Fünf Monate nach dem Ausbruch der Corona-Krise befindet sich Österreich trotz geringer Infektionszahlen, vor allem geringer Hospitalisierungszahlen, veranstaltungstechnisch noch immer im Tiefschlaf: Stadthalle, Gasometer und die meisten aller Locations sind geschlossen, durchgeführt werden derzeit nur vereinzelt Sitzplatzkonzerte mit wenigen Gästen wie im Fluc oder im Chelsea. Während die Klassikfestivals zwar dezimiert, aber zumindest stattfinden (bei den Salzburger Festspielen alleine 110 Einzelaufführungen mit fast 90.000 Plätzen), fällt der gesamte Pop-, Rock-Dance-Zirkus den Corona-Restriktionen zum Opfer.
Die Sperrstunde in der Gastronomie wurde mit 1 Uhr nachts festgelegt, die Clubs dürfen trotz durchdachter Konzepte nicht öffnen und bangen um ihr Überleben. Stattdessen feiern die Kids und Party People auf dem Karlsplatz, dem Donaukanal und auf zahlreichen illegalen Rave Parties, bei denen auf Physical Distancing eher wenig Wert gelegt wird. Wohl nicht im Sinne der Corona-"Oberlehrer", die Zahlen steigen aber - ebenso wie nach Großdemonstrationen - trotzdem nicht.
Als legalen Ersatz für die vielen abgesagten oder verschobenen Konzerte, Auftritte und Aufführungen hat die Stadt Wien den sogenannten "Wiener Kultursommer" organisiert. Unter der Mithilfe von zehn Experten, darunter so klingende Namen wie Mira Lou Kovacs, Fritz Ostermayer oder Tina Leisch, werden bis Ende August ca. 2000 Künstler und Künstlerinnen auf 25 verschiedenen Spielstätten in Wien auftreten. Die Besucher sind verpflichtet, beim Eingang Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse anzugeben, damit im Falle eines Corona-Verdachtsfalles die Gesundheitsbehörden potentielle Infektionsketten mittels "Contact Tracing" eruieren können. Da die Veranstaltungen alle im Freien stattfinden, geht die Wahrscheinlichkeit einer Infektion bei gleichzeitiger Einhaltung eines obligatorischen Sicherheitsabstandes allerdings ohnehin gegen Null.
Eine, die ansonsten auf Abstände und Limitierungen überhaupt keinen Wert legt und sich auch gerne in die Zuschauermenge wirft, stand Samstag Abend auf der Main Stage in Oberlaa: Ankathie Koi, die ursprünglich aus Oberbayern stammende, in Wien lebende extravagante Performerin, die kürzlich ihr zweites Album "Prominent Libido" veröffentlicht hat. Wie üblich mit pinken Haaren und sexy Outfit, die Band im trashigen 80´s-Style. Auf der Setlist ihre Hits "Little Hell" und "Royal Boy", ihren über sechsminütigen Burner "Strong like a Hurricane" oder ihre phänomenalen Woman-Tracks "Viktoria", "Adriana" und "Shanghai mazes". Bei letzterem handelt es sich laut Ankathie um ihr einziges Liebeslied, auch wenn die verschmähte Frau am Ende dem Mann den Kopf abschneidet.
Was allerdings anders ist: Die Fans der freakigen Künstlerin stehen nicht schweißüberströmt und kreischend vor der Bühne, sondern sitzen wie in einem dystopischen Science Fiction-Thriller jeweils mit Sicherheitsabstand zu anderen Besuchergruppen auf pinken Strandsesseln. Getanzt wird nicht, ein bisschen geswingt und ausgezuckt aber beim Weg zwischen Bierstand und Beach Chair. Das stört auch die mit Schutzmasken ausgestatteten Securities nicht.
Auch für Ankathie Koi eine Premiere. Sie hat zum ersten Mal das Publikum gebeten, auf keinen Fall mitzusingen. Die gefährlichen Aerosole. Außerdem warnte sie vor dem "Klatschsaft" und forderte die Fans auf, "die Hände hohl aufeinander bouncen zu lassen". Das erzeuge weniger Schweiß. Das mehr als einstündige Konzert hat trotz all dieser Skurrilitäten allen Spaß gemacht. Gleichzeitig warten aber alle bereits auf Konzerte wie in den "guten, alten, exzessiven Pre-Corona-Zeiten". Die Menschen wollen tanzen, singen, ausflippen, nicht nur, aber auch zu den elektropoppigen Beats Ankathie Kois...
Das Kultursommer-Programm auf: https://kultursommerwien.at/