Jährlich werden in Österreich ca. 8,5 Millionen Tickets für Großveranstaltungen verkauft, das entspricht einer Wertschöpfung von 5,8 Milliarden Euro. Die weltweite Corona-Pandemie schockt jetzt auch die Veranstaltungsindustrie: Mindestens bis 31. August dürfen keine Festivals (a la Frequency oder Electric Love), Konzerte und Theateraufführungen stattfinden, verkauft wurden bereits im vorhinein ca. 5,5 Millionen Tickets. Würde die Verkaufspreise gleichzeitig von den Kunden zurückgefordert werden, dann stünde die gesamte Branche vor einer gigantischen Pleitewelle. Im Nationalrat wurde daher am 28. April das sogenannte „Kunst-, Kultur- und Sportsicherungsgesetz“ (kurz dadaistisch: KuKuSpoSig) beschlossen. Trotz seiner zweifellos positiven Auswirkungen auf die zukünftige Event-Kultur in Österreich gilt dieses aber als umstritten.
Laut EU- und nationalem Recht hat der Konsument einen Anspruch auf Rückzahlung des Entgelts, wenn eine Veranstaltung nicht an dem vereinbarten Zeitpunkt stattfindet. Einer Verlegung auf einen späteren Termin bzw. der Überreichung eines Gutscheins muss der Ticketkäufer nicht zustimmen. Dies ändert sich nun befristet mit dem im Nationalrat beschlossenen Gesetz. Betroffen sind alle Kunst-, Kultur- und Sportereignisse des Jahres 2020, die nach dem 13. März 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie abgesagt wurden. Inkludiert sind hier also auch schon künftige Event-Absagen des aktuell laufenden Jahres.
Der Veranstalter kann laut § 1/1 dem Besucher anstelle der Rückzahlung einen Gutschein über den zu erstattenden Betrag übergeben. Dies gilt auch dann, wenn der Vertrag über einen Vermittler abgeschlossen wurde. Die genaueren Modalitäten enthalten die §§ 1/4, 5 die sich vermutlich zu einem „Bürokratiemonster“ ausarten werden. Beträgt das Ticket-Entgelt unter 70 Euro, dann erhält der Kunde einen Gutschein. Kostete dagegen das Ticket über 70 Euro, dann erhält der Kunde eine Rückzahlung des Differenzbetrages, bei 90 Euro Ticketpreis also 70 Euro Gutschein und 20 Euro Rückzahlung. Bei einem Ticketpreis von 250 Euro erhält der Konsument einen 70 Euro-Gutschein und eine Rückzahlung von 180 Euro. Darüber hinaus erfolgt wieder eine Übergabe eines Gutscheins. Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Wurden mehrere Tickets bei einem Veranstalter gekauft, dann wird jeder Kauf als ein einzelnes Geschäft betrachtet. Bei Abonnements (die häufig von Fußball-, Handball- oder Eishockeyfans abgeschlossen werden), kann der Besucher anstelle eines Gutscheins verlangen, dass das zurückzuzahlende Entgelt auf ein Folge-Abo (der nächsten Saison) angerechnet wird.
Keine Anwendung finden die Bestimmungen des Sondergesetzes, wenn der Veranstalter Bund, Land oder Gemeinde ist oder dieser mehrheitlich im Eigentum einer Gebietskörperschaft steht. Prominente Beispiele: Das Burgtheater oder die Bundesmuseen, die im Gegensatz zu privaten Veranstaltern keinem Insolvenzrisiko ausgesetzt sind.
Der Besucher kann den Gutschein an jede natürliche Person übertragen. Verwendet werden kann der Gutschein auch für ein anderes Event des Veranstalters. Eine Verpflichtung dafür besteht aber nicht. Wird der Gutschein bis zum Ablauf des 31. Dezember 2022 nicht eingelöst, dann hat der Veranstalter auf Aufforderung des Kunden eine Rückzahlung vorzunehmen.
Die Kritikpunkte an der türkis-grünen „Gutschein-Lösung“ sind nicht unbeträchtlich. Gutscheine sind nämlich nicht insolvenzabgesichert. Geht der Veranstalter daher trotz der Sicherungsgesetz-Maßnahmen in Konkurs, dann muss der Kunde die Forderung aus dem Gutschein im Insolvenzverfahren anmelden. Bei einer Forderungs-Anmeldungs-Gebühr von 23 Euro und einer zu erwartbaren geringen Quote schaut der Konsument höchstwahrscheinlich durch die Finger.
Laut dem Bericht des Justizausschusses kann der Veranstalter dem Verbraucher zunächst einen Gutschein über den gesamten Betrag ausstellen. Der Verbraucher kann dies ablehnen und muss in der Folge nur einen Gutschein über den gesetzlich vorgesehenen Betrag annehmen, den restlichen Betrag erhält er ausgezahlt. Dieses Procedere ist gesetzlich nicht geregelt, den Veranstalter trifft auch keine Informationspflicht.
Die Arbeiterkammer kritisiert, dass Konsumenten den Veranstaltern de facto bis zu zweieinhalb Jahre ein zinsenloses Darlehen gewähren, und präferiert das deutsche Modell. Dort sei laut einem Entwurf die Rückerstattungsfrist um ein Jahr kürzer. Außerdem werden in Deutschland Härtefälle einkalkuliert, sodass vor allem Jugendliche mit wenig Geld die Ticketpreise sofort rückerstattet bekommen. Ein diesbezüglicher Antrag der SPÖ wurde im Nationalrat durch Türkis-Grün abgelehnt.
Auch der Verein für Konsumenteninformation (VKI) lehnt das Modell ab. Es sei nicht Aufgabe des „kleinen Mannes“, die großen Veranstalter zu finanzieren, sondern des Staates oder der Banken. Gegen eine freiwillige Annahme von Gutscheinen spricht nichts. Und die dürfte von den Musik- und Sportfans ohnehin mehrheitlich in Anspruch genommen werden. Wer einmal eine Karte zu einem (final meist ausverkauften) Event ergattert hat, der behält sich das Ticket und wartet sehnsüchtig auf den neuen Termin. Pet Shop Boys London 2021 – See you…