„Wider die Verrohung“: Buchpräsentation von Ingrid Brodnig in der Wiener Faktory!

„Wer am lautesten und aggresivsten auftritt, bekommt am meisten Reichweite“: So steht es am Klappentext des neuen Buchs von Ingrid Brodnig, „Wider die Verrohung“, das sie kürzlich in der Faktory-Buchhandlung in Wien präsentierte. 

 

Sic est, und zwar vor allem in den sozialen Medien. Die Wahrscheinlichkeit für „moralische Empörung“ steigt im Internet, das haben Untersuchungen im Vergleich zu TV, Radio und Print-Produkten nachgewiesen. Die Digital-Expertin, Autorin (u.a. „Hass im Netz“, „Lügen im Netz“ und „Übermacht im Netz“) und Standard-Kolumnistin erläutert in ihrem neuesten Werk verschiedenste Strategien gegen Eskalationen in der persönlichen und virtuellen Diskussion, untermauert durch internationale Experimente und Tests renommierter wissenschaftlicher Institute.

 

False Polarization

 

Eines der Standard-Vokabel: „False Polarization“. Laut einer TikTok-Untersuchung in den USA posten 25 Prozent der Erwachsenen 98 (!) Prozent der Videos. Was mit anderen Worten bedeutet: Eine Minderheit publiziert in den sozialen Medien mit Vehemenz ihre Meinungen und Botschaften und sorgt dadurch für eine verzerrte Wahrnehmung der Polarisierung, die so in der Realität gar nicht existiert.

 

Rage Bait

 

Ein weiterer Begriff, der immer wieder auftaucht, ist „Rage Bait“: Wut als aktivierende Emotion, die sowohl die Politiker als auch die Journalisten nützen, um die Reichweite ihrer Äußerungen zu vergrößern. Banale Ereignisse werden – inklusive Faktenverzerrung – dazu verwendet, um Menschen im Internet aufzustacheln. In Österreich wurde behauptet, dass die Stadt Wien Kindergartensymbole an der Garderobe verbieten wolle, in Deutschland, dass die Gesellschaft für Ernährung den Konsum von Fleisch einschränken wolle. In beiden Fällen handelte es sich bloß um Empfehlungen, die von den Medien („Nur noch eine Currywurst pro Monat für jeden!“, so die „Bild“) und den Politikern (Markus Söder) falsch dargestellt wurden. Die Klicks waren den Postern sicher, die Richtigstellung dagegen erreicht den Großteil der User nicht. Ein Problem des fehlenden Korrektivs, das Brodnig sehr bedauert. Ebenso wie die Diskussion über Garderobesymbole statt die wahren Probleme der Kindergärten (Personalmangel, Arbeitsbedingungen, Gruppengrößen,…) in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu hieven.

 

Strategien gegen rassistische Postings

 

Der Schweizer Wissenschaftler Dominik Hangartner untersuchte mit seinem Team, welche Techniken gegen rassistische Tweets am besten funktionieren. Humor und die Erinnerung an Konsequenzen (weil Freunde oder Familienmitglieder es sehen könnten) zogen eine geringe Resonanz nach sich. Wirksamer dagegen war die Betonung von Empathie. Die Verfasser wurden darauf angesprochen, dass ihre Postings die Adressaten (beispielsweise Ausländer oder Flüchtlinge) verletzen könnten. Immerhin 8 Prozent der Personen löschten die Tweets nach diesem Appell. Brodnig erwähnt in diesem Zusammenhang den Begriff des „Kama Muta“ („von Liebe bewegt“ – aus dem indischen Sankrit). Nicht nur Wut oder Zorn, sondern auch liebevolle und gemeinschaftsfördernde Botschaften können die Aufmerksamkeit der Menschen aktivieren. Eine Methodik, die die US-Präsidentschaftskandidatin und Trump-Herausforderin Kamala Harris in ihrem Repertoire hat.

 

Achtsam wütend

 

Wut ist für die Autorin von vornherein nichts Negatives, sie kann auch helfen, Missstände zu beseitigen. Man sollte allerdings – wie sie in ihrem Buch beschreibt – „achtsam wütend“ sein und dabei einige Kriterien beachten. Man sollte, bevor man seine Wut in zornige Postings transformiert, prüfen, ob der betreffende Vorfall überhaupt wahr ist, und dann sollte man sich persönlich die Frage stellen, ob es sich überhaupt lohnt, eine Debatte darüber zu führen und es sich nicht um einen lächerlichen Nebenschauplatz handelt (siehe: Symbolbilder in der Kindergartengarderobe). Die Kommunikationswissenschaftler Whitney Phillips und Diane Grimes empfehlen in diesem Konnex, den eigenen Körper zu scannen und anhand diverser physischer Reaktionen (wie dem Zusammenpressen der Zähne oder der Verspannung) die Intensität der eigenen Emotionen zu eruieren. 

 

Strafrecht

 

Abseits von sanften Strategien und Tricks bleibt manchmal keine andere Möglichkeit als das Strafrecht in Anspruch zu nehmen. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, einschlägige Delikte wie gefährliche Drohung, üble Nachrede, Cybermobbing oder Verhetzung gelten virtuell in gleicher Weise wie im realen öffentlichen Raum. Brodnig hat dazu eine interessante Studie aus der Schweiz parat. Die Soziologin Lea Stahel und der Statistiker Sebastian Weingartner haben 70 Personen kontaktiert, die wegen Online-Kommentare polizeilich angezeigt wurden. 4 davon stimmten einer Befragung zu und gaben zu, dass sie sich seit der Anzeige beim Posten von heiklen Äußerungen zurückhalten. Nicht die inhaltliche Einsicht war allerdings der Grund, sondern die Vermeidung negativer Konsequenzen in der Zukunft.

 

„Man sollte beim Verfassen von Beiträgen immer daran denken, dass hinter dem Adressaten der Postings ein Mensch mit all seinen Gefühlen und Werten steckt“, so die Autorin abschließend bei der Buchpräsentation. Ein weiterer Baustein, um das labile gesellschaftliche Klima zu verbessern.