Der Gast ist König, der Besucher soll sich wohlfühlen, die Bar ist das verlängerte Wohnzimmer,… - Alles gut und schön. Wenn die Realität aber genau das Gegenteil widerspiegelt, dann hat die Gastronomie ein Problem. Die aufgrund der Corona-Krise konzipierten Vorschriften haben zur Folge, dass man sich in einer Gaststätte wie in einem Speisesaal eines Hochsicherheitsgefängnisses, einem verseuchten Trakt eines Atomkraftwerks oder einer alpenländischen „Blade Runner“-Neuverfilmung fühlt. Beim aktuellen Stand von ca. 1000 Corona-Infizierten österreichweit.
§ 6 der - nicht nur fast - zynisch klingenden „Lockerungsverordnung“ regelt die Vorschriften für die Gastgewerbebetriebe, die ab 15. Mai wieder zwischen 6 und 23 Uhr öffnen dürfen. Sogar Top-Gastronomen mit großflächigen Betriebsstätten rechnen im vorhinein (!) mit Umsatzrückgängen zwischen 50 und 70 Prozent, für viele kleine gemütliche Bars Kneipen, die auf Schankgäste an der Theke angewiesen sind, wird die „Gastro-Verordnung“ der Todesstoß, falls diese nicht schnell rückgängig gemacht wird.
So regelt der Absatz 3, dass die Konsumation von Speisen und Getränken nicht in unmittelbarer Nähe der Ausgabestelle erfolgen darf. Heißt mit anderen Worten, dass der Ausschank an der Bar verboten ist, schnelle Biere, Spritzer und Schnapserl daher ade. Und es kommt noch schlimmer: Auch das Stehen in den Lokalen ist verboten, ab sofort herrscht – internatsmäßig – Sitzpflicht. Sitzachterl statt Stehachterl.
„Der Betreiber hat sicherzustellen, dass jeder Kunde in geschlossenen Räumen der Betriebsstätte durch den Betreiber oder einen Mitarbeiter platziert wird.“ „Platziert“ – „Sympathischer“ kann man den Besuch in einem Wirtshaus oder einer Kneipe nicht ausdrücken. Eine Tischreserverierung im vorhinein ist zwar nicht verpflichtend, wird aber empfohlen. In einigen Gasthäusern (wie dem Schweizerhaus) sind Plätze schon tageweise ausgebucht. Spontanität, ade!
Sollte jemand „Contagion“ noch nicht gesehen oder noch nie einen SM-Club besucht haben, bitte nicht erschrecken: Betreiber und Mitarbeiter tragen eine Maske („eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung“). Wer seinen ehemaligen Stammkellner – nach der langen Durststrecke – nicht mehr erkennt, braucht wenigstens keine Ausrede.
Wer darf überhaupt gemeinsam ein Lokal betreten? Das sind laut der vom grünen Gesundheitsminister (und Volksschullehrer) Anschober erlassenen Verordnung „maximal vier Erwachsene (plus minderjährige Kinder“) oder „Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben“. Unbegrenzter Freiraum in den Kneipen also für linke Wohngemeinschaften wie Uschi Obermaiers-Kommune 1 in den 68ern. Ob das die erzkonservative ÖVP, die seit den 60ern alle modernen, progressiven und emanzipatorischen Strömungen ablehnt, dies wirklich einkalkuliert hat? Meldezettel muss der Wirt zumindest vorerst nicht kontrollieren.
„Vom erstmaligen Betreten der Betriebsstätte bis zum Einfinden am Verabreichungsplatz hat der Kunde gegenüber anderen Personen, die nicht zu seiner Besuchergruppe gehören, einen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und in geschlossenen Räumen (nicht also in Schanigärten) eine Maske zu tragen.“ Das bedeutet, dass vier Freunde oder Freundinnen, die nicht in einem gemeinsamen Haushalt leben, bei der Autofahrt zum Gastro-Lokal in einer Fahrgemeinschaft verpflichtend eine Schutzmaske tragen müssen. Am Tisch dürfen sie die Maske dann ablegen. Nicht vergessen: Auch in der U-Bahn bzw. auf dem Fußweg muss die Kneipenclique untereinander einen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter einhalten (sonst drohen Geldstrafen bis 3600 Euro), am desinfizierten Tisch gilt dies nicht mehr. Wer diese Logik versteht, sollte sich um den Nobelpreis bewerben.
Was passiert dann eigentlich mit der abgelegten Maske? Laut den Empfehlungen des Tourismus-Ministeriums erhöht ein am Tisch liegender Mund-Nasen-Schutz die Infektionswahrscheinlichkeit, er soll also sicher und hygienefrisch (in der Hosentasche?) verwahrt werden. Am Weg zur Toilette und zurück bzw. beim Verlassen des Lokals ist eine Maskenverhüllung gemäß Lockerungsverordnung nicht mehr vorgeschrieben. Geht man kurz auf eine „Rauchpause“ (und dann zurück ins Lokal), eigentlich auch nicht, denn dann handelt es sich ja eigentlich um kein „erstmaliges Betreten der Betriebsstätte“ mehr. Viele Gastgewerbebetriebe werden dies rechtlich sicher anders sehen, Ärger an der Tür ist vorprogrammiert.
Für kommunikative Lokalbesucher, die auch gerne mit anderen Gästen ins Gespräch kommen wollen, lebenslustige Singles und Flirtwillige wird es durch die türkis-grünen Gastro-Schikanen kompliziert. Der Betreiber hat nämlich laut Verordnung die Verabreichungsplätze so einzurichten, dass zwischen den Besuchergruppen ein Abstand von mindestens einem Meter besteht. Als Alternative kann eine räumliche Trennung per Plexiglas installiert werden. Mindesthöhe laut Tourismusministerium: Die Größe eines erwachsenen Menschen.
Beim Aufreißen helfen Umgehungstricks. Sitzt die Begierde der Nacht auf einem anderen Tisch, dann muss nur die Kontaktanbahnung sichergestellt werden. Mit auffälligen Balzbewegungen, lauten Ballermann-Anmachsprüchen oder subtil hipper mit Smartphone-Lights. Dann gemeinsam an die frische Luft und sich durch den Barkeeper einen neuen Platz für zwei zuweisen lassen. Liebesherzen statt Virenschleuder. Über dieses erste Rendezvous d´amour werden die Enkel in spe noch lachen.
Das Lachen dürfte den Gastronomiebetreibern selbst vergangen sein: Unverhältnismäßige Auflagen für die Wirte, Schikanen für die Gäste, eingeschränkte Öffnungszeiten (bis 23 Uhr), viel weniger Platz (aufgrund der Meterabstände der Tische und des Schankverbots), dadurch weniger Gäste und Umsätze. Der Standortberater Regio Plan rechnet mit 52 Millionen Euro Umsatzverlust pro Tag im Vergleich zu 67 Millionen Euro vor den Lockerungen.
Viele werden sich das Aufsperren wirtschaftlich gar nicht leisten können, andere verzweifelt in den Konkurs steuern. Dies gilt in noch gefährlicherem Ausmaß für die Nachtlokale. Diese dürfen laut des von ÖVP-Köstinger geleiteten Tourismusministeriums „grundsätzlich öffnen, es gilt aber auch für sie die Sperrstunde um 23 Uhr“. Wer einmal eine Cocktail-Bar oder einen Club besucht hat, der weiß, dass um diese Zeit das Geschäft noch nicht einmal begonnen hat.
Fazit: Das Virus ist der König. Und diesem sind die entgangenen Umsätze der Gastro-, Kultur- und Clubbetreiber egal. Der türkis-grünen Bundesregierung anscheinend auch.