„Mein Name ist Volker Bruch. Ich bin Schauspieler. Und ich habe Angst. Aber ich merke, wie die Angst nachlässt. Und das macht mir Angst“. Eindringlich blickt der „Babylon Berlin“-Hauptdarsteller dabei in die Kamera und notiert mit einer Kreide das Wort „Angst“ zigfach auf eine Schultafel. Dann folgt der Appell an die Exekutive: „Liebe Regierung, macht uns mehr Angst!“ Und an die Bürger die Bitte: „Bleiben Sie gesund. Und halten Sie sich an Ihrer Angst fest!“
Das erste Video von insgesamt 52 unter dem Hashtag #allesdichtmachen, mit denen sich 52 Schauspieler aus dem deutschsprachigen Raum an die Öffentlichkeit gewandt haben, um die teils unverhältnismäßigen und absurden Corona-Maßnahmen in Zweifel zu ziehen. Ziel des Projekts sei es laut Regisseur und Mitinitiator Dietrich Brüggemann („Tatort“), den Diskursraum wiederaufzumachen und zu verbreitern. Das Echo der Medien, diverser Künstlerkollegen und linksliberaler Moralisten war unüberhörbar.
Angst
In Österreich kennen wir noch die Aussagen des Bundeskanzlers Kurz. „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“ oder „Hätten wir diese Schritte nicht gesetzt, dann gäbe es eine massive Ausbreitung in Österreich mit bis hin zu über 100.000 Toten“. Der renommierte Demokratieforscher Wolfgang Merkel bezeichnet diese Art von Regierung als „Governance by Fear“. Politiker wie Kurz oder Söder nutzen die Worst Cases-Expertisen diverser Wissenschaftler als Rechtfertigung ihrer Politik. Und zwar nicht deswegen, weil diese Verbote unbedingt notwendig sind, sondern um in der Gunst der Wähler zu steigen. Und ein Schauspieler darf diese Angst-Tiraden der von den Bürgern demokratisch nicht legitimierten Exekutivorganen nicht satirisch abhandeln?
Kulturverbote
„Niemand braucht Kunst. Überhaupt nie wieder Aufsperren. Das Analoge ist vorbei. Lasset uns gemeinsam nur noch zu Hause bleiben“ spöttelt Manuel Rubey resigniert in seinem Clip. Gleichzeitig liegen Verfassungsklagen 10 verschiedener Künstler und Intellektueller vor dem Verfassungsgerichtshof, die das monatelange Kultur- und Kunstverbot und damit auch das Verbot ihrer Berufsausübung als unverhältnismäßig erachten. Das spannende – auch für die Zukunft emiment wichtige – Erkenntnis wird in wenigen Wochen erwartet.
Eine dieser höchstgerichtlicher Klägerinnen ist „Vorstadtweib“ Nina Proll, die bereits mit ihrem Song „I zag di an“ die Corona-Maßnahmen und das Denunziantentum der Österreicher in Verbindung mit den Ausgangsbeschränkungen kritisiert hat. „Ich wünsche mir auch weiterhin, dass Virologen unser Leben bestimmen, denn nur sie können bestimmen, was für uns wirklich gesund ist“, so ein Textzitat. Und tatsächlich standen bei den Entscheidungen der Politiker die 7-Tages-Inzidenzen, die Reproduktionszahl und diverse Simulationsmodelle stets im Mittelpunkt. Auf Kollateralschäden für Wirtschaft, Bildung, Familien und Kinder wurde kaum Rücksicht genommen.
Pleitenwelle
„Dieser Laden hinter mir hat zwei Weltkriege überlebt.Ich freue mich, dass er jetzt weg ist, denn wir haben eh nichts mehr zu feiern“ fabuliert die kecke Schauspielerin Kea Könneker. Im Hintergrund blickt man auf das im März 2021 für immer geschlossene Kostüm- und Party-Artikel-Geschäft Deko Behrendt in Berlin-Schöneberg. Ein immenser Verlust auch für die queere Community der Szenemetropole und nur die klitzekleine Spitze des Eisberges. Laut einer Simulation der Nationalbank droht in Österreich bis Ende 2022 eine enorme Insolvenzwelle. 9,7 Prozent der heimischen Unternehmen, das sind über 50.000 Betriebe, stehen vor der Pleite. Ist die Wahrheit den Menschen nicht zumutbar, auch wenn diese satirisch umschifft wird?
Regierungstreue Medien
Kritik an der Homogenisierung der Medien kommt von einem Schauspieler, der bereits kurz vor dem Mauerfall am Berliner Alexanderplatz gegen das SED-Regime demonstrierte: Jan Josef Liefers. „Danke an die Medien, die dafür sorgen, dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen, immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung!“ Er hätte wohl weniger höflich formuliert, wenn er in Österreich leben würde.
„Reporter ohne Grenzen“-Präsidentin Rubina Möhring kritisierte zuletzt in einem Online-Pressegespräch mit Blick auf die Pressekonferenzen der Kurz-Regierung, dass „die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt während der harten Zeit der Corona-Krise benutzt wurde wie ein Staatsfernsehen“. Alleine das Bundeskanzleramt schaltete 2020 Inserate von 21 Millionen Euro, alle Ministerien gemeinsam 47 Millionen Euro. Dazu wurden die (Boulevard)-Zeitungen und Privatsender von der Regierung mit einer Corona-Medienförderung von rund 32 Millionen Euro ausgestattet, die ihresgleichen sucht. Wer beißt schon die Hand, die einen füttert?
Psychische Belastungen der Kinder
Die Wiener Schauspielerin Christine Sommer erzählt in ihrem Kurz-Clip von einem 13jährigen Mädchen, das sich in ihrem Zimmer versteckt, komplett schwarz kleidet und sich das Essen vor die Türe stellen lässt. Seit drei Tagen wurde dieses nicht mehr angerührt. Essstörungen, Depressionen, Rückzug aus dem sozialen Leben, Angst, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit, das sind Zustände, die gehäuft bei jungen Menschen auftreten. Laut einer Studie der Donau-Universität Krems leiden 55 Prozent der Schüler und Schülerinnen ab 14 unter einer depressiven Symptomatik, die Hälfte unter Ängsten, ein Viertel unter Schlafstörungen. 16 Prozent haben sogar suizidale Tendenzen.
Soziale Ungleichheit
Die Corona-Krise wirkt wie ein Turbo-Boost auf die ohnehin schon gravierende finanzielle und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft. Auf der einen Seite die Müllarbeiter, Lieferdienste, Supermarktkassiererinnen und Pflegerinnen, die stundenlang unter strengsten Hygienebedingungen und erhöhter Infektionsgefahr ihre Arbeit verrichten, auf der anderen Seite privilegierte Arbeitnehmer und Selbständige, die ihre Home Office in ihren großen Wohnungen einrichten oder eine freiwillige Siesta einlegen. Und wehe, die schlecht bezahlten Systemerhalter halten am Wochenende bei ihrer Flucht aus ihren engen, dunklen Wohnungen den Sicherheitsabstand nicht ein, dann wird von den Balkonen und Dachterrassen aus denunziert. Brillant arrogant und dekadent dargestellt von Nadine Dubois.
Die eigentlich inkompatible Gleichsetzung von Distanz und Nähe bzw. Sicherheit und Freiheit, die (vor allem in Österreich) grassierende „Testpandemie“ („Zum PCR-Test nur mehr mit negativem PCR-Test“, Miriam Stein), der „Schutzwall aus Masken, Regeln, Zahlen und Abmachungen“ (der die Menschen in die Isolation treibt) und die rigide Abhängigkeit des gesellschaftlichen Lebens von Inzidenzzahlen (die von vielen – in den reichweitenstarken Medien fast ungehörten – Experten angezweifelt wird) sind weitere Themen, die in den Clips behandelt werden.
Rechte Ecken
Dass dazu Applaus aus dem rechten Lager kommt, war vorauszusehen. Auch von den Schauspielern selbst. „Ich lass mich nicht in die rechte Ecke stellen“, so Markus Gläser, der sich Filmsets in runden Räumen ohne Ecken wünscht.
Die öffentlichen Medien und linksliberalen Kritiker der Clips registrierten diese klare Distanzierung (oder wollten sie nicht registrieren?), sind brutal in die Falle gegangen und merken gar nicht, dass sie noch immer drinnenliegen. Nur weil rechte Gruppierungen gegen die Corona-Politik auftreten, heißt das nicht, dass damit Kritik an den Maßnahmen tabu ist und man untertänig die Regierungspolitik huldigen muss. Bedingungsloses Grundeinkommen, Vermögenssteuer für Millionäre, Unterhaltsgarantie für Kinder, Erweiterung des Gleichbehandlungsrechts,,… - Reformvorschläge, die dann obsolet sind, wenn sie von Rechten gefordert werden? Anscheinend die strange, heuchlerische Denkweise diverser Medien, Meinungsmacher und Moralisten.
Dies gilt auch für die weltweit stattfindenden Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Wenn sich dort auch nur wenige Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker befinden, werden pauschal alle Demonstranten mit diesen gleichgesetzt und diskreditiert. Tatsächlich befinden sich unter den Gegnern der Corona-Maßnahmen mehr als zwei Drittel Linke und Grüne, die mit rechten Parolen nicht geködert werden können und laut Polit-Experten großteils ins Lager der Nichtwähler abwandern werden.
Den frappanten Unterschied zwischen der medialen Öffentlichkeit und der tatsächlichen öffentlichen Meinung zeigt auch eine YouTube-Statistik vom 25. April. Der Kanal #allesdichtmachen hatte zu diesem Zeitpunkt 11,4 Millionen Aufrufe und 681,279 Reaktionen. 96 Prozent (657.209) waren positiv, nur 4 Prozent (24.070) negativ.
„Verzweifeln Sie, aber zweifeln Sie nicht“, Jan Josef Liefers…