Die Musikindustrie steht seit der Dominanz der sozialen Medien vor einem radikalen Umbruch. Nicht mehr der künstlerische Anspruch steht im Mittelpunkt, sondern die Anzahl der Likes auf Instagram oder die Klicks auf Spotify, um für ein Festival gebucht zu werden, einen Label-Vertrag zu bekommen oder im Radio zu laufen. Eine horrible Situation vor allem für Newcomer, die sich gegen eine massenhafte Konkurrenz durchsetzen müssen. Ein spannendes Thema, das unter dem Titel „Under the Influence“ im Rahmen des Wiener Popfests im Wien Museum diskutiert wurde. Journalist und Popfest-Mitbegründer Robert Rotifer lud dazu die beiden Sängerinnen Veronika König (aka Farce), Sophie Löw (von Culk) und die Label-Betreiberin Annemarie Reisinger-Treiber aufs Podium. Der Algorithmus „fordere“ alle 6-8 Wochen einen neuen Release, das habe einen negativen Einfluss auf die Freude und die Kreativität, so die Culk-Frontfrau, die sich zumindest dem Social Media-Posting-Druck klar widersetzt. Man müsse die aktuelle Entwicklung akzeptieren, allerdings gibt es auch in Österreich weiterhin die Möglichkeit, „old school“ den Durchbruch zu schaffen, per Live-Gigs, klassischer Medien und durch Alternative-Sender wie FM4, so die Label-Chefin Reisinger-Treiber.
Eine Chance für Artists und Bands, den Bekanntheitsgrad zu erhöhen, bietet auch das seit 2010 stattfindende Wiener Popfest auf dem Karlsplatz. Entstanden ist dieses nach einer erfolgreichen Konzertreihe auf einer „Seebühne“ vor der Karlskirche im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft (!) 2008. Zwei Jahre später begannen die von der Stadt Wien unterstützten Planungen für ein vorerst einmaliges Event mit österreichischer Popmusik, 40.000 Leute kamen zur Premiere, damals noch im Mai. Die Festivalleiter von damals, Christoph Möderndorfer und Gabriela Hegedüs, die auch das Literaturfestival O-Töne im Museumsquartier veranstalten, sind auch heute noch in Action. Robert Rotifer selbst war in den ersten drei Jahren Kurator und verfasste dazu anlässlich des 10-Jahr-Jubiläums die Popfest-Bibel „Deka Pop“. Seit 2013 wechseln alljährlich die prominenten Kuratoren, dieses Jahr stellten die FM4-Musikredakteurin Lisa Schneider und Markus Binder von Attwenger das Programm zusammen. Eine spannende Mixtur aus bekannten Acts, Newcomern und Underground-Acts, die am letzten Juli-Wochenende die Seebühne, das Wien Museum, den TU Kuppelsaal, den TU Prechtlsaal und (am Sonntag) die Karlskirche bespielten.
Die in Brighton lebende österreichische Sängerin Viji, die bereits unter den Fittichen des britischen Indie-Produzenten Don Carey ihr Debüt-Album „So Vanilla“ veröffentlichte, begeisterte mit schnörkellosem Grunge-Rock um 17 Uhr nachmittags unter gleißender Sonne. Ein heißer Tip für die Zukunft ist auch die Wiener Post Punk-Formation Laundromat Chicks mit ihrem Mastermind Tobias Hammermüller. Aus der Hyper Pop-Ecke stammt Filly, die im Stile von Charli XCX nicht nur die Turntables rotieren ließ, sondern auch selbst zum Mikro („cowgirl in a cowboy world“) griff, volle Tanzfläche vor der Seebühne inklusive. Sophie Löw diskutierte nicht nur über Musik, sondern präsentierte mit ihrer Band Culk kongenial am Übergang von Tag zu Nacht ihr vom britischen Guardian hochgepriesenes Album „Generation Maximum“. Sharktank rund um Bilderbuch-Produzent Marco Kleebauer, Sängerin Katrin Paucz und Rapper Mile zelebrierten danach eine groovige Mixtur aus Indie, Hip Hop und Dance.
Der Samstag Abend auf der Seebühne war den arrivierten Szene-Soundzauberern vorbehalten. Ja Panik, bereits 2011 beim Popfest vertreten, zeigten black dressed mit der damals noch nicht inkludierten Gitarristin Laura Landergott, was state of the art ist: Starke Bühnenpräsenz, authentischer Widerstand gegen aktuelle politische Strömungen und prägnante Zeitgeist-Texte. Der Titel ihres aktuellen Albums „Don´t play with the Rich Kids“ sagt alles, als Final Track kongenial „Apocalypse or Revolution“. Den Schlusspunkt auf der Seebühne setzte dann Wolfgang Möstl, der gemeinsam mit zahlreichen Friends (wie eben Ja Panik, Culk, Voodoo Jürgens, Farce oder Buntspecht) seine besten Produktionen (u.a. aus „Mile me Deaf“-Zeiten) in neuem Gewand performte.
Das 15. Popfest ist zu Ende, das nächste ist bereits in Vorbereitung, mit neuen Kuratoren und einem neuen Line-Up auf der traditionellen Kult-Location Karlsplatz. Für die teilgenommenen Artists und Künstler war das Popfest neben einer Zusammenschweißung der immer größer werdenden Pop- und Indieszene Österreichs eine ideale Möglichkeit, neue Fans zu gewinnen, die ihre musikalischen Kreationen (als Downloads oder noch besser als Vinyl) kaufen und zu ihren künftigen kostenpflichtigen Gigs in die diversen Clubs, Hallen und Festivals strömen. Abseits der monströsen Umklammerung der Social Media und der Algorithmen…