Es gibt nicht viele Bahnhöfe, die mit einer derartigen Geschichte aufwarten können wie der Bahnhof Atocha im südwestlichen Zentrum Madrids. Nach der kompletten Zerstörung der vorherigen Bahnstation durch einen Großbrand wurde die Bahnhofshalle zwischen 1888 und 1892 erbaut, im Jugendstil und mit einer großen Dachkonstruktion aus Gusseisen und Glas. Der Bahnhof war damals nur als Kopfbahnhof angelegt. 1992 wurde durch den Architekten Jose Rafael Moneo eine neue Bahnsteighalle kreiert, die auch für die Abfertigung der Hochgeschwindigkeitszüge verwendet werden soll. Der Bahnhof Atocha, in dem auch zahlreiche Regionalzüge, die S-Bahnlinien und die Metro Linie 1 halten, wurde dadurch endgültig zum Verkehrsknotenpunkt der spanischen Hauptstadt.
Die alte, wunderschöne Bahnhofshalle wurde allerdings nicht abgerissen, sondern mit einem 4000 m2 großen tropischen Palmengarten versehen. Dieser besteht aus rund 70 Palmen und mehr als hundert verschiedenen anderen Pflanzenarten. Eine grüne Oase inmitten eines der am meisten besuchten Orte Madrids, in der die Fahrgäste gechillt auf die Abfahrt ihrer Züge warten oder sich in den direkt nebenan gelegenen Bars und Restaurants niederlassen können. Anfangs enthielt der Palmengarten auch einen kleinen Teich, der allerdings von vielen Besuchern rechtswidrig verwendet wurde. Im Laufe der Zeit wurden dort immer mehr exotische Tiere (wie Wasserschildkröten) ausgesetzt, im Mai 2018 veranlassten daher Tierschutzorganisationen, dass die mehr als 300 (!) Schildkröten und Fische in eine künstliche Lagune verbracht werden.
Seine düstersten Stunden erlebte der Bahnhof Atocha am 11. März 2004. Bei einem islamistischen Terroranschlag auf vier Züge wurden 193 Menschen getötet und 2051 verletzt. Die Täter zündeten insgesamt 10 Bomben, die teils im Bahnhof selbst, teils in S-Bahn-Stationen in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs detonierten. Glück im Unglück, dass drei später programmierte Bomben nicht aktiviert werden konnten. Die Täter wurden am 3. April 2004 im Rahmen einer Razzia in einem Vorort von Madrid gestellt, der mutmaßliche Rädelsführer sprengte sich selbst in die Luft, wobei auch sechs seiner Komplizen und ein Polizist getötet wurden.
Drei Jahre später enthüllte die Madrider Stadtverwaltung ein Denkmal für die Opfer des Terroranschlags in Form eines 11 Meter hohen Zylinders aus Glasbausteinen. Dieses nicht unumstrittene Mahnmal wurde 2023 wegen Erweiterungsarbeiten für die Linie 11 wieder abgebaut, die einzelnen Glasbausteine mit einem Gewicht von 8,5 Kilogramm wurden kostenlos an die Bürger verteilt, Weiterverkäufe im Internet konnten nicht verhindert werden. Als Ersatzmahnmal präsentierte die Stadt im März 2024 einen 2000 Quadratmeter großen Raum, auf dessen Wänden die Namen der Verstorbenen und Sprüche wie „Nein zur Gewalt“, „Wir waren alle in diesem Zug“ oder „Es gibt keinen Weg zum Frieden, Frieden ist der Weg“ angebracht wurden.
Wer beim Bahnhof Atocha aussteigt, der befindet sich übrigens in unmittelbarer Nähe des Paseo del Prado und der „Kunstmeile“ Madrids. Das Prado Museum, das Museo Reina Sofia und das Caixa Kunstforum warten hier auf alle kunstinteressierten Einheimischen und Touristen…