Anne Imhof zählt seit ihrem Gewinn des Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig 2017 zu den renommiertesten Künstlerinnen der Welt. Die 1978 in Gießen geborene Ex-Techno Club-Türsteherin, Hausbesetzerin und Absolventin der Städelschule in Frankfurt am Main kreierte unter der Trademark „Faust“ eine progressive fünfstündige Performance mit zahlreichen Darstellern und Hunden, die sich auf einem erhöhten Glasboden bewegten. Es folgten Performances in der Londoner Tate Gallery („Sex“, 2019), im Pariser Palais de Tokyo („Natures Mortes“, 2021) und im Amsterdam Stedelijk Museum („Youth“, 2022). Beim Kremser Donaufestival war Imhof während der Corona-Pandemie mit einer Video-Performance der wellenpeitschenden Eliza vertreten. Für das Kunsthaus Bregenz war es daher ein großer Coup dass Imhof ihre neueste, 7 Jahre lang vorbereitete Ausstellung im Zumthor-Gebäude direkt am Bodensee konzipierte.
Im Mittelpunkt von „Wish you were gay“ stehen dabei nicht Performances externer Darsteller, sondern die eigene Lebensgeschichte Imhofs (und die anderer queerer Personen), eingebettet in eine düstere, dystopische Atmosphäre, die sich auf alle vier Stockwerke des Kunsthauses erstreckt. Imhof, die mit 21 Mutter wurde und ihre Tochter Zoe allein aufgezogen hat, sei „als jungenhaftes Mädchen, das in einer kleinen Stadt aufwuchs und Mädchen liebte, extrem einsam gewesen“. „Ich hatte damals keine Worte und keine Orte, um meine Wut, meine Wünsche, mein Anderssein zum Ausdruck zu bringen“, so Imhof in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Diese Mittel biete ihr jetzt die Kunst.
Im Erdgeschoß sieht man Imhof per Screen boxend in Richtung Kamera, zu den Klängen aus „West Side Story“. Eine von sechs Videoarbeiten Imhofs aus den Jahren 2001-2003, die die queere Künstlerin erstmals im Kunsthaus Bregenz präsentiert und die, erstellt per Camcorder mit ihren Freund*innen, Liebhaber*innen und Mitarbeiter*innen, ihre Übergangsphase sowohl im Leben als auch im Werk widerspiegelt. Im Video „Work“ sitzt Imhof gemeinsam mit einer ehemaligen Bandkollegin in der Badewanne eines besetzten Hauses, in „Turnpike“ wird Imhof von ihrer damaligen Partnerin und späteren Fotografin Nadine Fraczkowski im öffentlichen Raum gefilmt.
Im ersten Stock trifft man – wie auch in den oberen Floors – auf Barricades und Absperrungen im Stile von Live-Konzerten, Glaswänden mit Graffitis und auf schwer einordenbare Ready-Mades (wie eine Bank mit Sport-Trikots). Der First Floor erscheint komplett in rotem Licht, auf den Wänden thronen atompilz-artige Wolken-Gemälde Imhofs, die zuerst digital erzeugt und dann per Hand „hyperrealistisch“ rekonstruiert wurden. In der Mitte des Raums steht eine monolithische, abgeschlossene Glasstruktur mit einer Matratze am Boden, ein Verweis auf ihre Installation „Nature Mortes“, bei der die Performancer im Gegensatz dazu freien Zugang hatten.
Im zweiten, ebenfalls rot gleißenden Stock ließ Imhof Stahlstäbe unter einer herabgesetzten Decke errichten, die der Besucher frei betreten kann und die ihn zu skulpturalen Bronzereliefs mit androgynen Figuren führen. Ein Konnex zur queeren Lebenssituation der Künstlerin ist nicht von der Hand zu weisen. Auf dem Podest steht ein schickes Motorrad, das den Titel „My own private Idaho“ trägt. Ein LGBTIQ-Kult-Film der 90er mit dem an einem Drogencocktail früh verstorbenen River Phoenix. Im Hintergrund erscheint das Gemälde „Wish you were Gay III“, das schemenhaft eine Person zeigt, die sich eine Pistole an die Schläfe hält. Das Selbstmord-Motiv, das immer wieder in Werken Imhofs auftaucht und das vermutlich darauf hinweisen soll, dass vor allem queere Menschen im Rahmen ihrer Lebens- und Sinnkrisen oft suizidale Tendenzen aufweisen. Der oberste dritte Floor ist im Gegensatz zu den anderen Stockwerken hell erleuchtet, enthält allerdings ebenfalls Barrikaden, Korridore, bildhafte Selbstmord-Motive und weitere Videoarbeiten aus der queeren Coming of Age-Phase Imhofs. Der Hintergrund-Sound entstammt einem Klangteppich aus alten Sound-Sessions Imhofs und hypermoderner künstlicher Intelligenz.
„Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir alle etwas mehr queer wären“, so Imhof. Ein frommer Wunsch, der trotz zahlreicher aktivistischer Proponenten, Regenbogenparaden und Pride Weeks noch in weiter Ferne liegt. Bereits zweimal wurden die sechs auf der Bregenzer Seestraße ausgestellten „Wish you were Gay“-Billboards vorsätzlich beschädigt. Für die mit der US-Sängerin, Malerin und Performerin Eliza Douglas liierten Künstlerin ein klarer Auftrag, weiterhin mit vereinten Kräften für eine Welt ohne Homophobie und Diskriminierung zu kämpfen.