Baustelle Elementarpädagogik: Zeit für eine offensive Kindergarten-Reform!

"Das Leben anzuregen - und es dann frei entwickeln zu lassen - hierin liegt die erste Aufgabe des Erziehers“, ein Zitat der italienischen Reformpädagogin Maria Montessori. Eine wesentliche Rolle spielt in der frühen Kindheit – neben den Eltern – die Elementarpädagogik. Warum in Österreich gerade diese wichtige Institution sowohl finanziell als auch gesellschaftlich zu wenig gewürdigt wird, ist einfach nur unverständlich. Seit Jahrzehnten versuchen zahlreiche Initiativen, eine Verbesserung der Situation zu erreichen. Von der Politik wurde zuletzt eine „Kindergartenmilliarde“, erstreckt auf mehrere Jahre, beschlossen. Nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

 

Caritas, NeBÖ (Netzwerk elementare Bildung Österreich), Educare, Diakonie Österreich, die Kinderfreunde Wien und einige weitere Vereine und Organisationen präsentierten im Jänner eine Petition mit zehn zentralen Forderungen, die zugleich die Mängel im Kindergartenwesen gnadenlos aufdecken. Vergleicht man beispielsweise die europäischen Budgets für die Elementarpädagogik, dann fällt auf, dass Österreich mit seinen 0,7 Prozent des BIP weitabgeschlagen ist. Federführend sind vor allem die skandinavischen Länder, die rund 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die frühkindliche Bildung ausgeben. Im Vorzeigeland Dänemark hat jedes Kind ab dem Alter von 26 Wochen sogar einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung bis zum Schulalter.

 

Barcelona-Ziel

 

Österreich dagegen hinkt dem sogenannten „EU-Barcelona-Ziel“ aus dem Jahr 2002 (!) hinten nach. Dort wurde vereinbart, dass bis 2010 ein Drittel der Kleinkinder (unter 3) Kinderbetreuungseinrichtungen besuchen sollten. In Österreich beträgt dieser Wert im Jahr 2023 (!) 29,9 Prozent. Für 2030 wurde ein neuer Zielwert von 31,9 Prozent festgelegt. Die höchsten Werte erreicht hier Wien (42 %) vor dem Burgenland und Vorarlberg. Bei den älteren Kindern beträgt die Quote 

94,7 Prozent. Verpflichtend ist zwar das letzte Kindergartenjahr, aber es existiert kein Recht der Eltern auf freie Auswahl des Kindergartens (was die Initiatoren der Petition gleich im Punkt 1 kritisieren). 

 

Zuständigkeit

 

In Österreich ist die Zuständigkeit für die Elementarpädagogik zersplittert. Das Kindergartenwesen ist Landessache, was bedeutet, dass in jedem Bundesland unterschiedliche Regelungen bezüglich Ausbildung, Kosten, Betreuungsschlüssel, Gehalt,… gelten. Die Proponenten der Petition fordern daher, dass die Elementarpädagogik Bundessache wird und in die Kompetenz des Bildungsministeriums fällt. Ziel ist ein einheitliches Bundesrahmengesetz mit Mindeststandards in elementaren Bildungseinrichtungen und Horten und die Sicherstellung einer langfristigen Finanzierung.

 

Gratiskindergarten

 

Die Kindergärten, Kindergruppen und Horte müssen für alle Kinder in Österreich kostenlos und ganztags angeboten werden. Das ist derzeit überhaupt nicht der Fall. Während in Wien, Burgenland und – seit Herbst 2023 – in Kärnten ein ganztägiger Gratis-Kindergarten (mit Ausnahme der Verpflegung) offeriert wird, besteht in den anderen Bundesländern Kostenpflicht mit unterschiedlich hohen Beträgen. In Niederösterreich wurde erst 2022 die Gebührenpflicht für den Vormittag aufgehoben, die Nachmittagsbetreuung ist  – ebenso wie in Oberösterreich -  weiterhin zu bezahlen. In der Steiermark sind sowohl Vormittag als auch Nachmittag kostenpflichtig, es bestehen allerdings einkommensabhängige Befreiungen und Staffelungen.

 

Öffnungszeiten

 

Ähnlich uneinheitlich sind die Öffnungszeiten. Laut aktuellen Zahlen besuchen nur rund 50 Prozent der Kinder über 3 Jahren und 60 Prozent der Kleinkinder sogenannte „VIF-konforme Einrichtungen“, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf garantieren. Darunter versteht man Kindergärten, die wöchentlich mindestens 45 Stunden, täglich 9,5 Stunden und jährlich 47 Wochen geöffnet sind. Vor allem im ländlichen Bereich werden diese Werte kaum erreicht und machen – ohne familiäre oder externe Hilfe – eine Vollzeitberufstätigkeit beider Elternteile schwer möglich.

 

Betreuungsschlüssel

 

Die Kinderbetreuung sollte auf wissenschaftlichen Standards beruhen. Laut Experten sollte der Betreuungsschlüssel zwischen 1:3 (bei Kindern unter 3) und 1:7 (bei Kindern über 3) liegen. In Österreich sind diese Werte derzeit unerreichbar, es existieren teilweise Gruppen bis zu 25 Kindern. Das sind Größenverhältnisse, die es den Elementarpädagoginnen schwierig machen, sich den individuellen Bedürfnissen der Kinder zu widmen und ihre theoretisch erworbenen Kenntnisse praktisch umzusetzen. Eine Studie der Universität Klagenfurt geht davon aus, dass mit verbesserter Strukturqualität bis zum Jahr 2030 rund 20.200 qualifizierte Fachkräfte fehlen.

 

Verbesserung der Arbeitsbedingungen

 

Gefordert werden neben einem bundesweiten, fairen Gehaltsschema für alle Berufsgruppen eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Organisation. So steigen laut Susanna Haas, einem Vorstandsmitglied von EduCare, „Elementarpädagogen oftmals aus, weil die Arbeitsbedingungen nicht passen und das Berufsfeld nicht dem entspricht, was sie in der Ausbildung vermittelt bekommen haben“. Mindestens 25 Prozent der Arbeitszeit sollen daher einer Vorbereitungszeit dienen, die u.a. für die Planung in der Gruppe, Elterngespräche, Standortentwicklung und interne Evaluierungen genützt werden soll. Wie in Schulen sollen Führungskräfte in Kindergärten und Horten für ihre Arbeit freigestellt werden. Zusätzlich ist Unterstützungspersonal für die Verwaltung, hauswirtschaftliche und handwerkliche Arbeit vonnöten.

 

Ausbildungsoffensive

 

Österreich ist nur eines von zwei europäischen Ländern, in denen die Ausbildung von Kindergartenpädagogen nicht an Hochschulen und Universitäten stattfindet, sondern auf der Sekundarstufe. Bei den aktuellen Ausbildungsangeboten zeigt sich ein deutliches Ost-West-Süd-Gefälle. Während in Wien den Berufsaspiranten zahlreiche Ausbildungsmöglichkeiten offenstehen (von der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik bis hin zu Kollegs für Erwachsene und Fachhochschulen), gibt es in den restlichen Bundesländern viel weniger Offerte. Folge daraus ist auch eine Abwerbung der Fachkräfte aus der Bundeshauptstadt.

 

Die Proponenten der Petition fordern weiters ein Anhörungsrecht von Fachleuten vor der Beschlussfassung einschlägiger Gesetze und Verordnungen bzw. ein unabhängiges Institut zur Entwicklung und Evaluierung von Qualitätsstandards für Kindergärten und Horte.

 

Die Petition kann noch bis Mitte März unterstützt werden. Eine wichtige Akzentsetzung für die nächste Bundesregierung, die diese wissenschaftlich anerkannten, notwendigen Forderungen in die Tat umsetzen sollte. Denn elemantare Bildung ist tatsächlich viel MEHR wert…

 

https://www.openpetition.eu/at/petition/online/elementare-bildung-ist-mehr-wert-kindergartenbraucht