Vor 100 Jahren, genau am 1. Oktober 2024, wurde zum ersten Mal Radio aus Österreich gesendet. Die damalige Radiostation der RAVAG (der „Radio-Verkehrs AG“) befand sich in der Wiener Johannesgasse 4 . 1925 hatte die RAVAG – bei einer Monatsgebühr von zwei Schilling – bereits ca. 100.000 Teilnehmer. Heute hören rund 6,1 Millionen Österreicher laut Radiotest täglich Musik, Nachrichten oder Features per Äther. Für jeden einzelnen ist das weiterhin populäre Medium auch mit persönlichen Erinnerungen, Glücksgefühlen und einer Art Lebensbeziehung verbunden.
Das waren für mich einst der popzeitgeistige Treffpunkt Ö3 (mit Kult-Moderatoren wie Dominic Heinzl, Angelika Lang oder Eberhart Forcher), die Jugendkulturleiste Zickzack oder die wöchentlichen Charts mit Udo Huber, der mich und meine Clique auch in die Locations der TV-Hitparade „Die Großen 10“ und zu diversen Ö3-Discos lockte. Nach der Einführung des mainstream-gestriegelten Ö3-Formatradios 1996 verlagerte sich mein Medienverhalten auf den Alternative Mainstream-Sender FM4 und auf Musikfernsehen a la VIVA, später auf YouTube und MP3-Downloads. Heute höre ich gerne Podcasts (die non-lineare moderne Form des Radios) und Ö1 mit Sendungen wie Radiokolleg, Punkt Eins, Matrix oder Doublecheck.
Viele Geschichten über das Radio hat auch der ehemalige Hörfunkmacher und Journalist Wolfgang Kos zu erzählen. Er war nicht nur Teammitglied der legendären Ö3-„Musicbox“ („Wir machten dort alles, was andere nicht machen!“), sondern auch Erfinder des Ö1-Sendungen „Popmuseum“ und „Diagonal“, bis der gelernte Historiker in den Nullerjahren Direktor des Wien Museums (2003-2015) wurde. Nach Büchern über den Semmering und „99 Songs“ hat Kos jetzt eine kleine, feine Hommage an das Radio geschrieben, die er kürzlich im Wiener Thalia-Landstraße präsentierte.
„Das Radio“ erscheint in der Reihe „Dinge des Lebens“, daher der eher geringe Umfang. „Das Buch hat leider nur 64 Seiten, aber jeder Liebhaber des Mediums Radio sollte es neben sein Empfangsgerät stellen“, so Kos´ ehemaliger Musicbox-Kollege Walter Gröbchen auf Facebook. Bei der Lesung in der Buchhandlung machte Kos bereits mit einzelnen Passagen Lust auf das Buch. Immer wieder betont er die Faszination der „unsichtbaren Sprecher“, die bei den Empfängern eine spezielle Atmosphäre auslösen, egal ob in den 50ern bei der Heinz Conrads-Sendung „Was gibt es Neues“, bei „Autofahrer unterwegs“ oder der Popkultur-Revolution in den 60ern. Die Jugend wurde immer mehr zur Hauptzielgruppe, 1967 startete Ö3 als erstes öffentlich-rechtliches Vollprogramm, Ö1 wurde später zum erfolgreichsten Kultursender Europas.
„Demokratie, dein Mund heißt Radio“, ein Zitat des deutschen Schriftstellers Alfred Döblin, das Kos´ Einstellung zum Radio prägte. Information, Bildung und Aufklärung sind wichtige Funktionen des Wellenempfängers. Und natürlich eine bestimmte Zeitstruktur. Weltweit ähneln sich die Sendeschemen der einzelnen Radiostationen, das Radio ist in dem Sinne ein „Nachfolger der Kirchturmuhr“.
Im persönlichen Gespräch mit dem Thalia-Moderator bedauerte Kos die aktuellen Entwicklungen des österreichischen Radiomarktes. Die Verlagerung von Ö1 und FM4 vom denkmalgeschützten Funkhaus in seelenlose Großraumbüros auf den weit entfernten Küniglberg sei ein Verlust für die urbane Kommunikation und die Kulturszene. Die „kurzen Wege“ von einst seien Geschichte, er hoffe aber auf ein „Kultur-Stadtstudio über die Hintertür“.
Die Zukunft des Radios sieht Kos allerdings nicht negativ. „Das lineare TV werde früher verschwinden als das lineare Radio“. Was sich allerdings geändert habe, seien die Vertriebswege wie Podcasts oder Streaming, die ein monatelanges Nachhören der Live-Sendungen garantieren. Etwas, was in den 70ern aufgrund der hohen Kosten für Tonbänder undenkbar war.
Kos betrachtet die öffentlich-rechtlichen Radiomacher als Küchenchefs, als „Fachleute, die ihre Menüs für ihre Kunden im Radio zusammenstellen“. Es ist zu befürchten, dass vor allem eine Partei dieses Landes diese Meinung nicht vertritt.