„Kind sein heißt, die Welt mit anderen Augen zu sehen“, das ist nur eines von vielen Zitaten, die die Ausstellungsbesucher zum Nachdenken, Erinnern und Schmunzeln bringen und die bereits auf dem Weg hinauf zum Renaissance-Schloss Schallaburg platziert wurden. „Kind sein“ – Eine Ausstellung, die für alle Generationen informativ, kurzweilig und penibel zusammengestellt wurde, für Großeltern, die sich noch an tradierte Unterrichtsformen und längst vergessene Ausstattungen erinnern können, für Eltern, die sich mit einer modernen Zeitepoche konfrontieren müssen und manchmal mit den Kindern nicht mehr Schritt halten können und natürlich für die Kinder selbst, die in den 15 Räumen der Ausstellung interaktiv spannende Fragen stellen, eine Zukunftsberufsmaschine testen oder sich mit der gesamten Familie auf einem überlebensgroßen Sessel fotografieren lassen können. Eine Perspektive, die jedes Baby oder Kleinkind durchmacht, wenn es auf die riesige Welt der Erwachsenen blickt. Doch die Zeiten ändern sich bald.
Internationale Riten
„Denn die Kinder lernen täglich Neues. Und das in einem Tempo, das uns als Erwachsene schwindlig machen würde“. Und dieses Lernen findet noch dazu inmitten gesellschaftlicher und religiöser Riten statt, Erstkommunion oder Firmung in unseren Breiten. Im antiken Griechenland wurden beim Dionysos-Fest bereits 3jährige in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen, als Symbol ein Weinkännchen. In vielen Regionen Lateinamerikas werden 15jährige Mädchen im Rahmen der „Fiesta de quinceanera“ gefeiert, als Geschenk bekommen sie eine letzte opulente Puppe als Abschied von der Kindheit. In Indien erhalten Frauen bei der ersten Menstruation einen teils umstrittenen Halb-Sari-Wickelrock.
Schule
„Kind sein heißt auch, für das Leben zu lernen und für die Schule“. Was naturgemäß nicht immer Begeisterung bei den Kids auslöst. Beim „Nie mehr Schule“-Spind fehlt nur der gleichnamige Falco-Track aus seinem ersten Album „Einzelhaft“, genial ist die auf eine kleine Box komprimierte Schummelsammlung. Eine Schulordnung der niederösterreichischen Gemeinde Michelstetten aus dem Jahre 1950 zeigt, wie rigide und konservativ einst die Zustände an den Schulen waren. Der Turnaround hat längst stattgefunden, viele Lehrer haben jetzt anscheinend vor den Schülern Angst, bereits 1994 vom Karikaturisten Gerhard Haderer aufs Tapet gebracht. Laut einer Studie aus dem Jahre 2018 wurden ein Viertel der deutschen Lehrer mit Schülergewalt konfrontiert, von Beschimpfungen in sozialen Medien bis hin zu körperlichen Angriffen.
Kindergemälde
Wie Kinder und Familien in den letzten Jahrhunderten unterschiedlich gesehen wurden, zeigen zahlreiche historische Gemälde in der Ausstellung. „Wild“ beim schreienden Knaben von Wilhelm Busch, „niedlich“ und romantisierend bei Friedrich von Amerling oder beim Jugendstil-Maler Franz Matsch, dessen Töchter das Cover des Ausstellungskatalogs prägen. Bei den Römern wurden die Familienmitglieder sogar auf den Grabreliefs abgebildet, die Kernfamilie stand im Mittelpunkt der Biedermeierkunst. Moderne Bilder nehmen dagegen Bezug auf die stetige Änderung der Rollenverteilung, der unterschiedlichen Gefühle und Sehnsüchte der Kinder und auf die Überforderungsängste der Frauen.
Extravagante Exponate
Die Ausstellung zeigt auch eindrucksvoll, wie sich im Laufe der Zeit die Kinderwägen, Spielplätze, Sitzgelegenheiten und Spielzeuge der Kinder geändert haben, teils mit extravaganten Exponaten. Der „Bavaria“-Kinderwagen aus dem Jahr 1952 beispielsweise folgte dem Design der Auto-Industrie und war mit eigenen Stoßstangen ausgestattet. Der „Zocker“-Stuhl des deutschen Designers Luigi Colani, der sowohl als Sitzobjekt mit Rückenlehne als auch mit Pult verwendet werden konnte, wurde später auch für die Erwachsenenwelt adaptiert. Ein Babypod aus dem Jahr 2016, dessen Lautsprecher vaginal eingeführt werden, soll bereits das Ungeborene mit Musik versorgen, Spotify-Kanal inklusive. Nicht mehr auf dem Markt dagegen ist die sprechende Puppe „My Friend Cayla“ (2016), diese wurde aufgrund einer ungesicherten Blue Tooth-Verbindung als „verbotene Sendeeinheit“ klassifiziert und mit einem Verkaufsverbot belegt.
Digitales Tracking
Überall erhältlich dagegen sind 4 G-Smartwatches für Kinder, mit denen die Eltern den genauen Aufenthaltsort ihres Kindes bestimmen können. Laut eine Umfragen nützen 15 Prozent der Eltern digitales Tracking, 42 Prozent lehnen es kategorisch ab. Eine von vielen spannenden Statistiken in der Ausstellung, die für Diskussionsstoff sorgen und zum Nachdenken anregen sollen. So gehören bei den 3- bis 10jährigen zwar noch das Draußenspielen und das Treffen mit Freunden und Familien zu den Top Freizeitaktivitäten, bei den älteren Kindern zwischen 11 und 17 dagegen beschäftigen sich bereits fast ein Viertel mindestens 5 (!) Stunden mit dem Handy.
Thematisiert werden in der Ausstellung auch brisante Topics wie Mobbing, Kinderarbeit (die weltweit rund 160 Millionen Kinder, vor allem in der Landwirtschaft, betrifft), Spielzeugwaffen für Kinder oder das (zu) frühe Nachahmen erwachsener Mode- und Schminktrends. Die 1959 entstandene Barbie-Puppe, die einer Comic-Figur aus der Bild-Zeitung („Lilli“) entstammt, darf da natürlich nicht fehlen.
Rechtsfragen
Ein breites Feld innerhalb der gesamten Ausstellung nehmen rechtliche Fragen ein, die teils auf interaktiven Stationen beantwortet werden bzw. auf speziellen Tafeln oder Buchumschlägen klargestellt werden. So wird deutlich gemacht, dass Eltern beim Sharenting (dem Online-Teilen von Kinder-Fotos) das Recht des Kindes auf das eigene Bild beachten müssen oder dass Eltern – außer aus berechtigten Gründen - nicht das Recht haben, das Zimmer, das Handy oder das Tagebuch der Kinder zu durchstöbern. Verschlossene Kuverts öffnen und die darin eingelegten Briefe zu lesen verstößt sogar gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Briefgeheimnis. Eine Deutschpflicht am Pausenhof würde gegen das Grundrecht auf Privatleben verstoßen. Deliktsfähig sind Kinder bereits ab 14 Jahren, ab diesem Zeitpunkt können sie auch selbständig über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Die volle Geschäftsfähigkeit wird aber erst mit dem 18. Geburtstag erreicht.
Kindeswohl
Kinder stellen aufgrund der Bevölkerungszusammensetzung eine Minderheit dar. In Österreich waren 2022 14 Prozent unter 15 Jahre alt, weltweit liegt dieser Wert bei 25 Prozent. Laut Statistik Austria gelten in Österreich 353.000 Kinder als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Hier besteht extremer Handlungsbedarf seitens des Staates: 57 Prozent der Befragten sehen Verbesserungsbedarf, 13 Prozent beurteilen das Engagement der Politik für das Kindeswohl als unzureichend. Dies gilt ebenso für den Klimaschutz, die Umweltverschmutzung und die gesunde Lebensqualität in Österreich. Analog in England, wo Banksy die Mauer einer Bristoler Schule mit seiner umweltkritischen Zeichnung „Kid rolling a burning tyre“ verziert hat. Zu sehen auch im finalen Ausstellungsraum in der Schallaburg.
„Kind sein“ läuft noch bis 5. November 2023, die zahlreichen Aphorismen werden allerdings noch lange in den Gedächtnissen der Ausstellungsbesucher verharren und vielleicht auch neue Denkmuster kreieren. „Wir hören nicht auf, zu spielen, weil wir alt werden. Wir werden alt, weil wir aufhören, zu spielen“. Also auf – a la Peppa Wutz – in die Matschepfütze. Denn „Kind sein heißt, keine Wasserlacke auszulassen.“