Rebellion der Angry Young Girls: Yoshitomo Nara in der Albertina Modern!

„Es sind keine Kinder, die ich male. Für mich sind das alles eigene Selbstporträts“, so der japanische Künstler Yoshitomo Nara, der mit seiner Retrospektive „All my Little Words“ von 10. Mai bis 1. November 2023 in der Albertina Modern vertreten ist. Im Mittelpunkt dieser mehr als 600 Werke umfassenden Ausstellung stehen dabei die „angry girls“ oder „big headed girls with piercing eyes“ (oder wie man so auch bezeichnen mag), die Nara Anfang der 90er entwickelt hat und die zu seiner Trademark geworden sind.

 

Die Einsamkeit und das Alleinsein hatten dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung dieser Comic-Figuren. Nara wuchs auf dem Land auf, spielte dort am liebsten mit Tieren und führte gerne Selbstgespräche. Dies hat sich auch nicht geändert, als er in der Großstadt Tokio lebte (wo man sich unter vielen Menschen allein fühlt) oder später im Rahmen seines Studiums in Düsseldorf, wo er die deutsche Sprache kaum beherrschte. „Statt des Wortes hatte ich die Kunst“, so Nara, der mittels seiner Girls-Zeichnungen seine Gefühle und Emotionen ausdrückte. Eine große Inspirationsquelle Naras ist auch die westliche Musik, die er bereits als Kind über die amerikanische Military Radio-Station Far East Network genossen hat. „I listen to music, when I draw“: Die Werke, die Nara auf den verschiedensten Materialien – von Zetteln, Kuverts bis Flyern oder Kartons – realisiert, haben allerdings weniger mit den Songinhalten als mit seinem persönlichen Seelenzustand und mit Gesellschaftskritik im Stile der Punk- und Hippie-Kultur zu tun. 

 

„Live for the Moment“, „Marching on, still alive“, „I´m a son of a gun“ oder ganz straight „Fuck U“ kommen da aus dem schmalen, ungeschliffenen Mund der Young Girls mit ihren stechenden Augen und ihren zornigen Blicken. Der Sound darf natürlich nicht fehlen: Die „Long Hair Rockers“ spielen fetzige Gitarren und laute Drums. Und schrecken auch vor dem Einsatz von Boxhandschuhen nicht zurück. Ob hinter „Stand by me“ der Wunsch nach Zweisamkeit oder die Aufforderung nach mehr Solidarität steckt, das bleibt im Auge der Betrachter, die durch die Comic-Figuren, ihre Gefühlsausbrüche und ihre Parolen auch mit ihrer eigenen Identität, ihrer Vergangenheit und ihren Wertvorstellungen konfrontiert werden sollen. „If the audience is able to discern new discoveries, then that makes me happy“, so Yoshitomo Nara, der – wie auch bei seiner großen Retrospektive im Los Angeles County Museum of Art (LACMA) – die chronologisch angeordneten Ausstellungsparcours persönlich zusammengestellt hat.

 

Eine Zäsur seiner künstlerischen Karriere erlebte Nara durch die Dreifachkatastrophe an der Ostküste Japans im März 2011. Ein Seebeben löste Tsunami-Flutwellen aus, die eine Fläche von über 500 km2 der japanischen Pazifikküste überfluteten und zu Unfällen im Atomkraftwerk Fukushima führten. Nara zweifelte an der Sinnhaftigkeit seiner Kunst, begann dann aber große Bronzeskulpturen (wie der in der Albertina Modern ausgestellten „Midnight Pilgrim“) zu konzipieren. Der gesellschaftskritische Aktivismus kam aber bald zurück, der sich vor allem gegen die Atomkraft („Love or Nuclear“) und gegen die Informations- und Kommunikationspolitik des Staates („For true democracy to work, people need easy access to independent diverse sources of news and information“) richtete.

 

Finales Highlight der Ausstellung ist der „Drawing Room“ des Künstlers, der in einem separaten abgedunkelten Raum in Form einer Hütte aufgestellt wurde. „A Place like Home“ nennt sich dieses Konstrukt, das den (fingierten) Atelierraum des Künstlers zeigt, mit all seinen Stiften, Zeichnungen, Zetteln, Kalendern, Landkarten, Radios, Bierflaschen und Kuscheltieren. Ein Ort, an dem Nara nicht nur künstlerisch tätig ist, sondern sich auch zurückzieht, um seine Gedanken und Ideen zu sammeln. Als Background hört man seine sixties-angehauchten Lieblingssongs – von den Byrds, Donovan, Mary Hopkin bis hin zu Barry Mc Guires „Eve of Destruction“. 

 

Yoshitomo Nara ist nicht nur in der Kunstszene angesagt – seine Originalwerke werden um viele Millionen Dollars verkauft – sondern auch in der Protestkultur. Seine Werke werden bei zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen verwendet. Unterstützt vom Künstler selbst, der diese per Download gratis zur Verfügung stellt. Bei der nächsten Demo in Wien also darauf achten, ob ein Angry Young Girl den Protestzug begleitet…