4 Prozent der Treibhausgas-Emissionen der EU-28 entstehen durch Lebensmittelabfälle. 1/3 der Lebensmittel, die zur menschlichen Ernährung produziert werden, gehen im Laufe der Wertschöpfungskette verloren. In Europa landen 20 Prozent aller Lebensmittel, die für den menschlichen Verkehr erzeugt werden, im Müll. Diese rund 88 Millionen Tonnen entsprechen einem Wert von rund 143 Milliarden Euro. Jeder österreichische Haushalt wirft jährlich durchschnittlich 43 Kilogramm genießbare Lebensmittel in den Müll, auf das ganze Land bezogen 206.000 Tonnen. Am häufigsten werden dabei Brot, Backwaren, Obst und Gemüse entsorgt. Mit der Menge an Brot, die in Wien jeden Tag vernichtet wird, könnte ganz Graz versorgt werden.
Das sind nur einige der horriblen Daten, mit denen die Besucher der Ausstellung „Ablaufdatum“ gleich beim Eingang konfrontiert werden. „Die Verschwendung der Zahlen“ nennt sich die kreative Installation im Naturhistorischen Museum, bei der Papierrollen mit Fakten, Statistiken und Grafiken in sechs offenen Müllcontainern platziert wurden und in Dauerrotation eine erschütternde Einführung über die globale und nationale Lebensmittelverschwendung vermitteln.
Der Titel der Ausstellung, „Ablaufdatum“, eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine Überschreitung der Haltbarkeitsfrist auf der Verpackung, bezeichnet einen der Hauptgründe für die enormen Lebensmittelverluste. So wird der Terminus „Mindesthaltbarkeitsdatum“ von vielen Konsumenten falsch ausgelegt. Darunter versteht man die Garantie des Herstellers, dass bis zu einem definierten Zeitpunkt Produkteigenschaften wie Geruch, Geschmack oder Konsistenz erhalten bleiben. Die Lebensmittel können aber auch nach Ablauf dieser Frist noch gegessen werden. De facto landen aber viele dieser Waren im Haushalts-Müll. Verwechselt wird das MHD zumeist mit dem Verbrauchsdatum, das für leicht verderbliche Lebensmittel (wie Fleisch, Fisch oder Rohmilch) vorgeschrieben ist. Ein Verzehr von Waren nach dessen Überschreitung kann eine Gesundheitsgefährdung nach sich ziehen.
„Die Täuschung im Supermarkt hat System – Das Treiben der Nahrungsmittelkonzerne grenzt an Körperverletzung durch Irreführung“ – Dieses Zitat von Thilo Bode, Gründer und Leiter der Verbraucherrechtsorganisation Foodwatch International, prangt unter einer Stellage von Limonaden, Joghurts und Müsli-Riegel-Packungen. Dort wird auch gleich aufgeräumt mit einigen Ernährungs-Legenden: Lightprodukte (die kalorienreich und zu viel Zucker und Salz enthalten); Kinderlimonaden, die kaum echte Früchte, aber mit künstlichen Aromen und mit der für Kinderzähne schädliche Zitronensäure E330 versetzt sind, Energy Drinks mit bis zu 7 Stück Würfelzücker pro Glas, die als Hauptursache für Fettleibigkeit gelten.
Im Raum nebenan steht doppelstöckig eine Reihe von Supermarktwägen, in denen Videoscreens platziert wurden. Diese weisen mit ihren Kurz-Filmen auf gesellschafts- und umweltpolitische Probleme unserer Zeit hin, auf die Zerstörung des Regenwalds, die Überfischung durch industrielle Fischfangflotter, die Ausbeutung von Arbeitnehmern in den Entwicklungsländern, die grausame Massentierhaltung der Hühner oder die Schweinezucht auf Vollspaltenböden.
Auf der anderen Seite der Konstruktion blickt der Besucher auf ein riesiges Supermarktregal mit den unterschiedlichsten Produkten von Brot, Fisch, Obst, Tomaten bis hin zu Bananen und Tiefkühlware. Basierend auf Produktionsbedingungen, Transport oder Zusammensetzung des Produkts werden Tips und Empfehlungen gegeben, wie sich der Konsument bei der Auswahl der Waren entscheiden soll.
Links platziert ist eine durchsichtige Box, vollgefüllt mit 2 m3 Kunststoff-Müll. Das ist genau jener Wert, den eine sechsköpfige Familie pro Jahr produziert. 2015 lag der Kunststoff-Bedarf in Ö über einer Million Tonnen, ein Drittel davon für Verpackungen und Plastiksackerl. Derzeit werden nur 28 Prozent des Plastikmülls wiederverwertet.
Im Zentrum der Kritik steht auch die industrielle Landwirtschaft, die ein Drittel der Treibhausgase produziert. „Wir essen Erdöl“, ein Zitat des britischen Ökonomen Schumacher, weist darauf hin, dass der Energieverbrauch für die Produktion der Nahrung immer mehr ansteigt. Für eine Tonne Stickstoffdünger sind zwei Tonnen Erdöl erforderlich. Problematisch ist auch der dramatische Bodenverlust in Österreich. 2019 wurden 45 m2 fruchtbarer Boden verbaut und mit Beton und Asphalt versiegelt. Dies entspricht der Fläche von Eisenstadt.
Präsentiert werden in der Ausstellung auch Initiativen, die sich gegen die Lebensmittelverschwendung einsetzen: Die in Berlin entstandene Community „Foodsharing“, die Wiener Tafel und die per App agierende Organisation „TooGood to Go“. Die Kehrseite des Konsums symbolisieren die sogenannten „Dumpsterer“, die – in einer rechtlichen Grauzone – in Mülltonnen der Supermärkte nach genießbaren Lebensmitteln tauchen. Schätzungen zufolge handelt es sich dabei um 500-600 Tonnen pro Jahr und pro Markt.
Laut dem Regierungsprogramm 2020-2024 ist das „Verbot des Entsorgens von genusstauglichen Lebensmitteln aus dem Lebensmitteleinzelhandel“ geplant. Dass die aktuelle türkis-grüne Koalition dies umsetzen wird, scheint aufgrund der zahlreichen internen Konflikte fast ausgeschlossen.