Gemeinderatswahlen 2020: Mehr als 30 Prozent der Wiener dürfen nicht wählen!

Am 11. Oktober 2020 wird in Wien gewählt, und zwar sowohl der Gemeinderat als auch die jeweiligen Bezirksvertretungen. Das heißt aber noch lange nicht, dass am Wahltag jeder in Wien lebende Bürger zur Wahlurne schreiten darf und jene Partei wählen kann, die seine politischen Wertvorstellungen und Lebensbedürfnisse vertritt.

 

Denn aufgrund der aktuellen gesetzlichen Bestimmungen darf in Wien fast ein Drittel der Bürger nicht wählen. Laut Statistik Austria lebten am 1. Jänner 2020 in der Bundeshauptstadt insgesamt 1.615.475 Personen im wahlberechtigten Alter. Davon sind – aufgrund mangelnder österreichischer Staatsbürgerschaft – 486.659 Wiener nicht teilnahmeberechtigt, das sind insgesamt 30,1 Prozent. Einzig allein EU-Bürger mit Hauptwohnsitz in Wien dürfen aufgrund des Vertrags von Maastricht (1992) an den Bezirksvertretungswahlen teilnehmen.

 

Die Situation hat sich so weit verschärft, dass trotz eines Anstiegs der Wiener Bevölkerung um mehr als ein Viertel seit 1990 und einer Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 im Jahr 2007 sich die Anzahl der Wahlberechtigten in Wien sogar reduziert hat. Bei der letzten Gemeinderatswahll betrug die Wahlbeteiligung 74,8 Prozent, real allerdings nur knapp 56 Prozent.

 

Der Verein SOS Mitmensch, der auch dieses Jahr wieder eine Pass Egal-Wahl durchführen wird, fordert in diesem Zusammenhang ein volles nationales und kommunales Wahlrecht spätestens nach drei Jahren Lebensmittelpunkt in Österreich. Als Vorbild gilt hier insbesondere Neuseeland, wo Menschen bereits nach einem Jahr ununterbrochenem Aufenthalt auf allen Ebenen wählen dürfen. Zahlreiche EU-Länder (wie Dänemark, Spanien, Schweden, Portugal, Ungarn oder Großbritannien) sehen ein Wahlrecht für Drittstaatsangehörige bei Kommunalwahlen vor.

 

In Österreich dürfte die Umsetzung allerdings schwierig sein, da für eine Änderung des Wahlrechts eine Verfassungsänderung per 2/3-Mehrheit beschlossen werden muss und sich die mehrheitlich rechtskonservativen Parteien der ÖVP und FPÖ strikt gegen ein Ausländerwahlrecht aussprechen.

 

Eine Alternative wäre eine (einfachgesetzliche) Änderung des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts, das zu den restriktivsten der Welt zählt. Im Jahr 2018 wurden nur 4121 Ausländer eingebürgert, eine Rate von 0,67 Prozent. Um österreichischer Staatsbürger zu werden, müssen nicht nur zahlreiche Hürden (wie jahrelange, ununterbrochene Wartefristen und qualifizierte Sprachkenntnisse) absolviert und hohe Gebühren bezahlt, sondern auch ein „hinreichend gesicherter Lebensunterhalt“ (im Sinne eines Mindesteinkommens oder Mindestpension) nachgewiesen werden. Ältere Personen, Teilzeitarbeitskräfte, prekär Beschäftigte und überproportional Frauen können aufgrund dieser Grenzwerte nicht Staatsbürger werden, obwohl sie bereits jahrzehntelang in Österreich leben. Auch Kinder, die in Österreich geboren sind, werden nicht ex lege zu österreichischen Staatsbürgern. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen, wenn ein Elternteil seit 8 Jahren im Staatsgebiet lebt. Rechtlich unzulässig sind auch Doppelstaatsbürgerschaften, was vor allem traditionell geprägtere Migranten davon abhält, Österreicher zu werden.

 

Der Wahlausschluss von mehr als 30 Prozent der Wiener hat auch seine gefährlichen Komponenten. Rechte Parteien schüren im Wahlkampf zumeist mit Unterstützung diverser Boulevardmedien den Ausländerhass und spalten die Wiener Bevölkerung, die eigentlich eine verschworene Gemeinschaft unabhängig von Herkunft und Religion darstellen sollte. Und auch integre Parteien zielen „wahleffizient“ mehr auf die Wünsche und Interessen der tatsächlich Wahlberechtigten ab als auf jene, die sich nicht am Wahltag mit einer Stimme bedanken können.

 

 

Es ist daher 5 Minuten vor 12. Damit Wahlen künftig weiterhin repräsentativ sind und die gesamte Bevölkerung Einfluss auf die politische Richtung des Landes nehmen kann, müssen die Rahmenbedingungen im Sinne eines weltoffenen, progressiven Wahlrechts und schnellerer Einbürgerungen verändert werden. Die Pass Egal-Wahl von SOS Mitmensch darf nur der erste Schritt sein…