Im Laufe der Geschichte bestanden in Wien 93 Synagogen. Die einzige historische Synagoge, die die Novemberpogrome 1938 überstanden hat, war der Stadttempel in der Seitenstettengasse, in dessen Umfeld am 2. November dieses Jahres ein Terroranschlag mit vier Toten und 22 Schwerverletzten stattgefunden hat.
Viele Geschichten über das Jüdische Wien gibt es zu erzählen. 100 davon hat die ehemalige ZIB-Nachrichtenmoderatorin und seit 2010 als Direktorin des Jüdischen Museums tätige Danielle Spera in einem Buch zusammengefasst. „100x Österreich –Judentum“ nennt sich das im Amalthea-Verlag erschienene Werk dementsprechend. Die Autorin hat ihr neues Buch kürzlich im Thalia Wien-Landstraße online vorgestellt und einige Anekdoten daraus erzählt.
Spera referierte beispielsweise über die Fotografin Margit Dobronyi, die 1956 als Flüchtling von Budapest nach Wien kam. 40 Jahre lang fotografierte sie die jüdische Gemeinde in Wien mit übergroßem Blitzlicht und der charmanten Aufforderung „Ein Foto, bitte!“ Viele ihrer über 200.000 analogen Fotos sind im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse ausgestellt und werden derzeit digitalisiert.
Wien war in der Zwischenkriegszeit die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas, jeder zehnte Wiener war jüdischer Abstammung, darunter viele Künstler wie die Kabarettisten Fritz Grünbaum oder Hermann Leopoldi, Viktor Frankl, Sigmund Freud, die Komponisten Gustav Mahler und Arnold Schönberg, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Friedrich Torberg oder Franz Kafka. Während in Wien im Jahr 1938 noch über 200.000 Juden lebten, waren es im Jahr 1946 nur mehr 25.000, die teils versteckt, teils durch gemischte Ehen überlebten und großteils nach dem Krieg auswanderten. Über 65.000 österreichische Juden starben durch die nationalsozialistische Shoah, ein Denkmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread in Form eines Stahlbetonkubus wurde im Oktober 2000 auf dem Judenplatz eröffnet.
Im Laufe der Jahre vergrößerte sich laut Spera die jüdische Gemeinde wieder, und zwar durch Zuwanderer aus dem Osten. Juden aus Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechien oder der ehemaligen Sowjetunion ließen sich in Österreich nieder, es entwickelte sich vor allem seit den 70ern eine multikulturelle, bunte Gesellschaft verschiedenster Riten und Bräuche. Und das nicht nur in Wien, sondern auch in Salzburg (unter dem einst ältesten Holocaust-Überlebenden und Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Marko Feingold) oder Hohenems.
Danielle Spera räumte auch mit dem Vorurteil auf, dass die Juden vorwiegend der reichen und schicken Gesellschaft angehörten. Zahlreiche jüdische Bürger, Kaufleute und Unternehmer (wie die Familien Ephrussi oder Rothschild) waren zwar verdienstvoll am glanzvollen Erstrahlen Wiens durch den Bau der Ringstraße und ihrer Prachtgebäude beteiligt, die meisten Juden waren aber zu jeder Zeit Systemerhalter und „einfache Leute“, die Schwierigkeiten hatten, finanziell über die Runden zu kommen.
Der erfolgreiche Betrieb der einst verschuldeten Ottakringer Brauerei durch die später emigrierte Familie Kuffner (die auch die gleichnamige Sternwarte finanzierte), die jüdische Brüder und Riesenrad-Besitzer, Gabor und Eduard Steiner, und ihre Visionen über den späteren Vergnügungspark Prater, die Verbindung zwischen dem Münzmeister Schlom und Richard Löwenherz, Karlskirche, Schloss Schönbrunn, Jüdische Friedhöfe, Freud, Herzl, der Salon der Berta Zuckerkandl,… - Viele weitere amüsante, tragische und wissenswerte Geschichten über die Jüdische Gemeinde erzählt Danielle Spera in ihrem Buch. Empfehlenswert.
Danielle Spera: 100x Österreich – Judentum. Amalthea Verlag, 256 Seiten, 25 Euro.