lieferservices gestattet.
Bei Verstößen gegen diese Verordnung drohen Geldstrafen bis zu 3600 Euro für den Betreter bzw. bis zu 36000 Euro für den Betriebsinhaber.
Massive freiheitsentziehende Maßnahmen – wenn auch (noch) keine Ausgangssperren – betreffen auch die Bürger. Seit Montag, 16. März, ist das Betreten öffentlicher Orte verboten, die Strafdrohung beträgt bis zu 3600 Euro. Ausgenommen sind Betretungen zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, zur Betreuung und Hilfeleistung von unterstützungsbedürftigen Personen, zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens und für berufliche Zwecke. Ein Mindestabstand von einem Meter zu anderen Personen soll eingehalten werden. Dies gilt auch bei der Benützung von Massenbeförderungsmitteln.
Darüber hinaus dürfen die Bürger jederzeit öffentliche Orte alleine und mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren betreten. Darunter fallen Spaziergänge, Joggen oder Radtouren, vorausgesetzt es wird ein Sicherheitsabstand von mindestens 1 Meter zu anderen Personen eingehalten. Gesetzlich nicht zulässig ist in diesem Zusammenhang die Benützung von Massenbeförderungsmitteln. Per Straßenbahn nach Lainz oder per U-Bahn Richtung Donaukanal zu fahren wäre also verboten.
Radikale Ausgangssperren seien aber kontraproduktiv. „Wenn wir Menschen dauerhaft zuhause in der Bude einsperren, ist es wahnsinnig schwierig, das psychologisch auszuhalten“, so Virologe Alexander Kekule aus Halle. Aufenthalte im Freien regen die Ausschüttung von Glückshormoen an und bergen bei Einhaltung von Sicherheitsabständen keine Ansteckungsgefahr. „Virus-Tröpfchen sind nur eine kurze Zeit in der Luft und fallen dann zu Boden. Man steckt sich in geschlossenen Räumen an“, so Christian Drosten, Wissenschaftler der Berliner Charite.
Es wäre daher wünschenswert, dass in den zentralen Nachrichtensendungen Experten (egal ob im medizinischen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Bereich) zu Wort kommen und nicht Berufspolitiker ohne Fachwissen, die sogar bei derartig brisanten Gesundheitskrisen durch mediale Dauerpräsenz politisches Kleingeld schlagen wollen.