Der Menschenfeind in der Wiener Schickeria: Kusej-Inszenierung am Burgtheater!

„Ich entdeckte, dass die Party, die am Abend des 4. Juni 1666 auf der Bühne des Theaters vom Palais-Royal begann, immer noch andauert“, so der 2022 verstorbene deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der 1979 eine Überarbeitung der bissigen Komödie „Der Menschenfeind“ von Moliere herausgab. Im Mittelpunkt: Die Schicki-Micki-Gesellschaft der Bonner Republik. 

 

Was wäre daher besser geeignet als die Handlung ins mondäne Wien zu verlegen, in die post-türkise „Feschisten“-Ära? Als Regisseur Burgtheater-Chef Martin Kusej, dessen Vertrag nicht verlängert wurde und der im nächsten Spieljahr 2024/25 vom Schweizer Stefan Bachmann abgelöst wird. 

 

Im Mittelpunkt des im November 2023 uraufgeführten Stückes steht der aus einer adeligen Familie stammende Alceste (Itay Tiran im weißen Anzug mit schwarzem Shirt), der die Pseudo-Moral und Heuchelei der Gesellschaft verachtet. Sein bester Freund Philinte (gespielt vom Film- und Theaterschauspieler Christian Luser) sieht dies pragmatisch: „Der Mensch ist eben schlecht, und schwach, und roh. Das lässt mich kalt. Die Welt ist wie ein Zoo. Die Affen prügeln sich, und der Schakal verzehrt sein Aas. So ist es nun einmal.“ Noch oberflächlicher agiert die Wiener Party-Gesellschaft, die herrlich schnöselig und arrogant persifliert wird durch die jungen Burgtheater-Ensemblemitglieder Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang und Lili Winderlich. Falco hätte seine Freude daran, so frei nach dem Motto: „Wir haben die Medizin, der Dekadenz haben wir an Preis verliehn“. Gespottet und gescherzt wird über Basti, Benko, einen Wörthersee-Bootsunfall oder über Koks in einem Szene-Restaurant. In der Rolle des Dichters Oronte, der von Alceste wegen seiner geringen Kunstfertigkeit verspottet und deshalb von ihm verklagt wird, agiert Markus Meyer, der seit Jahren mit seinem One-Man-Stück „Dorian Gray“ das Wiener Akademietheater füllt. 

 

Inmitten dieser Szene bewegt sich die Witwe Celimene (zu Beginn des Stückes wird ein Sarg abtransportiert) -, die mit all diesen Protagonisten ihre Spielchen treibt. „Spiele gibt´s zu spielen viele“… - Und gerade in diese Dame, gespielt von Mavie Hörbiger im schwarzen Glitzerkleid – ist die Hauptfigur Alceste verschossen. Kusej präsentiert diese illustre Gesellschaft auf einer verspiegelten Bühne, auf der im Hintergrund immer wieder eine Gruppe von Komparsen auftaucht, die zu Techno-Beats, Walzer, Schlager und Volksmusik abtanzen. Ein Tanz auf dem Vulkan. Vor allem die männlichen Darsteller landen zumeist in einem vorgelagerten Wassergraben. Denn die Register zieht die Femme Fatale Celimene, die in schlussendlich offengelegten Briefen alle ihre Verehrer verspottet hat.

 

Trotzdem will Alceste weiterhin, dass sie seine Liebesschwüre erhört und sich mit ihm in die „Einsamkeit zu zweit“ zurückzieht. „Ich sehe mich schon in einer Höhle kauen, Kartoffeln schälen und total verbauern: Nur du und ich, allein mit Mutter Erde und einer riesenhaften Hammelherde! Verzeih, wenn ich das etwas anders seh“. Irgendwie kann man Celimene bei solcher Unterwürfigkeit dies nicht verdenken…