Klimanotstand weltweit: "Nach uns die Sintflut" im Kunsthaus Wien!

Knapp zwei Drittel der Menschen fürchten sich vor einem weltweiten Klimanotstand. Diese Feststellungen basieren auf einer Umfrage des UN-Entwicklungsprogramms UNEP und der britischen Oxford University, an der 1,2 Millionen Bürger aus 50 Ländern teilgenommen haben. Besorgt sind nicht nur die durch Bewegungen wie Fridays for Future inspirierten Jugendlichen, sondern auch ältere Menschen.

 

Das Kunsthaus Wien (mit seinem USP als „erstes grünes Museum“) präsentiert dazu kongenial seine Ausstellung „Nach uns die Sintflut“, die sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf die unterschiedlichsten Kontinente, Landschaften und Populationen unserer bunten Welt beschäftigt. Der Ausstellungstitel stammt aus dem ersten Band von „Das Kapital“. Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx hat bereits vor 150 Jahren die menschliche Intervention als faktische Umweltzerstörung erkannt und ein Verhalten kritisiert, das nur auf den eigenen Profit bedacht ist und die Folgen auf das gesamte Ökosystem ignoriert.

 

Insgesamt 21 nationale und internationale Künstler zeigen im 3. und 4. Stock des Kunsthauses eindrucksvolle Fotografien, Collagen, Filme und Videoinstallationen, die die dramatischen Folgen der klimatischen Veränderungen auf unsere Lebenswelten, die Wirtschaft und die sozialen Verhältnisse veranschaulichen. Zentraler Anknüpfungspunkt ist laut der Direktorin Bettina Leidl „die An- und Abwesenheit des Wassers, das sich in schmelzenden Polkappen, einem Anstieg des Meeresspiegels, Dürren und dem Abschmelzen der alpinen Gletscher“ widerspiegelt.

 

Gleich beim Eintritt zur Ausstellung provoziert der aus New York stammende Künstler Justin Brice Guariglia mit dem riesigen Aufdruck „The End“. Daneben zieht die Schweizerin Ursula Biemann in ihrem Video-Film „Deep Weather“ einen Konnex zwischen der Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Globalen Norden (wie bei der Teersandförderung in Kanada) und den negativen Folgen im Globalen Süden. Beispiel: Die Überschwemmungen in Bangladesh aufgrund der Erderwärmung und des Anstiegs des Meeresspiegels.

 

Der steirische Künstler Michael Goldgruber erstellte aus 420 Einzelaufnahmen die zehn Meter lange Wandinstallation „Talschluss“, die unterschiedlichste Ausprägungen des Gepatschferner, eines der am schnellsten schmelzenden Gletscher, zeigt. Die Wienerin Verena Dengler konzipierte nach einer Reise ins norwegische Spitzbergen (wo die Durchschnittstemperatur seit 1971 um 4 Grad gestiegen ist) eine Wandcollage mit dem ominösen Titel „Dr. Envy Nordpol (ihr Pseudonym) besucht das nördlichste Sushi-Restaurant der Welt. Der Berliner Benedikt Partenheimer macht mit seinen „Methane Experiments“ das Entweichen von Treibhausgasen in Folge des Auftauens der Permafrostböden sichtbar. Seine in Alaska abgelichteten „drunken trees“ bezeichnet der Berliner „as a perfect symbol for a world that has lost ist balance“.

 

Ein Sinnbild für eine aus den Fugen geratene turbokapitalistische Welt stellt auch das künstlich geschaffene Insel-Archipel „The World“ vor der Küste Dubais statt. Die österreichische Fotografin Genoveva Kriechbaum projiziert kongenial ihre futuristischen Landschaftsaufnahmen auf Stahlplatten, untermalt durch Musik des Komponisten Hassam Mahmoud. 

 

28 Minuten lang schlägt eine dunkel gekleidete Person mit der Hacke auf eine gefrorene Eisschicht ein, bis das Videobild erlischt und man nur mehr ein Krachen und einen Schrei hört. Eine metaphorische Untergangs-Installation der beiden Wiener Nicole Six und Paul Petritsch mit dem Titel „Räumliche Maßnahme“.

 

Die niederländische Künstlerin Anouk Kruithof ist im Kunsthaus Wien vertreten mit ihrer Video-Collage „Ice Cry Baby“, die aus zusammengeschnittenen You Tube-Videos von schmelzenden Gletschern besteht, und mit ihrer auf Beinprothesen stehenden Installation „Folly“, deren Körper sich aus einer Gesteinsattrappe mit Luftaufnahmen der Erdoberfläche zusammensetzt. Dahinter hängt die ästhetisch hochwertige Bilder-Serie „Flood Zone“ der in Miami lebenden Fotografin Anastasia Samoylova, die subtil die durch den Klimawandel verursachten Probleme der Urlaubsmetropole (wie Sturmfluten, überlastete Kanalisation und Klima-Gentrifizierung) thematisiert.

 

Der Videofilm „Tuvalu“ beschäftigt sich mit dem Leben der Bewohner des gleichnamigen Inselstaates im Südpazifik, die aufgrund des geringen Unterschieds zum Meeresniveau mit dem Verschwinden ihrer Heimat konfrontiert sind. Solmaz Daryani zeigt in „The Eyes of Earth“ Aufnahmen des ausgetrockneten Urmiasees, der einst der sechstgrößte Salzsee im Iran war. Einen besonders traurigen Beigeschmack erhalten diese Bilder dann, wenn man im beigelegten Album die privaten Fotografien aus der Vergangenheit dieser einstigen Urlaubsregion betrachtet. 

 

Die US-Amerikanerin Christina Seely finalisiert den Reigen der Umweltimpressionen mit einem faszinierenden, audiovisuellen Ausgleich zwischen dem arktischen und dem tropischen Ökosystem („Terra Systema. Tempo“). Ein emotionell-optimistischer Abschluss im Vergleich zur apokalyptischen „The End“-Eingangspforte.

 

Ob Kunst die Klimakrise verbessern kann, das ist natürlich fraglich. Sarker Protick, in „Nach mir die Sintflut“ mit Fotos seines Heimatlandes Bangladesh und dem Videofilm „Monsoon“ vertreten, sieht Kunst zumindest als Initialzündung: „Art can question the things and address the things that needs to be changed.“ Zumindest beim Klimanotstand braucht es dazu keines Beweisverfahrens…

 

Nach uns die Sintflut – 16. September 2020 bis 5. April 2021