„Wenn man sich die Gemälde Basquiats laut vorliest, die Wiederholung, den Rhythmus, dann kann man Jean-Michel denken hören“, Hip Hop-Pionier Fab 5 Freddy über die meist mit Sprache und Schrift „geschmückten“ Kunstwerke seines Freundes, der – ähnlich wie die Rapper aus der New Yorker Bronx – bereits vorhandene Worte, Zeichen und Piktogramme verwendete und daraus neue Konstrukte bastelte. Egal, ob man das jetzt „Copy and Paste“ oder „Remixing“ nennt…
Die Wiener Albertina präsentiert in ihrem Herbstprogramm eine Retrospektive Basquiats, die seit der Eröffnung am 9. September 2022 regelrecht gestürmt wird, insbesondere von sehr viel jungen Kultur-Freaks. Kein Wunder, blickt man auf die schillernde Lebensgeschichte des ersten afroamerikanischen Künstler-Stars der 80er. Basquiat zählt – wie Kurt Cobain, Amy Winehouse oder Jim Morrison – zum „Club 27“, der 1960 in New York geborene Sohn eines Haitianers und einer Puerto Ricanerin – starb nach einer sensationellen Karriere in den wilden 80ern - mit einem Gesamtwerk von rund 1000 Gemälden und 2000 Zeichnungen – am 12. August 1988 an einer Überdosis Heroin. Kurz, bevor er mit seinem Freund Ouattara Watts Richtung Elfenbeinküste geflogen wäre, um dort clean zu werden.
Aufstieg
Basquiat wuchs in einer gesellschaftlich diffizilen Zeit auf. In New York grassierte die Kriminalität, er selbst haute mit 17 – trotz adäquater Schulbildung – von zu Hause ab, war jahrelang obdachlos und fabrizierte gemeinsam mit seinem Schulfreund Al Diaz – unter dem Pseudonym „SAMO“ (= Same Old Shit) - Graffitis im Galerienviertel Soho. Er hatte bereits damals das Ziel, einer der größten Künstler Amerikas zu werden und bewegte sich im richtigen Umfeld, im schrillen New Yorker Underground wie dem Mudd Club, dem CBGB (wo er – als Klarinetten- und Synthesizer-Musiker - mit seiner Noise-Band Gray auftrat) oder der „TV-Party“-Punk-Rock-Show (die vom Warhol-Intimus Glenn O´Brien moderiert wurde). Basquiat agierte im Blondie-Kult-Video „Rapture“ als DJ, das den Hip Hop-Sound der Bronx in den Mainstream pushte, Sängerin Deborah Harry war – laut seiner damaligen Freund Suzanne Mallouk – die erste, die ihm ein Bild um 200 Dollar abkaufte.
Ruhm
Ein Jahr später waren seine Bilder 20.000 Dollar wert, sein Face erschien auf dem Cover der New York Times („New Art, New Money“), und mit 21 war er bis heute der jüngste Teilnehmer der arrivierten documenta. Obwohl jetzt Millionär, haben sich allerdings seine Wertvorstellungen und seine Ansichten nicht verändert. Wie im Werk „Pedestrian“ sieht sich Basquiat weiterhin als schwarzer Außenseiter, der inmitten der Wohnblöcke New Yorks einsam durch die Straßen streift.
Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt
Rassendiskriminierung, Polizeigewalt, der Kolonialismus, die Konsumgesellschaft, das sind die Themen, die Basquiat mit seinen progressiven Kunstwerken anspricht. In einer Zeit der „Null Toleranz“-Politik in New York, als kleinste Vergehen der People of Color streng bestraft wurden und sein Freund Michael Stewart nach einem brutalen Polizeieinsatz wegen Sprayens (!) in der Subway 13 Tage danach an seinen Verletzungen starb. „It could have been me“, so Basquiats Statement, ein grelles Comic-Bild mit Polizist, einem Verletzten mit Beule und den Schriftzügen „Blam Boom Bang. Wo bin ich“, seine künstlerische Anklage gegen den Rassismus der Staatsgewalt.
New York City Boy
Im „hypermanischen“ Zustand habe Basquiat seine Bilder gemacht, so seine erste Freundin und spätere Psychiaterin Mallouk, nächtelang wach, bis zu 20 Werke gleichzeitig und teilweise unter dem Einfluss von Kokain und Heroin. Das hat seiner Popularität nicht geschadet, in einer Zeit, in der alle in der New Yorker Szene Drogen nahmen. Madonna nutzte Ende 1982 – kurz vor ihrem explosiven Aufstieg mit „Holiday“ – den Einfluss Basquiats und war mit ihm kurz liiert, Pop Art-Ikone Andy Warhol konzipierte gemeinsam mit dem neuen Shooting Star Basquiat und Francesco Clemente rund 150 „Collaborations“, die aber von den Kritikern zerrissen wurden.
Riding on Death
Warhol, von dem sich Basquiat nach dem Misserfolg distanziert hatte, starb 1987 überraschend nach einer Routine-Operation, die Aids-Pandemie erfasste die Pop-, Kultur- und Club-Szene in New York. Basquiat fiel in ein tiefes Loch, wurde zusehends depressiver und schwer heroinabhängig. Seine letzten Zeichnungen enthielten Phrasen wie „Man Dies“ oder Titel wie „Riding on Death“, als ob er seinen Tod vorherahnte.
Basquiat ist in New York als Obdachloser gestartet, hat – zumindest oberflächlich – ein Leben auf der Überholspur gelebt und hat binnen weniger Jahre den Künstlerolymp erreicht. Mit einer Krone als Trademark. 2017 wurde ein Werk Basquiats zum Rekordpreis von 99,4 Millionen Euro versteigert. In Wien drängen sich die Menschenmassen, um seine Gemälde gegen aktuell noch immer herrschende Missstände zu betrachten. Man blickt vor dem Verlassen des Untergeschoßes der Albertina Richtung Treppe auf ein übergroßes freundliches Gesicht eines Afro-Amerikaners, der seit 34 Jahren auf dem Brooklyner Friedhof liegt. Und man wird irgendwie traurig und nachdenklich. Und sicher nicht zum letzten Mal, wenn ein junger Künstler sich viel zu früh von der Bühne des Lebens verabschiedet...