Zeitlose Rollenspiele: "The Cindy Sherman Effect" im Kunstforum Wien!

Die in New Jersey 1954 geborene Künstlerin Cynthia Morris "Cindy" Sherman gilt als Ikone der US-Fotografie, die sich in ihren Fotoserien vor allem mit der Identität und den Rollenbildern der Gesellschaft auseinandersetzt. Von 1972 bis 1976 studierte sie am Art Department der State University of New York und gründete zusammen mit ihren Freunden Charles Clough und Robert Longo die unabhängige Künstlergalerie Hallwalls in Buffalo. Bereits zu Beginn ihrer Karriere in den 70ern erstellte sie ihre stilprägenden Fotoserien "Untitled Film Stills" (1977-1980) und "Bus Riders" (1976), bei denen Sherman alle Funktionen am Set selbst übernahm. Inklusive der Rolle als Foto-Model im Stil einer Kunstfigur, die man persönlich auf der Straße nicht erkannt. Eine progressive "Selfie"-Protagonistin in einer Ära, als Internet und soziale Medien noch weit in der Zukunft lagen.

 

Die Werke Cindy Shermans zählen zu den teuersten am Kunstmarkt und übersteigen an den Auktionshäusern die Millionen Euro-Grenzen. Das Museum of Modern Art in New York zeigte 2012 eine Ausstellung unter dem Titel Cindy Sherman. A retrospective.

 

Das Bank Austria-Kunstforum konzipierte unter der Trademark "The Cindy Sherman Effect" eine spannende Konfrontation zwischen den Kunstwerken der Amerikanerin und neuen zeitgenössischen Positionen, die sich ebenfalls mit Identitäten, Rollentäuschungen, Klischees und queeren Geschlechterbildern beschäftigen. Sherman, die zuletzt 2019 mit dem Max Beckmann-Preis ausgezeichnet wurde, war von der Idee begeistert. 

 

Zu sehen sind in der Ausstellung einige Exponate Shermans aus der berühmten Schwarz-Weiß-Bildserie "Untitled Film Stills", bei denen Sherman die stereotype Darstellung von Frauen in den Hollywood-Filmen und der Werbung kritisierte, aber auch kontroverse Werke der "Disasters"-Serie und der "Sex Pictures"-Reihe, bei denen sie Schaufensterpuppen, Prothesen und anatomische Modelle in Szene setzte. Sherman bezeichnete einst die artifiziell inszenierten Körper der Mode-Fotografie ekelhafter als ihre eigenen Schöpfungen.

 

Insgesamt 21 internationale und nationale Künstler hat die Kuratorin des Kunstforums, Bettina Busse, selektiert und den Werken Cindy Shermans gegenübergestellt. So wie die US-Ikone porträtiert sich der aus Kamerun stammende Samuel Fosso selbst, in Schwarz-Weiß als Malcolm X und Angela Davies oder knallbunt als "The Liberated American Woman of the 70´s". Die Britin Sarah Lucas sitzt lässig-"manlike" auf einem Sessel, Spiegeleier dort platziert, wo sich ihre Brüste am Pullover erheben. Der deutsche Filmkünstler Julian Rosefeld lässt Hollywood-Star Cate Blanchett in verschiedene Rollen schlüpfen ("Manifesto"). Latin LGBTIQ-Spirit versprüht die aus Guatemala stammende Künstlerin Martine Gutierrez. In der Säulenhalle lässt Monica Bonvicini schwarze Gurtbänder von der Decke baumeln, als Trennlinie zwischen einem Madonna-Porträt Shermans mit blanker Brust und einer Fotografie Catherine Opies, die ein Kind stillt. Der "Young British Artist" Gavin Turk schockiert mit demolierten Face-Skulpturen. Eine außergewöhnliche Perspektive wählte die französische Künstlerin Sophie Calle. Sie ließ sich von einem Detektiv beschatten, dessen Fotos und Berichte wurden im Rahmen des Kunstwerks "Der Schatten" in einem Medizinschrank ausgestellt.

 

Erstmals wurden im Kunstforum auch Videoinstallationen eingesetzt, und zwar in den kleineren Sälen, die - über den Buch-Shop erreichbar - den Beginn der Ausstellung darstellen. Die in Berlin lebende Südafrikanerin Candice Breitz imitiert in der siebenteiligen Installation "Becoming" Filmszenen mit Julia Roberts, Meg Ryan und Cameron Diaz. Die Schweizerin Pipilotti Rist zeigt in dem Videoloop "Ever is Over All" (1997) eine Frau im kurzen Kleid, die mit einem Blumenstengel die Fenster geparkter Autos einschlägt und dabei von einer Polizistin freundlich begrüßt wird.

 

 

Den Selbstdarstellungs-Fetischismus von Social Media-Influencern thematisiert der amerikanische Filmregisseur Ryan Trecartin. "The Re´Search" stammt aus dem Jahre 2010 und ist heute brisanter denn je. Cindy Sherman selbst bezeichnete 2016 im New York Times Magazine soziale Medien als "vulgär", jetzt hat sie selbst ein Profil auf der heißbegehrten Foto-Plattform Instagram. Dem Zeitgeist-Express entspechend prall gefüllt mit Animationen, Videos, Face-Verzerrungen und gesellschaftlichen Statements. Wie zu Beginn ihrer Karriere in den 70ern…