„An der Zeitgenossenschaft fährt kein Weg vorbei. Und Sachen, an denen man eh nicht vorbeikommt, sollte man mit Leidenschaft erledigen. Dann ist es weniger fad.“ Gesagt, getan. Nach mehr als 20 Programmen und zahlreichen Auszeichnungen (wie dem österreichischen Kabarettistenpreis und dem Deutschen Kleinkunstpreis 2016 für „Der Tolerator“) im Laufe seiner über 30jährigen Karriere präsentierte der Wiener Kabarettist Thomas Maurer im Wiener Stadtsaal sein neuestes Werk unter dem Titel „Zeitgenosse aus Leidenschaft“.
Einziges Requisit auf der Bühne: Ein Sessel, auf dem sich der Kabarettist manchmal niederlässst und – eingebettet in eine Alltagshandlung (dem Kauf eines Poolsaugers) – über das Leben und die Gesellschaft philosophiert. Im Mittelpunkt stehen dabei weniger die Corona-Krise („einfach scheiße, blockiert das normale Leben“) oder die politischen Missstände (die werden ohnehin gemeinsam mit den „Staatskünstlern“ Florian Scheuba und Robert Palfrader scharf debattiert), sondern die Auswüchse des modernen Zeitgeistes, garniert mit spannenden Details und hintergründigem Schmäh.
Maurer zieht einen fast brutalen historischen Konnex zwischen dem Kannibalismus der Azteken und den 15.000 Toten im Rahmen der Errichtung der Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar und ruft zum Boykott der WM auf. Im Kreuzfeuer der Kritik steht auch der US-Amazon-Multimilliardär Jeff Bezos, der mit einer „Penis-Rakete“ Richtung All startet. Oder die reichsten Familien von Florenz, die sich zwischen 1423 und der Gegenwart nicht verändert haben.
Zu Beginn des Programms thematisiert Maurer die im urbanen Milieu grassierende „Alles Woke“-Bewegung. Und überlegt sich gleichzeitig, diesen Part am Land wegzulassen. „Die glauben sonst, ich war vorher asiatisch essen“. Die gesamte Show wird fleißig gegendert, „außer bei Arschloch und Nazi“. Denn: „Gegenderte Sätze sind wie Windkraftparks: Nicht schön anzusehen, aber ganz ohne wird es auf Dauer auch nicht gehen.“
Ein besonderes Anliegen sind Maurer auch die negativen landschaftlichen und kulturellen Veränderungen in Österreich. „Am Land sind die Menschen konservativ, so ein Art Naturgesetz. Aber was ist am Land konserviert worden? Das Ortsbild oder die dörfliche Kultur?“ Die Landbewohner behaupten zwar, es sei ihnen in der Stadt zu anonym. Tatsächlich aber seien die Dörfer ausgestorben, „kein Greissler, kein Wirtshaus, keine Post“. Unterwegs seien keine lebenden Menschen, sondern nur die SUV´s, die er als „Werkfahrzeuge vom Todesstern“ metaphorisiert.
Bei seiner Autofahrt im Speckgürtel darf natürlich auch die Bodenversiegelung nicht fehlen. Mit Wehmut denkt er an den Süden Wiens von früher, durch den sich Beethoven einst zur „Pastorale“ inspirieren ließ. „So sieht das Anthropozän aus, wenn der Baumeister der Schwager vom Bürgermeister ist“, so seine zynische Bemerkung über ein Shopping Resort außerhalb Wiens, bei dem einstöckige Betonhallen mit Riesenparkplätzen nebeneinander platziert worden sind.
Dazu historische Reminiszenzen an Andreas Hofers Kampf gegen die Bayern, unterhaltsame Suchtanalysen („Als freier Künstler brauch ich ka Abhängigkeitsverhältnis“), Gedanken an die eigene Jugend als Ministrant, „böse“ Seitenhiebe auf die „Salonbobos“ und ein humorvoller Blick auf japanische Reisegruppen, die Kunstwerke im Smartphone-Display statt in Echtzeit betrachten. Wie die verspätete Klospülung im Flugzeug.
Maurers neues Programm: Eine politisch korrekte Magical Mystery Tour durch das 21. Jahrhundert mit vielen intelligenten Denkansätzen, lässigen Aphorismen und subtilen Zeitgeist-Kommentaren. Oder wie es Maurer selbst formuliert: „Sarkasmus ist die Würze der Debatte“…